BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gockel, Hinkel, Gackeleia

 

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So weit hatte Gackeleia erzählt, da sah Gockel nach den beiden Mäusen, die sich in ein Stück Kuchen eingefressen hatten und ruhig darin schliefen, und sprach: «Es ist doch eine kuriose Theater-Prinzessin, die Sissi von Mandelbiß; wo die überall herum kömmt, die kann auch mehr als Brod essen! Aber erzähle weiter, wie ist sie nur mit der Kunstfigur zusammengekommen?»

Da fuhr Gackeleia fort: «Als Sissi wieder kam, schlupfte sie mir dicht ans Ohr, versteckte sich warm in meine Haarlocken und erzählte mir alles ganz ausführlich, und ich war so neugierig, daß ich sie nie unterbrach. Sie sagte: «dein Vater Gockel hat mich und meinen Gemahl Prinz Pfiffi von Speckelfleck vor der Katze Schurrimurri gerettet und uns wieder nach Haus befördert; der Mord der Gallina durch dieselbe Katze und die Hinrichtung der Katze und der edle Tod Alektryos ward uns durch Musterreiter unsers Volkes erzählet, wir wollten Gallina und Alektryo ein Mausoleum auf dem Mauskirchhof setzen lassen, und da ich mit Prinz Speckelfleck wegen unserer Rettung eine Wahlfahrt nach dem Mausthurm bei Bingen gelobt hatte, gedachten wir damit eine Kunstreise zu verbinden und uns mit den schönsten Mausoleen in Kirchen und auf Kirchhöfen bekannt zu machen. Prinz Speckelfleck meinte, wir müßten incognito wie gemeine Mäuse nur in geringen Häusern einkehren; – ich folgte, aber nie thue ichs wieder, denn was man da erwischen kann, ist nichts werth, und am Ende wird man noch selbst erwischt. – So waren wir in Friedberg neben drei alten schmutzigen Männern mit langen Bärten im Stroh eingekehrt. Pfiffi schlupfte zur Thüre hinaus, mir etwas zu essen zu suchen, und ich war so unbesonnen dem Geruch von gebranntem Speck in meiner Nähe nach zu gehen, ach schon nagte ich ein bischen – klapp that es einen Schlag, die Falle schloß sich zu, und ich war gefangen. Meine Verzweiflung kannst du dir denken. – Der Schlag der Falle hatte die drei Alten auf dem Stroh erweckt; sie liefen mit der Falle ans Fenster, der Tag brach schon an. «Da haben wir, was wir brauchen», sagte der eine, «eine schöne, große weiße Maus hat sich gefangen; die befestige ich mit einem Drathgürtel unter der Kunstfigur, die wir in Nürnberg gekauft haben; das Räderwerk ist zu schwach, die Puppe kann nicht lang laufen, da kann die Maus als Vorspann dienen, damit sie von der Stelle kömmt. Geschwind zünde ein Licht an, sagte er zu dem Andern, ich will mich gleich an die Arbeit machen.» Da schlug der Andere Licht, und der Alte hatte mich bald mit einem Drath an die kleine Puppe befestigt, die er aus seinem Schnappsack holte; dann zog er das Uhrwerk in der Puppe auf und setzte sie an den Boden, und ich lief von dem Saum des seidenen Puppenkleides bedeckt an der Erde in großer Angst umher; da ich aber aus Begierde zu entfliehen, in allen Ecken anstieß, ergriff er mich mit der Puppe und sagte mit einem widerlichen Zorn zu mir: «ich muß andre Saiten mit dir aufspannen, höre Madame weiße Maus, wenn du mir so toll herum rennst, lasse ich dich hungern, daß du schwarz wirst, oder ich gebe dich der Katze, die soll dich besser tanzen lehren.» – Vor dieser Drohung hatte ich einen solchen Respekt, daß ich mir vornahm, Alles zu thun, was der Alte nur wollte. Er sprach aber noch allerlei wunderliche Worte Abracadabra über ein Stückchen harten Kuchen, das er mich zu essen zwang, es muß das ein Zauberwerk gewesen seyn; denn nun mußte ich Alles thun, was er nur wollte, bald laufen, bald hüpfen, bald so, bald so, wie er verlangte, und auf alle Namen, die er mir gab, hörte ich, wie ein gut abgerichtetes Hündchen. – «Nun», sagte er zu den Andern, «reisen wir nach Gelnhausen, ich zeige die Puppe der kleinen Gackeleia und schwätze ihr leicht den Ring Gockels dafür ab; ich habe schon einen ähnlichen nachmachen lassen, und haben wir den Ring, so haben wir für nichts mehr zu sorgen.» – Nach diesen Worten steckte er mich mit der Puppe in seinen Gürtel, und sie zogen nach Gelnhausen. O ich war froh, zu dir, Gackeleia, zu kommen, ich machte die artigsten Sprünge vor dir, ich dachte, wenn du schlafen würdest, dir Alles zu sagen, und durch die Großmuth deines Vaters nochmals gerettet zu werden; – das Uebrige weißt du, liebste Herzgackeleia! – Jetzt aber werde ich dich bald aufwecken, wir sind nicht weit von der Residenz meines Herrn Vaters, Alles ist gewiß noch in großer Trauer um meinen Verlust, du sollst die Freude sehen, wenn ich wieder komme. Ich muß dir nur noch sagen, daß unsre Stadt nicht ist wie eure Städte, Alles ist ländlich, sittlich; du könntest nicht bequem bei uns wohnen, es ist alles zu eng. – Sieh unsre Stadt ist gegründet worden auf einem ehemaligen Schlachtfeld; der Proviantwagen der Marketenderin und allerlei andere Bagage wurden zerschlagen und geplündert, und das zwar in einer einsamen unwegsamen Gegend. Meine Vorältern waren als freiwillige Mäuse mit den Proviantwagen gezogen, und da nun alles zerstört und die Soldaten fort waren, ließen sie sich dort nieder, sammelten noch andere edle Mäuse, richteten Alles in eine vollkommene Stadt ein, und es wird jetzt von dort aus ein großes Mäusereich regiert. Du wirst dein blaues Wunder an den herrlichen, geschmackvollen Anlagen sehen. Sobald wir dort sind, lasse ich dir ein Blumenbettchen auf unserm Maifeld machen, da legst du dich gleich nieder und schläfst und kannst dann Alles verstehen, was ich sagen und thun werde, um deinem Vater Gockel den Ring Salomonis wieder zu verschaffen. – Jetzt erschrick nicht, ich beiße dich ein bischen ins Ohr, damit du aufwachst; dann nehme ich einen leuchtenden Johanniswurm in den Mund und laufe vor dir her nach meiner Heimath, da folgst du mir, wie einer Fackelträgerin. Glück auf Gackeleia!» Nun biß die Prinzessin Mandelbiß mich ins Ohrläppchen, und ich erwachte.

Schnell packte ich die Kunstfigur und alles Andre wieder in mein Körbchen und rüstete mich zum Abmarsch. Die Mäuseprinzessin machte die lustigsten Freudensprünge mit dem leuchtenden Johanniswürmchen vor mir her durch das Gras, was gut war; denn da der Mond noch nicht aufgegangen, so war es im dichten Wald noch sehr dunkel und ich wußte weder Weg, noch Steg. Ich folgte dem Lichte; aber sie eilte so sehr, daß ich sie oft aus dem Gesichte verlor. Wenn ich dann ängstlich rief: «Mandelbißchen, laß mich nicht im Stiche!» pfiff sie laut und sprang mit dem Lichtchen vor mir hoch aus dem Gras auf, wodurch ich mich wieder zurecht fand.

Als wir ungefähr eine halbe Stunde gegangen waren, hörte ich ein großes Gepfeife und sah um einen Hügel herum die Residenz des Mäusekönigs im Sternenschein liegen, die ich euch gleich beschreiben will. Kaum hatte die Prinzessin sich am Thore der Stadt gezeigt, als es weit aufflog, und ein freudiges Gepfeife durch die ganze Stadt und das oben liegende Schloß sich verbreitete, aus welchem viele weiße Mäuse ihr entgegenstürzten und sie mit großem Jubel empfingen. Sie wollte aber nicht in das Schloß hinein, sondern drehte sich abwechselnd gegen mich und die Ihrigen, welchen sie von mir zu erzählen schien, so, daß alle die Mäuse bald ihre Köpfchen gegen mich aufhoben und allerlei pfiffen, was ich nicht verstand. Da sagte ich zu ihnen: «ihr lieben Mäuse, gleich will ich mich schlafen legen, damit ich eure Gespräche verstehen kann,» und kaum hatte ich das gesagt, als sie auch zu Tausenden anströmten und das zarteste Moos an einem reinen Plätzchen zwischen Blumen zusammen trugen. Ich sah wohl, das dieß ein Bettchen für mich werden sollte, und betrachtete unterdessen die schöne Mäuse-Stadt. Oben auf dem Hügel lag das königliche Schloß, von grossen holländischen Käsen erbaut, die alle auf das reinlichste ausgenagt waren. Alle Thüren und Fenster waren zwar etwas nach altem Geschmack, und nicht ganz gleichförmig vertheilt; doch hatte die Burg ein sehr ehrwürdiges Ansehen; sie war pyramidalisch im perspektivischen Stile erbaut, und ich kann noch nicht begreifen, wie es Mäuse-möglich war, ein so kühnes Werk zu Stande zu bringen. Rings um das Schloß her und selbst auf seinen Dächern waren die schönsten Gärten von Schimmel angelegt, den ich nie höher und feuchter gesehen habe. Thürme von ausgehöhlten Commisbroden, mit Kuppeln von Flaschen-Kürbissen schmückten das mit Bretzeln und dergleichen verzierte Schloß. Die neuern Häuser der Unterthanen bestanden aus hohlen Kürbissen und Melonen, die sie früher selbst mit Mühe herangewältzt, in der neuern Zeit aber, bei zunehmender Bildung und Industrie, an den Stellen gepflanzt und, wenn sie groß waren, ausgehöhlt hatten. Aeltere adelige und Patrizier-Geschlechter bewohnten alte Reiterstiefel, Patrontaschen, Tornister, Pistolenhulfter, Mantelsäcke, Filzhüte und Lederhelme und was auf dem Schlachtfelde liegen geblieben war; jedoch schienen diese Gebäude der Reparatur zu bedürfen. Einen alten Reutersattel sah ich als Thor oder Triumphbogen zwei Stadttheile verbinden. Alle Gebäude der etwas sehr unregelmäßigen Stadt wurden durch größere und kleinere Anlagen von Schimmel, Pilzen und vielerlei andern Pflanzen umher verschönert. Auch bemerkte ich viele Höhlen in die Erde hinein, die theils Keller und Vorrathskammern waren, theils von einem eigenen Stamm der Feldmäuse bewohnt wurden.

Das Schönste aber von allem war Folgendes: herrlich und kunstreich schaute von einer Höhe eine große gothische Kirche auf die ganze Stadt wie ein Hirt auf seine Heerde herab; ihr Schiff bestand aus einem großen alten Koffer, worüber ein zerrissener Flaschenkorb stand, die beiden Thürme waren aber zwei weißgebleichte Pferdeschädel, welche das Gebiß noch im Maule hatten. Leider war, wie bei den meisten solchen Werken der Stil nicht ganz gleichartig, denn das eine Gebiß war eine Trense das andre eine Stange. Die Thurmspitzen selbst waren mit tausend kleinen Knochensplittern verziert und verspitzt; um die Kirche her breitete sich der Kirchhof aus, Grab an Grab schön geordnet, und mitten darauf ein Beinhaus von lauter Mäusegerippen und Beinchen, weiß wie Elfenbein, in schönster Ordnung zusammengelegt. Etwas tiefer als die Kirche lag ein Bauwerk, das zu den sieben Wundern der Welt gezählt wird, es bestand aus einem Trinkhumpen, der gekrönt von einem Reuterhelm in einer Trommel stand. Man nannte es das Mausoleum, denn hier ist der erste König dieses Volkes Namens Mausolus I. begraben, und seine Gattin Artemisia I. hat es ihm errichtet. Alles das konnte ich nicht genug bewundern, und der Mond schien so hell in die kleine wimmelnde Welt, daß es eine Lust war hinein zu schauen.

