BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Romanzen

vom Rosenkranz

 

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Romanze V

Guidos Bild

 

Welch Getümmel in der Ferne,

Welche wilde, freche Stimmen?

Ach, ich höre Degen wetzen,

Höre böse Klingen klirren!

 

Näher, näher um die Ecke,

Ganz von Fechtenden umringet,

Weicht Meliore, mit dem Degen

Hebt er künstlich auf die Stiche.

 

«Freistatt!» ruft er dann befehlend,

Springend nach Mariens Bilde,

«Diese Zuflucht müßt ihr ehren!»

Und sein mutger Ruf gelinget.

 

Denn ein Angesehner stellet

Sich an seiner Gegner Spitze.

«Wackre Knaben, meine Herren,

Lassen Sie uns hier besinnen,

 

Fromm und höflich unsre Degen

Senken und fein salutieren,

Höflich schöner Frauen wegen,

Fromm vor dem Marienbilde!

 

Daß Meliore eingestehe,

Daß uns Zucht und Sitte bindet,

Wie für Wissenschaft gesehen

Er die raschen Klingen blinken.

 

Darum will ich mit ihm reden,

Unsern Streit nun auszumitteln!»

Sprichts's und tritt dem Feind entgegen,

Den die ganze Schar umzingelt.

 

Doch an den Altar gelehnet,

Lauscht Meliore auf zur Linde,

Er hat allen Streit vergessen,

Denn er hört Biondettens Stimme.

 

Jener aber spricht: «Mein Bester,

Keine Wahrheit ist zu finden

Hier in diesem bunten Leben,

Darum laßt uns Frieden stiften!

 

Und da Liebe nur im Sterben

Kann gefunden» ... «Stille, stille!»

Spricht Meliore, «ach, es wehet

Auch kein Lüftchen in der Linde!» –

 

«Willst du's kurz?» fragt dann der Redner.

Und Meliore spricht ergimmet:

«Schweigt sie, magst du ewig reden,

Schweige ewig, wenn sie singet!»

 

Jener spricht, zurück sich wendend:

«Schweigen sollen wir, sie singet!»

Aber in dem Kreis erheben

Heftig schreiend sich die Stimmen:

 

«Er soll gleich zurück jetzt nehmen,

Was er Apo sprach zum Schimpfe;

Laßt uns mit dem Degen wetzend

Überlärmen seine Dirne!»

 

Und ein frecherer Geselle

Schreit hinauf: «Ha! schweig sie stille,

Heilge Jungfrau, um die Wette

Wollen wir mit ihr eins singen!»

 

Aber wütend an der Kehle

Packt Meliore ihn und ringet

An den Boden hin den Frevler,

Und es heben sich die Klingen.

 

Alle dringen ihm entgegen;

Auf den Altar fliehend springet

Nun Meliore, sich das Leben

In der heilgen Freistatt fristend.

 

«Seinen Mantel werfe jeder

Nieder, der zu fechten willens,

Jedes Klinge will ich messen,

Dem ich Ehre abgeschnitten;

 

Und da vor so vielen Gegnern

Ich wohl keine Rettung finde,

Darum laßt zu Gott mich beten

Nur noch wenge Augenblicke!»

 

Eine tiefe Stille ehret

Seine Bitte, und er kniet;

Und von zwölfen breiten elfe

Ihre Mäntel um die Linde.

 

Wie zwei aufgeschreckte Rehe

In gehemmter Flucht erzitternd

Stehn die Jungfraun stumm am Fenster,

Niederblickend durch die Linde.

 

Als Meliore sie ersehen

Ruft er aufwärts: «Wenn ich sinke,

Liebesengel, Todesengel,

Bete für mich, wenn ich sinke!»

 

Und nun springt er an die Erde,

Seinen Rücken deckt die Linde,

Zierlich grüßt er mit dem Degen

Jeden in dem weiten Ringe.

 

Doch zuerst tritt ins Gefecht

Den er niederwarf im Grimme,

Und in tiefen Ängsten schwebend

Stehn die Jungfrauen und singen:

 

«Gott und Vater, soll er sterben,

Lasse seinen Zorn sich stillen,

Daß er möge Heil erwerben

Um Herrn Jesu Leiden willen!

 

Gott und Sohn! Schirm den Gerechten,

Decke ihn mit deinem Schilde,

Lasse ihn mit Ehren fechten

Hier vor deiner Mutter Bilde!

