BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gockel, Hinkel, Gackeleia

 

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Der arme Gockel, die arme Frau Hinkel, die arme Gackeleia zogen wieder wie ehedem durch den wilden Wald nach dem alten Schloß; aber sie waren viel trauriger und redeten kein Wort, ja Frau Hinkel hatte gar die Schürze über den Kopf gehängt, weil sie sich schämte, so häßlich geworden zu seyn. Als sie auf einer Höhe angekommen waren, wo man Gelnhausen noch einmal sehen konnte, drehte sich Gockel um, und sprach: «unseliger Ort, wo ich um den köstlichen Ring Salomonis betrogen ward; abscheulicher, undankbarer Eifrasius, wie schändlich hast du mich in meinem Unglück verstoßen, und hast nicht daran gedacht, mir die hundert Stück neue Gockeld'ors wieder zu geben, die du in glücklicher Zeit von mir geborgt.» Frau Hinkel aber rief aus: «o Königin Eilegia! wie manches indianische Vogelnest sammt den Eiern habe ich dir zum Geschenk gemacht, wie viele Eierspeisen habe ich dich bereiten gelehrt, wie viel hundert Ostereier habe ich dir mit schönen Blumen und Blättern bunt gesotten, die schönsten Muster zu Hauben und Garnituren a l'öff de Puffpuff habe ich dir mitgetheilt, und nun, da wir den Ring verloren und arm geworden, lässest du Undankbare mich zerlumpt und hungernd über die Gränze führen!» – Nun erhob auch Gackeleia ihre Stimme und sprach: «Ach du herzliebes Prinzchen Kronovus, du bist doch der Beste von Allen, du hast mir deinen Thaler geschenkt und dein Taschentuch gereicht, daß ich mich abwischen konnte; du willst mir dein Taschengeld alle Sonnabend am Entenpfuhl bei den Vergißmeinnicht in ein Ei verstecken; ach, du bist doch mein guter Kronovus geblieben und hast die arme, schmutzige Gackeleia nicht von dir weggestoßen. Ach, es thut mir recht leid, daß ich in der Angst vergessen, dir meine herrliche Puppe zum Andenken zu schenken.»

Kaum hatte Gackeleia das Wort Puppe ausgesprochen, als Gockel zornig nach ihr blickte und sprach: «du unseliges Kind! du hast eine Puppe? welche Puppe? woher hast du die Puppe? weißt du nicht mehr das Urtheil bei dem hochnothpeinlichen Halsgericht wegen der Ermordung Gallina's, daß du von nun an und nimmermehr keine Puppe haben darfst! – ach, ich ahnde die Ursache meines Verderbens!» Und da er hierauf die kleine Gackeleia ergreifen wollte, lief sie vor dem erzürnten Vater nach dem äußersten Rande eines Felsens hin, der über einen schroffen Abhang hinausragte. Frau Hinkel schrie: «um Gotteswillen, das Kind fällt sich zu Tode!» und hielt Gockel beim Arme zurück. Gackeleia aber kniete auf dem äußersten Rande des Felsens, breitete ihre Aermchen gegen den Vater aus und sprach:

 

«Vater Gockel ach verzeih',

Mutter Hinkel steh' mir bei,

Oder Gackeleia klein

Springt und bricht sich Hals und Bein!»

 

Da bat die Frau Hinkel den Gockel sehr, er solle dem Kind verzeihen, und Gockel sagte: sie solle nur Alles erzählen, was sie angestellt, er werde sie nicht umbringen. «Erzähle Gackeleia», sagte die Mutter, «wo hast du eine Puppe herbekommen?» Da war Gackeleia in großer Angst, denn der Vater riß während der Erzählung an einer Birke, die bei dem Felsen stand, dann und wann ein Zweiglein ab, und es sah so ziemlich aus, als wenn er, wo nicht einen Besen, doch wenigstens eine Ruthe binden wolle; aber was half Alles, das Kind mußte sprechen und sprach:

 

«An mein Gärtchen kam heut Morgen

Ein alt Männchen ganz voll Sorgen,

Ließ vor mir im Tanz sich drehn

Ach! ein Püppchen, wunderschön.»

 

«Da haben wir es», rief Gockel und riß ein starkes Birkenreis ab, «da haben wir die saubere Bescheerung, eine Puppe, o es ist himmel-schreiend!» Gackeleia aber sagte geschwind:

 

« Keine Puppe, es ist nur

Eine schöne Kunstfigur,

Eine kleine Gärtnerin,

Lehrerin und Tänzerin,

Wirthin, Hirtin und so weiter,

Jede hat besondre Kleider.»