Während dem hatten die Mäuschen mein Bettchen und neben mir eines für die Kunstfigur von dem weichsten Moose zwischen Blumen fertig gemacht. Die meisten giengen ihrer Wege, einige konnten aber gar nicht fertig werden, mir gute Nacht zu sagen, und ich war doch von den vielen Anstrengungen so müde, daß ich schier vergessen hätte, wie ich hier bei weltfremden Leuten war; ja, lieber Vater! ich war so in der Empfindung des Schlafes, daß ich glaubte, ich sey bei Mutter Hinkel in Gelnhausen, und ich rieb mir die Augen und hatte schon angefangen, mit weinerlicher Stimme zu sagen: «Mutter, Mutter, Gackeleia ins Bettchen legen, Gackeleia ist müd, müd!» – Da ich aber die Worte der Mutter nicht hörte: «ja, schlafen gehen, das Kind ist müde, das Sandmännchen kömmt angeschlichen», besann ich mich und schaute um mich, und sprach mit majestätischer Stimme: «Ich habe die Ehre, Ihnen sämmtlich eine geruhsame Nacht zu wünschen, lassen Sie sich etwas recht Schönes träumen. Sie würden mich unendlich verbinden, wenn Sie sich zurückziehen wollten, damit ich mich schlafen legen kann.» Da aber die dummen Mäuse immer noch verwundert da standen, jagte ich sie endlich mit meiner Schürze nach Haus. Es ist mir nichts Peinlicher, als das lange unentschiedene Zaudern, und doch war ich nun, da ich mich zum Schlafen niederlegte, längere Zeit beunruhiget, daß ich die armen Schelmen so hart angefahren hatte und bat sie in meinem Innern herzlich um Verzeihung. Kaum war ich entschlafen, so versammelte sich die königliche Mäusefamilie mit ihrem Ministerium um mich her, und ich hörte alle die schönen Reden, die sie hielten, an denen nichts auszusetzen war, als daß die kurzen zu langweilig und die langen zu kurzweilig waren. Die Hauptsache war, wie sie der Raugräflich Gockelschen Familie nun schon zweimalige Rettung verdankten. Prinz Pfiffi sagte, als seine Gemahlin in die Gefangenschaft unter die Kunstfigur gekommen, sey er den drei Petschierstechern gefolgt, habe gesehen, wie sie sich den Ring verschafft und sich zu vornehmen, schönen, jungen Leuten gemacht, den Graf Gockel und seine Familie aber in arme Bettler verwünscht hätten. Kurz er wußte Alles, und wollte morgen allein ausziehen, mir den Ring wieder zu verschaffen, was ihm wegen der Uneinigkeit der Besitzer sehr leicht schien. «Nein, nein» rief da die Prinzeß Sissi, «ich will dabei seyn, du bist viel zu ungestüm, wir wollen es zusammen versuchen, und Gackeleia soll auch mitgehn.» Da sprach ich: ja, ja, das wollen wir, und ich verspreche euren königlichen Eltern, wenn ich den Ring wieder erhalte, einen Zentner der schönsten holländischen Käse und einen Sack der besten Knackmandeln, um ihre Residenz neu erbauen zu können, und dazu noch einen Zentner der beßten Schinken zur allgemeinen Belustigung der Nation, und sonst Alles, was dem edeln Volk der Mäuse lieb und angenehm seyn kann.» – «Ach», rief der alte König aus, «meine liebe Gemahlin sagt mir so eben, daß sie vor ihr Leben gerne einmal Königsberger Marzipan und Thornischen Pfefferkuchen und Jauersche Bratwürste und Spandauer Zimmtbretzeln und Nürnberger Honigkuchen und Frankfurter Brenten und Sachsenhauser Kugel-hupfen und Mainzer Vitzen und Gelnhauser Bubenschenkel und Koblenzer Todtenbeinchen und Liestaller Leckerli und Botzner Zelten und dergleichen patriotische Kuchen essen möge.»

«Alles das sollt ihr im Ueberfluße erhalten», sagte ich, «sobald ich den Ring besitze.» – «Wohlan», sprach der König, «so mögt ihr morgen mit Tagesanbruch auf das Abentheuer ausziehen. Jetzt aber soll gleich, sobald unsre Rathsitzung geschlossen ist, in die Kirche gezogen werden, um den Segen des Himmels zu erflehen; die fliegende Gensdarmerie soll gleich die nöthigen Anstalten treffen.» – Nach diesen Worten des Königs Mausolus VIII. sah ich viele Fledermäuse geschäftig durch die Stadt hin- und wiederfliegen.

 

 

Jetzt trat noch ein fataler Schmeichelredner auf, um den Muth herauszustreichen, mit welchem ich die Ruthe für Prinzessin Sissi ertragen hätte. Ein alter Pair aber unterbrach ihn mit den Worten: «Ehre, dem Ehre, Ruthe, dem Ruthe gebührt! Sie litt nicht weil sie eine Mäusefreundin, sondern eine Spielratze und einst eine Katzenfreundin war; wer weiß, ob sie nicht noch jetzt deren Spionin ist» – dieser Verdacht schnitt mir durchs Herz, so daß ich im Schlafe wie eine Katze zu miauen begann, worauf dem Redner das Wort in der Kehle stecken blieb, und das ganze Parlament über Hals und Kopf auseinanderlief und sich in alle mögliche Wohnungen und Löcher verkroch.

Die Prinzessin von Mandelbiß hatte nach ihrem Zartgefühl mich wohl verstanden, sie blieb bei mir und sagte: «liebe Gackeleia, du hast die Sitzung etwas schnell aufgehoben, aber ich hätte es an deiner Stelle auch gethan; jetzt will ich gleich verkünden lassen, woher das Katzengeschrei kam, dann fällt Alles auf den undelikaten Redner. Vorher muß ich dich bitten, mir die Kunstfigur als Königin gekleidet aufzubinden, denn ich will mit derselben die Prozession begleiten, das wird eine so große Wirkung thun, als das Trojanische Pferd; – ich bringe sie dir nachher wieder, wenn wir nach der Feierlichkeit auf die Eroberung des Ringes ausziehen.» Schnell kleidete ich die Figur nach ihrem Verlangen, heftete sie ihr wieder auf den Rücken und zog die Uhr in ihr auf. Da lief sie so schnell durch die Gassen hin, daß die Mäusekinder, welche sich schon vor der Thüre des Schulmeisters zur Prozession versammelt hatten, nicht wenig über sie erschracken.

Ich war froh, endlich ein wenig Ruhe zu haben, und kauerte mich recht auf meinem Lager zusammen; aber es dauerte nicht lange, da gieng wieder was Neues los. Die Kirchenmäuse liefen auf die Thürme der Kirche und riefen das Volk zum Gebet; sie hatten keine Glocken, und ich glaube darum, daß sie eine Art türkischer Religion haben. Die Fledermäuse, eine Art fliegender Nachtwächter-Gensdarmerie, schwebten über der Stadt hin und wieder und verkündeten, das gehörte Katzengeschrei sey nur im Traume geschehen, die Prozession finde Statt, Prinzeß Mandelbiß trage die schöne Kunstfigur als Königin dabei durch die Strassen u. s. w. Nun hörte ich ein fernes Singen immer näher und näher kommen; endlich verweilte der Gesang in der Nähe meines Lagers, und ich hörte, daß Prinz Speckelfleck ausrief: «hier wird das ganze Lied sanft wiederholt, um der Comtesse Gackeleia den Schlaf zu versüßen.» – Ich hörte nun das folgende Lied, welches von Zeit zu Zeit von dem Chor der vorüberziehenden Mäuseprozession unterbrochen ward.

 

Kein Thierlein ist auf Erden

Dir lieber Gott zu klein,

Du ließt sie alle werden,

Und alle sind sie dein.

Zu dir, zu dir

Ruft Mensch und Thier;

Der Vogel dir singt,

Das Fischlein dir springt,

Die Biene dir brummt,

Der Käfer dir summt,

Auch pfeifet dir das Mäuslein klein:

Herr, Gott, du sollst gelobet seyn.

Das Vöglein in den Lüften

Singt dir aus voller Brust,

Die Schlange in den Klüften

Zischt dir in Lebenslust.

Zu dir, zu dir u. s. w.

Die Fischlein, die da schwimmen,

Sind, Herr, vor dir nicht stumm,

Du hörest ihre Stimmen,

Vor dir kömmt Keines um.

Zu dir, zu dir u. s. w.

Vor dir tanzt in der Sonne

Der kleinen Mücken Schwarm,

Zum Dank für Lebenswonne

Ist Keins zu klein und arm.

Zu dir, zu dir u. s. w.

Sonn, Mond geh'n auf und unter

In deinem Gnadenreich,

Und alle deine Wunder

Sind sich an Größe gleich.

Zu dir, zu dir u. s. w.

Zu dir muß Jedes ringen,

Wenn es in Nöthen schwebt,

Nur du kannst Hülfe bringen,

Durch den das Ganze lebt.

Zu dir, zu dir u. s. w.

In starker Hand die Erde

Trägst du mit Mann und Maus,

Es ruft dein Odem: «werde»,

Und bläst das Lichtlein aus.

Zu dir, zu dir u. s. w.

Kein Sperling fällt vom Dache

Ohn' dich, vom Haupt kein Haar,

O theurer Vater wache

Bei uns in der Gefahr!

Zu dir, zu dir u. s. w.

Behüt' uns vor der Falle

Und vor dem süßen Gift

Und vor der Katzenkralle,

Die gar unfehlbar trifft.

Zu dir, zu dir u. s. w.

Daß unsre Fahrt gelinge,

Schütz' uns vor aller Noth,

Und hilf uns zu dem Ringe

Und zu dem Zuckerbrod.

Zu dir, zu dir u. s. w.

 

Nach diesem frommen Gesang hielten sie eine kleine Pause, dann stimmten sie in einem rascheren Takt folgende drei Verse an:

 

Vivat! beim höchsten Schwure

Nicht Puppe, sondern nur

Nach Uhr und nach der Schnure

Die schöne Kunstfigur!

Von ihrer Zier

Spricht Mensch und Thier

Das Vögelein singt,

Das Fischelein springt,

Das Bienelein summt,

Das Käferlein brummt,

Auch pfeifen alle Mäuselein:

Die Kunstfigur ist schön allein.

Vivat! du feine gute

Prinzessin Mandelbiß,

Die sich mit Heldenmuthe

Aus schlimmem Handel riß.

Von ihr, von ihr

Spricht Mensch und Thier

Das Vögelein singt,

Das Fischelein springt,

Das Bienelein brummt,

Das Käferlein summt,

Auch pfeifen alle Mäuselein:

Prinzeß Sissi ist superfein.

Vivat! hoch Gackeleia,

Singt ihr ein Wiegenlied,

Singt Heia und Popeia,

Das Kind ist müd, so müd!

Von ihr, von ihr

Spricht Mensch und Thier,

Das Vögelein singt,

Das Fischelein springt,

Das Bienelein brummt,

Das Käferlein summt,

Auch pfeifen alle Mäuselein:

Schlaf' Gackeleia popeia ein!

 

Ich erwachte über dem schönen Gesang und hatte schon im Sinn aufzustehen und für die Nachtmusik zu danken, aber ich fürchtete, dann möchten sie kein Ende in ihren Gegenkomplimenten finden, und so hielt ich mich dann mäuschenstille und schien wie eine Ratze zu schlafen, bis die Sänger weiter gezogen waren; dann aber richtete ich mich auf und sah die schönste Procession ein wenig an. An der Spitze gieng die schöne Kunstfigur, umgeben von der königlichen Familie und dem ganzen Hofstaat. Unter den Hoffräulein sah ich eine viel zu große, kuriose Person mitgehen, sie war wie eine Riesin unter ihnen, tanzte mehr als sie gieng, und ihre Stimme paßte gar nicht in den Gesang. Hierauf folgten mehrere fremdartige Mäuse, sie unterschieden sich nicht nur durch Gestalt, Größe und Farbe, sondern auch leider meistens durch ihr nicht sehr erbauliches Betragen; sie guckten viel umher und flüsterten immer sehr angelegentlich unter einander. ich erfuhr später, wer sie waren. Auf sie folgten alle adelichen Geschlechter, worunter das schöne Geschlecht meistens aus weißen Mäuschen von hoher Zartheit und Delikatesse bestand. Alle, von welchen ich bis jetzt gesprochen, trugen Fackeln, aus leuchtenden Johanniskäfern bestehend, welche ihnen die herumschweifenden Fledermäuse hatten einfangen müssen. Hierauf folgten nun die Bürgerlichen und endlich die Landmäuse, alle in ihren National- und Naturalfarben; diese bedienten sich der Splitter von leuchtendem faulem Holze als Fackeln, welche sie im Vorübergehen an einem alten Weidenstumpf abbissen. Ich kann euch gar nicht sagen, wie feierlich sich der Zug der vielen kleinen Lichter durch die Straßen der wunderlichen Mäusestadt den Hügel hinan in den ehrwürdigen Dom hinein schlängelte – es war, als wenn die Funken an einem verglimmenden Zunderlappen hinlaufen; weißt du noch Vater, du sagtest mir manchmal in Gelnhausen am Kamin, «das sind die Studentchen, die aus der Schule laufen», ich dachte noch an diese deine Rede. Vor der Thüre der Kirche empfieng eine sehr elegante Maus an der Spitze der andern Kirchenmäuse die schöne Kunstfigur und den Hof und geleitete sie in den Dom, den ich nun aus allen seinen Oeffnungen erleuchtet sah; dann vernahm ich einen sanft pfeifenden Gesang, worauf es mäuschenstille ward. – Da nun Alles in der Kirche, und die ganze Stadt todt und stille war, warf ich noch einen Blick auf die seltsamen Gebäude im Sternenlicht. Ach, da wuchs mir das Herz; die Welt ward zu enge, weit ward es um die Seele, meine Locken schienen mir Gefühle und Wünsche, die sich sehnten, im Winde zu spielen, und ich gab sie ihm hin; denn, horch', jetzt kam auch ein Wehen und regte die Wipfel des Hains auf; sieh, und das Ebenbild unsrer Erde, der Mond, kam da geheim nun auch; die schwärmerische, die Nacht kam, trunken von Sternen und wohl wenig bekümmert um uns glänzte die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen, über Gebirgsanhöhen traurig und prächtig herauf! – Ach! da dachte ich nichts mehr, als wäre nur Vater und Mutter hier, und wenn selbst nur Kronovus hier wäre, daß ich mittheilen könnte, was ich fühle! – ja liebe Eltern, es giebt Eindrücke, die ein armes Kind nicht allein fassen kann, wo es sich anklammern möchte an ein vertrautes festeres Wesen, wie an einen Fels, einen Baum des Ufers, wenn der Strom der Empfindung anschwillt und uns reißend ins weite Meer der Begeisterung dahin tragen will! – nirgends aber ist dieses mehr der Fall, als bei großer Architektur im Mondschein» – da hielt Gackeleia ein wenig in der Erzählung ein, Frau Hinkel schloß sie ans Herz und sagte: «O das ist eine sehr poetische Stelle, o das ist aus meinem Herzen, ja du bist mein Kind, mein herz- und seelenvolles Kind, auch mich hätte einst zu Gelnhausen im Pallast Barbarossa's im Mondschein der Strom der Empfindung ins Meer der Begeisterung reißend dahin getragen, – aber Vater Gockel war bei mir und so einerlei, daß ich nicht so allerlei empfinden konnte.» – «Bleibe bei der Wahrheit», sagte Gockel, «du hast doch zweierlei empfunden, du hast an die Fleischerladen und Bäckerladen gedacht und den Schnupfen bekommen. Dir aber Gackeleia, sage ich: ich müßte mich sehr irren, oder du bist eine Schwärmerin mit deinen verschimmelten Käsen, Kürbißen, alten Reuterstiefeln, Sätteln, Patrontaschen und gothischen Kirchen im Mondschein – auch finde ich deine Gefühle im Mondschein nicht kindlich genug ausgesprochen, wärst du damals schon so groß gewesen, als jetzt, so wären dergleichen Redensarten zu verzeihen, aber so warst du ja kaum vor einigen Stunden der Ruthe entlaufen.» – «Vater», erwiederte Gackeleia, «entschuldiget mich, ich bin durch den Ring Salomonis jetzt wie eine erwachsene Jungfrau und kann nicht mehr Alles so wie eine kleine Gackeleia vorbringen, ich sage als Jungfrau, was ich als Kind gefühlt, und gewiß, Vater, als Kind habe ich nur anders gesprochen.» «Gott, lasse dich immer weise, immer ein Kind zugleich seyn,» sagte Gockel, «aber erzähle weiter, damit wir aus der kuriosen Stadt herauskommen – jetzt, wo du den Ring Salomonis hast, brauchst du in dem sehnsüchtigen Strom der Empfindung nicht mehr herum zu patschen – jetzt heißt es, dreh' den Ring, und du wirst so viel Bäume am Ufer der Sehnsucht haben, daß du Kohlen daraus brennen kannst und zuletzt ausrufen mußt: «ach, es ist Alles, Alles einerlei! o Eitelkeit der Eitelkeiten und Alles Eitelkeit, spricht der weise Salomo selbst und sein Siegelring wird ihm nicht widersprechen» – aber erzähl weiter Herz Gackeleia!»

