BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Romanzen

vom Rosenkranz

 

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Romanze XX

Rosarosens Leichenzug

 

Frühe Sonne, frühe Sonne,

Ach wo bist du hingesunken!

All des Tages Jugendwonne

Ist im Morgenrot ertrunken.

 

Deine wunderselgen Augen,

Inseln aus des Himmels Seen,

Sah ich steigen, untertauchen

In des Morgens erstem Wehn.

 

Und es steigt ein Nebelschleier

Übers tiefe, stille Blau,

Eine einsam tiefe Feier

Breitet sich durch Wald und Au.

 

Ruhig unbewegte Bäume,

Kein Gesang, kein Blattgeräusch;

Spinnet ihr die nächtgen Träume

Wieder an, ihr Blumen keusch?

 

O Bologna, deine Zinnen,

Die gelacht im Sonnenstrahl,

Seh ich bösen Schmuck gewinnen:

Schwarze Flaggen überall!

 

Alle Buden sind geschlossen,

Trauerteppche hängen aus,

Durch die Straßen weit ergossen

Reget sich ein Volksgebraus.

 

Aber mitten durchs Gedränge

Gehet eine freie Bahn,

Und es wirft die rege Menge

Blumen auf den offnen Plan.

 

Vor dem Konsularpalaste,

Auf des Marktes weitem Raum,

Der viel tausend Bürger faßte,

Bildet Wache einen Saum.

 

Und die acht Konsulen treten

Aus des Palasts hohem Tor,

Und der Ältste tritt zu reden

Auf den Marmorstuhl empor.

 

Und er winkt mit dem Barette

Und der Herold mit dem Stab,

Das Geschmetter der Trompete

Nun zur Ruh das Zeichen gab.

 

«Seid gegrüßt, ihr freien Bürger!

Seid gegrüßet, edle Ritter!

Seid gegrüßet, ihr Gelehrten!

Seid gegrüßet, ihr Studenten!

 

Euch die Ursache zu sagen,

Warum heute alle wir

Also reiche Trauer tragen,

Seht ihr mich erscheinen hier.

 

Jacopone, der gelehrte –

Wer ists, der ihn hier nicht kennte,

Seine Weisheit nicht verehrte,

Nicht ihn einen Gönner nennte?

 

Über diesen Mann gesenket

Hat sich jüngst ein bittres Leiden,

Und in Tränen ganz ertränket

Ist er nicht mehr zu beneiden.

 

In des Schauspielhauses Brande

Ward sein herrlich Weib verletzet,

Und zu einem bessern Lande

Von dem Herrn der Welt versetzet.

 

Sie, die Lehrerin der Waisen,

Seine Hauses treue Wirtin,

Ward in dieser Stadt geheißen

Nur die fromme, liebe Hirtin.

 

Und sie ist nicht mehr hienieden;

Wo sich alle Lämmlein sammeln

Hat der Hirt sie hinbeschieden,

Gottes Loblied mitzustammeln.

 

Da sie ihm nun ist geraubet,

Will er nicht mehr grünend leben,

Will er, wie ein Baum entlaubet,

Nimmer wieder Schatten geben.

 

Und er ist vor uns erschienen,

Hat uns weinend eingeladen,

Alle seinem Leid zu dienen,

Und wir haben uns beraten.

 

Denn als eine freie Gabe

Gibt der Stadt er seine Gelder,

Liegende und fahrnde Habe,

Seine Häuser, seine Felder.

 

Alles, was er hat erworben,

Sei ihm auch mit ihr verloren,

Sei ihm auch mit ihr gestorben,

Armut hat er sich erkoren.

 

Eine Kirche will er bauen,

Wo das Spielhaus ist verbrennet,

Zum Behuf der Klosterfrauen,

Welche man Clarissen nennet.

 

Und er hat zu diesem Ende

Alle Sicerheit gegeben,

Siegelbrief und Dokumente,

Wo die Gelder sind zu heben.

