BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gockel, Hinkel, Gackeleia

 

_______________________________________________________________________

 

 

 

Gockel hatte gar vieles erfahren, die Lüge der Frau Hinkel und der kleinen Gackeleia, die Anwesenheit einer alten Schrift auf einem Grabstein in seiner Schloßkapelle, das Geheimniß von dem Siegelring in des Hahnen Kropf und die ganze Betrügerei der morgenländischen Petschierstecher. Alles dieses machte ihn gar tiefsinnig und betrübt; er drückte den edlen Hahn Alektryo einmal um das andremal an sein Herz und sagte zu ihm: «nein, du geliebter, ehrwürdiger, kostbarer Alektryo, und wenn du den Stein der Weisen in deinem Kropf hättest, du sollst darum durch meine Hand nicht sterben, und ehe Gockel nicht verhungert, sollst du auch nicht umkommen.» Nach diesen Worten wollte Gockel dem Alektryo einen Bissen Brod geben, der aber schüttelte den Kopf und sprach gar beweglich:

 

«Alektryo in großer Noth,

Gallina todt, die Hühnchen todt,

Alektryo will mehr kein Brod,

Will sterben durch das Grafenschwert,

Wie es ein edler Ritter werth,

Verlangt ein ehrlich Halsgericht,

Wo Raugraf Gockel das Urtheil spricht,

Und über die Katze das Stäblein bricht.»

 

«O Alektryo,» sprach Gockel mit Thränen, «ein strenges Gericht soll über die Katze ergehen, deine verstorbene Gallina und deine dreißig Jungen sollen gerächt werden, und was noch von ihnen übrig ist, soll in einem ehrlichen Grabe bestattet werden; aber du, du mußt bei mir bleiben.» Der Hahn blieb immer bei seiner Rede, er müsse in jedem Falle sterben, und wolle ihn Gockel nicht enthaupten, so werde er sich zu Tode hungern; Gockel werde schon heute in der wüsten Schloßkapelle noch Alles erfahren und dann kurzen Proceß machen.

Es war Nacht geworden: als Gockel nach Hause kam. Frau Hinkel und Gackeleia schliefen schon, denn sie erwarteten heute den Vater nicht zurück, weil sie glaubten, er sey mit den Käufern des Alektryo nach der Stadt gegangen. Zuerst schlich sich Gockel nach dem Winkel, wo die mörderische Katze mit ihren Jungen schlief, Alektryo zeigte ihm den Weg. Gockel ergriff sie alle zusammen und steckte sie in denselben Sack, in welchem Alektryo gefangen gelegen war. Ach wie trauerten Gockel und Alektryo, als sie die Federn und Gebeine der guten ermordeten Gallina und ihrer Küchlein um das Nest der Katze herumliegen sahen. Sie weinten bittere Thränen mit einander und Alektryo sammelte, mit seinem Schnabel herumsuchend, alle Beinchen und Federn der Ermordeten in die Mütze Gockels, der sie ihm hiezu hinhielt. Dann sprach Alektryo zu Gockel, indem er traurig vor ihm herschritt, Kamm und Schweif niedersenkte und die Flügel hängen ließ, als begleite er wie ein Kriegsmann mit gesenkter Fahne und niedergewendetem Gewehr eine Leiche zu Grab:

 

Nun folg mir zur Kapelle,

Daß diese theure Last

Dort find' an heil'ger Schwelle

Auf ewig Ruh und Rast.

 

So giengen sie wie ein stiller Leichenzug zu der wüsten Kapelle, Alektryo sang eine leise Lamentation und die Vögel aus dem Schlafe erwachend guckten hie und da aus den Nestern und lamentirten, ohne die einfache Würde der erhabenen Trauerzeremonie zu stören, in sanfter Harmonie ein bischen mit. Der Himmel selbst hatte seine Sterne mit Wolken verhüllt und der Mond, mit Thränen im Auge, schimmerte bleich durch einen Schleier der Wehmuth. Die halbe Natur stimmte in das schöne Ganze dieser eben so rührenden als würdigen Feier mit ein, wobei auch die so sinnige Mitwirkung der Büsche und Kräuter und Blumen rühmlich zu erwähnen ist, denn die Glockenblumen, die ehr- und tugendsam Jungfer Campana läutet ganz mitleidig mit allen ihren blauen Glocken, und die bewußten weißen Rosen, die bei Feierlichkeiten immer so beliebten weißgekleideten Mädchen, gossen Schalen voll reichlichen Thränenthaus vor dem Zuge aus; man bemerkte unter den Leidtragenden die so achtbare Klagejungfrau Rosmarin, die demüthige Familie Thymian, die Miß Lavendel, die Comtesse Quentel und viele andre edle Familien. Auch die barmherzigen Schwestern Jungfer Melissa, Krausemüntze, Kamille, Schaafgarbe, Königskerze, Ehrenpreiß, Baldrian, Himmelsschlüßel bewiesen ihre innigste Theilnahme. Vor allen andern des schönen Blumengeschlechtes aber beurkundete Fräulein Reseda, welche so oft im Wochenblättchen anzeigt, daß sie mehr auf gute Behandlung als großen Gehalt sehe, den guten Geruch aller ihrer Verdienste. Der allgemeine Blumen-Notarius Publicus Salomons-Siegel bewährte durch seine Theilnahme, daß sein Name in großem Bezug mit diesem merkwürdigen Ereignisse stehe. Kurz die Theilnahme aller Kräutlein war so groß, daß sogar die faule Grethe unter ihnen bemerkt wurde, der redliche gute Heinrich hatte sie aufgeweckt, daß auch sie mit ihm dem Alektryo ihr Beileid bezeige.

O wie kindlich, einfältig rührend sprach sich die Theilnahme der frommen Klosterschwestern, Marienkinder genannt, aus, welche ihr Klösterchen in dem mit Erde erfüllten trockenen Becken des verfallenen Springbrunnens zu Füßen des zerbrochenen Liebfrauenbildes bewohnten. Gackeleia nannte dieses mit lauter Marienpflänzchen überwachsene Brunnenbecken gewöhnlich ihr Marienklostergärtchen, und pflegte es besser, als alle anderen Gartenbeete. Alle Marienkäferchen, die sie fand, setzte sie hinein. Sie hatte sich eine Bank darin bereitet, und neben dieser stand das Kräutlein Unserlieb-Frauenbettstroh. Da trieb Gackeleia gewöhnlich ihre Spielereien. Sie hatte das liebe Dreifaltigkeitsblümchen, das auch Jelängerjelieber und Denkeli und unnütze Sorge genannt wird, zu Füßen des Liebfrauenbildes gepflanzt, weil die Mutter ihr gesagt hatte, daß dieß Blümchen in Hennegau Jesusblümchen heiße. Da nahm dann Gackeleia manchmal ein solches Jesusblümchen und legte es auf das Kräutchen Marienbettstroh und wiegte es hin und her und sang dazu:

 

Da oben im Gärtchen,

Da wehet der Wind,

Da sitzet Maria

Und wieget ihr Kind,

Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand,

Und brauchet dazu gar kein Wiegenband.