«Ja», fuhr Gackeleia fort, «wie ich mein Herz so groß, meine Seele so weit fühlte, erkannte ich wohl, daß jedes Geschöpf der Eitelkeit unterworfen begehret und verlanget und immerfort seufzet und sich quält; so gieng ich umher und schaute in alle Winkel, ob gar kein Wesen da sey, dem ich mein Herz auspacken könne, und sang dabei stille vor mich hin:

 

«Mutter-seelig ganz allein,

Wie der stille Mondenschein

Schauet in die Stadt hinein,

Muß die Gackeleia klein

In der weiten Welt noch seyn,

Wie ist Alles klar und rein,

Wie ist Alles licht und fein,

Wie ist Alles im Verein

Zwei und zwei, und mein und dein;

Aber ich, ich bin allein,

Mutterseelig ganz allein!»

 

Da hörte ich einige Schritte von meinem Moosbettchen entfernt einen dumpfen Ton, wie von leisem, verstecktem Katzengeschrei, was mich für die frommen Mäuse sehr besorgt machte; ich schlich mich leise hinzu und fand, von Distel und Dornen überwachsen, eine alte, leere Pulvertonne dort liegen, das Spundloch war gegen mich gekehrt, der Mond schien hinein – ich guckte auch hinein – ach liebe Eltern! ich sah etwas so Entsetzliches, daß mich der Schrecken wie mit einer Gänsehaut überzog; in der alten Pulvertonne, deren einer Boden fehlte, saßen fünf junge Kater, in welchen ich zu meinem größten Schrecken – ach, sie waren mir nur zu bekannt geworden: – die fünf Söhne Schurrimurri's, Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog, erkannte. Sie waren also der Hinrichtung entgangen – ihre Mutter Schurrimurri aber hatte ihre Strafe erlitten, denn sie saßen um deren Todtenkopf herum, der in einer alten Alongeperücke lag. – Mack schien eine heftige Rede zu halten, aber nur leise, leise, alle machten große Buckel, spreitzten die Haare, und schlugen einander den Pelz mit ihren Schweifen, daß Feuerfunken umher flogen; manchmal konnten sie ihren Grimm nicht ganz unterdrücken und ließen ein dumpfes Murren und Wimmern, wie ein unterirdisches Erdbeben, hören, wobei sie ihre weitvorgestreckten Krallen auf dem Todtenkopf, wie Dolche, wetzten. Das Ganze hatte vom Monde im Faß beleuchtet etwas höchst Gräuliches, Tückisches; mir war, als sehe ich in die Hölle, und unwillkührlich kam mir in die Seele, das ist eine Verschwörung, eine Meuterei, rette deine Freunde, die frommen Mäuse! Diese Verbrecher sind schon gerichtet, sie dürfen ihrer Strafe nicht entgehen. – Ich besann mich nicht lang, erwischte das Fäßchen beim hinteren Ende und stellte es aufrecht, so daß es wie eine Glocke über der ganzen Verschwörung stand; das junge Katzenellenbogen war gefangen, und das Spundloch stopfte ich mit einem Stück Rasen zu. Ich legte noch soviel Steine auf das Faß, als ich in der Eile rings finden konnte, damit die Gefangenen es nicht umwerfen möchten, und begab mich mit dem Gefühle, eine edle Handlung gethan zu haben, nach meinem Moosbettchen; ich horchte noch ein Bischen nach dem Faße hin, aber sie hielten sich ganz stille, und so deckte ich mein Schürzchen über die Augen, zuckte ein Bischen und schlief einen süßen Schlaf ein.

Nach einer Weile träumte mir, die Prinzeß Mandelbiß komme wieder mit der schönen Kunstfigur zu mir und sage mir ins Ohr: «Gackeleia, mache mich los und lege die Kunstfigur neben dich in ihr Bettchen, sie wird wohl so müde seyn wie ich, ich will mich in deine Locken an dein Oehrchen legen und dir alles erklären, was du bei der schönen Prozession gesehen hast und wie unser Hofredner Muskulus so herrlich gesprochen hat.»

Ich that halb träumend, wie sie verlangte, dann legte sie sich in meine Locken und plauderte mir wie ein Schlafkamerädchen ins Ohr; da habe ich dann Alles folgende gehört:

Die große, seltsame Person, die mir unter den Hoffräulein der Prinzeß Sissi so sehr gefallen, war eine vornehme Bergmaus, die Marquise Marmotte, welche, aus der Gefangenschaft eines Savoyardenbuben entflohen, hier bei Hof eine anständige Gelegenheit abwartete, wieder in ihr Vaterland zurückzureisen. Sissi war nicht gut auf sie zu sprechen, denn Prinz Speckelfleck hatte sich zu oft nach ihr umgeschaut und sie allzusehr gelobt, was sie bei keinem Menschen recht leiden konnte. Er bewunderte ihren Tanz, ihre schönen Träume und vor Allem ihre artigen Vorderpfötchen. – Sissi, blind für alle diese Vorzüge, sagte: «Vorderpfötchen! es ist mir schier lächerlich! in allen Naturgeschichten steht von den Murmelthieren: ihre Vorderfüße haben vier Zehen und einen sehr kurzen Daumen, die Hinterfüße fünf; aber, daß dieses schön sey, das steht nirgends! – Wie mag sie sich nur eine Maus nennen? ihrer Größe nach könnte sie eben so gut Bergbär als Bergmaus heißen; diese Marquise Marmotte hat einen großen, runden Kopf, Nase und Lippen wie ein Hase, Haare und Klauen wie ein Dachs, unbedeckte Zähne wie ein Biber, einen Schnurrbart wie eine Katze, Augen wie ein Siebenschläfer, Pfoten wie ein Bär, einen kurzen Schweif und gestutzte Ohren. Wenn man ihr schön thut, so knurrt sie wie ein Hündchen. Was ist Schönes hieran? ihr Tanzen und Purzeln ist ihr von dem Savoyarden mit Hunger und Schlägen eingequält, und schläft man, wie sie, vom Oktober bis in den April, so hat man allerdings Zeit, sich etwas Schönes träumen zu lassen.»

Jene, welche ich in der Prozession so viel umherschauen und untereinander plaudern gesehen, waren die Abgesandten von mancherlei fremden und ausländischen Mäusegeschlechtern und Arten, welche sich hier am Hofe befinden, Bündnisse abzuschließen, Gratulationen abzustatten und sich Erfahrungen mitzutheilen, wie den Katzen, Eulen, Geiern und andern Mäusefeinden zu entgehen sey, auch theilten sie sich Warnungen vor gelegtem Gift und Gegenmittel und Nachrichten von neu erfundenen Mausfallen mit. Eine unter diesen Standespersonen hatte der Prinzeß Sissi ganz besonders gefallen, er war mit einem Schiffe über See sehr weit her, von den Antillen gekommen, um zu hohen und allerhöchsten wohlthätigen Zwecken eine Collekte zu machen, er hatte die Gestalt einer großen Ratte, trug einen schwarzen Frack und weiße Unterkleider. Er hieß Herr Piloris, und Sissi behauptete, er habe durch seinen Moschusgeruch die ganze Prozession erbaut und sehr wohlthätig auf ihre schwachen Nerven gewirkt. Die übrigen Abgesandten waren von den Spitzmäusen, Bergmäusen, Waldmäusen, Wurzelmäusen u. dgl. Sie plauderten in der Kirche und bei der Prozession von der Rettung der Prinzeß Sissi und besonders von der Hinrichtung der Katze Schurrimurri und ihrer Jungen, äußerten sich alle aber sehr bedenklich über ein umlaufendes Gerücht, daß die fünf verwegenen Söhne der Schurrimurri der Hinrichtung durch Einverständniß mit den Söhnen des Scharfrichters entgangen seyn und unter dem Nahmen des jungen Katzenellenbogens eine höchst gefährliche Verschwörung, angeblich zur Rache ihrer Mutter, eingegangen haben sollten; ihre Absicht aber sey eigentlich gegen das edle Mausgeschlecht, gegen Hühner und Vögel; die Eulen seyen bereits für sie gewonnen, ebenso die Füchse, mit den Wieseln unterhandelten sie, man müsse sehr auf seiner Hut seyn u. s. w. – Sissi erzählte mir dieses Gerede der ausgezeichneten Staatsmäuse mit großer Bangigkeit; – o wie froh war ich, ihr versichern zu können, obgleich jenes Gerücht gegründet, sey dennoch gar nichts von diesen Verschwörern zu befürchten.

Sissi erzählte mir auch noch den Inhalt der Rede, welche der edle Hofredner Muskulus im Dome gehalten. Er sprach über Mann und Maus, Menschheit und Mausheit, Menschlichkeit und Mäuslichkeit, Menschenmöglichkeit und Mäusemöglichkeit. Er erwähnte den Verstand der Mäuse, welche stäts von jeder Speise das beste Theil erwählen; ihre Großmuth, weil sie trotz ihrer Blödigkeit vor allen Thieren ein sehr großes Herz haben; ihre Dankbarkeit, wie sie den Löwen aus dem Netze befreit; ihren Heldenmuth, weil sich der Elephant fürchtet, sie möchten ihm in den Rüssel schlüpfen; ihren prophetischen Geist, weil sie ein Haus verlassen, ehe es zusammenstürzt. Er sprach von der Ehrfurcht der Ratzen gegen ihre Eltern, welche, wenn sie alt sind, von den Jungen gefüttert werden. Er erwähnte die große Nächstenliebe der Mäuse, welche, wenn eine in eine Grube gefallen ist, sich einander in die Schwänze beißend, eine Kette bilden, um ihre verunglückte Nebenmaus aus der Grube zu ziehen. Er sagte, wie thöricht bei all diesen großen Eigenschaften die Fabel sey: ein Berg habe gebären wollen, und eine lächerliche Maus sey hervorgekommen; er führte die Mäuse als Werkzeuge Gottes in den Aegyptischen Plagen, und bei dem geitzigen Hatto von Mainz an, den sie gefressen, obschon er sich auf den Mausthurm mitten in den Rhein geflüchtet. Er sprach auch von der Holdseligkeit der Mäuse, daß sogar die Menschen ihre artigsten Kinder: «kleine Maus, liebes Mäuschen,» nennen. Er erwähnte, daß die Mäuse das feinste Gehör außer den Eseln haben. Aber auch vom Uebermuth der Mäuse sprach der edle Muskulus, er sprach: wenn die Maus satt ist, schmeckt ihr das Mehl bitter. Er sprach von gefährlichen Zeiten, und daß die Mäuse, welche auf dem Tische herumtanzten, wenn die Katze nicht zu Hause sey, sich nicht so mausig machen, sondern bedenken sollten, daß die Katze das Mausen nicht lasse. Dann flehte er noch den Segen des Himmels auf das edle Vorhaben der Prinzessin Mandelbiß und des Prinzen Speckelfleck herab und forderte sie auf, das Sprichwort wohl zu überlegen:

 

«Zu bedauern ist die Maus,

Kennt sie nur ein Loch im Haus;

Aber ins Verderben rennt

Jene, die gar keines kennt,»

 

und nun setzte der gelehrte Muskulus hinzu, wie er bei seinen Studien eine halbe Bibliothek durchfressen und wie trefflich ihm endlich die schöne Stelle des heidnischen Komödienschreibers Plautus geschmeckt habe:

 

«Bedenk' die Weisheit der kleinen Maus,

Sie hat viel Thüren in ihrem Haus,

Sperrst du ihr einen Schlupfwinkel zu

Flieht sie zum andern und sitzt in Ruh'.»