 

«Abscheulich, abscheulich!» sagte Gockel, aber Gackeleia fuhr fort:

 

«Allerliebst, kaum auszusprechen,

Mir wollt' schier das Herz zerbrechen

Nach dem schönen Wunderding;

Als es an zu laufen fieng,

Als die Räder in ihm knarrten,

Wollt' es zu mir in den Garten,

Lief am Gitter hin und her,

Als ob es lebendig wär'.

Und ich glaubt' des Alten Schwur,

Daß es eine Kunstfigur,

Daß es keine Puppe sey,

Dacht' nichts Arges mir dabei.»

 

«Schöne Ausreden», sagte Gockel unwillig und riß wieder ein Birkenreis ab; Gackeleia gefiel das gar nicht, und sie sagte:

 

«Vater, bitte, bitte schön,

Laß das Birkenreis doch stehn,

Ach ich sorg' vor Angst verwirrt,

Daß es eine Ruthe wird.»

 

Da sprach Gockel ernsthaft:

 

«Gackeleia glaub' du nur,

Daß es eine Kunstfigur,

Daß es keine Ruthe sey,

Denk' nichts Arges dir dabei.»

 

Da sagte Gackeleia:

 

«Kunstfigur von Birkenreis?

Ach du machst mir gar zu heiß!»

 

Und Gockel sagte:

 

«Kunstfigur für Kunstfigur,

Ruthe für die Puppe nur.»

 

Da ward Gackeleia wieder sehr betrübt und schrie wieder ganz erbärmlich:

 

«Vater Gockel ach verzeih',

Mutter Hinkel steh' mir bei,

Oder Gackeleia klein,

Springt und bricht sich Hals und Bein!»

 

Frau Hinkel bat sehr, und Gockel sagte: «ich werde sie nicht umbringen, sie soll nur erzählen, was der Alte weiter gesagt hat, und was sie ihm für die Kunstfigur gegeben hat.» Da fuhr Gackeleia fort:

 

«Ach der Alte weinte sehr,

Hätt' nicht Vater, Mutter mehr,

Bruder nicht, noch Schwesterlein,

Keinen Sohn, kein Töchterlein,

Keinen Vetter, keine Base,

Nichts als eine lange Nase,

Einen Bart ganz weiß und lang,

War betrübt und angst und bang.»

 

«Der alte Schelm», rief da Frau Hinkel aus und riß nun auch ein starkes Birkenreis ab, «der alte Schelm ist schuld, daß ich auch wieder eine so häßliche lange Nase habe.» Und Gockel sagte: «Schau, Frau Hinkel, jetzt merkst du auch, was wir ihm zu danken haben, du die Nase und ich den Bart. O unglückselige Kunstfigur, was sind wir für abscheuliche Figuren durch dich geworden. Aber erzähle weiter Gackeleia, was wollte er für die Puppe»? Da erwiederte Gackeleia mit großer Angst:

 

«Für die schöne Kunstfigur

Wollt' in deinen Ring er nur

Einmal ein klein bischen blicken,

Seinen Kummer zu erquicken.»

 

«O du abgefeimter Gaudieb», rief Gockel aus, «o du unseliges, leichtsinniges, spielsüchtiges Kind! – und da zogst du mir den Ring im Schlafe ab, und gabst dem Schelmen den Ring, sprich, sprich, hast du das gethan? sprich gleich, oder ich werfe dich auf der Stelle vom Felsen hinab.» Da rief Gackeleia wieder in großer Angst:

 

«Vater Gockel ach verzeih',

Mutter Hinkel steh' mir bei;

Ja als Vater Gockel schlief,

Mit dem Ring ich zu ihm lief,

Doch er sah nicht lang hinein,

Gab zurück den Edelstein,

Den ich schnell zurückgebracht,

Eh' der Vater aufgewacht.

Ach ich will's nicht wieder thun,

Einmal ist das Unglück nun

Durch mich böses Kind geschehn.

Werdet ihr die Puppe sehn -

Nein nicht Puppe, es ist nur

Eine schöne Kunstfigur,

Ganz natürlich nach dem Leben -

Ach ihr müßt mir dann vergeben.»