Ich will mich zur lieben Maria vermiethen,

Will helfen ihr Kindlein recht fleißig zu wiegen,

Da führt sie mich auch in ihr Kämmerlein ein,

Da singen die lieben Engelein fein,

Da singen wir alle das Gloria,

Das Gloria, Lieb Frau Maria!

 

Als der Leichenzug Gallina's an diesem Mariengärtchen vorübergieng, war die Betrübniß von dessen Bewohnerinnen um so größer, als ihre Freundin Gackeleia diesen höchst traurigen Todesfall veranlaßt hatte; ach, sie fühlten Alle in ihrem frommen Herzen, als theilten sie die Schuld Gackeleia's. Da standen nun die lieben Kräutchen, die Marienkinder, in einer Reihe. Schwester Margarita Marienröschen, Schwester Chardonetta Mariendistel, Schwester Cuscutta Marienflachs, Schwester Spergula Mariengras, Schwester Gremila Marienhirse, Schwester Alchimilla Marienmantel, Schwester Mentha Marienmünze, Schwester Päonia Marienrose, Schwester Calceola Marienschuh und auch die kleine feine Novize Mignardisa Marientröpfchen hatte ihr gefranztes Trauerschleierchen ganz naß geweint. Alle standen sie in stiller Andacht und dufteten ein de profundis, und einer jeden hatten die Marienkäferchen eine brennende Kerze in die Hand gegeben, und die Laienschwestern Campanula, Marienhandschuh und Marienglöcklein läuteten mit den blauen, violetten und weißen Klosterglöckchen gar beweglich und harmonisch. Nirgends aber sprach sich Trauer, Mit- und Beileid tiefer und wahrer aus, als unter der uralten Linde, nahe bei dem Eingang in die Kapelle. Es müssen sich theure Gockelhinkelsche Erinnerungen an diese klassische Stelle knüpfen; Ortsnamen und Bewohner zeugen dafür. Die Linde heißt von Olims Zeiten her die Hennenlinde, das kleine Feldkreuz unter ihr, worauf eine Henne ausgehauen, heißt das Hennenkreuz. Die drei zu ewiger Anbetung und Fürbitte verlobten adeligen Klosterfrauen, die drei reinen schneeweißen Lilien, welche zu Häupten dieses Kreuzes stehen, sendeten Weihrauch und Gebete aus den Opferschalen ihrer Kelche empor.

Zu Füßen des Hennen-Kreuzes trauerte in stummem Schmerz ein adeliger Fräuleinverein von lauter Pflanzen und Kräutern, welche der Gräfin Hinkel von Hennegau namensverwandt und seit Olims Zeiten in diesem Schloße einheimisch waren. Hier weinten unter dem Vorstand der alle Schmerzen übernehmenden Fräulein Grasette Fetthenne ihre stillen Thränen die edlen Fräulein Moscatellina von Hahnenfuß, Ornitogalia von Hühnermilch, Serpoleta von Hühnerklee, Morgelina von Hühnerbiß, Cornelia von Hahnenpfötchen, Osterlustia von Hahnensporn, Cretellina von Hahnenkamm und Esparsetta von Hahnenkämmchen. - Dank den edlen schönen Seelen!

Es haben sich außerdem allerlei Gerüchte von außerordentlichen Erscheinungen verbreitet, die bei diesem Begräbniß eingetreten seyn sollen, und es ist noch jetzt das Gerede unter den Vögeln der Umgegend davon: «es sey ein Comet in der Gestalt eines Paradiesvogels am Himmel gesehen worden, und unter der Linde hätten die drei Lilien zu leuchten begonnen, Sterne seyen in sie niedersinkend gesehen worden und vor ihnen sey eine schöne edle Frau, eine Gräfin von Hennegau, erschienen und habe beim Vorübergang der Leiche die Worte gesungen:

 

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!

 

worauf Alles verschwunden sey.» Wir stellen diese Gerüchte, als dem Reiche der Phantasie angehörig, unverbürgt dem Glauben eines jeden anheim.

Als Gockel und Alektryo in der dachlosen, Busch und Baum durchwachsenen Kapelle mit den Ueberresten Gallina's angekommen war, schüttete er dieselben fein sachte auf die Stufen des zerfallenen Altares aus und zog seine Mütze wieder über die Ohren, weil er wohl wußte, es könne ihm bei seiner Anlage zu rheumatischem Kopf-, Zahn- und Ohrenweh unmöglich gesund seyn, das nicht mehr dicht behaarte Haupt dem kühlen Nachtthau auszusetzen. Hierauf sprach der treue Alektryo, der nicht von den Ueberresten seiner Familie wich, zu Gockel:

 

Wachholderstrauch

Macht guten Rauch.

Zu Stambul hat der Großsultan

Wachholder in dem Garten sein

Und drum ein goldnes Gitterlein,

Er zündet dran die Pfeife an

Und hat recht seine Freude dran;

Du Gockel brich Wachholder mir

Zu dem Castrum Doloris hier.

 

Da brach Gockel ihm Reiser von einem dort stehenden Wachholderbusch und flocht eine Art Nest daraus, welches er auf die Stufe des Altares setzte. Alektryo legte alle die Beinchen der Gallina und ihrer Jungen in diesem Nest in einen wohlgeordneten Scheiterhaufen zusammen, füllte diesen mit den Federn und legte den Kopf und die Köpfchen der Seinigen darauf.

Indessen blickte Graf Gockel nachdenklicher als je den alten Grabstein an, der hinter dem Altar in der Wand eingemauert war; es war sein erster Ahnherr, der Urgockel, mit einem Hahnen auf der Schulter und einem ABC-Buch in der Hand, in bedeutender Größe darauf abgebildet, und zu seiner Linken war an der Mauer eine Reihe von Bildern aus seinem Leben in Stein gehauen. Gockel wußte nicht viel von dem Urgockel und noch weniger von der Bedeutung der Bilder; die Hauschronik war mit dem Schloß verbrannt. Er wußte nur den alten Familiengebrauch, daß die Grafen Gockel immer den Alektryo in Ehren hielten, und daß er ihrem Haus Glück bringe.