 

Als der Klingelbeutel in dem Dom herumgieng, hielt der edle Muskulus noch eine rührende Auslegung des tiefsinnigen Wortes: «er ist so arm wie eine Kirchenmaus,» welche den ganzen Klingelbeutel mit Waitzenkörnern so reichlich füllte, daß die Marquise Marmotte genug zu thun hatte, ihn herum zu schleppen, wenn gleich der duftende Herr Piloris ihr dabei den Arm gab.

So erzählte mir Prinzeß Sissi Alles, daß ich es eben so gut wußte, als wenn ich in der Rede des edlen Muskulus geschlafen hätte. – Ich dankte ihr herzlich dafür und sagte ihr: «Liebste Sissi, ich bin glücklich, daß sich unsre Herzen gefunden haben und daß wir uns du nennen – ach so kann ich auch alle meine Leiden in deinen schwesterlichen Busen ausschütten; ach ich muß dir zu meiner großen Beschämung gestehen, es ist mir so sehnsüchtig um's Herz, ich sehne mich nach einem Gegenstand, den ich freßlieb haben könnte, es ist mir so leer, so leer, ich möchte Alles verschlingen; ich müßte mich sehr irren, oder ich habe einen ganz abscheulichen Hunger, denn seit ich das Birkenreis geschmeckt, habe ich nichts mehr über mein Herz gebracht, als einige Wald-Erdbeeren; Sissi, schaffe mir etwas zum schnabelieren, oder ich sterbe aus Sehnsucht.» – Da erwiederte Sissi: «Herz Gackeleia! du hast ja noch eine halbe Bretzel und einen halben Bubenschenkel in deinem Körbchen;» aber ich entgegnete: «das sind Dokumente, und ich wollte eher verhungern, als Dokumente essen.» «Wohlan,» sagte Sissi, «ich will sehen, was ich dir auftreiben kann,» da pfiff sie einige Mal, worauf eine Fledermaus zu ihr heranflog, welcher sie den Auftrag gab: die reinsten Schulmauskinder sollten augenblicklich Beeren pflücken und auf grünen Blättern mir zu Füßen legen – eben so solle sie den anwesenden Geschäftsträger der Haselmäuse, den wohlriechenden Chevalier Muscardin in ihrem Namen um eine Portion Haselnüße bitten und diese hieher besorgen, Überhaupt möge sie Alles, was sie von menschlichen Eßwaaren auftreiben könne, ohne großes Aufsehen zu machen, so schnell als möglich herbeischaffen. – Die Fledermaus machte ihr unterthäniges Kompliment und flog von dannen. – Schon nach einigen Minuten bemerkte ich eine große Thätigkeit: die Mäuse schleiften ein altes, rund genagtes Trommelfell auf den Rasen in meine Nähe und deckten mehrere große Pilze, die wie kleine Tische umherstanden, mit Blättern und trugen allerlei Eßwaaren darauf zusammen.

Nun sprach ich zu Sissi: «Höre mich an, du bist besonnen und klug, was ich dir sage ist wahr, was ich verlange, mußt du thun, sonst seyd ihr Alle verloren, Aufsehen muß vermieden werden, damit kein unnöthiger Schrecken das schüchterne Volk verwirrt. Sieh dort die kleine Pulvertonne aufgerichtet und mit Steinen belegt: Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog, die fünf Rädelsführer des jungen Katzenellenbogens, welche darin in einer Alonge-Perücke ihre Krallen auf einem Todtenkopf zu eurem Untergange gewetzt haben, wurden von mir darunter gefangen, ich habe ihre Loge gedeckt und die Pulververschwörung, das Spundloch der Hölle, verstopft. Gehe gleich mit deinem Gatten, Prinz Speckelfleck, zu deinem königlichen Vater Mausolus VIII., zeige es ihm an, und sage ihm, er solle eilend befehlen, daß alle Mäuse und den Mäusen Befreundete ohne Ausnahme Lehm, Erde und Rasen zu dem Fasse hintragen und es rund damit umgeben, bis es ganz ummauert eine Pyramide wird. So eingeschlossen werden sie einander selbst zerreißen und ihr werdet euch durch euer frommes Gebet gerettet finden. – Dem Volke soll gesagt werden, das Ganze sey ein Monument zum Andenken meiner Anwesenheit und deiner Rettung und heiße Gackeleioeum, ein Gegenstück zu dem Mausoleum. Er soll nur sein Volk, aber keine Maurer daran arbeiten lassen, denn die da drinnen dürften nur einmal rufen: «Mack,» und die draußen antworten: «Benack,» so wäre Alles verrathen. – Eile, es ist keine Zeit zu verlieren, der Bau muß fertig seyn, wenn ich deinem Vater die versprochenen patriotischen Backwerke schicke, welche bei der Einweihung das Fest verherrlichen können. Mache deinen Bericht kurz und kehre schnell mit Prinz Speckelfleck zurück, damit wir inkognito fortreisen.»

Ich bewunderte die Gemüthsfassung der hochherzigen Prinzessin Sissi: ein Blick des Entsetzens gegen die Pulvertonne, ein Blick des Dankes gegen mich, ein Blick der Hoffnung gegen den Himmel war alles, was sie erwiederte, und sogleich lief sie in der größten Eile zu dem königlichen Käsepallast hinauf. Der Hunger weckte mich nun, ich näherte mich der von den Mäusen zusammengetragenen Mahlzeit, da fand ich auf dem Trommelfell eine kleine Melone, welche die Marquise Marmotte selbst herangewälzt hatte; der Chevalier Muskardin hatte nicht nur ein halb Hundert der schönsten Haselnüße eigenmaulig heraufgetragen, sondern auch aufgeknackt; die Schuljugend hatte einen Haufen Erdbeeren und Heidelbeeren herbeigetragen und in Nußschaalen sehr artig angerichtet, eine Speckmaus hatte einen gewaltigen Flug gethan und mir einen ganzen frischen Bubenschenkel aus einem Bäckerladen und ein Würstchen aus einem Fleischerrauchfang von Gelnhausen gebracht, Dank dem edlen, biedern, deutschen Herzen! an ihm wird die alle edlen Anstrengungen so sehr beachtende Familie der Mausoleer das Sprichwort wahr machen: «dem Verdienste seine Kronen.» Ach! wie rührend war es, als nun noch ein gemüthvoller, junger Igel von der schönsten Haltung zu mir heran rasselte, wie ein ganzer Rüstwagen; er hatte sich in einem benachbarten Ort unter den Borstorfer Aepfelbäumen gewälzt und alle herabgefallenen Aepfel auf seinen Stacheln aufgespießt, die ich ihm dankbar herabnahm, worauf er sich schweigend empfahl. Er war etwas melancholisch, denn er war verkannt, sein Geschlecht gehört zu den Feinden der Mäuse, aber er hatte seine Natur besiegt und lebte in einsamer Betrachtung als philosophischer Wohlthäter und Mäusefreund unter ihnen von dem schönen Herzen der geistvollen Prinzessin Sissi geschätzt.

Ich aß nun im Zwielicht (denn der Mond war untergegangen und es dämmerte im Osten) ohne große Wahl, was mir unter die Finger kam, lustig hinein, Alles, Alles schmeckte köstlich – o da kam erst das Beste! – ach es raschelte etwas neben mir und es rollte etwas in mein Schürzchen, ich fühlte, es war ein Ei, ich hielt es neugierig dem ersten Strahle des Tages entgegen – es war schwarz mit einem schönen Vergißmeinnicht bemahlt, ringsum standen die Worte: «Vivat Gackeleia,» ich schüttelte es, ach es rasselte Geld darin; wie ein Blitzstrahl durchfuhr es meine Seele: es ist das Ei meines lieben Kronovus, das er für mich alle Wochen mit seinem Taschengeld hinten an den Entenpfuhl verstecken wollte! meine Freude war unaussprechlich – aber wer ist der wohlthätige Sterbliche, der mir diese höchste Freude gemacht? dachte ich und sprang auf und rief aus: «o mein heimlicher Wohlthäter entziehe dich meinem Danke nicht!» aber ich hörte es fern weg eilen, und ein wundersüßer Moschusgeruch drang mir entgegen. Da wurde es mir klar, und ich rief ihm nach: «du bist es edler Piloris, fernher pilgernden Menschenwohlbezwecker im schwarzen Frack und weißen Unterkleidern, der Wohlgeruch deiner schönen Handlungen verräth dich!»

«Ja, liebe Eltern,» unterbrach sich hier Gackeleia, «ich hatte mich nicht geirrt, diese edle Moschusratte Piloris war es gewesen. Sissi, der ich von dem Ei des Kronovus erzählte, hatte ihm schon in der Kirche zugeflüstert, welche große Freude es ihr machen würde, wenn sie meine Wohlthaten gegen sie mit diesem Eie belohnen könnte. Piloris, so hohes Interesse er auch an der Rede des edlen Muskulus hatte, verließ sogleich den Dom und eilte, ohne sich umzusehen, nach der Eierburg an den Entenpfuhl und brachte dies Ei, welches Kronovus seinen Worte getreu mit 1 Gulden 30 Kreuzer beschwert dort hin versteckt hatte.»

Gockel und Hinkel sahen das Ei mit großer Rührung an, die beiden Mäuschen kamen herbeigelaufen und tanzten lustig umher, als gäben sie ihren Beifall. Frau Hinkel aber sagte: «erzähle weiter Gackeleia, damit du einmal von all dem Ungeziefer wegkömmst» und Gackeleia fuhr fort:

Gleich werde ich davon weg seyn, um zu noch viel ärgerm Ungeziefer zu kommen. Ich hatte mich pumpsatt gegessen, ich packte die Puppe – nein die nur eine schöne Kunstfigur – in mein Körbchen, ich legte mein liebes Ei, einige Aepfel und Haselnüße und den halben Bubenschenkel, der noch übrig, hinein und auch das Würstchen und von dem Moos meines Lagers; kaum war ich fertig, da kam Prinz Speckelfleck und Prinzeß Mandelbiß und hüpften in das Körbchen und pfifferten allerlei, was ich nicht verstand – aber es mußte wohl heißen, daß meine Sendung ausgerichtet sey, denn ich sah das Andringen von unzähligen Mäusen mit Erde und Rasen durch alle Straßen und Schluchten in solcher Menge, daß ich mich auf die Höhe vor den Dom retirirte, um keinen der Arbeiter zu zertreten. Es war ein wunderbarer Anblick, viele strömten gegen die Pulvertonne hin und bissen die Dornen und Disteln rings weg, andere wühlten Erde und Lehm auf, andere benetzten sie und machten Klumpen daraus, dann legten sich Ratzen und Mäuse auf den Rücken und faßten die Erde mit den Füßen, und die andern zogen sie bei den Schweifen wie beladene Wagen fort. Vor allen zeichnete sich die Marquise Marmotte aus, sie hatte einen Klumpen Rasen, größer als ein Backstein, zwischen ihren Pfoten, der Chevalier Muskardin und der edle Piloris spannten sich vor und zogen sie bis an die Pulvertonne; der edle Igeljüngling war auch mit Rasenstücken bedeckt und trug sie hinauf. – Ich segnete die liebe Mäusestadt und eilte mit meinen zwei Mäuschen und sieben Sächelchen im Korbe dem Walde zu.

Ich zog über Berg und Thal und fragte vergebens nach euch, liebe Eltern; manchmal ließ ich bei Bäckerläden meine Kunstfigur vor den Kindern herumtanzen und der Bäcker gab mir gern ein Brödchen zur Belohnung. So fristete ich mein Leben. Wir zogen um Gelnhausen herum, denn ich fürchtete den Bettelvogt, Meister Schelm; da ich aber die Hahnen dort krähen und auf den Thurmspitzen in die Ferne blinken sah, ward mir es recht schwer ums Herz, und wenn etwas im Gebüsch raßelte, guckte ich um und meinte immer das Prinzchen Kronovus käme vielleicht auf seinem Schimmelchen zur Jagd geritten. Aber, wer nicht kam, das war er. Da ich nun einige Stunden weiter, nahe bei einer ganz herrlichen Stadt, reisemüd an einem Bächlein niedersaß und mich im Wasser beschaute, mußte ich mich recht schämen, ich hatte vergessen, mich am Morgen meiner Abreise und am folgenden Abend zu waschen und sah nun, daß ich Mund und Nase ganz schwarz von den vielen Heidelbeeren hatte, die ich in der Mäusestadt im Dunkeln gegessen hatte. Nun wußte ich erst, warum die Kinder überall mich ausgelacht hatten, und ich war recht froh, daß Kronovus mich nicht so schmutzig gesehen hatte. Geschwind wusch ich mich und erfrischte mich durch und durch. Ich aß auch ein Bischen mit meinen Mäuschen, und da es sehr heiß gewesen, war ich schläfrig und legte mich vom Gebüsch versteckt auf den weichen Rasen und schlief. Da kam Prinz Speckelfleck an mein Ohr und sagte mir:»Wir sind am Ziel unserer Reise, wir haben die herrliche Hauptstadt Urbs des Weltreichs Orbis vor uns. Hier ist der Ring deines Vaters, hier wohnen die morgenländischen Petschierstecher; als sie mir Sissi entführt, bin ich ihnen bis hieher gefolgt, wo sie hingiengen, weil Alles, was Salz lecken kann, hier frei und ungestört leben darf. Sie sind immer in Angst vor allen Menschen und vor einander selbst. Sie fürchten des Ringes halber getödtet zu werden; damit man nun nicht merken möge, wo ihr großer Reichthum herkömmt, haben sie hier die großen Salzbergwerke gekauft und sind Salzverschwärzer, Salzversilberer, Salzjunker und endlich Salzgrafen geworden; sie haben sich einen salzgräflichen Pallast erbaut, sie sagen, daß sie Gold machen können; aber Alles ist durch den Ring Salomonis. Trage mich und Sissi nur gleich in die Kirche und bete einstweilen, daß Gott uns hilft, so wollen wir den Ring bald erwischen. So gern ich und Sissi und alle Mäuse Salz lecken, brauchen wir doch kein Scheffel Salz mit diesen kuriosen Grafen zu essen, bis wir sie kennen lernen.»