 

Und nun nahm sie die Puppe aus ihrem Körbchen, das sie am Arm hängen hatte, zog das Uhrwerk auf, und die kleine Reisende schnurrte so artig zwischen dem Thymian auf dem Felsen herum, daß Gackeleia ihr, in die Hände patschend, nachlief. Da erwischte der alte Gockel das Kind beim Arm und sagte: «Nun habe ich dich, habe ich dir nicht tausendmal verboten, meinen Ring ohne meine Erlaubniß anzurühren? Du hast ihn aber dem alten Betrüger gegeben, und der hat ihn mit einem andern vertauscht, der keinen Heller werth ist, und so hast du deine Eltern und dich in Schande und Armuth gebracht durch deine Begierde nach einer elenden Puppe». Da schrie Gackeleia ganz erbärmlich:

 

«Keine Puppe, es ist nur

Eine schöne Kunstfigur.

Vater, Vater laß mich los!

Ach sie läuft durch Stein und Moos

Von dem Fels in vollem Lauf,

Mutter Hinkel halt' sie auf!

Daß sie nicht den Hals zerbricht;

Denn sie kennt die Wege nicht.»

 

Die kleine Puppe lief auch ganz wie toll den Felsen hinunter, und Frau Hinkel wollte sie aufhalten, aber glitt auf dem glatten Rasen aus und rutschte ein ziemlich Stück Weg hinab.

Darüber wurde der alte Gockel noch viel ungeduldiger und sagte: «nun sieh, das Unglück, deine Mutter bricht noch schier ein Bein über der abscheulichen Puppe. Recht muß seyn, du hast unverzeihlich gefehlt; jetzt wähle Gackeleia: entweder kriegst du hier recht tüchtig die Ruthe, oder du läßt die Puppe laufen», und da Gackeleia wieder schrie:

 

«Keine Puppe, es ist nur

Eine schöne Kunstfigur,

Nach der Uhr und nach der Schnur,

Und ein Mäuschen von Natur.» –

 

 

legte Gockel sie über das Knie und gab ihr tüchtig die Ruthe mit den Worten:

 

«Keine Ruthe, es ist nur

Eine Birken-Kunstfigur,

Und du kriegst sie nach der Schnur,

O du Nichtsnutz von Natur!»

 

Und Gackeleia schrie:

 

«Mutter halt', o Jemine!

Halt' sie auf, sie thut sich weh.»

 

Und Gockel schlug immer zu und schrie:

 

«Fitze, fitze, Domine

Thut die ganze Woche weh!»

 

Er hätte auch noch länger zugeschlagen, aber Frau Hinkel schrie so erbärmlich, sie könne nicht wieder herauf, daß Gockel das Kind los ließ und hinabgieng, ihr zu helfen. Kaum aber war Gackeleia los, so rüttelte und schüttelte sie sich über die fatale Kunstfigur, die sie empfunden hatte, und lief ihrer flüchtig gewordenen schönen Kunstfigur nach, die sie eben unten im Thale über den Steg eines Baches laufen sah; die Puppe lief, als ob sie vier Beine hätte, über den Steg und links um und in den Wald hinein und Gackeleia immer hinter ihr drein.

Gockel hatte indessen Frau Hinkel durch einen Umweg wieder auf die Höhe hinauf gebracht, und sie klagten sich unterwegs einander, wie der Schelm, der sie durch Gackeleia's Spielsucht um den köstlichen Ring Salomonis gebracht, gewiß einer von den alten Petschierstechern sey, die ihn einst um den Hahn Alektryo hatten betrügen wollen. Als sie unter solchen Reden auf den Fels zurückkamen und die Gackeleia nicht mehr sahen, riefen sie nach allen Seiten nach dem Kinde, aber nirgends hörten und sahen sie etwas von ihr. Da ward ihr Kummer um allen ihren Verlust in eine große Sorge um ihr Kind verwandelt, sie liefen hin und her und schrieen durch den Wald: «Gackeleia, Gackeleia!» und wenn das Echo wieder rief. Eia, Eia! glaubten sie, das Kind antworte, und so verirrten sie sich immer tiefer in der Wildniß, bis sie endlich beide, ach aber ohne Gackeleia, sich bei ihrem Stammschlosse wieder fanden. Die Vögel wachten alle auf und flogen wie alte Bekannte um sie her und grüßten sie, aber Gockel und Hinkel riefen immer in alle Büsche hinein:

 

«Gackeleia, komm doch nur,

S'ist ja eine Kunstfigur,

Komm' es soll dir nichts geschehn,

Wenn wir dich nur wieder sehn.»