Als Alektryo mit der Ordnung der Gebeine seiner Familie fertig war, scharrte er die Erde von einer Marmorplatte, die vor dem Altar am Boden lag, und Gockel reinigte sie vollkommen. Auf dieser Platte waren allerlei Zeichen, wie Hahnen und Hühner sie mit ihren Pfoten im Schnee machen, eingegraben. Alektryo sprach:

 

Graf Gockel lies,

Was heißet dies?

 

Gockel konnte aus dem Gekritzel nicht klug werden und sprach:

 

Alektryo, mein lieber Hahn,

Wie sehr ich auch nachdenken mag,

Kann ich kein Wörtchen doch verstahn

Von dieser Kribbes-Krabbes-Sprach.

 

Da erwiederte Alektryo:

 

Der Ur-Alektryo dies schrieb

Dem Ur-Gockelio zu lieb.

Da keine Handschrift konnte lesen,

Noch schreiben Ur-Gockelio,

So ist ihm hier zu Dienst gewesen

Mit Fußschrift Ur-Alektryo.

Sein Lehrer war ein Indian,

Ein Schreiber des Gott Hahnemann,

Die Tinte war der Morgenthau,

Die Federn waren Hahnenpfoten,

Er schrieb auf Paradieses Au

Zum reinen Kikriki die Noten;

Doch als im Eifer eine Sau

Er einstens hat hineingekleckst,

Fiel gleich sein Stamm mit Kind und Frau

Auf lange Zeiten aus dem Text;

Bis er bei Job als Concipist

Ward angestellet auf dem Mist.

Was Hahn zu Hahn hat je gekräht,

Der Schrei noch um die Erde geht;

Was Hahn an Hahn vor Langem schrieb,

Nicht immer ganz verständlich blieb.

Weil Fußschrift auf die Fußschrift trifft,

So ward es Kribbes-Krabbes-Schrift.

Ein jeder liest sich erst hinein

Was er sich gern heraus möcht' lesen,

Oft giebt ein Strich, ein Pünktlein klein,

Dem ganzen Sinn ein andres Wesen.

So ward auch hier der dunkle Spruch

Aus dein und meinem Schicksalsbuch,

Der auch auf deinem Wappen steht,

Von Schriftgelehrten bös verdreht;

Doch weil ich kräh' nach Tradition,

So kann ich noch mein Lektion.

 

Nun las Alektryo ihm folgende Worte von der Marmorplatte:

 

Alektryo bringt dir Glück selbst um Undank.

O Gockel hau ihm den Kopf ab,

Schneid' ihm den Kropf auf, Salomo's

Siegelring Jedem noch Brod gab.

 

Da sah nun Graf Gockel deutlich, daß die Eltern der Petschierstecher schon seine Vorfahren bei dem Spruch auf dem Wappen betrogen hatten, und daß die Worte: Kopf, Kropf, Siegel gar nicht ihre Namen waren. Alles Gehörte erweckte dunkle Erinnerungen wie von Mährchen aus seiner frühesten Jugend in ihm, und begierig, von der Geschichte seiner Vorfahren etwas zu wissen, sprach er zu dem Hahnen:

 

Alektryo! es ist curios,

Du sprichst vom Ringe Salomo's

Und von dem Urgockelio

Und von dem Uralektryo;

Mir ist, wenn ich dies Alles hör',

Wie einer Eierschaale leer,

Wenns Huhn, von dem sie war gelegt,

Sich gacksend um sie her bewegt.

Wer lang, wie ich, bei Hofe sitzt

Im Hühner-Ministerium,

Zuletzt gar von sich selbst ausschwitzt

Das innere Mysterium.

Mir ist so dumm, als ob ich sey

Ein in der Stichedunklichkeit

Der finstern Mittelaltrichkeit

Gelegtes ausgeblas'nes Ei.

Belehr mich doch! - ich weiß nicht mehr,

Wo kommen alle wir nur her,

Wo Gockel, wo Alektryo,

Wo jener Ring des Salomo?

 

Da erwiederte Alektryo:

 

Du dauerst mich, du armer Tropf!

Faß an den Ring in meinem Kropf,

Sprich: Urgockel! dort an der Wand,

Hast's ABC-Buch in der Hand,

Gehorch' dem Ring des Salomon

Und sag mir auf dein Lektion,

Links vom Altar bis zu der Thür

Die alten Bilder explizir'!

 

Graf Gockel nahm nun den Alektryo unter den Arm, faßte mit der Hand an seinen Kropf und sprach diese Worte ganz feierlich zu dem Bilde Urgockels an der Wand. Da rauschte es dumpf in dem Steinbild, der steinerne Hahn Urgockels schlug sich mit den Flügeln in die Seite, daß Moos und Kalk niederfiel; er streckte den Hals und krähte, wenn gleich ein wenig heiser, doch so laut und feierlich, als wolle er den Schlafenden den jüngsten Tag verkünden, und Alektryo antwortete ihm mit ehrfürchtigem Ernst.

Nun aber fiel hie und da brüchiges Gestein an der Wand rasselnd nieder, es regte sich das steinerne Bild Urgockels, hob langsam die Hände, streckte sich, rieb sich die Augen, gähnte etwas zu laut, machte aber dabei ein Kreuz vor den Mund, welches ein schönes Zeugniß für die fromme Sitte des finstern Mittelalters war; er schob sich auch die Mütze ein wenig hin und her und nießte sehr heftig, und Graf Gockel sagte ernsthaft: «wohl bekomm's!» und er erwiederte: «Schönen Dank!» - Dann aber stellte er sich ruhig in Positur, deutete der Reihe nach auf die Bilder an der Mauer hin und las dabei aus seinem ABC-Buch schön deutlich wie ein verständiger Knabe, aber freilich, wie es von seiner Zeit nicht anders zu erwarten war, ohne Gefühl, ohne Betonung, ohne Ausdruck, ohne Deklamation, etwas eintönig folgende Reime ab:

 

Urgockel werde ich genannt,

Zog weit umher im Morgenland

Und schlief einst dorten auf dem Mist,

Wo Job versuchet worden ist.

Da träumte mir, der Dulder fromm

Heiß' mich auf seinem Mist willkomm

Und schenk' mir einen schwarzen Hahn

Und spräch': «es hat des Hahnen Ahn

Bei mir auf diesem Mist gekräht,

Zu Gott geklagt, zu Gott gefleht,

So klug, daß ich den Spruch erfand:

Wer giebt dem Hahnen den Verstand?

Leb wohl – er heißt Alektryo.»

Da weckte mich auf meinem Stroh

Ein ritterlicher Hahnenschrei;

Ich sah, daß es derselbe sey,

Den mir Herr Job im Traume gab,

Er saß auf meinem Pilgerstab

Und weckt' mit Schrei und Flügelschlag

Sich, mich und auch den jungen Tag.