 

Heilger Geist, das Herz erhelle

Ihm, dem frommen Schwertumklirrten,

Daß der böse Feind nicht stelle

Schlingen dem im Streit Verwirrten!

 

Und Maria, Mutter, helfe,

Daß er seinen Judas finde,

Denn hier stehen wieder zwölfe,

Wie bei deinem heilgen Kinde!» –

 

«Gleiche Rechte, gleiche Rechte!»

Ruft der Gegner, «Brüder singet!

Hat er sich Musik bestellet,

Laßt mir auch ein Lied erklingen!»

 

Und es bricht aus vollen Kehlen

Ein Gesang mit wildem Grimme;

An den stillen Mauern brechen

Widergellend sich die Stimmen:

 

«Blanke Jungfern, blanke Degen

Muß man küssen, muß man schwingen;

Der Schwertfeger weiß zu fegen,

Sind sie rostig, unsre Klingen!

 

Wenn der Metzger Messer wetzet,

Muß sein Weib ein Lied ihm singen,

Und das Kalb, vom Hund gehetzet,

Hilft sie leichter ihm bezwingen.

 

Wetzt, ihr Brüder, wetzt die Degen,

Weil die schöne Jungfer singet,

Weil das Kalb sie uns entgegen

Singend aus dem Stalle bringet.

 

Blanke Jungfern, blanke Degen,

Muß man küssen, muß man schwingen;

Der Schwertfeger weiß zu fegen,

Sind sie rostig, unsre Klingen!»

 

Und schon mehret sich die Menge,

Hergelockt aus allen Winkeln,

Und es drohet aus der Ferne

Schon der schwere Tritt der Sbirren.

 

Von dem wilden Sang erwecket,

Kam nun Apo auch zu Sinnen,

Der in seiner Weisheit Netzen

Hing wie eine giftge Spinne.

 

Und kaum trat er auf die Schwelle,

Nähert sich der heilgen Linde,

Als ein Lebehoch entgegen

Ihm von allen Lippen dringet.

 

Aber vor ihm fliegt ein Degen,

Senkrecht in die Erde dringend,

Den Meliore seinem Gegener

Kräftig aus der Faust legierte.

 

Und Apone fragt verlegen:

«Wer hat diesen Gruß geschicket?»

Und Meliore spricht: «Vergebet,

Es ist meines Gegners Klinge.

 

Nicht um Ehre, noch um Leben

Fecht ich hier, bloß um die Klinge:

Diese euch zu Füßen legend,

Wählt mein Glück euch selbst zum Richter.

 

Und ich reich euch meinen Degen,

Weil ich kann mit beßrer Sitte

Weder rechten hier, noch fechten!»

Spricht Apone – «Werdet stille!

 

Denn es ist ein schwerer Frevel,

Jetzt Tumulte anzuspinnen,

Da der ganze Staat sich trennet

In zwei feindliche Partien.

 

Wer jetzt offnen Lärm erreget,

Gleicht der Krähe, welche pickend

Auf dem hohen Alpenschnee

Anstoß gibt zu den Lawinen,

 

Die sich wälzend mächtig schwellen

Und verderbend niederdringen,

Mit des kalten Eises Decke

Städt und Dörfer überrinnend.

 

Übt ihr also meine Lehre,

Die euch auf die stolze Spitze

Höhrer Anschauung gestellet

Der Natur und der Geschichte?

 

O, ihr kramt noch im Elenden,

Streitend um gemachte Lichter,

Ihr, die ich so frei gelehret

Mit den Sternen umzuspringen!

 

Wollt ihr hier die Gieremei

Und die Lambertazzi spielen,

Die blind gen einander fechtend

Töricht hier ihr Blut vergießen?

 

Welcher Jammer könnt entstehen,

Wenn, in euern Lärm sich mischend,

Die argwöhnenden Geschlechter

Sich erblickten und erhitzten?

 

Und schon seh ich allerwegen

Müßig Volk heran sich ziehen.

Stecket ruhig ein die Degen,

Tretet um mich bei der Linde.

 

Wer war unter euch zugegen

Und nicht in den Streit verwickelt?

Er soll treulich das Entstehen

Dieses Kampfes mir berichten.»

 

Aufgefordert naht der Redner,

Beißt rhetorisch sich die Lippe:

«Meister, deine Weisheit ehrend,

Preis ich selig mein Geschicke,

 

Daß mir ward ein großer Lehrer,

Der mich lehrte Frieden stiften.