 

Aber keine Antwort von keiner Seite. Da saßen die zwei armen Eltern auf der Schwelle des alten Hühnerstalles nieder und weinten die ganze Nacht bitterlich, und alle Vögelein weinten mit. Am Morgen aber schnitt sich Gockel einen tüchtigen Knotenstock und gab auch der Frau Hinkel einen und sagte: «Liebe Frau! wir sind arme Leute geworden; aber es gebührt einem Raugrafen Gockel von Hanau und einer Raugräfin Hinkel von Hennegau nicht, im Unglücke zu verzweifeln; laß uns auf Gott vertrauen und unser Fräulein Tochter Gackeleia durch die weite Welt suchen, und sollten wir unterwegs Hungers sterben. Geh' du links, und ich geh' rechts. Alle Monate kommen wir hier wieder zusammen und sagen uns einander, was wir entdeckt haben, dabei können wir zugleich dem Dieb unsers Ringes nachforschen.» Frau Hinkel war das zufrieden, sie umarmten sich beide unter bitteren Thränen und wanderten dann auf getrennten Wegen, Herr Gockel rechts, Frau Hinkel links. Und wenn sie in die Dörfer oder Städte kamen, sangen sie vor allen Thüren:

 

«Habt ihr nicht ein Kind gesehn?

Ein klein Mägdlein wunderschön,

Blaue Augen, rothe Backen,

Zähnchen weiß zum Nüsseknacken,

Einen rothen Kirschenmund,

Frisch und froh und dick und rund,

Glänzend wie ein Mandelkern,

Hüpft und spielt und singt so gern.

Es hat einen blonden Zopf,

Einen Strohhut auf dem Kopf,

Trägt auch eine alte Juppe

Und läuft hinter einer Puppe

Her und schreit, es sey ja nur

Eine schöne Kunstfigur.

Barfuß läuft es ohne Schuh,

Fragt man es, wie heißest du?

Sagt es gleich ganz freundlich: «Eja

Ich bin Gockels Gackeleia.»

Ach das Kind hab' ich verloren

Und hab' einen Eid geschworen,

Nicht zu ruhn, bis ich das Kind

Gackeleia wieder find'!»

 

Aber immer sagten die Leute:

 

«Wir haben so kein Kind gesehn,

Ihr armer Mensch müßt weiter gehn;

Da habet ihr ein Stücklein Brod,

Gott helfe euch in eurer Noth!»

 

Da nahmen sie dann das Brod, die armen Eltern, und assen es mit Thränen und setzten ihren Stab traurig weiter.

So waren sie schon dreimal wieder in dem alten Schloße ohne Gackeleia zusammen gekommen, hatten mit großem Jammer im alten Hühnerstall geschlafen, und sich ihre vergeblichen Nachforschungen einander mitgetheilt. «Ach Gott», sagte Frau Hinkel, «das arme Kind ist gewiß umgekommen, hättest du es doch nicht so hart wegen der Puppe behandelt.» Da erwiederte Gockel: «Und hättest du besser auf sie Acht gegeben, so hätten wir den Ring und das Kind nicht verloren; nichts ist leichter zu sagen, als – hättest du. Lasse uns lieber auf dem Grabe des Alektryo in der Kapelle recht herzlich beten, daß wir das Kind morgen zum viertenmale nicht vergebens suchen mögen.» Hierauf giengen sie nach der Kapelle und beteten recht eifrig, legten sich dann auf ihr Mooslager und schliefen einen gar süßen Schlaf und träumten von Gackeleia.

Gegen Morgen hörte Gockel noch halb im Schlafe etwas um sich her rasseln, es war noch sehr dunkel in dem Stalle; aber er sah etwas an der Erde hinlaufen und verschwinden, er stieß Frau Hinkel und sagte: «Mir war gerade, als wenn die fatale Puppe der Gackeleia vorüber gelaufen wäre.» Da sprach eine Stimme:

 

«Keine Puppe, es ist nur

Eine schöne Kunstfigur.»

 

Gockel meinte, Frau Hinkel habe das gesagt, und verwies ihr, daß auch sie so eigensinnig wie Gackeleia spreche. Frau Hinkel hatte schlaftrunken die Worte gehört und behauptete, er habe es selbst gesagt. Sie wollten eben zu zanken anfangen, als sie leise an der Thüre pochen hörten. Sie fuhren ordentlich vor Schrecken zusammen, wer das wohl seyn könne, der in dem wüsten zerstörten Schlosse so leise anpoche. Da es aber zum drittenmale pochte, fragte Gockel laut: «Wer ist draus?» und es antwortete eine männliche Stimme: «ich bitte allerunterthänigst um Verzeihung, Herr Graf, daß ich so früh störe, aber die Eseltreiber lassen mir keine Ruhe; sie sagen, daß ich ihnen drei Zentner Käse aus der gräflichen Käsefabrik auf ihre Thiere packen soll, nun wollte ich doch den Befehl des Herrn Grafen selbst abholen.»