Nach diesen Worten wachte ich auf und trug die Mäuschen geschwind, geschwind in meinem Korb in die Kirche nach Urbs; der Gedanke, dem lieben Ring so nah zu seyn, lehrte mich so schnelle zu laufen, als da ich die Puppe und mich die Ruthe verfolgte. – O liebe Eltern, welche Kirche! welches Wunder der Architekto-Natürlichkeit, der ungeheure  große gothische Säulenwald mit unzählichem Schnitz-, Spitz-, Glitz-, Blitz-, Ritz-, Kritz- und Spritzwerk im vorgothischen und hintergelnhausenschen Spitzbubenschenkel-Katzenellenbogen-Styl übertraf das Unerhörte. – Alles, alles war von Salz, die Kirche war ein Salzkrystall, die Fenster waren Salzscheiben, die Kanzel war ein Salzfaß; das Merkwürdigste aber war die Erbauung dieser Kirche: ein eifriger Mann hatte hier vom Krystalismus predigend gesagt: wer die Hand an den Pflug gelegt, der solle sich nicht mehr umschauen, die Weiber sollten an Loths Weib denken, die durch das Umschauen in eine Salzsäule verwandelt worden; «ach!» rief er aus, «wollte Gott ein Wunder zur Erbauung der Kirche thun, an eurem Umschauen fehlt es nicht, so hätten wir einen Wald von Säulen, ehe man sich umsieht, um eine Kirche darauf zu stützen.» In demselben Augenblick kam die Frau Salzinspektorin mit einem neuen Hut in die Kirche, da schauten sich um alle Fräulen und dienten verwandelt in Säulen zur allgemeinen Erbauung der Kirche im gothischen Styl, denn in diesem Styl war der Hut der Frau Inspektorin. So wurde die Kirche zwar sehr schnell, aber doch nicht, ehe man sich umsah, erbaut. Als ich in das Salzmünster hineintrat, verließ eben nach der Nachmittags-Predigt der Redner die Kirche, aber ich versäumte nichts, die Kirche ist echoistisch gebaut, der Redner braucht nur ein paar Worte zu verlieren, so werden sie sogleich von Frau Echo, der unverbesserlichen Widerbellerin, aufgeschnappt und eine halbe Stunde lang zwischen den Säulen herumgehetzt und geschleudert, und so lief auch jetzt zwischen allen Salzsäulen die Rede umher: «so gut auch das Salz sey, wäre es doch mißlich, wenn es dumm werde, man habe Nichts, um es zu salzen und es mache weder das Feld noch den Mist besser.» – Ich kniete in ein Winkelchen und betete herzlich um die Hülfe Gottes; nicht weit von mir kniete eine prächtig geputzte Köchin, und neben ihr stand ein von Makaroninudeln geflochtener Gemüskorb, auf welchem mit goldenen Buchstaben stand: «salzgräflich-Salomon-Salabonischer Salatkorb.» Sissi und Pfiffi merkten gleich, daß dieses die Köchin der drei morgenländischen Petschierstecher sey, sie schlupften in den Korb und ließen sich von ihr in den salzgräflichen Pallast tragen. Als ich nun in der Kirche einsam und allein war, vernahm ich durch das geschäftige Echo jedes Gebet, jedes Flüstern und Seufzen der Umherknieenden; der Eine betete: «ach Gott! befreie uns von dem Hoffaktor Salzgraf Salathiel Salaboni, er ist schuld, daß das Salz so dumm und theuer geworden;» der Andere: «befreie uns von dem Commerzienrath, Salzgraf Salomon Salaboni, er ist schuld, daß die Salzkukummern so kümmerlich schmecken und so klein sind;» der Dritte seufzte: «ach hilf uns aus dem Salz des Elendes, befreie uns von dem Hoflieferanten, Salzgraf Salmanasser Salaboni, er versalzt uns alles Leben, füllt unsere Augen mit gesalzenen Thränen und fegt unsre Beutel aus dem Salz!» – Da betete ich dann auch so recht von Herzen, Gott möge mir wieder zu dem Ringe helfen, weil die drei Morgenländer doch keinen Menschen damit glücklich machten. – Da es aber in der Kirche so hübsch stille und kühl war, überfiel mich ein leiser Schlummer, und ich hatte schier so lange geschlafen, daß mich der Küster in die Kirche eingesperrt hätte; aber Sissi kam gerade zur rechten Zeit und flüsterte mir in die Ohren: «geschwind Gackeleia, geh mit mir aus der Kirche; hörst du? der Küster rasselt schon mit den Schlüsseln; geh mit mir, du sollst selbst sehen, wie wir den Ring erwischen, wir haben die beste Hoffnung.» Fröhlich nahm ich nun die kleine Maus in mein Körbchen und gieng mit ihr nach dem Schlosse der Petschierstecher. Als wir an die Gartenmauer kamen, sprang Sissi an die Erde und zeigte mir den Weg. Die Sonne war im Begriff unterzugehen. Ich gelangte hinter ein artiges Lusthaus, Krystalline genannt, wo ich auf den Kübel eines Orangenbaumes stieg und durch eine Spalte im Fensterladen Alles sehen und hören konnte, was im Gartenhaus vorgieng.

Die drei Salzgrafen saßen jung und glänzend mit wohlakkomodirten Perücken in verschiedenen alamodischen kuriosen Uniformen um einen Tisch, in dessen Mitte der köstliche Ring Salomonis lag und stritten miteinander, wer den Ring am Finger tragen und wünschen sollte; sie nannten sich Commerzienrath, Hoffaktor, Hoflieferant untereinander und jeder wollte nicht mehr so heißen, jeder wollte den Salzgrafentitel haben; der Eine schrie: «einer muß der Erste seyn,» die Andern schrien: «das geht nicht, wir sind Drillinge, wir sind eine große Merkwürdigkeit, keiner geht vor dem andern;» da schrie der Eine wieder: «ich habe die Maus gefangen und unter die Puppe geheftet, wodurch wir der Gackeleia den Ring abgelockt, ich muß ihn haben, wem ich was wünschen soll, der bringt mir einen vollwichtigen Gockelsd'or, da wünsche ich ihm Etwas, wie gerade der Kurs steht.» – «Wie kömmst du mir vor?» sprach der Andere, «habe ich doch den falschen Ring gemacht, der für den ächten dem Gockel an den Finger gesteckt ward, ich muß den Ring haben!» – «Was soll mir das?» schrie der Dritte, «habe ich doch die Puppe gekleidet und tanzen lassen und die große Arie gedichtet und abgesungen von der großen Garderobe, habe ich doch der Spielratze die Puppe aufgeschwätzt, den Ring abgeschwätzt und euch den Ring gebracht, mein muß er seyn!» Da sie aber gar nicht einig werden konnten und lange geschrieen und gezankt hatten, weil immer der Eine fürchtete, der Andere möge ihm den Tod anwünschen, wenn er den Ring am Finger habe, griff endlich der Eine mit solcher Heftigkeit nach dem Ring, daß er den Tisch umstieß, und dieß machte sich der Andere zu Nutz und ertappte den an die Erde gefallenen Ring, steckte ihn an den Finger und drehte und schrie:

 

«Salomon du weiser König,

Dem die Geister unterthänig,

Mach' zwei Esel aus den Beiden,

Die in diesem Garten weiden,

Ringlein, Ringlein dreh dich um,

Mach's geschwind, ich bitt dich d'rum.»

 

Während er dieses mit der größten Eile hergeschnattert hatte, rissen die Beiden Andern ihn hin und her; aber es währte nicht lange, so waren sie Beide zwei dicke, häßliche Esel, und er nahm einen Prügel und trieb sie aus dem Gartenhaus hinaus, das er hinter ihnen verschloß. Sie schrieen und bissen sich unter einander noch eine Weile, fiengen aber bald an, sich in ihre neue Natur zu schicken und Trauben und Disteln durcheinander zu fressen.

Ich guckte wieder in das Gartenhaus, da wollte sich der, welcher den Ring hatte, schier bucklicht lachen, weil er seine Gesellen endlich so sauber angeführt. «Gott sey Dank,» sagte er, «nun kann unser eins doch einmal ruhig ausschlafen, ohne die Gefahr, daß der andre ihm den Tod wünscht.» Nach diesen Worten schaute er sich lachend im Spiegel an und hängte seinen Federhut auf die Spitze einer wunderbaren Kaktuspflanze, die an der Wand blühte. Der Ankaufspreis stand auf dem Topf. Die Perücken und Hüte der zwei andern lagen noch an der Erde, wie auch ihre Stühle. Nun lehnte er sich breit in seinen Prachtstuhl, stellte die Füße auf einen Schemel und sprach: «reich zum zahlen, klug zum prahlen, schön zum malen – was fehlt mir noch, ich will berühmt werden – da fällt mir was ein – ich will den Namen Pictus, Salzgraf von Orbis annehmen, und will einen neuen Orbis Pictus herausgeben, da sollen alle unbefriedigten Wünsche der Welt nach dem ABC darin abgemalt werden, und ich will sie mir alle mit dem Ring befriedigen von A bis Z – aber Alles, Alles mit Geschmack und Kunstgefühl – poetisch, sympathetisch, magnetisch» – und nun fieng er an, bald tüchtig zu schnarchen.

Nun ist es Zeit, dachten Pfiffi und Sissi und schlupften beide durch ein Loch in das Gartenhaus. Ich wendete kein Auge von dem Schlafenden und dem Ring an seinem Finger; ach, er hatte eine Faust gemacht, und der Ring schien sehr schwer zu bekommen; aber Sissi nahte sich seinem Ohr und sang mit der süßesten Stimme nichts als das Verslein:

 

«Louisd'ore und Dukaten

Aechte Perlen, Diamant,

Ritterorden, Ihro Gnaden,

Hohe Bildung, Ordensband,

Witz und Wesen, scharf und zart,

Gänsefett und Backenbart.»

 

 

Kaum hatte der Schlafende diesen Vers gehört, als er die Hand so öffnete, als wolle er nach all den schönen Sachen greifen. Nun biß ihn Prinz Pfiffi in den Ringfinger; er wachte auf und sagte: «ein scharmanter Traum, aber der Ring drückt mich und weckt mich auf, wer kann ihn mir hier nehmen? die zwei Esel grasen draußen nach dem besten Appetit; was brauchen sie mehr? ungebildete Menschen kennen keine höheren Bedürfnisse. Sie sollen nicht einmal die Ehre haben unter den dreihundert weißen Mauleseln zu seyn, die ich mir wünschen werde, um die Schlüssel meiner Schatzkammer zu tragen. Ach, der schöne Traum! ich will versuchen, ob ich ihn wieder träumen kann; Psyche, das angenehmste Frauenzimmerchen aus der klassischen Literatur, rührte mich an der Nase mit einer Blumenzwiebel an und beleuchtete mit einer hetrurischen Lampe das Traumbild meiner Wünsche – ich will nochmals gerührt werden, ich will gerührt seyn, der Ring soll mich nicht wieder stechen, ich lege ihn, bis ich erwache, auf den Tisch.» Nun zog er den Ring ab und schlief wieder ein, indem er flüsterte:

 

«Psyche rühr'! und nicht vergebens!

Führ', was ich im Schilde führ',

Führ' das Traumbild meines Lebens,

Mir empor dort an der Thür!»

 

Kaum aber schnarchte er, als Sissi ihm wieder ins Ohr sang:

 

«Louisdore und Dukaten,

Aechte Perlen, Diamant,

Ritterorden, Ihro Gnaden,

Hohe Bildung und Verstand,

Witz und Wesen scharf und zart,

Gänsefett und Backenbart.»

 

Da lächelte er so süß wie ein Topf voll saurer Milch und antwortete mit schmachtender Stimme im Traume:

 

«Psyche rührt und nicht vergebens,

Seh' das Traumbild meines Lebens,

Seh', was ich im Schilde führ»

Ich im Wappen an der Thür,

Von dem Goldsack blasonirt,

Mit Papieren kraus verziert,

Grand-Kordon und Lorbeerkron,

Huldigung, Dedikation,

Und weil ich gemalt seyn muß,

Seh' ich dort mich als Modell

Vor dem kühnsten Genius,

Der sein eigner Pegasus,

Der sein eigner Musenquell,

Schöpfer schier, kaum Kreatur,

Alles lernte von Natur.

Ja, ein solcher Geist haucht nur

Treu in ganzer Positur

Und ursprünglicher Figur

Meiner Grazie Formenzauber

Auf die Leinwand zart und sauber;

O wie duftig! wie moelleux!

Kunst, das ist die höchste Höh!»

 

Hierauf breitete er die Arme mit großer Innigkeit aus und sprach:

 

«Seyd umschlungen Millionen,

Diesen Kuß der ganzen Welt!

Schönste Psyche, o verschonen

Sie doch mein, ich hab' kein Geld,

Bin gerührt und alterirt,

Denn die Schildwach' präsentirt!»

 

Da brachte mir Sissi den Ring Salomonis durch das Loch heraus, ich steckte ihn in tausend Freuden an den Finger, drehte ihn und sagte voll Neugier:

 

«Ringlein sag' mir unversäumt,

Was der Petschaftstecher träumt!»