 

Und hiefür ward ihm die Bitte,

Seines Schmerzes Trost, gewähret,

Daß mit ungewohnter Sitte

Seine Trauer sei geehret.

 

Denn die so den Staat bedachten,

Die verdienen solche Ehren;

Solche Bürger hoch zu achten,

Das muß unsre Größe mehren.

 

Und ich wollte hie verkünden,

Daß im wogenden Gedränge

Sich kein Streiten mög entzünden,

Wo die Straßen krumm und enge.

 

Denn wir wissen, uns zum Leide,

Daß in unsern treuen Mauern

Zwei Parein zum bösen Streite

Immer auf den Anstoß lauern.

 

Laßt uns nicht den Tag entwiehen

Einer tugendhaften Toten!

Eintracht möge Gott verleihen

Unser Gruß sei euch entboten!»

 

Und er winkt mit dem Barette

Und der Herold mit dem Stab,

Und die schmetternde Trompete

Seiner Rede Schluß angab.

 

Und nun reiten durch die Masse

Herolde und tuen kund

An der Eckejeder Gasse,

Was er sprach, der weise Mund.

 

Aber aus des Schlosses Bogen

Zieht der Heerwagen der Stadt,

Von acht weißen Stiern gezogen,

Und ein Jauchzen findet statt.

 

Denn kein Bürger kann ihn sehen,

Wie aus reicher Bilder Zier

Bologneser Flaggen wehen,

Ohne innre Kampfbegier.

 

Vor dem Wagen ernsthaft schreiten

Acht Trompeter, rot und weiß,

Die acht weiße Stiere leiten,

Dann acht Führer rot und weiß.

 

Übers Volk, wie aus dem Meere,

Sieht man nun den weiten Wagen,

Ähnlich einer Prachtgaleere,

Mit der hohen Fahne ragen.

 

Rings mit goldenen Geländern

Er wohl vierzig Reite rfaßt,

Haltend an den vierzig Bändern,

Die sich niederziehn vom Mast,

 

Der ein silbern Kreuz erhebet,

Das des Lichtes Blick erhellt;

Nieder mit der Fahne wehet

Weiß ein Kreuz im roten Feld.

 

Und vor dieesr Fahne sitzet

Ein vor allen prächtger Mann;

Wie sein harnisch strahlt und blitzet,

Kaum daas Aug ertragen kann.

 

Er gleicht einem Martisbilde;

In dem blanken, großen Schwert,

In dem runden Spiegelschilde

Lacht die ganze Pracht verklärt.

 

Im die Fahne ist vertrauet,

Er des Wagens Ehr bewacht,

Den die Herrn des Rats erbauet

Als den Mittelpunkt der Schlacht.

 

Als des Staates Bundeslade,

Als Symbol der Bürgerehre,

Als der Thron des Zorns, der Gnade,

Geht der Wagen mit dem Heere.

 

Wenn er stehet, wenn er schreitet,

Steht und geht die Kriegerschar,

Ihn des Heeres Kern umstreitet

In der dringenden Gefahr.

 

Und zersprengte Reuterhaufen

Sammeln sich in seinem Kreis,

Und von neuem auszulaufen

Nach des Kampfes blutgem Preis.

 

Und den Feldarzt trägt der Wagen

Mit des Leibes Arzenein,

All, die blutig sind geschlagen,

Wollen hier geheilet sein.

 

Auch die Priester auf ihm stehen,

Mit dem heilgen Sakrament

Jeden Krieger zu versehen

In dem ehrenvollen End.

 

Kehrt der Wagen mit dem Heere,

Dann ward gut die Schlacht geschlagen,

Denn des Heeres Mut und Ehre

Hänget an dem Fahnenwagen.

 

Fällt er in des Feindes Hände,

Dann sucht Heil in schnöder Flucht,

Wer nicht in des Lebens Ende

Seiner Schande Ende sucht.