Ich theilt' mit ihm mein Sorgenbrod

Und zog mit ihm durch Morgenroth,

Durch Mittagsgluth und Abendschein,

Durch Mond- und Sternennacht, allein,

Ach so allein, allein, allein,

Als Mann und Hahn kann jemals seyn!

Alektryo so mit mir kam

Durch Persiam und Mediam,

Armeniam, Mingreliam,

Durch Gock- und Magockeliam; -

In Montevillas Reisbuch stehn

Die Länder all, die wir besehn.

Wann Nachts ich ruht, da wacht' der Hahn,

Zeigt' redlich mir die Stunden an,

Da stand ich auf, that ein Gebet -

Schlief wieder bis er wieder kräht';

Oft hielt sein Krähn – Lob Gott den Herrn,

Die wilden Löwen von mir fern.

Ich hatte ein Gelübd gethan,

Zu Ehren Jobs mit meinem Hahn

Zu schlafen stäts auf einem Mist,

Weil da er mir erschienen ist.

Zu Tadmor einst war meine Rast

Am Mist vor Salomo's Palast;

Da weckte mich Alektryo,

Kräht' laut und scharrte aus dem Stroh

Ein Kleinod licht, ein blinkend Ding

Und steckte mir den Siegelring

Selbst an den Finger meiner Hand. -

Wer gab dem Hahnen den Verstand? -

Den Ring ich gegen Morgen hielt,

Der junge Tag drin lieblich spielt';

Ich dacht: wem nur das Wunderding,

Der schöne Ring, verloren gieng?

Da drangen gleich zu meinem Ohr

Die Worte aus dem Ring hervor: -

«Der Siegelring von Salomo

Macht alle Menschen reich und froh,

Wer an dem Finger um mich kehrt,

Dem ist ein jeder Wunsch gewährt!»

Da dankt ich Gott still im Gebet,

Bis laut Alektryo gekräht,

Und wünscht': «wär ich dem Land heraus,

Mit Hahn und Ring bei mir zu Haus!»

Als auf dies Wort den Ring ich dreh',

Bei Hanau hier im Wald ich steh';

Mit Amen schloß mein Frühgebet,

Der Morgenschrei war ausgekräht

Im Walde hier, was Hahn und Mann

Zu Tadmor eben erst begann.

Ich fand nicht Vater, Mutter mehr,

Sie waren todt – die Hütte leer!

Ich dreh' den Ring – «hätt' ich ein Schloß

Und Knecht, Magd, Ochs und Kuh und Roß!»

Und sieh das Schloß stand alsobald

Mit Knecht, Magd, Ochs, Kuh, Pferd im Wald.

Ich dreh den Ring – «hätt' ich zur Frau

Das liebste Herz aus Hennegau,

Und hätt' mein Hahn ein Hühnlein gut,

Es würde eine edle Brut.»

Da hört' im Wald ich ein Geschrei

Und eilt' mit Roß und Knecht herbei,

Und bei der Hennen-Linde draus,

Da hatt' ich einen blut'gen Strauß.

Der Schrei von einem Fräulein war,

Entführt von wilder Räuberschaar.

Die Räuber schlug ich alle todt

Und half dem Fräulein aus der Noth;

Und in der Linde Schattenraum

Sprach sie: «schon ründet sich mein Traum,

Ich ward durch eines Hahnen Schrei

Aus wilder Löwen Kralle frei,

Giebt nun der Hahn mir noch den Ring,

Dann Alles in Erfüllung gieng.»

Ich gab den Ring dem lieben Bild,

Vereint ward unser Wappenschild;

Urhinkel wars von Hennegau,

Der Kaiser gab sie mir zur Frau.

Ein Huhn sie mir als Brautschatz gab,

Das von dem Hahnen stammte ab,

Der einstens krähte hell und klar,

Als Petrus in Versuchung war.

Es bracht' dies edle Huhngeschlecht

Aus Syria ein Edelknecht,

Der bei Pilati Leibwach stand,

Salm hieß er, aus Savoierland. -

Nun fing ich und mein edler Hahn

Ein ritterliches Leben an;

Ich hatte Söhnchen nach der Reih,

Er Hahn und Hühnchen, Ei auf Ei!

Ich dreht den Ring – den Grafenhut

Hatt' ich sogleich, er stand mir gut. -

Doch als ich ward ein edler Greis,

Gedacht ich an die weite Reis,

Ins andere gelobte Land.

Ich dreht' den Ring – «hätt' ich Verstand!»

Da war ich klug wie Salomo

Und sprach da zu Alektryo:

«Ich hab den Ring bald ausgedreht,

«Und du die Zeit bald ausgekräht,

«Es naht der Ring der Ewigkeit,

«Da mißt kein Hahnenschrei die Zeit;

«Die Schlange beißt sich in den Schweif,

«Ohn' End und Anfang ist der Reif,

«Und da es geht zum Ende nun,

«Sprich, was soll mit dem Ring ich thun?»

Alektryo sprach: «hör' sey klug!

«Du läßst wohl Geld und Gut genug

«Den Söhnen dein, sie können sich

«Als Grafen nähren ritterlich;

«Gäbst ihrer Einem du den Ring,

«Gar leicht ein Zank und Streit angieng;

«Er wünschte sich solch Glück und Ehr,

«Daß drüber er sein Seel' verlör'!

«Da Keiner von dem Ring noch weiß,

«Wird Keinem um den Ring auch heiß.

«Dem Erstgebornen gieb das Haus,

«Die Andern statte reichlich aus;

«So soll jed Erstgeborner thun,

«Bis alle Gockel bei dir ruhn.

«Ich, dein Alektryo, füg' bei:

«Aus der Gallinen erstem Ei,

«Der Erstling der Alektryonen,

«Soll stäts bei allen Gockeln wohnen,

«Daß er vor Mißbrauch und Gefahr

«Dem Haus den Ring im Kropf bewahr'.

«So komm' dein Ring von Kropf zu Kropf,

«Dein Grafenhut von Kopf zu Kopf.

«Und wenn erlischt der Mannesstamm

«Vom Gockelhut, vom Hahnenkamm,

«Schlägt ab des letzten Gockels Schwert

«Dem Schluß-Alektryo den Kopf.

«Und Salomonis Ringlein kehrt

«In Grafen Hand aus Hahnen Kropf.

«Der letzte Sproß den Ring dann dreht,

«Bis neu der Hahn vom Tod ersteht,

«Der auf den Wunsch von einem Kind

«Das End vom Liede schnell ersinnt.»