 

Und gleich sah ich, daß dem Petschierstecher Alles, was er im Schild führte, in einem prächtigen Wappen im Traume vorgestellt wurde. Ein Geldsack war der Helm, allerlei Papiere und Wechselbriefe die Helmzierde, er selbst stand voll Anstand in der Mitte, ein Genius krönte ihn mit Lorbeern, ein Andrer reichte ihm ein Ordensband, einer huldigte ihm mit Kleinodien, einer dedizirte ihm ein Buch; auch war das Sinnbild der Sternsehenden Wachsamkeit eine fette Gans vor seinen Füssen. Ganz unten aber im Wappen malte der geflügelte Genius der Kunst selbst den Schönsten der Sterblichen, denn ein Anderer hätte nie vermocht, einen so ursprünglichen Menschen aufzufassen. Nun aber öffnete sich plötzlich der purpurfarbichte Sammetkelch einer Kaktusblüthe und zwischen den weißseidenen Staubfäden schwebte eine feine Jungfer mit Schmetterlingsflügeln hervor an die Seite des Wappens hin; in der einen Hand hatte sie eine Zwiebelpflanze, mit der sie die Nase des Glücklichen berührte, in der andern trug sie eine antike Lampe, womit sie das Wappen beleuchtete. Er nannte sie Psyche. – An der andern Seite des Wappens erschien ein Grenadier, der das Gewehr präsentirte. – Ach, der gute Salzgraf träumte so selig, daß er mich schier dauerte; aber ich konnte ihm nicht helfen, ich mußte ihm aus dem Traum helfen; – ich drehte also den Ring mit den Worten:

 

«Salomon du weiser König,

Dem die Geister unterthänig,

Lasse diesen, wie die andern

Gleich als einen Esel wandern;

Schaff' auch einen Eseltreiber,

Der mir ihre faulen Leiber

Mit dem Prügel tüchtig rührt,

Und zum Vater Gockel führt.

Ringlein, Ringlein dreh dich um,

Mach's recht schnell ich bitt' dich drum.»

 

Und sieh da, gleich war der Esel fertig, und der Treiber stand schon bei ihm, trieb ihn mit einem Prügel aus dem Gartenhaus hinaus und mit den beiden Andern hieher. Ich aber drehte den Ring und wünschte bei euch zu seyn. Da war ich gleich hier in dem Hof und als ich euch in dem alten Hühnerstall so klagen hörte, wünschte ich, daß das Schloß wieder seyn möchte, wie es einst im höchsten Glanze bei unsern Vorältern gewesen; auch wünschte ich euch als schöne Leute in den besten Jahren und mich als eine schöne vernünftige Jungfrau, über die Puppen – wollt' ich sagen Kunstfiguren-Jahre hinaus zu sehen; zürnet nicht lieber Vater, aber der Gedanke an die Kunstfigur von Birkenreis kann mich noch jetzt erbittern.» – Gockel lachte und sagte: «Gackeleia dreh' den Ring nur noch einmal, um verständig zu werden, es steckt noch viel vom eigensinnigen Kind in der erwachsenen Jungfrau, du willst die Ruthe noch nicht küßen!» – da küßte Gackeleia ihm die Hand und fuhr fort: «Als nun Alles nach meinem Wunsche geworden war, schlich ich zu euch in den Hühnerstall und drückte mich in einen Winkel, um eure Ueberraschung recht zu genießen. Sissi aber wollte mit aller Gewalt unter die Puppe gebunden seyn, um euch zu wecken; da lief sie über euer Stroh und als ihr aufriefet: «die Puppe! die Puppe!» sagte ich:

 

«Keine Puppe, es ist nur

Eine schöne Kunstfigur.»

 

«Das Andre wißt ihr Alles.»

Nach dieser Erzählung umarmten Gockel und Hinkel die Gackeleia unter Freudenthränen und sagten: «Dank, tausend Dank, liebes Kind; du sollst zum Lohne deiner Güte nun auch den Ring immer am Finger haben, du sollst Alles wünschen, was du willst!»

Gackeleia sagte: «ich nehme es an, vor Allem wollen wir die drei Esel, welche im Hofe stehen mit Allem bepacken; was ich dem guten Mäusekönig versprochen habe und dann sollt ihr sehen, wie vernünftig ich wünschen will.»

Nun giengen sie hinab und wünschten, nachdem die Käse und die Schinken den Eseln auf den Rücken gepackt waren, den Königsberger Marzipan, den Thornischen Pfefferkuchen, die Jauerischen Bratwürste, die Spandauer Zimmetbretzeln, den Nürnberger Lebkuchen, die Frank-furter Brenten, die Sachsenhauser Kugelhupfen, die Mainzer Vitzen, die Gelnhausner Bubenschenkel, die Koblenzer Todtenbeinchen, die Liestaller Leckerli und die Botzener Zelten auch dazu, welche sich ohne Verzug einstellten und die Esel so belasteten, daß sie schier niederbrachen.

Als nun die Zeit kam, daß Prinz Speckelfleck und Prinzessin Sissi Abschied nehmen wollten, drehte Gackeleia den Ring Salomonis mit dem Wunsch, die Sprache der Mäuse zu verstehen, ohne grade zu schlafen, und dadurch ward die Unterhaltung jetzt ganz leicht. Gackeleia sagte: «Meine liebsten durchlauchtigen Freunde! Euer Abschied thut mir sehr leid, wir verdanken euch Alles; ich will es euch belohnen. Ihr habt gesehen was der Ring vermag; die Petschierstecher hat er in Esel verwandelt – so ihr es verlangt, soll er euch gleich in Menschen verwandeln, und ihr könnt für immer hier bei uns bleiben.» – Die beiden Mäuschen schauten sich ernsthaft an und dann erwiederte Sissi: «Gackeleia, du sagst ein großes Wort – aber lasse uns bleiben, was wir sind, wir wollen uns nicht von unserm Volke trennen, wolltest du auch unser ganzes Volk zu Menschen machen, wo wäre das Land, das sie fassen und ernähren könnte? o es gäbe Mord und Todschlag und Hungersnoth! nein, wir sind uns als Mäuse genug; uns bleibt Nichts mehr zu wünschen übrig, als daß wir, glücklich nach Hause gekommen, die Verschwörung Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog mit der Pulvertonne in dem herrlichen Monumente Gackeleioeum auf ewig eingemauert finden, daß wir unsre königlichen Eltern mit all den köstlichen Leckerbissen erquicken können und daß weder Papa noch Mama sich den Magen verdirbt. O die Einweihung des Monuments wird monumental werden! – o wie hinreißend wird Muskulus deklamiren! wie süß wird der edle Piloris duften!» – da fiel Speckelfleck ein: «und wie bezaubernd die holde Marquise Marmotte tanzen!» – Sissi aber that, als wenn sie ihn nicht hörte; und Gackeleia erwiederte: «Sissi! du sprichst sehr vernünftig, aber frage doch den anmuthigen jungen Igel, ob er vielleicht ein Mensch seyn möchte, er scheint mir melancholisch; – «ich glaube kaum,» versetzte Sissi», aber ich will es thun.»

Als hierauf Prinz Pfiffi und Prinzessin Sissi von ihren Freunden den zärtlichsten Abschied genommen hatten, befestigte Gockel den falschen Ring Salomonis dem Esel, der ihn nachgemacht hatte, als ein Andenken in das Ohr, heftete ihm seine Pudelmütze auf den Kopf und setzte die Mäuschen hinein, dann ließen sie durch die Treiber die drei Esel nach dem Mäuseland hintreiben und recht viele schöne Grüße ausrichten.

Als sie fort waren, sagte Gackeleia: «jetzt wollen wir auch einmal in unsre Schloßkapelle gehen und sehen, wie sie sich verändert hat.» Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als die Glocke zu läuten anfieng und sie in die Kapelle rief. Sie traten hinein und konnten sich nicht satt sehen, wie Alles so reinlich und festlich mit Blumen und Laubkränzen geschmückt war. Alle Wände und Steinbilder, das Grabmal des Urgockels und die Bilder aus seinem Leben waren wie neu, rein und polirt. Es war eine schöne Kanzel an der Seite und gegenüber eine Orgel mit einem stattlichen Organisten und seinen Blasebalgtretern. Mehrere kleine Jungen läuteten am Glockenstrang aus Leibeskräften. Ein Anderer lief mit Wasser und Sprengwedel umher und sprengte, daß es kühl sey. An einer Seite streuten weißgekleidete Mädchen Blumen, an der anderen standen Knaben hinter großen Sträußern versteckt. Aber es war doch keine rechte Kapelle, der Altar war auch nicht, wie zu Urgockels Zeiten, da waren keine Leuchter, keine Kerzen, kein Heiligthum. Der Ring Salomonis hatte sein Mögliches gethan; aber er kann nur Zeitliches, Natürliches, Künstliches, Weltliches, aber nichts Ewiges und Geistliches geben.

Als sie Alles mit Freuden betrachtet hatten, wurden sie durch den Anblick des Hahns auf dem Grabmal des Urgockels recht lebhaft an den guten Alektryo erinnert. Sie dachten an das Halsgericht, das Gockel hier gehalten. Frau Hinkel und Gackeleia schlugen die Augen nieder; da spielte auf einmal der Organist eine sehr rührende Arie: «Wie sie so sanft ruhn.» Es war ein gar feierlicher Moment. -

«Ach der edle Alektryo!» seufzte Gockel, «ich kanns nicht aushalten,» schluchzte Frau Hinkel, «ach wäre er nur wieder da!» – «Ei,» dachte Gackeleia, «dazu kann ich helfen» und drehte ganz still an ihrem Ring:

 

«Salomo du weiser König,

Dem die Geister unterthänig,

Mache meine Eltern froh

Durch den Hahn Alektryo;

Ringlein! Ringlein! dreh' dich um,

Mach geschwind, ich bitt' dich drum.»

 

Da hob sich ein Wölkchen auf der Stelle aus dem Boden, wo die Gebeine Alektryo's verbrannt worden waren, und wirbelte und ballte sich zusammen und ward wie ein Hahn und der Uralektryo auf dem Grabmal rührte sich, streckte den Hals, schlug mit den Flügeln und krähte durchdringend, und es fuhr wie ein Feuerstrahl aus seiner Kehle sichelförmig zu der kleinen Wolke nieder, die im Augenblick der alte kräftige Alektryo ward, auf Gockels Schulter flog, mit den Flügeln schlug und mit ritterlichem Krähen dem steinernen Hahn antwortete, worauf draußen in dem Hühnerhof alle Hahnen antworteten; es gieng wie ein Zurufen der Schildwachen von Hahn zu Hahn das Krähen umher.

Aller Freude über Alektryo war sehr groß, er selbst aber war tiefsinnig und nachdenklich, er meditirte. Da nun von allen Seiten die Hühner und Hahnen in die Kapelle hinein kamen, den Alektryo zu sehen, benutzte dieser die durch seine Wiedergeburt erschütterten Hahnenherzen und Hühnergemüther, schwang sich auf die Kanzel empor und hielt eine ganz erstaunlich ergreifende Rede über Familienglück und Kinderzucht, so daß auch kein Hühnerauge ohne Mitgefühl blieb, all das unten zuhörende Federvieh schluchzte und piepte ganz leise – der Organist accompagnirte gar lieblich mit einer melancholischen Arie: «Ach Schwester! die du sicher u. s. w.» Auch die raugräfliche Familie war sehr gerührt.

Als nun Alektryo am Schluße seiner Rede ausrief: «ist jemand unter den verehrten Anwesenden, der feierliche Verlöbniß oder Hochzeit zu halten wünscht?» – drehte Gackeleia den Ring, ohne zu wissen wie, und sprach ganz heimlich, ohne zu wissen was:

 

«Salomo du weiser König,

Dem die Geister unterthänig,

Bring' doch den Kronovus her

So ganz, wie von ungefähr;

Ringlein! Ringlein! dreh' dich um,

Mach' geschwind, ich bitt' dich drum.»

 

Da ertönten plötzlich Jagdhörner im Schloßhof. Gackeleia lief hinaus, als ob ihr der Kopf brenne, und sah das Prinzchen Kronovus in einem grünen Jagdröckchen von seinem Schimmelchen springen, und sie flogen sich einander in die Arme mit dem Ausruf: «Ach wie bist du so groß, bück dich!» – «Ach wie bist du so klein, streck dich!» Gackeleia aber drehte schnell den Ring hinter dem Rücken des Kronovus und wünschte, daß er so erwachsen und verständig seyn möge, als sie selbst, und sieh da, er ward es zusehends, worüber sie eine große Freude hatte. Da eilte sie mit ihm in die Kapelle, sein Jagdgefolge aber blieb in den Thüren stehen.

Gockel und Hinkel grüßten den Kronovus herzlich und dieser sagte sogleich, da sein Herr Vater Eifrasius und seine Frau Mutter Eilegia, das Zeitliche gesegnet hätten und mit Tod abgegangen seyen, erkläre er ihnen, daß, so sie ihm die Hand ihrer Tochter Gackeleia geben wollten, er sie zu seiner Königin von Gelnhausen zu machen Willens sey. Da alle Theile zufrieden waren, führten die Eltern das junge Paar zu dem blumengeschmückten Altar.

Indessen spielte und sang der Organist die schöne Arie: «Schönstes Hirschlein über die Maßen, hörst du nicht den Jäger blasen?» Alektryo aber schrie dreimal hinter einander von der Kanzel:

 

«Zum Verlöbniß hier sich melden

Die Hochachtbar Wohlbestellten,

Majestät Kronovus, König

Von Gelnhausen, oberthänig,

Mit der zarten Raugräfinn

Gackeleia, unterthänig,

Grafen Gockels Gau-Erbinn,

Wend't Niemand was dawider ein,

So sollen sie verlobet seyn!»