 

Aber wie er in dem Kriege

Ist des Mutes fester Kern,

Wird er nach errungnem Siege

Des Triumphes schönster Stern.

 

Und von seiner Bühne glänzen

Feindeshelme in Trophäen,

Zwischen stolzen Lorbeerkränzen

Die errungnen Fahnen wehen.

 

Und in seine Spuren weinen

Sklaven, paarweis hart gebunden,

Nieder zu den kalten Steinen,

Die den nackten Fuß verwunden.

 

Auch des Friedens Pracht zu mehren

Zieht er aus mit stolzem Prangen,

Als ein Zeichen reiche rEhren

Hohe Gäste zu empfangen.

 

Gold und Scharlach muß dann wallen,

Weise Männer ihn betreten,

Und von seiner Höhe schallen

Zierlich ausgesprochne Reden.

 

Oder, mehr ihn zu verschönen,

Höret man das Wort der Richter,

Lieblich stolz auf ihm umtönen

Vn den Liedern heilger Dichter.

 

Also dient er in dem Streite,

Triumphiert, und trägt die Beute

So zu festlichem Geleite;

Aber anders dient er heute.

 

Und die dunkle Trauerbühne

Nun die bunte Menge teilet,

Wie ein schwarzes Schiff die grüne

Flut mit scharfem Kiel durcheilet.

 

Aber tröstlich auf dem dunkeln

Maste, dessen Segel trauern,

Sieht das weiße Kreuz man funkeln,

Wie ein Stern im nächtgen Schauern.

 

Schwarze Tücher rings verhüllen

Seine kriegerische Pracht,

Und sein Schnitzwerk Rosen füllen,

Sterne einer tiefen Nacht.

 

Guido hat ihn zu der Trauer

Rosarosens so verzieret,

Um ihn weht ein leiser Schauer,

Weil der Tod hier triumphieret.

 

Und wo sonst die Schwerter glänzen,

Stehen trauernde Martronen,

Tragend in Zypressenkränzen

Pomeranzen und Zitronen.

 

Herbe Bitterkeit der Tränen,

Dunkles Laub zur Erde sinkend

Und den Tau mit irdschem Sehnen

Aus des Grabes Blumen trinkend.

 

Weiß geschmückt, zu beiden Seiten,

An des Mastes schwarzen Schnüren

Haltend, Kinder traurig schreiten,

Ihrer Hirtin Fest zu zieren.

 

Seht, vor Jacapones Türe

Steht ein schwarzer Baldachin,

Daß das Volk ihn nicht berühre,

Hüten sechzehn Ritter ihn.

 

Acht vom Stamm der Gieremeen,

Acht vom Lambertazzer Haus

Rechts und links vermischet stehen;

Keiner hat den Rang voraus.

 

Und es drängt von allen Seiten,

Was zu den Partein gehört,

Zwar ohn Lieb, doch auch ohn Streiten,

So ist der Moment geehrt.

 

Mit dem Trauerschmuck der Flöre

Haaren rings sich anzuschließen

Die verschiednen Ehrenchöre,

Wenn der Zug sich wird ergießen.

 

Wenn die Priester angekommen,

Werden tief die Glocken schallen

Und der Leib der lieben Frommen

Wird zu seiner Ruhe wallen.

 

Aber in des Hauses Kammer

Sitzt der schmerzdurchbohrte Mann,

Öd in tränenlosem Jammer

Sieht er ihre Leiche an.

 

Engel, die ihr Haupt umschweben,

Die zu ihren Füßen knien,

Konnten ihm nicht Tränen geben,

Tränen sind ihm nicht verliehn.

 

Seit die Augen sie geschlossen,

Die ihm Lust und Leid gespiegelt,

Ist in Tränen er zerflossen,

Und nun ist ihr Quell versiegelt.