Zu mir dem Urgockelio

Sprach so der Uralektryo,

Und hat mit seinem Kopf gezuckt

Und schnell in seinen Kropf verschluckt

Den Siegelring des Salomo,

Und hat dann dunkel, als Prophet,

Den Schicksalsspruch mir vorgekräht,

Der auf dem Grab und Wappen steht,

Und richtig, ward er gleich verdreht,

Noch heute in Erfüllung geht.

Doch ich hab' nicht recht zugehört,

Ich sprach im Bett zur Wand gekehrt:

«Wer gab dem Hahnen den Verstand?»

Dann reiste in das andre Land,

Wohin den Weg noch jeder fand,

Ich, der Urgockel, an der Wand!

 

Nach diesen Worten schwieg Urgockel still und war ein lebloses Steinbild wie vorher. Graf Gockel, der während der Explication die Bilder der Reihe nach betrachtet hatte, schüttelte den Kopf und sprach: «curios, curios, was doch einem Menschen alles passiren kann. Es ist und bleibt doch halt immer ein höchst merkwürdiger klassischer Boden, die Gegend zwischen Hanau und Gelnhausen!» - dann wendete sich Gockel zu Alektryo und fuhr fort: «o! nun weiß ich Alles, verstehe ich Alles, theurer schätzbarer Freund meines Stammes; aber sage mir doch, wenn es zu fragen erlaubt ist, wie ist dann dieser unvergleichliche Siegelring Salomonis eigentlich in deinen Kropf gekommen?» – da erwiederte Alektryo:

 

Urahnherr sterbend spie aus den Stein,

Da schluckte ihn mein Ahnherr ein.

Mein Ahnherr sterbend spie aus den Stein,

Da schluckte ihn mein Großvater ein.

Großvater sterbend spie aus den Stein,

Da schluckt ihn mein Herr Vater ein.

Herr Vater sterbend spie aus den Stein,

Da schluckte ihn der Alektryo ein.

Alektryo sterbend speit aus den Stein,

Da kehrt er zu Gockel, dem Herren sein.

Gallina todt, die Küchelchen todt -

Alektryo frißt nun mehr kein Brod.

Er will nun sterben durch Grafenschwert,

So wie ein edler Ritter es werth!

Was Uralektryo prophezeit,

Geht Alles in Erfüllung heut.

 

«Wohlan,» sprach Gockel, «so will ich dann sogleich allhier ein hochnothpeinliches Halsgericht halten, du sollst Zeter über die Mörder der Deinigen rufen und strenge Genugthuung erhalten. - Dann aber will ich an dir thun, was du verlangst. – Rufe sogleich als Herold meines Stammes alle Bewohner dieses Schloßes vor die Schranken.»

Da nun eben der Morgen graute, flog Alektryo auf die höchste Giebel-Mauer des Schloßes und krähte dreimal so laut und heftig in die Luft hinein, daß sein Ruf wie der Schall einer Gerichtstrompete von allen Wänden wiederhallte, und alle Vögel erwachten und streckten die Köpfe aus dem Neste hervor, um zu vernehmen, was er verkünde; und da sie hörten, daß er sie zu Recht und Gericht gegen die mörderische Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief, fiengen sie an, mit tausend Stimmen ihre Freude über diesen Ruf zu verkünden, schlüpften alle aus ihren Nestern, schüttelten sich die Federn und putzten sich die Schnäbel, um ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der Kapelle, wo sie sich hübsch ordentlich in Reih und Glied in die leeren Fenster, auf die Mauervorsprünge und auf die Sträucher und Bäume, welche darin wuchsen, setzten und die Eröffnung des Gerichts erwarteten.

Als die Vögel alle versammelt waren, trat Alektryo vor den Hühnerstall, worin Hinkel und Gackeleia noch schliefen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der frommen Gallina geschehen, krähte er mit solchem Zorne in den Stall hinein, und schlug dermassen mit den Flügeln dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen Schrecken erwachten, und beide zusammen ausriefen: «o weh, o weh! da ist der abscheuliche Alektryo schon wieder, er ist gewiß dem Vater im Walde entwischt, wir müssen ihn nur gleich fangen.» Nun sprangen sie beide auf und verfolgten den Alektryo mit ihren Schürzen wehend; er aber lief spornstreichs in die Kapelle hinein; wie erschrecken Hinkel und Gackeleia, als sie daselbst auf den Stufen des Altares den Gockel mit finsterm Angesicht das grosse rostige Grafenschwert in der Hand haltend sitzen sahen. Sie wollten ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen sey, aber er gebot ihnen zu schweigen und wies ihnen mit einer so finstern Miene einen Ort an, wo sie ruhig stehen bleiben sollten, bis sie vor Gericht gerufen würden, daß sie sich verwundert einander ansahen. Der Hahn Alektryo gieng immer sehr traurig und in schweren Gedanken mit gesenktem Kopfe vor Gockel auf und ab, wie ein Mann, der in traurigen Umständen sehr tiefsinnige, verwickelte Dinge überlegt. Ja es sah ordentlich aus, als lege er die Hände auf dem Rücken zusammen. Auch Gockel sah einige Minuten still vor sich hin und alle Vögel rührten sich nicht. Nun stand Gockel auf und hieb mit seinem Grafenschwert majestätisch nach allen vier Winden mit dem Ausruf:

 

«Ich pflege und hege ein Hals-Gericht,

Wo Gockel von Hanau das Urtheil spricht

Und über den Mörder den Stab zerbricht.»

 

Nach diesen Worten flog Alektryo auf die Schulter Gockels und krähte dreimal sehr durchdringlich. Frau Hinkel wußte gar nicht, was das alles bedeuten sollte, und schrie in grossen Aengsten aus: «o Gockel, mein lieber Mann, was machst du? ach ich unglückselige, er ist närrisch geworden!» Da winkte ihr Gockel nochmals zu schweigen, und sprach:

 

«Wer kömmt zu Rüge, wer kommt zu Recht?»

 

Da trat Alektryo hervor, und sprach mit gebeugtem Haupt:

 

«Alektryo klagt, dein Edelknecht!»

 

Ach! wie fuhr das der Frau Hinkel und der kleinen Gackeleia durch das Gewissen, als sie hörten, daß der Hahn reden konnte; sie zitterten, daß nun Alles gewiß herauskommen wurde. Da sprach Gockel:

 

«Alektryo, was ward dir gethan?»

 

Da antwortete Alektryo:

 

«Graf Gockel, trag mir das Schwert voran,

Trag es voran mit gewaffneter Hand,

Dann rufe ich Zeter wohl durch das Land.»