 

Kein Piepswörtchen von einer Einwendung ließ sich hören, als er aber zum drittenmal fragte: «wer wendet was dawider ein?» erschallte eine dumpfe Stimme, die alle erschreckte:

«Ich Urgockelio sag: Nein!»

Alles schaute das Bild des Urgockels an, Kronovus aber zog grimmig seinen Degen und schrie gegen den Grabstein:

«Wer wagt's und spricht ein Wort darein?»

Urgockel aber schlug mit der Ruthe auf das steinerne Abc-buch, daß es rasselte und sprach, die Augen wie ein erzürnter Schulmeister rollend:

 

«Gleich steck' mir ein den Flederwisch,

Sonst ich dich bei dem Fell erwisch'

Und lasse dir die Kunstfigur

Von Birkenreis recht tüchtig schmecken;

Kennst du sie nicht? die Braut frag' nur,

Sie wird dir, wie sie schmeckt, entdecken!»

 

Das plötzliche Reden des steinernen Urgockels brachte keine geringe Störung unter die hohen Anwesenden und deren Federvieh, Gackeleia hatte kaum das Wort «Kunstfigur von Besenreis» gehört, als eine glühende Röthe ihre Wangen überzog; aber sie sammelte sich augenblicklich und winkte dem Organisten, der in einem Spiegelchen Alles sah, was am Altare geschah, und dieser ließ plötzlich alle Pfeifen los und machte einen Tusch wie mit Paucken und Trompeten, so daß die ganze Drohung Urgockels nicht gehört ward. Indessen zog Gackeleia die Kunstfigur auf, gab ihr einen kleinen Klingelbeutel in die Händchen und ließ sie unter den anwesenden Hühnern herumschnurren, mehrere junge Hahnen aber, welche kein kleines Geld bei sich hatten, fiengen darüber zu schwätzen und endlich zu streiten an, und ein kleiner Junge nahm einen Sprengwedel und spritzte unter sie, daß sie mit großem Geschrei wegliefen, dazu schrie Alektryo fortwährend von der Kanzel, und Gackeleia war herzlich froh, daß man über all dem Spektakel die Worte Urgockels nicht gehört und Kronovus seinen Degen wieder eingesteckt hatte.

Als es wieder etwas ruhig geworden, rief Alektryo zum drittenmal:

 

«Wendt Niemand was dawider ein,

So sollen sie verlobet seyn!»

 

und aller Anwesenden Augen waren auf das Bild Urgockels gerichtete welches sprach:

 

«Ich segne euer Bündniß nur,

Wenn ihr gehalten euern Schwur,

Den ihr bei meinem Namen sprachet,

Als ihr beim Fest die Bretzel brachet,

Nur dann einander nie zu lassen,

Wenn die gebrochnen Stücke passen!»

 

Urgockel hatte aber diese Worte kaum ausgesprochen, als auch Gackeleia gleich aus ihrem Körbchen und Kronovus aus seiner Jagdtasche, die Hälfte der Bretzel und des Bubenschenkels hervorzogen und zusammenhielten; und die Bruchstücke paßten so scharf zusammen, als ob sie eben jetzt erst gebrochen wären. – Sie entschuldigten sich nicht, daß sie ihr Gelübde in der Freude des Wiedersehens vergessen hatten, aber sie wurden bei den Worten Urgockels roth bis über die Ohren und sahen ganz blöd vor sich hin, weil sie sich beschämt fühlten.

Bei dieser feierlichen Handlung herrschte eine allgemeine Stille, man hörte nichts als das Glöckchen am Klingelbeutel, den die Kunstfigur herumtrug. Urgockel aber streckte seine steinerne Hand hervor und segnete Kronovus und Gackeleia mit den Worten:

 

«Wie die beiden Hälften Eines,

Trenne sich vom Andern Keines;

Und in euren Wappenschilden

Sollt in einem Myrthenkranz

Ihr im goldnem Feld abbilden,

Glänzend, unverletzt und ganz,

Bretzel und auch Bubenschenkel

Zum Gedächtniß später Enkel.

Zwei gekrönte Mäuschen fein

Sollen die Schildhalter seyn;

Unter'm Schild am Ordensband

Hänge als der Treue Pfand

Des Kronovus buntes Ei,

Worauf Vivat Gackelei.

Auf des Schilds zwei Helmen stehen

Königskrone, Grafenkrone,

Und Alektryo mit Krähen

Auf der Königskrone throne

Und ein starkes Nest behüte,

Worin Frau Gallina brüte.

Auf der Grafenkrone Rand

Schweb' in purpurnem Gewand,

Hebend mit der kleinen Hand

Hoch des Glückes Unterpfand,

Salomonis Siegelring,

Jenes liebe Wunderding,

Keine Puppe, sondern nur

Eine schöne Kunstfigur!»

 

 

Nach diesen Worten zog Urgockel seine Hand wieder zurück und war ein unbeweglicher Grabstein wie zu vor. Der Organist aber sang eine schöne kunstfigurirte Arie, wozu Menschen und Federvieh einstimmten und die Glocken läuteten – denn sieh, ein merkwürdiges Ereigniß hatte den Bund bekräftiget, die beiden Stücke der Bretzel und des Bubenschenkels waren fest und wieder Eins geworden, als seyen sie nie getrennt gewesen. – Gackeleia aber drehte den Ring mit dem Wunsche das Wappen möge nach dem Willen Urgockels fertig seyn und sogleich stand es auf einer schönen Fahne neben der Orgel.

Schon wollte man sich ordnen mit der vorgetragenen Fahne in den Speisesaal zu ziehen, als Gackeleia an den goldnen Hahn, die goldne Henne, das Geschenk von Salomo und der Königin von Saba gedachte, das sonst bei jeder Hochzeit in Gockelsruh im Brautzug getragen worden. Schnell drehte sie den Ring und wünschte, dieses Kleinod möge sich im Schatze der Kapelle befinden und in ihrem Zuge getragen werden. – Da trat ein Jüngling und eine Jungfrau, beide in morgenländischer Tracht, herrlich geschmückt in die Kapelle vor eine eiserne Thüre in der Wand, die mit Rasseln aufsprang. Da sah man die beiden Brautgeschenke schimmernd stehen. Sie nahmen sie heraus und präsentirten sie dem Brautpaare, welche sie auf den Altare stellten und mit großer Freude anschauten. – Indem nun Alektryo von der Kanzel das Bild der brütenden Gallina in der goldnen Henne erkannte, schlug er mit den Flügeln und krähte gar wehmüthig. Gackeleia verstand seine Sehnsucht und drehte den Ring, auch die gute Gallina möge wieder im Kreise ihrer Lieben verweilen. Da hob sich ein Wölkchen auf dem Grabstein, wo die Gebeine Gallinas und ihrer Jungen verbrannt worden, wirbelte, drehte, ballte sich und ward zum großen Erstaunen aller Anwesenden Hühner, denen die Federn darüber zu Berge stiegen – Gallina; Alektryo unterbrach seine ernste Rede und flog von der Kanzel zu seiner Gefährtin nieder, die er freudig begrüßte; aber Alektryo besann sich, flog wieder auf die Kanzel, bat die Anwesenden um Vergebung, daß er von der Freude des Wiedersehens hingerissen, ihre ernsten Betrachtungen unterbrochen habe und forderte abermals jene sich zu melden auf, welche sich zu vereinigen gedächten.

Da trat die Primadonna von Gelnhausen in die Kapelle und da der Organist eben die Fuge anstimmte:

 

«Laurentia, schönste Laurentia mein,

Wann werden wir endlich vereiniget seyn?»

 

wollte sie künftig die Fugen nicht mehr Solo singen, sondern mit ihm, da sie aber sich immer mit dem Gesang einander flohen und nachließen, ohne jemals sich zu vereinigen und ihr Zusammensingen eine Fuga perpetua, eine immerwährende Flucht war, und da der gräfliche Erztruchseß hereintrat, vermeldend, daß bereits servirt sey und bei längerem Verziehen das Fett am Hammelsbraten leicht gerinnen könne, so ordnete sich der Brautzug die Kapelle zu verlassen.

Man hatte die Wappenfahne bereits in Bewegung gesetzt, die Träger der Braut-Henne und des Braut-Hahnes hielten bereits diese Reichskleinodien auf purpurnen Sammtkissen vor ihrer Brust, und Kronovus und Gackeleia wollten so eben von den Stufen des Altares herabsteigen, als Urgockel auf dem Grabstein sich abermals sehr heftig bewegte und mit drohender Stimme sprach:

 

«Wohl ist das Sprichwort wahr gestellt:

Undank ist stets der Lohn der Welt,

Undank ward dem Alektryo,

Undank dem Urgockelio.

Ich habe euch den Ring geschenkt,

Doch ist hier Niemand, der mein denkt,

Ich muß euch Ringe wechseln sehn

Und Keiner will den Ring mir drehn,

Ich stehe hier auf meinem Stein -

Verlassen, einsam, ganz allein,

Und draußen bei der Linde ruht

Mein edles Weib, Urhinkel gut,

Sie wählte diesen Ort zum Grab,

Weil ich sie dort errettet hab'.

Drei Lilien stehn auf ihrer Gruft

Und senden Weihrauch in die Luft;

Wenn ein Geschick vorübergeht,

Ihr Geist bei diesen Lilien steht,

Mit denen er zum Himmel fleht'

Und Gott erhöret ihr Gebet.

Die Lilien leuchten dann zumal,

Die Sterne senken Strahl um Strahl

In ihre reinen Kelche ein;

Auch schweben schöne Engelein

In sie hinein und singen fein;

Das höret Alles klar und rein

Urhinkel an und stimmt mit ein

Und läßt das weiße Schleierlein

Im Sternenschein, im Mondenschein,

Hin spielen in den Lüftelein;

Ich aber muß hier einsam seyn

Und recht in meines Herzens Pein,

Wie's Kindlein nach dem Mütterlein,

Nach dem Urhinkel draußen schrein:

O laß doch den Urgockel dein

Nicht so allein, allein, allein!

Du plauderst draußen mit der Lilie,

Vom Thau berauscht im Sternenschein,

Mich hüllt hier trocken ohne Familie

Der alte kalte Epheu ein.

Urhinkel komm! ich rück' zur Seite,

Du bist ja Bein von meinem Bein,

Es ist vollkommen für uns Beide

Raum, Licht und Luft auf diesem Stein.»

 

Dann schaute Urgockel das Brautpaar sehr gebieterisch an und fuhr fort:

 

«Was euch ist recht, das ist mir billig,

Ihr wollet zwei und zwei hier seyn,

Und drum in Zukunft nicht mehr will ich

Das ein mal eins hier seyn allein;

Dreh, Gackelei den Ring und führe

Die Ahnfrau her mit Sang und Klang;

Bleibt Wahrheit immer vor der Thüre,

Wird Zeit und Mährchen stäts zu lang.»

 

Gackeleia, welche großes Mitleid mit dem Urgockel hatte, drehte den Ring Salomonis schnell, schnell mit dem Wunsche, die Gebeine der Frau Urhinkel möchten aus dem Grabe unter der Hennenlinde erhoben und Alles bereit seyn, um sie in die Gruft Urgockels beisetzen zu können. Als sie nun aus der Kapelle hinausgezogen waren, fanden sie Alles folgendermassen geordnet; im Schatten der Hennenlinde um das Hennenkreuz standen bei den Lilien drei schneeweiß gekleidete Klosterjungfrauen und mitten zwischen ihnen schwebte der Geist der Frau Urhinkel von Hennegau in einem schneeweißen, schimmernden Gewand; ihr von langen schwarzen Locken umströmtes Haupt war über einem weißen Schleier mit weißen Rosen gekrönt, auf ihrer Schulter saß eine weiße Henne, in der einen Hand hielt sie eine goldne Spindel, in der andern ein feines leuchtendes Brod. Ihr Angesicht war nicht irdisch schön, aber von einer himmlischen Liebe und Freundlichkeit übergossen, man konnte nicht aufhören, sie anzuschauen, ihr Blick war eine segnende Verbindung von Thau und mildem Sonnenlicht. In kleiner Entfernung von ihnen war das Grab der Ahnfrau eröffnet und stand neben demselben ihr irdisches Kleid im Sarge auf einer Tragbahre; nicht weit von diesem aber bei jenen Kräutern, die bei dem Begräbniß Gallina's so großes Beileid bezeugt hatten, stand die Erscheinung von acht altfränkisch festlich gekleideten Jungfrauen, sie waren mit Kräutern bekränzt und mit einem Orden an amaranthfarbigem Band geschmückt. Eine jede trug ein schönes Huhn in einem Körbchen unter dem Arm. Sie blickten alle mit dem Ausdruck ernster Freude und Rührung nach dem Geiste und dem Leibe der Ahnfrau und waren in einer lieblich schwebenden Bewegung. Sie schienen Etwas zu erwarten, die Tragbahre war mit einer tiefrothen Sammtdecke, worauf das Hennegausche Wappen in Gold gestickt, bedeckt. Auf dieser Bahre stand nun der offne Sarg, worin die liebste Frau Urhinkel ruhte; aber welch ein seltsamer Sarg! es war ein langer Gitterkorb von Zypressen und Myrthenzweigen geflochten und mit erstaunlich vielerlei Blumen durchschlungen, welche durch ihre Namen und Bedeutungen ausdrückten, wie sehr die Todte von den Armen geliebt worden war, die ihr den Sarg geflochten und ausgeschmückt hatten und ihrer Leiche gefolgt waren. Gackeleia hatte oft von dem Blumensarg ihrer Ahnfrau erzählen hören. Es gab ein Mährchen davon in der Gockelschen Familie, das man den Kindern erzählte, um ihnen Milde gegen die Armen einzuflößen. – Nun sah sie diesen Blumensarg vor ihren Augen; aber er war ganz welk und verdorrt. – Sie wollte um Alles in der Welt den Blumensarg wieder in seiner ganzen Schönheit sehen. So drehte sie dann den Ring Salomonis mit den Worten:

 

«Salomo, du weiser König,

Dem die Geister unterthänig,

Lasse neu den Sarg verzieren

Mit des Dankes Blumengaben;

Wolle uns vorüber führen

Alle Armen, alle Kinder,

Die den Sarg gewebet haben;

All der Liebe Kränzewinder,

Die in Blumen einst begraben

Dieses Herz, den Trost der Kinder.