 

Irdisch kann sie nicht mehr scheinen,

Die der Erde zu vereinen;

Irdisch kann er nicht mehr weinen,

Und seinherz will ihm versteinen.

 

Ja, ein Grab von Marmorfelsen

Haut der Schmerz in seinem Herzen,

Was nicht springen will, muß schmelzen

Von der Glut der Trauerkerzen.

 

Ist die Halle erst geweitet,

Wird sie ruhen in den Felsen,

Wenn er stillzur Türe schreitet,

Einen Stein davor zu wälzen,

 

Also schwer und ungeheuer,

Daß kein andrer ihn beweget,

Als Luft, Erde, Wasser, Feuer,

Wenn sie Gottes Zorn erreget.

 

Und wenn so die Gruft verschlossen,

Wird er auf den Felsen steigen,

Klipp vor Klippe unverdrossen,

Um den Gipfel zu erreichen.

 

Und da wird der Feind ihm zeigen

Alle weiten Herrlichkeiten,

Wie die Flüsse silbern schleichen,

Wie die Ufer sie begleiten.

 

Sonnenschein auf Bergesgipfeln,

Dämmerung in grünen Talen,

Sang und Lust in Waldeswipfeln,

Hochgetürmter Städte Prahlen,

 

Schiffe segelnd, Wolken ziehend,

Schlosses Dach im Abend glühend,

Schatten übers Meer hinfliehend,

Und ein ganzer Frühling blühend.

 

Alles wird der Feind ihm zeigen;

Doch er wird es nicht verlangen,

Und die Welt wird sich ihm neigen,

Er wird nur am HImmel hangen.

 

Freudig ohne niedern Kummer

Wird er an die Erde sinken,

Betend dann in selgem Schlummer

Eines guten Traums ertrinken.

 

Überm Haupt die Jakobsleiter,

Wird er mit der Engel Reigen

In den offnen Himmel heiter

Zu geliebten Seelen steigen.

 

Also wird ihm einst geschehen,

Den jetzt solche Schläge schlagen,

Daß er ganz versteint in Wehen –

Dies wollt ich zum Trost uns sagen.

 

Unbemerkt im eignen Leide,

Knieet Pietro in der Kammer,

Und sie schweigen alle beide,

Jeder in dem eignen Jammer.

 

Aber nun spricht Jacopone,

Denn er hört ein fernes Singen:

«Wo ist ihre Blumenkrone?

Ach, man will sie von mir bringen!

 

Wo sind Blumen ihr zum Kranze,

Fromm und keusch, wie sie gewesen?

Erde, küß mit deinem Glanze

Nochmals, die von dir genesen!»

 

Und zu Pietro er sich wendet,

Spricht: «Hast Blumen du gebracht?

Rosen, die zutag gesendet

Diese tränenvolle Nacht?

 

O, mein Pietro, die Verblühte,

Zier sie mit des Lebens Bild;

Daß der Schmerz nicht also wüte,

Deck sie mit dem Blumenschild!»

 

Pietro mit dem Haupt verneinet,

Aber reden kann er nicht,

Und der Tränenlose weinet,

Als er sieht sein Angesicht.

 

Jacopone ihn umarmet:

«O, mein Bruder! mich erquicket,

Daß mein Leid dich so erbarmet,

Und aus deinen Augen blicket.»

 

Aber jener ihm entgegnet:

«Ach! es ist das deine nicht!

Dann wär wohl mein Los gesegnet,

Und es das meine nicht.

 

Blumen konnt ich dir nicht bringen,

Weil sie all wie Rosarose

In dem Feuer untergingen,

Bis auf eine weiße Rose.»

 

Pietro wollte weiter reden,

Doch Melior und Rosablanke,

Welche zum Gemach eintreten,

Werden seiner Rede Schranke.

 

Und er fühlt sich dumpf ergrimmet,

Wenn er zu Meliore blickt,

Denn in seinem Busen glimmet

Eifersucht, die ihn erstickt.