Früher schon war mein Bestreben,

Diesen Zwiespalt zu vermitteln.

 

Doch mir war der Wind entgegen,

Der hier weht durch diese Linde,

Und die reizende Sirene,

Die in diesen Meeren singet.

 

Er verachtete mein Reden,

Und mit frecher Hand beschimpfte

Jenen er, der von Biondetten

Eine Pause wollt erzwingen.

 

Aber nicht um eigne Ehre

Hat der Kampf sich so erhitzet;

Herr, es galt um deine Lehre,

Die er traf mit giftgem Witze!»

 

Also schloß der falsche Gegner. –

Apo spricht: «Nun ins Gesichte

Wiederhole mir die Reden,

Knabe, die du sprachst zum Schimpfe!»

 

Doch Meliore hat vergessen,

Daß er stehet im Gerichte;

Er gedenket an Biondetten,

Wie sie sang die Totenhymne.

 

Was sie fromm für ihn gebetet,

Als er flehend zu ihr blickte,

Fühlt er schon als Himmelssegen

Sich durch alle Adern rinnen.

 

Wie in geisterfüllte Segel

Blickt er ins Gewölb der Linde,

Freudig stößt er ab die Erde,

Hin nach schönrer Heimat dringend.

 

Aber wie am Sterbebette

Rechnend gern der Teufel sitzet,

Zerrt ihn nun Apones Rede

Vom Unendlichen zur Ziffer.

 

«Meister, was Ihr habt begehret,

Laßt mich gütig nochmals wissen,

Sagt mir's schnelle, denn die Schwelle

Meines irdschen Hauses zittert.»

 

Apo spricht: «Was meiner Ehre,

Meiner Lehre du zum Schimpfe

Sprachst, des Streites freche Quelle,

Sollst du in den Bart mir spritzen!»

 

Und Meliore spricht: «Vollendet

Hatte Guido grad, der Bildner,

Ein Gemälde voller Schrecken

Und zur Schau es ausgestellet.

 

Wie Aglaure und die Schwestern

Wild vom Wahnsinn sind ergriffen,

Kniend um den Korb Athenes,

Den sie treulos aufgerissen.

 

Giftig aus dem Korbe strecken,

Um das Kind Erechtheus ringelnd,

Sich zwei Schlangen, und Entsetzen

Packt die törichten Geschwister.

 

Um den Busen will sich Herfe

Gürtend eine Schlange winden,

Und es steigt ihr Haar zu Berge,

Denn das Tier hängt an dem Kinde.

 

Und Aglaurens Fäuste treffen

Rasend ihre eigne Stirne,

Während Krampf die Füße hebet

Und zu wilden Sprüngen zwinget.

 

Und Pandrosa zuchtvergessen

Hat sich das Gewand zerrissen;

Antlitz, Busen, Schoß und Lende

Sind ein Spiegel der Erynnen.

 

Hinter ihnen steht Athene,

Ernst in Marmor gottgebildet;

Bösen Fluges Vögel schweben

Um der fernen Tempel Zinnen.

 

Still und mannigfach erreget

Hatten wir dies Bild umringet,

Bis, sich ja nicht zu vergessen,

Einer alle schnell erinnert:

 

«Jedes Kunstwerk, das vollendet»,

Sprach er und zog hoch die Stirne,

«Muß, um klar sich auszusprechen,

Stehen auf ewigen Begriffen.

 

Doch, wie ich mich auch mag setzen,

Vor und in und nach dem Bilde,

Seh ich tot nur vor mir stehen

Dieses Werk des alten Pinsels. –

 

Ei, der zweite ihm entgegnet,

Mit der Schlange bei dem Kinde

Ist wohl auf das Leid des Herren

Und den Sündenfall gestichelt. –

 

Mit den törichten drei Schwestern

Meinet er, sprach dann der dritte,

Juden, Christen, Sarazenen

Streitend um die wahre Kirche. –

 

Und der vierte nun versetzte:

Die drei Tugenden der Christen

Sind es, die sich toll gebärden:

Glaube, Hoffnung und die Liebe: –

 

Und ein fünfter sprach: Ich sehe

Hier entsetzt die Charitinnen

Vor dem dreigeeinten Helden

In angstvoller Flucht begriffen. –

 

Ach, was können, sprach der sechste,

Juden, Sarazenen, Christen

Und die Grazien hier erhellen,

Die doch selbst Allegorien!