Gockel wußte auf diese Rede gar nicht, wo ihm der Kopf stand; «drei Zentner Käse», sagte er, «aus der gräflichen Käsefabrik, hast du gehört Hinkel?» «Ja», sagte Frau Hinkel, «was kann das seyn? ich weiß nicht, ob ich träume oder wache.» Da der Mann aber immer von neuem pochte und um die Erlaubniß bat, die Käse abzuliefern, schrie Gockel heftig: «bist du, der da pochet, toll oder ein Spötter, der einen armen Greis zum Narren haben will? so nehme dich in Acht, oder ich komme mit dem Knotenstock über dich. Wo habe ich denn Käse oder eine Käsefabrik? Gehe von dannen und gönne den Armen ihr einziges Gut: die Ruhe und den Schlaf.» Da antwortete die Stimme wieder: «Gnädigster Graf, vergebet mir, daß ich euch erweckte, ich sehe wohl, daß ihr den Leuten die Käse nicht abliefern lassen wollet, ich werde sie abweisen!»

Nun hörte Gockel draußen auf dem Hofe sprechen und hin und wieder gehen, und seine Verwunderung, was das zu bedeuten habe, wuchs immer mehr. «Ach», sagte er zu seiner Frau, «ich fürchte fast, es ist irgend eine Nachstellung von unsern Feinden aus Gelnhausen, die uns ermorden wollen.» «Das wäre entsetzlich», erwiederte Frau Hinkel und drückte sich in der Angst dicht an ihn. Da pochte es wieder an der Thüre, und Gockel rief zwar erschrocken, aber doch ziemlich laut: «Wer da?» Da antwortete eine andere Stimme: «Eurer Hochgräflichen Gnaden unterthänigster Küchenmeister fragt an, ob er einen Zentner Schinken aus der gräflichen Rauchkammer abliefern darf, welche auf den drei Eseln, die vom König Sissi angekommen sind, abgeholt werden sollen?»

Gockel, dem bei diesen Reden zu Muthe ward, wie einem Hahn ohne Kopf, rief aus: «Warte, ich will dir Schinken geben, du nichtswürdiger Spötter!» indem er aufsprang und nach seinem Stocke suchte. Als er aber ganz klar und deutlich drei Esel vor der Thüre schreien hörte, rief er und Frau Hinkel zugleich: «Herr Jemine, die Esel sind wirklich da.» Es war noch dunkel in dem Stalle, der kein Fenster hatte, und dessen verschlossene Thüre nur durch einen Spalt einen Schimmer des Tages hereinfallen ließ. Gockel tappte an der Wand nach seinem Knotenstock herum, und plötzlich wurde er von ein paar zarten Armen herzlich umschlossen, so daß er laut aufschrie: «um Gotteswillen, wer ist das?» Aber die Unbekannte hörte nicht auf, ihn mit den zärtlichsten Küssen zu bedecken, und als Frau Hinkel auch dazu kam, gieng es derselben nicht besser; und da sie sich in diese Liebkosungen gar nicht finden konnten, sagte endlich das unbekannte Wesen mit einer wohlbekannten Stimme zu ihnen: «Ach! kennt ihr denn euer Töchterlein Gackeleia gar nicht mehr?» – «Du, Gackeleia?» riefen Beide aus, «nein das ist nicht möglich, du bist ja eine erwachsene Jungfrau.» – «Ach, groß oder klein», antwortete es, «ich bin doch eure Gackeleia», und da riß sie die Thüre auf, und es fiel zu gleicher Zeit so viel Fremdes und Wunderbares in die Augen des alten Gockels und der Frau Hinkel, daß sie sich einander in die Arme sanken und weinen mußten.

Erstens sahen sie wirklich die ganze Gackeleia vor sich, aber nicht mehr als ein kleines Mädchen, sondern als eine blühende, wunderschöne, allerliebst geputzte Jungfrau; und zweitens sahen sie sich selbst beide nicht mehr alt und in Lumpen, sondern als zwei schöne wohlbekleidete Leute in den besten Jahren; und drittens sahen sie durch die Thüre nicht mehr in einen verfallenen, mit Schutt und wildem Unkraut bewachsenen Burghof hinaus, sondern in einen schön gepflasterten, reinlichen Hof von schönen Schloßgebäuden, Ställen, Gärten und Terrassen umgeben; in der Mitte des Hofes aber, an einem plätschernden Springbrunnen, sahen sie drei verdrießliche alte Esel mit langen Ohren angebunden, welche die Köpfe zusammendrückten, als ob sie sich schämten. Auch sahen sie allerlei Bediente in schönen Livreen geschäftig auf und niedergehen, die immer, so oft sie am Hühnerstall vorüber kamen, tiefe Verbeugungen machten und schönen guten Morgen wünschten.