 

Da zog Gockel einen alten Blechhandschuh an die rechte Hand, in der er sein Schwert trug, und gieng so vor Alektryo, der ihm folgte, im Kreis durch die Kapelle wieder zu den Gebeinen Gallina's zurück.

Da trat Alektryo zu den Gebeinen der Gallina und krähte Zeter mit zitternden Stimme.

 

«Ach Herr, schau diese Gebeinlein an,

Das war mein Weib und meine Brut,

Die Katze zerriß sie und trank ihr Blut.

Zeter über Schurrimurri und Gog,

Mack, Benack, Magog, Demagog;

Zeter und Weh und aber weh,

Und immer und ewig Herr Jemine!»

 

Bei diesen Worten krähte er wieder gar betrübt, und Gockel sagte:

 

«Alektryo, du mein edler Hahn,

Ich hörte, du hättest es selbst gethan.

Nun bringe du mir auch Zeugen bei,

Daß deine Klage wahrhaftig sey.»

 

Da antwortete Alektryo:

 

«Hier war ich schon lange ein lästiger Gast,

Sie haben den redlichen Wächter gehaßt;

Oft mußte ich hören den Wiegengesang,

Der mir, wie ein Messer, die Kehle durchdrang:

«Ha heia, popeia, schlag's Kickelchen todt,

Er legt keine Eier und frißt mir mein Brod,

Dann rupfen wir ihm seine Federchen aus,

Und machen Gackeleia ein Bettchen daraus!»

O wär ich gestorben! wie wär' mir jetzt gut

Mit meiner Gallina und mit meiner Brut,

Bei dir lieber Hiob, bei dir Salomo

In himmlischen Höfen auf goldenem Stroh!

Doch fehlte der Muth hier zu blutiger That,

Ich sollte verderben durch Lug und Verrath.

Weil oft ich zu früh das Gewissen erweckt,

Ward mit dem Gewissen in Sack ich gesteckt.

So hab ich gehört nur und hab nicht gesehn,

Wie hier ist die gräßliche Unthat geschehn,

Und lad' drum die lieben Schloßvögelein ein,

Sie sollen wahrhaftige Zeugen mir seyn.»

 

Nach diesen Worten fiengen alle die Vögel an, so gewaltig durch-einander zu zwitschern, zu schnurren und zu klappern, daß Gockel sprach:

 

«Halt ein, hübsch stille, macht kein Geschrei,

Ich will euch vernehmen nun nach der Reih'!

Zuerst Frau Schwalbe, die früh aufsteht,

An dich mein Zeugenruf ergeht.»

 

Da flog die Schwalbe heran und sprach:

 

«Noch zittere ich und beb ich,

Es ist wirklich, gewiß, sicherlich geschehn,

Sterb ich, oder leb ich, will ich's immer und ewig

Sicherlich nimmer mehr wieder sehn;

Wie die wilde Kätzin und ihre Kätzchen

Sprangen mit zierlichen Sprüngen und Sätzchen

Zum Nestchen und rissen ripps, rapps,

Die Küchlein und ihr Mütterlein treu,

Gripps, grapps in viele, viele Restchen,

Und federwinzige Fetzen entzwei.

Ich blieb drüber schier vor Schrecken

Zwier im zierlichen Gezwitscher stecken.

Wie ich eben im Begriffe bin gewesen,

Meinen Kindern, wie üblich, gar lieblich

Ein Capitel ersprießlich aus der Bibel

Von Tobiä Schwälblein und Sälblein

Exegisirend, explicirend zu lesen,

Geschah das himmelschreiende grimmige Uebel;

Als ich, wie's schicklich, erquicklich ist,

Mit witziger, spitziger List

Die Hirngespinnste meiner Gesichte,

Die figürlichen, manierlichen Traumgedichte

Den Kindern ein bischen zimperlich, spärlich,

Doch ziemlich klimperklärlich

Im glitzernden Frühlichts-Schimmer

Spintisirlich rezitirte, ist, was ich gewiß nimmer

Bis jetzt je gesehen, nie wieder will sehen,

Die verzwiefelte, verzweifelte Misse – Misse -

Missethat binnen kürzester Frist geschehen,

Daß die wilde Kätzin ohne Rezepisse

Und Gewissen die Gallina zerrisse;

Sieh, es ist die fleißige, ämsige, sitzende,

Giksende, gacksende, kratzende, kritzende

Gickel, Gackel, Gallina nicht mehr,

Das von weißen, weichen Ginster und Weidenzweigen

Zierlich gewickelte, figürlich gezwickelte, fleur-de-lysirte,

Gothisch verzierte, stilisirte, persisch ziselirte,

Von piependen, trippelnden, nickenden, pickenden

Küchelchen wimmelnde Erbhühnernest ist zerrissen,

Zerbissen und lee, lee, lee, leer;

Zwischen den Splittern zittern und wehen die Federchen rings her,

Ich theile gewißlich mit denen, die drum wissen,

Das stechende, beissende, böse Gewissen

Immer und ewiglich nimmer nie, nie, nie, mehr!»

 

Nach dieser sehr beweglichen Aussage der kleinen Schwalbe krähte Alektryo wieder:

 

«Zeter über Schurrimurri und Gog,

Mack, Benack, Magog, Demagog;

Zeter und Weh und aber weh,

Und immer und ewig, Herr Jemine!»

 

Bei dem Krähen aber ward der Frau Hinkel und der kleinen Gackeleia fast zu Muthe, wie Einem, der seinen Herrn verläugnet hat, beim Hahnenschrei zu Muthe ward. Gockel sprach nun:

 

«Hab Dank Frau Schwalbe, tritt von dem Plan,

Nun komm Rothkehlchen als Zeug' heran.»

 

Da flog das liebe kleine Rothkehlchen auf einen wilden Rosenstrauch in die Nähe des Altars und sagte:

 

«Auf des höchsten Giebels Spitze

Sang im ersten Sonnenblitze

Ich mein Morgenliedlein fromm,

Pries den lieben Tag willkomm.

Bei mir saß gar freundlich lächelnd,

Sich im Morgenlüftchen fächelnd,

Der erwachte Sonnenstrahl,

Unten lag die Nacht im Thal.

Unten zwischen finstern Mauern

Sah ich Katzenaugen lauern,

Und ich dankte Gott vertraut,

Daß ich hoch mein Nest gebaut.

Und ich sah die Katze schleichen,

Mit den Kätzchen unten streichen

In den Stall, und hört' Geschrei,

Wußt' bald, was geschehen sey;

Denn sie und die Kätzchen alle

Sprangen blutig aus dem Stalle,

Trugen Hühnchen in dem Maul

Und zerrissen sie nicht faul.