 

Mir sind es die drei Essenzen,

Die das Wesen Gottes bilden,

Im Begriffe eins zu werden

In dem Wahnsinne der Christen.

 

Und der siebente wollt sehen

Die drei Punkte Syllogismi,

Denen Abälard das Wesen

Der Dreieinigkeit verglichen.

 

Ja, sprach dann der achte frecher,

Sie sehn drein wie Heloise,

Die den Mittelsatz entbehret,

Weil den Nachsatz er vermisset.

 

Doch mir sinds drei Fakultäten,

Theologen, Mediziner

Und Juristen, sie umgeben

Tief erschreckt Apones Wiege. –

 

Und noch schlimmrer Rede Frevel

Stand ich vor dem Schreckensbilde

Mehr als durch es selbst entsetzet,

Doch ich wiederhol sie nimmer!

 

Und nun trat von seiner Schwelle

Guido selbst heraus zum Bilde;

Kahl, ein Greis, in seiner Rechten

Hielt er eines Messers Klinge.

 

Und er sprach: Mit frecher Rede

Habt ihr mir das Herz zerrissen!

Hat die rächende Athene

Euch, Gesellen, auch ergriffen?

 

Wißt, ich war in tiefster Seele

Lang ob dieser Zeit ergrimmet,

Welche zu entblößen strebet,

Was Gott keusch verhüllt will wissen.

 

Dieses schändlichen Entdeckens

Strafe wollte ich hier schildern,

Und ihr treibt denselben Frevel

Mir vor meinem züchtgen Bilde!

 

Doch ich folg des Herren Lehre:

Gibt dein Aug dir Ärgernisse

Reiß es aus, tritts an die Erde!

Liebes Bild, ich muß dich richten. –

 

Und nun riß er mit dem Messer

Zürnend durch des Bildes Mitte,

Und zertrat mit bittren Tränen

Wild sein mühsam Werk mit Füßen.

 

Seiner lachten noch die Frechen,

Dem das Liebste sie entrissen;

Das traf tief ihn in der Seele,

Und er stand in Tränen zitternd.

 

Und das Messer aus der Rechten

Mußt liebkosend ich ihm winden,

Daß er nicht zum Mörder werde,

Schmeichelnd in das Haus ihn zwingen.

 

Seine Axt, die in der Ecke

Stand – er ist zugleich ein Zimmrer –

Mußt die Tochter schnell verstecken,

Als ich ängstlich ihr gewinket.

 

Denn er war so tief erreget,

Daß er gänzlich schien von Sinnen

Und die Tochter kaum erkennte,

Vor ihm auf den Knien liegend.

 

Und er schrie: O Himmel, sende

Mir die Bären, die zerrissen

Jene Buben, den Propheten

Ob des nackten Hauptes schimpfend;

 

Denn mit Lachen seine Fenster

Jene gottlos noch umringten,

Und die Laden vorzulegen

Wollten sie mich schmähend hindern.

 

Schrieen scherzend: Freund, wir sehen

Uns dir heut sehr tief verpflichtet,

Weil du für uns einen Bären

Angebunden beim Philister! –

 

Da ich nun hinausgetreten,

Derb die Schmach mir zu verbitten,

Fragte mich dort jener Gegner

Höhnend mit dem frechen Witze:

 

Lag das Findelkind Biondette

Auch in solchen Schlangenwindeln,

Weil du, gleich den tollen Schwestern,

Sinnlos wardst, sie anzublicken? –

 

Alle lachten Beifall gebend.

Fassen konnte ich mich nimmer,

Und ich trat ihm wild entgegen,

Sprach zu ihm mit scharfer Stimme:

 

Schäm der Rede dich! Athene

Schämte auch sich dieses Kindes,

Denn sein Vater war, du Frecher,

Frech und wie dein Gleichnis hinkend!

 

Willst du deutelnd schärfer treffen,

Sprich: Des Teufels Hirngespinste,

Die mein Lehrer Weisheit nennet,

Sah ich in Erechteus Windeln!

 

Denn im trunkenem Erfrechen

Will sie sich mit Gott vermischen,

Und empfangen von der Erde

Gleicht sie wohl dem Drachenkinde.