«Ach, was ist das, es ist nicht möglich, woher alle diese Wunder?» rief Gockel aus; da reichte Gackeleia ihm ihre schöne Hand und sah ihm freundlich lächelnd in die Augen, und Gockel schrie mit lautem Jubel aus: «ach der Ring, der köstliche Ring Salomonis ist wieder da, den du durch die Puppe verloren!» Da sagte aber Gackeleia gleich wieder:

 

«Keine Puppe, es ist nur

Eine schöne Kunstfigur»,

 

und Gockel sagte: «meinetwegen, ich will dir die Ruthe nicht mehr geben, du bist auch zu groß dazu, und Alles ist ja wieder gut.» «Aber wie hast du nur Alles angefangen?» sagte Frau Hinkel, welche immer um die schöne, prächtige Jungfrau herumgegangen war, sie zu betrachten und zu küßen und zu drücken, «um Gotteswillen, Herz-Wunder-Gackeleia, erzähle!» «Ja, erzähle», rief Gockel und drückte sie herzlich an seine Brust. Gackeleia aber erwiederte: «lobet mich nicht zu sehr, geliebter Vater, denn all unser neues Glück haben wir allein Euch selbst zu verdanken.» «Mir?» fragte Gockel, «das müßte seltsam zugehen; ach ich habe ja nichts thun können, als vor den Häusern nach dir suchend herumbetteln.» Da sagte Gackeleia: «schon gut, Ihr sollt Alles hören; folgt mir nur an einen andern Ort, wir wollen das wieder hergestellte Stammschloß unsrer lieben Vorfahren einmal ein wenig durchmustern, wir werden gewiß ein Plätzchen finden, wo es uns besser gefällt, als in dem alten Hühnerstall, in dem wir ohnedieß dem Federvieh Platz machen wollen, das gleich wieder hinein muß.» Da drehte Gackeleia den Ring und sprach:

 

«Salomon, du weiser König,

Dem die Geister unterthänig,

Fülle gleich den Hühnerstall,

Lass' die bunten Hühner all'

Gackeln, scharren, glucken, brüten,

Und vom hohen Hahn behüten;

Alle soll er übersehen,

Stolz mit Spornen einhergehen,

Kamm und Sichelschweif hoch tragen,

Streitbar mit den Flügeln schlagen;

Krähen wie ein Hoftrompeter,

Daß bei seinem Anblick jeder

Ganz mit Wahrheit sagen kann:

«Das ist recht ein Rittersmann.»

Bringe uns auch schöne Pfauen,

Die bei ihren grauen Frauen

Gold'ne Augenräder schlagen,

Abends nach der Sonne klagen.

Gieb uns dann auch wälsche Hahnen,

Zornig schwarze Indianen,

Solch' hoffärtige Gesellen,

Denen roth die Hälse schwellen,

Die sich kollernd neidisch blähen,

Wenn sie rothe Farben sehen,

Aufgespreitzt mit Hofmanieren

Um die Hennen her turniren.

Schenk' uns Enten bunt und prächtig,

Weiße Gänse, die bedächtig

Nach dem Wolkenhimmel sehn

Und auf einem Beine stehn,

Oder auf der Wiese gackeln,

Bis sie in das Wasser wackeln.

Lasse auch schneeweiße Schwäne,

Rein, wie blanke Silberkähne,

Ernst und klar mit edlem Schweigen

Schwimmen in den Spiegelteichen.

Auf dem Dache lass' sich drehen

Tauben, schimmernd anzusehen,

Um den Hals mit gold'nen Strahlen,

Schöner, als man sie kann malen.

Alles sey recht auserlesen,

Wie's im Paradies gewesen.

Ringlein, Ringlein dreh' dich um,

Mach's recht schön ich bitt' dich drum.»

 

Kaum hatte Gackeleia dieses gesagt, als aus dem Hühnerstalle, den sie verlassen hatten, ihnen eine Schaar der buntesten Hühner, Pfauen, Puter, Enten, Gänse und Schwäne nachströmte, und auf dem Dache Alles von Tauben wimmelte. Gockel und Hinkel hatten die größte Freude an dem herrlichen Federgeviehzel und folgten, nachdem sie Alles einzeln bewundert hatten, der Gackeleia in das Schloß. Freudig und neugierig betrachteten sie eine Reihe von Gemächern und Sälen, welche alle mit dem prächtigsten alten Hausrath versehen waren, und traten endlich oben auf einer Terrasse heraus, von welcher sie herab in den Hühnerhof. links auf das Schloß und vor sich hin Gärten und Wald in die Ferne bis nach Gelnhausen und Hanau sahen.