Ach, da war ich sehr erschrecket,

Hab' die Flügel ausgestrecket,

Flog ins Nest und deckt' in Ruh

Meine lieben Jungen zu.

Ja ich muß es eingestehen,

Hab' den bösen Mord gesehen,

Und mein kleines Mutterherz

Brach mir schier vor Leid und Schmerz!»

 

Nach diesen Worten krähte Alektryo wieder:

 

Zeter über Schurrimurri und Gog,

Mack, Benack, Magog und Demagog!

Zeter und Weh und aber Weh!

Und immer und ewig, Herr Jemine!

 

Nun hörte Gockel noch viele andere Vögel als Zeugen ab, und alle, vom Storch bis zur Grasmücke, erzählten, wie sie den Mord durch die Katze gesehen.

Als aber Gockel sich nun zu Frau Hinkel und Gackeleia wendete und sie beide fragte, wie sie das hätten können geschehen lassen, da die Gallina doch dicht neben ihrem Ruhelager gebrütet habe, und wie sie Alles auf den edlen Alektryo geschoben hätten, sanken beide auf die Kniee, gestanden ihr Unrecht unter bitteren Thränen, und versprachen, es niemals wieder zu thun. Gockel hielt ihnen eine scharfe Ermahnung und bat den Alektryo, ihnen selbst ihre Strafe zu bestimmen. Der gute Alektryo aber bat für sie und verzieh ihnen selbst. Gockel sagte nun: «deine Strafe, Frau Hinkel, soll seyn, daß ich dir und deiner Tochter ein Hühnerbein und einen Katzenellenbogen in das Wappen setze zum ewigen Andenken für eure böse Handlung, und außerdem soll Gackeleia, weil sie die Katze Schurrimurri mit ihren verwegenen Söhnen, Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog sich heimlich zum Spiele erzogen und durch diese ihre Spielerei ein solches Unglück angestellt hat, nie eine Puppe besitzen, nie mit einer Puppe spielen dürfen.» Ach, da fiengen Frau Hinkel und Gackeleia bitterlich zu weinen an.

Gockel befahl nun dem Hahn den Scharfrichter zu holen, damit die Katze mit ihren Jungen hingerichtet würde. Da schrie der Hahn und alle Vögel: «das ist die Eule, die große alte Eule, die dort draus in der hohlen dürren Eiche mit ihren Jungen sitzt», und sogleich ward die Eule gerufen. Als diese ernsthaft und finster wie ein verhaßtes, gefürchtetes, von allen andern Vögeln geflohenes Thier mit ihren Jungen zu der Kapelle mit schweren Flügeln hereinrasselte und mit dem Schnabel knappte und hu hu schrie, und die Augen verdrehte, versteckten sich die Vögel zitternd und bebend in alle Löcher und Winkel; und Gackeleia verkroch sich schreiend unter die Schürze ihrer Mutter, welche sich selbst die Augen zuhielt. Gockel aber legte den Sack, worin die böse Katze mit ihren Jungen stack, in die Kapelle und die Eule trat mit ihren drei Jungen vor den Sack hin und sprach:

 

Ich komm zu richten und zu rechten

Mit meinen drei Söhnen und Knechten;

Nun höret ihr armen Sünder,

Katz Schurrimurri und Kinder,

Du Mack, du Benack und du Gog,

Du Magog und du Demagog,

Die ihr seid arme Sünderlein,

Ein Exempel muß statuiret seyn.

Nun Hackaug, Blutklau, Brich-das-Genick!

Meine Söhne, macht eurer Meisterstück.

 

 

Da wollten sie den Sack aufmachen und die Katzen vor aller Augen hinrichten, aber Gackeleia schrie so entsetzlich, daß Gockel der Eule befahl, mit ihren Söhnen den Sack fortzutragen und sich zu Hause mit den Katzen abzufinden, was sie auch buchstäblich gethan. – Ja, ja sie fanden sich mit ihnen ab!

Als so dieses schreckliche Schauspiel vermieden war, trat Alektryo vor Gockel und verlangte, daß er ihm nun den Kopf abschlagen, sich den Siegelring Salomonis aus seinem Kropfe nehmen und ihn sodann mit den Gebeinen der Gallina und ihrer Jungen verbrennen sollte. Gockel weigerte sich lange, dem Begehren des Alektryo zu folgen, aber da er sich auf keine Weise wollte abweisen lassen und ihn versicherte, daß er sich doch in jedem Falle zu Tode hungern werde, so willigte Gockel ein; er umarmte den edlen Alektryo nochmals von ganzem Herzen. Dann streckte der ritterliche Hahn den Hals weit aus und rief, auf der Inschrift des Grabsteins scharrend, mit lauter Stimme aus:

 

Alektryo bringt dir Glück selbst um Undank.

O Gockel! hau' ihm den Kopf ab,

Schneid' ihm den Kropf auf!

Salomo's Siegelring Jedem noch Brod gab.

 

Am Schluße dieser Worte schwang Gockel das Grafenschwert und hieb den Hals des Alektryo mitten durch, daß ihm der Kopf des Hahnen vor die Füße fiel und der todte Rumpf in den Scheiterhaufen sank. Gockel nahm das ehrwürdige Haupt bei dem Kamm, hob es empor, küßte es, schüttelte es dann über seiner Hand, und der Siegelring Salomonis fiel ihm hinein. Alle Anwesenden weinten, Gockel legte das Haupt zu dem Leibe auf den Scheiterhaufen der Gebeine Gallina's; alle Vögel brachten noch dürre Reiser und legten sie drum her, da steckte Gockel die Reiser an und verbrannte alles zu Asche; aus den Flammen aber sah man die Gestalt eines Hahns wie ein goldenes Wölkchen durch die Luft davon schweben. Nun begrub Gockel die Asche und deckte den Stein mit der Schrift wieder mit Erde zu, und hielt dann eine herrliche Leichenrede über die Verdienste Gallina's und besonders Alektryo's, wie des edlen Hahnengeschlechts überhaupt. Nachdem er die Herkunft Alektryo's von dem Hahne Hiobs nach der Erzählung Urgockels mitgetheilt hatte, sprach er unter Anderm:

«Wer gibt die Weisheit ins verborgene Herz des Menschen, wer giebt dem Hahnen den Verstand? Gleichwie der Hahn den Tag verkündet und den Menschen vom Schlaf erweckt, so verkünden fromme Lehrer das Licht der Wahrheit in die Nacht der Welt und sprechen: «die Nacht ist vergangen, der Tag ist gekommen, lasset uns ablegen die Werke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichtes.» Wie lieblich und nützlich ist das Krähen des Hahnen; dieser treue Hausgenosse erwecket den Schlafenden, ermahnet den Sorgenden, tröstet den Wanderer, meldet die Stunde der Nacht und verscheuchet den Dieb und erfreuet den Schiffer auf einsamem Meere, denn er verkündet den Morgen, da die Stürme sich legen. Die Frommen weckt er zum Gebet und den Gelehrten ruft er, seine Bücher bei Licht zu suchen. Den Sünder ermahnet er zur Reue, wie Petrum. Sein Geschrei ermuthiget das Herz des Kranken. Zwar spricht der weise Mann: «Dreierlei haben einen feinen Gang und das Vierte geht wohl, der Löwe mächtig unter den Thieren, er fürchtet Niemand – ein Hahn mit kraftgegürteten Lenden, ein Widder und ein König, gegen den sich Keiner erheben darf» - aber dennoch fürchtet der Löwe, der Niemanden fürchtet, den Hahn und fliehet vor seinem Anblick und Geschrei; denn der Feind, der umhergeht wie ein brüllender Löwe und suchet, wie er uns verschlinge, fliehet vor dem Rufe des Wächters, der das Gewissen erwecket, auf daß wir uns rüsten zum Kampf. Darum auch ward kein Thier so erhöhet; die weisesten Männer setzen sein goldenes Bild hoch auf die Spitzen der Thürme über das Kreuz, daß bei dem Wächter wohne der Warner und Wächter. So auch steht des Hahnen Bild auf dem Deckel des ABC-Buchs, die Schüler zu mahnen, daß sie früh aufstehen sollen, zu lernen. O wie löblich ist das Beispiel des Hahnen! Ehe er kräht, die Menschen vom Schlafe zu wecken, schlägt er sich selbst ermunternd mit den Flügeln in die Seite, anzeigend, wie ein Lehrer der Wahrheit sich selbst der Tugend bestreben soll, ehe er sie anderen lehret. Stolz ist der Hahn, der Sterne kundig, und richtet oft seine Blicke zum Himmel; sein Schrei ist prophetisch, er kündet das Wetter und die Zeit. Ein Vogel der Wachsamkeit, ein Kämpfer, ein Sieger wird er von den Kriegsleuten auf den Rüstwagen gesetzt, daß sie sich zurufen und ablösen zu gemessener Zeit. So es dämmert und der Hahn mit den Hühnern zu ruhen sich auf die Stange setzt, stellen sie die Nachtwache aus. Drei Stunden vor Mitternacht regt sich der Hahn, und die Wache wird gewechselt; um die Mitternacht beginnt er zu krähen, sie stellen die dritte Wache aus, und drei Stunden gen Morgen rufet sein tagverkündender Schrei die vierte Wache auf ihre Stelle. Ein Ritter ist der Hahn, sein Haupt ist geziert mit Busch und rother Helmdecke und ein purpurnes Ordensband schimmert an seinem Halse; stark ist seine Brust wie ein Harnisch im Streit, und sein Fuß ist bespornt. Keine Kränkung seiner Damen duldet er, kämpft gegen den eindringenden Fremdling auf Tod und Leben und selbst blutend verkündet er seinen Sieg stolz emporgerichtet gleich einem Herold mit lautem Trompetenstoß. Wunderbar ist der Hahn; schreitet er durch ein Thor, wo ein Reiter hindurch könnte, bücket er doch das Haupt, seinen Kamm nicht anzustoßen, denn er fühlt seine innere Hoheit. Wie liebet der Hahn seine Familie! Dem legenden Huhn singt er liebliche Arien: «bei Hühnern, welche Liebe fühlen, fehlt auch ein gutes Herze nicht, die süßen Triebe mit zu fühlen, ist auch der Hahnen erste Pflicht;» – stirbt ihm die brütende Freundin, so vollendet er die Brut und führet die Hühnlein, doch ohne zu krähen, um allein Mütterliches zu thun. - O welch erhabenes Geschöpf ist der Hahn! Phidias setzte sein Bild auf den Helm der Minerva, Idomeneus auf sein Schild. Er war der Sonne, dem Mars, dem Mercur, dem Aesculap geweiht. O wie geistreich ist der Hahn! Wer kann es den morgenländischen Kabbalisten verdenken, daß sie sich Alektryo's bemächtigen wollten, da sie an die Seelenwanderung glaubten und der Hahn des Mycillus sich seinem Herrn selbst als die Seele des Pythagoras vorstellte, die inkognito krähte. Ja wie mehr als ein Hahn ist ein Hahn, da sogar ein gerupfter Hahn noch den Menschen des Plato vorstellen konnte»! u. s. w.

Noch unaussprechlich vieles Erbauliche, Moralische, Historische, Allegorische, Medizinische, Mystische, selbst Politische brachte Gockel in dieser schönen Leichenrede an, welche auch oft von dem lauten Schluchzen und Weinen Gockels, der Frau Hinkel und der kleinen Gackeleia unterbrochen ward. Selbst alle Vögelein gaben ihre Rührung mit leisem Piepen zu verstehen; weil aber der größte Theil der Rede aus Coleri Haushaltungsbuch und aus Gesneri Vogelbuch u. s. w. herrührte, zogen sich die zuhörenden Vögel, denen es viel zu lang dauerte, nach und nach in der Stille zurück, – und da er nun gar noch allerlei Abergläubisches von der Alektryomantie, einer Art zauberischer Wahrsagerei vermittelst der Hahnen, und von dem Hahnenei, woraus die Basilisken entstehen, vorbrachte, ward Frau Hinkel auch etwas unruhig – doch hielt sie sich noch zurück – dann aber kam er auf einen gewissen unpartheiischen Engländer zu sprechen, und was dieser von Hahnen und Hinkeln gesagt; da ward es Frau Hinkel nicht recht wohl und sie sprach: «Lieber Gockel, ich glaube, wir haben das schon gehört, wir sind auch noch nüchtern, ich fürchte die Milch wird sauer, ich habe auch noch kein Wasser zum Kaffee am Feuer, ich dächte wir hielten einen kleinen Leichenschmaus.» Da lächelte der gute Gockel, umarmte Frau Hinkel und Gackeleia und begab sich, selbst ermüdet von der schlaflosen Nacht, gern mit ihr in den Hühnerstall.

Den ganzen übrigen Tag weinten Frau Hinkel und Gackeleia noch öfter, und wollten sich gar nicht zufrieden geben, daß sie an dem Tode der Gallina und Alektryo's Schuld gewesen. Gockel gab ihnen die schönsten Ermahnungen, sie versprachen die aufrichtigste Besserung, und so entschlief die ganze Familie am Abend dieses traurigen Tages nach einem gemeinschaftlichen herzlichen Gebet.