 

Gleicht das trübe Wortgefechte,

Das die Schule um uns stricket,

Nicht dem Korb, in dem sich's dehnet,

Wenn die Schlangen aufwärts dringen?

 

Springt der Decke, und ihr stehet

Auf dem Standpunkt: den Alciden

Glaubt ihr in dem Korb zu sehen,

Wie er Schlangen würgt im Schilde!

 

Schreit auch wohl: «Ich will vergessen,

Daß im Spiegel dies gebildet,

Daß ich selbst ein Gott hier stehe,

Der sich auf sich selbst besinnet!

 

Und den letzten Flug erhebend

Zu den Göttern aufzudringen,

Bringt, den Gnadenstoß zu geben,

Euch der Teufel gar von Sinnen.

 

Euch steht nur das Haar zu Berge,

Und dies nennt ihr reines Wissen;

Nennts der Isis Schleier heben,

Hebt ihr schamlos euern Kittel!

 

Wie durchs Maul und um die Kehle

Schlechte Gaukler Viper schlingen,

Zieht der Teufel eure Seelen

Sich durchs Maul philosophierend.

 

Und ihr könnet nicht mehr beten

Und ihr könnet nicht mehr dichten.

Die die Schlange hat zertreten,

Ist barmherzig, Gott ist Richter! –

 

Also habe ich geredet,

Zwar erregt, doch wohl bei Sinnen,

Und sie drängten mit dem Degen

Mich bis zu der heilgen Linde,

 

Wo ich zu Biondettens Ehre,

Aber nicht zu Eurem Schimpfe,

Ruhig bliebt bei meiner Rede.

Meister, nun seid Ihr der Richter!»

 

Und Apone zornbeweget

Spricht mit falscher Kälte: «Immer

Betend, horchend, fechtend, redend

Finde ich dich bei der Linde!

 

Jacopone, dein gelehrter

Bruder, lehrt dich wohl die Schliche;

Er kann auch die Worte drehen

In der Kirch und vor dem Richter.

 

Er, der die Parteien hetzet,

Um sie künstlicher zu schlichten,

Als wenn ich ein Bein verrenkte,

Um es wieder einzurichten.

 

Ihn, der naseweis sich stellet

In der Fraktionen Mitte,

Werden einst die Schweine fressen

Weil er sich der Kleie mischet.

 

Du bist von ihm angestecket,

Dem juristischen Philister,

Der verachtend meine Lehre

Im lateinschen Stalle mistet.

 

Doch die Gieremei werden

Einst verfluchen seine Listen,

Und die Lambertazzi werden

Einst bereuen seine Pfiffe.

 

Und ihr Streit wird dann erst enden,

Wenn in seines Herzens Mitte

Ihre Klingen sich begegnen,

Einen ewgen Frieden stiftend!»

 

Und Meliore spricht: «O Lehrer,

Übel bleibst du bei der Klinge;

Um mich bitterer zu treffen,

Willst du meinen Bruder schimpfen!

 

Ungerechter, den gerechten

Bruder du statt meiner schimpfest,

Denn du träffst auf den Unrechten,

Schimpftest du ihm zu Gesichte!

 

Um das Recht mit Spott zu treffen,

Willst die Rechte du beschmitzen,

Doch ich räche den Gerechten,

Deines Beispiels mich bedienend.

 

Du sprachst, unser Streit sei Frevel,

Weil er leicht das Volk erhitze,

Und im Zorne wirst du selber

Jener Anstoß der Lawine!

 

Ob dem reinen Glanz des Schnees

Leicht ein dunkler Rab erbittert,

Und den bösen Schnabel wetzend,

Stößt er nieder die Lawine!

 

Schmähst du meines Bruders Ehre,

Dieser Musenalpe Zierde,

Sonnenglänzend auf dem ewgen

Eispalaste der Juristen,

 

Schmähst du ewige Gesetze,

Der Gesellschaft Urgranite,

Dann schimpfst du den Kern der Erde,

Der zum Licht dringt in Gebirgen!» –

 

«Ja, ich schmähe,» sprach der Lehrer,

«Die Pandektentitel-Flicker

Und die unfruchtbaren Rechte,

Kahl wie deine Urgranite!

 

Die sich immer kahl vererben,

So wie öder Berge Gipfel,

Von Geschlechte zu Geschlechte

Ihre alten Knoten schlingend.

 

Und wie magst du diese Zwerge

In papiernen Nestern nistend,

Noch vergleichen mit den Bergen,

Die juristischen Philister?»