Sende all die Kronenbinder,

Jene Blumen einzusammeln,

Jene Kräuter, jene Halmen,

Deren Namen Wünsche stammeln,

Deren Namen Dankespsalmen,

Süße Grüße, Wohlgefallen,

Wie unschuldige Kinder lallen.

Um das Bettlein, wo in Frieden

Ruht das ird'sche Kleid der Braut,

Die vom Leib der Zeit geschieden,

Ward dem ew'gen Geist getraut,

Werde von dem Dank hienieden

Neu ein Blumenzelt gebaut.

Schmücket neu dies Herz mit Blüthen,

Liebeswerke, die drin glühten,

Daß die Blumen, Erdensterne,

Zeitlich hier den Leib umkränzen,

Wie des Himmels Blumen, Sterne,

Ewig dort den Geist umglänzen;

Ringlein! Ringlein! dreh dich um,

Schmück' den Sarg, ich bitt dich drum!»

 

Auf diese Worte Gackeleias ertönte ein leiser, ungemein reiner und lieblicher Gesang von den drei Lilien her, welche zu Häupten des Hennenkreuzes standen:

 

«O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!»

 

Nach diesen Stimmen nahte hinter der Linde hervor von beiden Seiten eine gar rührende Prozession von Greisen, Männern, Frauen, Jünglingen und Jungfrauen, Knaben und Mägdlein, ja Säuglingen auf den Armen der Mütter. Alle waren sie durch Kränze und Gewinde der manichfaltigsten Blumen und Kräuter verbunden, die sie in der einen Hand hielten, während sie in der andern an weißen Stäben schimmernde Fahnen trugen und rings um Frau Urhinkel aufpflanzten. Diese Fahnen aber bestanden aus nichts anderm, als aus Hemden, Strümpfen, Röcken, Wämsern und besonders aus vielen allerliebsten, kleinen Kindermützchen, welche Frau Urhinkel mit eigenen Händen verfertigt hatte, um die Armen damit zu bekleiden. Alle die Kleidungsstücke schimmerten wie Silber und Gold und was mit großem Fleiße, mit großer Liebe und Ueberwindung genäht war, das war wie mit Edelsteinen und Perlen ausgeziert. Es waren die Werke der Frau Urhinkel, welche ihr nachfolgten. Als nun alle diese Siegsfahnen um die liebe Seele aufgepflanzt waren, zogen die Geister der Armen, welche sie durch milde Austheilung der Gaben Gottes vor Noth, Verzweiflung und Verbrechen gehütet und als dankbare Kinder in das Haus des Vaters geführt hatte, hin zu dem Sargkorbe, worin der Leib ihrer Wohlthäterin ruhte, und verwandelten ihn mit allen ihren Laubgewinden durchflechtend in ein Schiff von Blumen. Die guten, dankbaren Seelen schmückten das Ruhebettlein der Ahnfrau mit allem Danke, aller Liebe, die sich durch Blumennamen aussprechen lassen, und als der Blumensarg neu erblüht war, brach Gackeleia freudig in die Worte aus: «o das ist eine schöne Leichenrede, das sind keine rednerischen Blumen, das ist eine Blumenrede, mir ist, als spräche ich selbst so, wenn ich diese Blumengewinde ansehe; denn was die Blumen heißen, das sind sie mir!»

«Ja, liebe Ahnfrau, da ist Augentrost für dich, welche alle Thränen getrocknet, Liebäugelein für dich, weil du alle Arme so lieblich anblicktest, brennende Liebe mit den granatrothen Blumen, weil dein Herz von Nächstenliebe geglüht; Thymian, das gewürzige Demuthkraut für dich du Demüthige; Ehrenpreis für dich du aller Ehren werthe; Engelsüß und Engelblume sprechen: «du süßer milder Engel in aller Noth! – O du Herzblümlein, du Herzenstrost, du Herzensfreude flüstern drei andre Blümlein; – du Honigblümchen, je länger je lieber hatten wir dich, sagen andre. – Wie viele stammeln mit Kinderaugen, «Vergiß mein nicht.» – Das Schlafkräutlein spricht: «schlummere süß» – und das Fühlkraut: «rühr mich nicht an.» – Das Mollenkraut, das Wunderbäumchen, Palme Christi säußelt um dein Haupt. – Das Herrgottsbärtlein weht durch deine Locken. – Die Passionsblume schaut dich an – ruhe sanft lieb Denkeli – an deinem schattigen sonnigen Herzen, du Liebstöckel, blühet dein Herzgespann, das demüthige Sophienkraut, das Sonnenbräutlein, der Sonnenthau füllt ihm die Löffelchen seiner Hände, im tiefsten Schatten, wie in glühender Sonne heilend und erquickend. Dem lieben Herzen, dem es nahe ist, müssen die Feinde vergeben, wie es ihnen vergiebt, alle müssen es lieben, kein Zauber kann es kränken, selbst der eigne nicht. – O schlummre selig, der Engeltrank dir Wohl verleih! – Sey Wohlgemuth, Gottes Gnade, Gottes Hülfe, Gottes Heil sind mit dir. – Zum Himmel kehr dich du Sonnenwende. – Wandle träumend durch den Himmelsthau zu dem Kreuzblümlein, dem Jesusblümlein. – Der Heiland legt den Himmelsschlüssel in deine Hände – Du ewige Blume. – Gotteshülfe sey dir ewig grün. – Tausendblättchen hast du reine, feine Garbe voll Heilkraft – und Floramor, Tausendschön, die purpursammtne Amaranthe schimmert dich an, daß dir das Herz lacht u. s. w. – Wer kann alle Liebe aussprechen, welche die Blumen stammelten? – Zu ihren Füßen deutete die Jerusalemsblume, die feurige Liebe, die Mannstreue auf die Liebe und Treue Graf Gockels. Alle diese Blumen waren von vielen weißen Rosen durchflochten und an den Ecken des Sarges ragten Lilien hervor, und beide wußten nichts freudigeres zu sagen, als, «sie liebte uns.» In der Hand hatte die liebe Todte einige Heilkräuter, einen Strauß von Schlüsselblumen, Chamomillen, Melissen, weißen Nesseln, Lindenblüthe und Orangenblättern. – Ein Monatröschen, das sie lange gepflegt, blühte in einem Körbchen an ihrer Seite. – Die ganze sprechende Blumendecke des Sarges war von einer immergrünen Epheuranke übersponnen, welche an dem Kreuze zu Häupten des Sarges hinanrankend sagte: «immergrün ist meine Treue, wer will mich trennen von meiner Liebe, ich halte ihn und lasse ihn nicht. Wer ist treuer als ich? selbst von der Wurzel getrennt, lasse ich nicht von dem, was ich umarmte, und grüne und lebe klammernd an meiner Stütze. Mit ewigem Grün umschließet die Treue die Asche der Todten und bindet die Scherben der Urne; denn losgerissen würde sie sterben. Selbst den gefallenen Stamm umgrüne ich. Seit ich lebe, ringe ich aufwärts, nicht aus eigener Kraft, sondern getragen von zuvorkommender Gnade, die ich dankbar mit den Wurzeln meiner Zweige erfaße. – Weil ich barmherzig den nackten Fels bekleide, decket die ewige Liebe meine eigne Armuth und trägt mich aufwärts mit den Barmherzigen, die sie selig spricht; auf daß ich aufsteige aus der Wüste, gestützt auf den Geliebten überfließend von Beglückungen.» – Solches und vieles andere stammelten die Blumen und Kräuter, womit die Geister der dankbaren Armen, denen Frau Urhinkel alle Barmherzigkeit erwiesen hatte, ihren Sarg von neuem schmückten. – Als sie den Sarg geschmückt hatten, zogen sie sich zu beiden Seiten der Frau Urhinkel zurück, erhoben ihre Fahnen wieder und traten in den Hintergrund.

Alles das sahen Gockel, Hinkel, Gackeleia und Kronovus ganz still mit tiefer Rührung an und nun sprach Gackeleia: «das also ist der schöne Blumensarg unsrer Ahnfrau von dem du mir so oft erzählt liebe Mutter, daß die Engel die Blumen dazu im Himmelsgarten gepflückt?» – da erwiederte Frau Hinkel: «Ja, und er ist noch viel schöner als ich wußte, denn die Engel waren die Armen, die sie in den Himmel durch ihre Liebe geleitet und der Himmelsgarten war der Garten ihres liebvoll barmherzigen Wirkens und alle die Blumen und Kräuter waren ihre Liebeswerke. Sie hat mit der Gnade Gottes ihren Garten selbst gebaut!» – Da sprach Gockel: «Hier kann man wohl sagen, unsere Werke folgen uns, und wie man von Kummer und Bösem sagt, das ist ein Nagel in meinen Sarg, kann man wohl von allen Werken der Liebe sagen, sie sind Blumen auf meinem Grab, o wer sollte sich nicht einen solchen Garten zu bauen wünschen!» – «Ach,» sprach Kronovus, «du mußt helfen Gackeleia, wir wollen fleißig im Garten arbeiten.» Gackeleia hatte Thränen in den Augen und nickte still.

So standen sie und sahen den Leib der Ahnfrau an, der ernst und ehrwürdig und doch so lieblich mit seinem Brautkleid in dem Blumenbettchen ruhte. Keine Spur von Verwesung entstellte die rührende Gestalt. Sie war ganz dieselbe, wie man sie in dem Grafensaal in Gockelsruh als Braut gemalt sah, nur noch weiser, noch reiner. Das edle, kluge Haupt trug die Grafenkrone über einen Kranz von Amaranthen, der die reichen mit Perlen durchflochtenen Locken umfieng und ruhte mit geschloßnen Augen, wie das Antlitz eines schlummernden Heldenkindes, auf einem runden goldnen, mit Rubinen verzierten Polster, das sie gleich einem Heiligen Schein umleuchtete; die eine Wange jedoch lehnte etwas zur Seite geneigt an einem Kissen von der feinsten schneeweißen Leinwand. – «Kennst du das kleine Kissen?» fragte Frau Hinkel die Gackeleia und diese antwortete: «o gewiß, davon hast du mir ja auch erzählt, wie von dem Blumensarg; die Gräfin Amey von Hennegau spann so fein, so fein, webte so fein, so fein, und trocknete mit ihrem Linnen die Thränen der Armen; weil aber noch so fein gesponnen, endlich doch kömmt an die Sonnen, so haben ihr die Armen dieses Linnen an der Sonne mit Thränen des Dankes gebleicht. Sie theilte aber Alles mit ihnen und so auch dieses Linnen; da haben dann die dankbaren Armen ihr aus ihrem Theil ein Brauthemd und ein Todtenhemd genäht, und da noch ein Stückchen übrig blieb, verfertigten sie dies kleine Kissen daraus und nähten den Spruch darauf. «ein gutes Gewissen ist das ruhigste Kissen.» Es kamen aber alle Vögelein, denen sie von Jugend auf ihre Brosamen ausgestreut hatte, herangezogen, und rupften sich selbst aus Dankbarkeit die zartesten Flaumfederchen aus der Brust in das Kissen, bis es recht weich und reichlich gefüllt war. Diese Gaben verehrten sie der lieben Wohlthäterin als Brautgeschenk und sie nahm sie mit in den Blumensarg.» – «Du weißt Alles noch recht schön,» erwiederte Frau Hinkel, «sieh, zum Andenken dieses so ehrenvollen Ereignisses haben auch alle Jungfrauen und Frauen unseres Stammes in ihrer Ausstattung zwei solche Hemden und ein solches kleines Kissen, welche von den Armen verfertigt werden müssen und dieser Theil der Ausstattung heißt die Armen-Linnen-Spiegelgabe, weil wir uns an der Milde unsrer Ahnfrau spiegeln sollen.»

«Ach,» sagte Gackeleia, «es ist schwer den Blick von dem lieben Angesicht zu trennen, es ist so ehrwürdig, so ernst wie eine Sybille, welche Schicksale träumt, so liebvoll sorgend und warnend wie eine fromme Mutter, und auf der sinnenden Stirne ruht der Friede besiegter Leiden, und wenn ich ganz bewegt bin und die Thränen mir in die Augen treten wollen, lächeln mir ihre Wangen und ihre Lippen so kindlich entgegen und es ist mir, als küße mir ein Kind die Thränen von den Augen und streiche mir tröstend die Locken von der Stirne.» – Da sprach Gockel: «Kind, du hast ein gutes sicheres Aug, was du sagst, muß wohl so gewesen seyn. Sieh, darum hat das liebe Herz, die gute Ahnfrau auch schon als Jungfrau den Hennegauschen Mägdlein-Orden der freudig-frommen Kinder gestiftet, dessen höchster Grad hier im Sarge ihre Brust bedeckt. Es ist derselbe Orden, den Mutter Hinkel und auch du jetzt trägst.