 

 

«Hier ist es gar schön», sagte Gackeleia, «seht wie die schönen Tauben neben uns schweben, und der Pfau sieht auf der Spitze des Thurmes der Sonne entgegen; hier will ich Euch Alles erzählen, wie ich den Ring wieder erhalten habe, aber wir wollen auch etwas frühstücken.» Kaum hatte sie dieses gesagt, als ein alter Diener einen großen Präsentirteller mit Früchten und kaltem Fleischwerk und feinem Gebackenem und Wein und Milch über die Treppe heraufbrachte, und als er Alles vor sie niedergesetzt hatte, nochmals fragte: «sollen die drei Esel mit dem Käse und den Schinken bepackt werden!» «Ja», sagte Gackeleia, «und daß nur Alles recht gut und ausgesucht sey; ich werde hernach das Weitere selbst befehlen.» Gockel und Hinkel waren sehr begierig nach ihrer Erzählung und baten sie zu beginnen. Da erzählte sie Folgendes:

«Lieber Vater, als meine Puppe – nein, meine schöne Kunstfigur – so weit vor mir vorausgelaufen und eure Ruthe – nein, eure häßliche Kunstfigur – so dicht hinter mir her war, zappelte ich mit Händen und Füßen, von euerm Knie herunter auf die Beine zu kommen, um meinem lieben Klandestinchen nachzueilen, welche bergab lief, wie sie noch nie gelaufen war; da ließest du mich los und eiltest den Felsen hinab der Mutter zu Hülfe, ich aber raffte mein Körbchen auf und rannte über Hals und Kopf der Kunstfigur nach, die einen guten Vorsprung hatte. Da wir aber in den dichten Wald kamen, hinderten sie öfter Gras und Gesträuch im Lauf, und ich war ihr endlich so nah, daß ich die Hand ausstreckte, sie zu ergreifen, aber in demselben Augenblick entschlüpfte sie zwischen zwei Felsstücken in eine kleine Höhle. – Ich war in der größten Betrübniß, ich konnte ihr nicht nach; ich kniete vor der Oeffnung nieder und rief zu ihr hinein: «Klandestinchen, Klandestinchen! wie handelst du so undankbar gegen mich, ich habe dich so lieb, so lieb, daß ich lieber die schimpflichste Strafe über mich ergehen ließ, als dich zu verlassen, und jetzt versteckst du dich vor mir, als wenn ich deine ärgste Feindin wäre.»

«Als ich diese Worte gesprochen hatte, fiel mir auch erst ein, wie sehr weit ich von Euch, liebe Aeltern, fortgelaufen war; ich sah die Sonne bereits sinken und war außer allem Weg und Steg. Weinend schrie ich in den Wald hinein: «Vater Gockel, Mutter Hinkel!» aber Alles war vergebens, nur das Echo antwortete mir. Dann fiel mir ein, daß jetzt die Stunde sey, wo der alte Mann gesagt, daß die Puppe etwas müsse zu knuppern haben; ich holte etwas Zuckerbrod aus meinem Körbchen und legte es auf ein reines Blatt vor die kleine Höhle und füllte meinen Fingerhut in einem nahen Quell und stellte ihn aufrecht in den feuchten Sand gedrückt darneben, dann rief ich in das Höhlchen hinein: «Klandestinchen, wenn's gefällig ist, es ist servirt.» – Ich dachte, der Alte hat von ihrem guten Appetit gesprochen, sie hat Bewegung genug gehabt, es sollte ihr wohl schmecken, wenn sie merkt, daß aufgetragen ist. Ich selbst hatte Hunger, und nahm ein Stück hartes Brod aus meinem Bettelsack, tauchte es ins Wasser und aß in einiger Entfernung, weil ich gehört hatte, daß sie sich nicht gern beim Essen zusehen lasse. – Ach ich war so müd, so müd, Hände und Füße zuckten mir, ich lag im Gras, der Schlaf krabbelte mir den Rücken herauf und machte mir die Augendeckelchen zu, denn das Sandmännchen kam und wollte mir Sand hinein streuen, und das wäre nicht gut gewesen, aber ich raffte mich noch einmahl auf und wusch mich ein bischen am Bach, weil ich so viel Staub und Schmutz im Gesicht und an Händen und Füßen hatte, denn ich habe nie vergessen, was die Mutter mich gelehrt, man soll nie ungewaschen und ungebetet zu Tische gehen, aufstehen und schlafen gehen. – Ich setzte mich also ins weiche Moos, und war so müd, so müd und wußte nicht, sollte ich mich rechts, sollte ich mich links legen, und sagte alle meine Kindergebetchen durch einander her:

 

«Guten Abend, gute Nacht,

Von Sternen bedacht,

Vom Mond angelacht,

Von Engeln bewacht,

Von Blumen umbaut,

Von Rosen beschaut,

Von Lilien bethaut,

Den Veilchen vertraut;

Schlupf' unter die Deck'

Dich reck' und dich streck',

Schlaf' fromm und schlaf' still,

Wenns Herrgottchen will,

Früh Morgen ohn Sorgen

Das Schwälbchen dich weck'!»

 

Unter diesen Gebetchen kehrte ich mich nach einer Seite, zuckte noch einige Male und schlief ein.

Da träumte mir, ich sehe Clandestinchen die schöne Kunstfigur aus der Höhle kommen, sie verzehrte das Zuckerbrod, sie trank aus dem Fingerhut, und kam nachher zu meinem Bettchen und sagte: «Herzkind, Gackeleia, schlaf nur süß fort, denn nur im Schlaf kannst du mich verstehen; sag, süß Lieb! darf ich wohl ein bischen zu dir kommen? o nimm dein Püppchen in den Arm an dein lieb Herzchen, meine Füßchen sind ganz wund vom vielen Laufen, auch ist mir gar nicht wohl, ich muß mich verkältet haben, ach Kind nimm die Puppe zu dir» – da sagte ich ganz erschrocken:

 

Darf nicht, darf nicht, denn ich schwur,

Keine Puppe, sondern nur

Eine schöne Kunstfigur,

Nach der Uhr und nach der Schnur

Und ein Mäuschen von Natur.

 

«Ach Gackeleia», sprach sie, «das bin ich alles, und noch mehr, ich weiß kaum mehr, was ich bin, ich will dir ja Alles erzählen, nimm mich doch, ich bin ja gewiß keine Puppe.» – Hierauf schlupfte sie zu mir und ich hielt sie schlummernd im Arm an meinem Herzen, wobei ich sagte:

 

Zu Bett, zu Bett,

Die ein Püppchen hätt,

Die keines hätt',

Muß auch zu Bett!

 

Und da ich mein Schürzchen uns Beiden gegen den Nachtthau übers Gesicht deckte, ward mir ganz weich ums Herz und ich wiegte das Klandestinchen ein bischen, daß es schlafen sollte, und sprach:

 

Eia popeia popolen!

Unser Herr Gottchen mag uns nur holen,

Kommt er mit dem goldenen Lädchen,

Legt uns hinunter ins Gräbchen,

Ueber mich Kräuterlein,

Ueber dich Blümelein,

Bis wir beisammen im Himmelreich sein.

 

Da sagte die Figur: « Das ist alles gar schön, und man mag die Puppe und die Kunstfigur nach der Uhr und nach der Schnur in einem goldenen Lädchen immer ins Grab legen, nur das Mäuschen von Natur, muß ich bitten, damit zu verschonen, denn es muß für Gatte und Familie, für Volk und Vaterland noch lange leben; drum Gackeleia bitte ich dich um Gotteswillen, mache mir das fatale Drathgürtelchen los, womit mich der böse Alte unter die verschraubte Kunstfigur festgeschnürt hat, ich habe solches Leibschneiden, ich hab' mich überlaufen, ich hab' mich übergessen, es ist mir zum Sterben, geschwind, geschwind hilf dem Mäuschen von Natur, denn ich bin keine Puppe, keine Kunstfigur, ich bin die unglückliche Mäuse-Prinzessin Sissi von Mandelbiß, der dein Vater einmal das Leben gerettet hat.» Da sah ich gleich nach und fand wirklich das schönste weiße Mäuschen von Natur mit einem Drath zwischen kleine Räder befestigt, die an den Füßchen der Puppe angebracht waren, ich machte die arme Prinzessin los, die mir freudig dankte und sagte: «Schlaf fort Herz-Gackeleia, gleich komm ich wieder, ich muß mich nothwendig ein bischen bewegen und durch das thauichte Gras laufen, um mich zu waschen und zu erfrischen, gleich komme ich wieder zu dir» – und husch war sie fort.»