 

Und Meliore spricht: «Die Zwerge,

Ja sie wohnen in Gebirgen,

Schmieden dort die starken Schwerte,

Eitle Riesen zu bezwingen.

 

Aus der Tiefe mit den Bergen

Wächst das Eisen auf zum Lichte,

Und von ihnen wiederkehret

Alles zu der Tiefe wieder.

 

So steigt nieder von den Bergen

Die Natur, und ihren Gipfeln

Sind die weiten Sündflutmeere,

Ist der Zorn zuerst entwichen.

 

So steigt nieder von den Bergen

Die Geschichte: auf der Spitze

Sinai gab Gott Gesetze

Mosen für die Israliten.

 

Wenn die Erde längst verwelket,

Steht noch das Granitgerippe,

Und des Wassers Flut begegnend

Heulet drum das Spiel der Winde.

 

So auch stehen die Gesetze,

Wenn die Staaten rings versinken

Und unzählige Geschlechter

An dem alten Recht sich bilden.»

 

Apo spricht: «Das Recht so kennend,

Wirst du das Gesetz auch wissen,

Daß Bologna Repetenten

Nie erkennt ungraduieret.

 

Und du hast das kaum Erlernte

Dennoch mir hier repetieret;

Du kurzärmiger Geselle,

Wisse, daß du delirierest!

 

Denn die Kerkerstrafe stehet

Auf dem offnen Disputieren

Von Studenten gegen jeden,

Den die höhern Würden zieren.» –

 

«Ja, ich kenne die Gesetze,»

Spricht Meliore, «und die Pflichten

Eines Christen, daß er rede

Den Verkehrten ins Gewissen.» –

 

«Predge weiter,» sprach der Lehrer,

«Und entpflichte dich, mein Christe,

Daß ich dem Gesetz dich gebe

Ungestört in deinen Pflichten!»

 

Und Meliore sprach: «Ich nenne

Jene Berge, euch Gewitter;

Euer dunkelmaulend Wesen

Ist nur dunkel, um zu blitzen.

 

Seit die Welt im Zirkel gehet,

Kühlet sich das Wetter blitzend,

Doch, als sei's das erst und letzte,

Bläht sich jegliches Gewitter.

 

Nur daß man die Sterne heller

Sehe auf der Berge Gipfel,

Lasset ihr, euch selbst verwetternd,

Euren trüben Schwall verwittern.

 

Und wo werdet ihr dan stehen,

Wann zuletzt der ewge Richter

Nach den ewigen Gesetzen

Euch und jene kommt zu richten?

 

Die geschimpfet auf die Recht,

Werden stehen auf der Linken,

Da wo Gottes Affen stehen,

Die gefallnen Engel hinkend.

 

Die unzähligen Systeme

Frevelnder Philosophien

Werden flehen, bei den Hexen

Auf den Besen aufzusitzen.

 

Ihr Allfresser, wo des ersten

Magen noch der zweite frisset,

Wenn ihm selbst schon aufgefressen

Seinen Magen hat der dritte!

 

Ja, der Teufel wird den letzten

Noch zertrennen in der Mitte,

Daß das Maul den Leib kann fressen;

So wird sich die Kete schließen!

 

Meister, du hast diese Schwerter

In der Schule selbst geschliffen,

Höhre Anschauung mich lehrend

Der Natur und der Geschichte.» –

 

Aber zu dem Volk gewendet

Ruft Apone: «Holla, Sbirren,

Diesen Jüngling führt zum Kerker!»

Und Meliore wird umringet.

 

Nochmals blickt er nach Biondetten,

Folget freudig dann den Sbirren,

Als sollt er zur Hochzeit gehen,

Denn er höret ihre Stimme.

 

Und zu seinem Turme kehret

Apo wird, finstern Blickes;

Brach er gleich den Speer der Rede,

Haftet tödlich doch der Splitter.

 

Freudig nichtig, gleich Raketen,

Luftgetragen auf den Stimmen

Hört er noch ein Vivat brennen,

Und der Schwarm verliert sich singend.

 

Leise Lüfte hör ich wehen,

Schüchtern kehren zu der Linde

Auch die Vögel, und es treten

Aus dem Haus die beiden Kinder.

 

Rosablanka und Biondette

Grüßen sich mit stummen Winken;

Da sich ihre Wege trennen,

Lassen sie die Blicke sinken.