 

An der Türe schüchtern weilet

Rosablanka. Zur ihr schreitet

Jacopone: «Jungfrau, eilet,

Daß Ihr mir den Kranz bereitet!» –

 

«Herr, dies kann gar wohl geschehen,

Ich hab Rosen, rot und wieße,

Und ich kann die Kränze drehen,

Doch fehlt mirs am Myrtenreise!» –

 

«Keine Myrt in ihre Krone!

Einen jungfräulichen Kranz

Winde ihr!» – sprach Jacopone,

Blickend durch der Tränen Glanz.

 

Und sie naht der Leiche Füßen,

Aus dem Korbe, den sie trug,

Ihre Rosen auszugießen.

Ach, wie ihr das Herz da schlug!

 

Sie mit Liebe zu begrüßen,

Fühlt sie einen innern Zug,

Und sie soll doch, um zu büßen,

Folgen ihrem Leichenzug.

 

Wie sie so die Tote schauet,

Wie sie so die stille fühlet,

Mild ihr Aug von Tränen tauet

Und die heiße Wange kühlet.

 

Und sie nimmt die rote Rose,

Fügt zu ihr der weißen Glanz,

Weiter eine gelbe Rose,

Und so fort den ganzen Kranz.

 

Bei den roten spricht sie immer:

«Rosarose, bitt für mich!»

Bei der weißen Rosen Schimmer:

«Rosablank geleitet dich!»

 

Aber bei der gelben Rose

Muß sie an Biondetten denken,

Und dann traurig zu der Rose

Ihre Blicke niedersenken.

 

Da sie nun den Kranz vollendet,

Sprach sie scheu zu Jacopone:

«Mich that zu dir hergesendet

Heut der Beichtiger Benone.

 

Meine Schulden abzubüßen,

Will er, daß ich im Geleite

Deine Weibs mit bloßen Füßen

Hinter ihrem Sarge schreite.

 

Und ich bitte dich zum Lohne,

Daß du dieses mir gestattest,

Als den Preis der Blumenkrone,

Die du ohne mich nicht hattest.

 

Trauer ist mein Kleid, ich weine

An der Mutter Sterbetage;

Wenn ich dir zu arm nicht scheine,

Laß mich folgen deiner Klage.»

 

Da sprach zu ihr Jacopone:

«Du sollst bei dem Leichenwagen

Ihr die jungfräuliche Krone,

Die du ihr geflochten, tragen.

 

Dieses ist des Lanes Sitte;

Zwischen Pietro und Meliore

Sollst du schreiten in der Mitte

Mit dem Kranz im Trauerchore.»

 

Aber plötzlich brach das Schallen

Aller Glocken durch die Luft,

Und der Priester in die Hallen

Tritt mit Kranz und Weihrauchduft.

 

«Es ist Zeit, müssen wallen,»

Spricht er, «weil die dunkle Gruft

Dieser jetzt, wie einst uns allen,

Mit metallner Zunge ruft.»

 

Acht Matronen tief in Trauer

Tragen nun den Sarg hinab,

Stellten ihn zum Trost der Schauer

Unterm Baldachine ab.

 

Und die Ritter mußten wehren

Mit dem Schwert die Totenschau,

Doch ein jeder wollte ehren

Noch einmal die fromme Frau.

 

Und es zieht, sie anzuschauen,

Vor ihr hin der Leichenzug;

Ach, wer sieht, sich zu erbauen,

Solch ein heilig Bild genug!

 

Mit dem Kreuz vorüberziehen

Erst die Priester, traurig singend,

Und das Volk liegt auf den Knieen,

Chöre durch die Lüfte schwingend.

 

Und die Schwermut der Posaunen

Windet sich durch Litaneien,

Die vorm Ewigen erstaunen,

In der Zeit um Hilfe schreien.

 

Ihnen folgen fromme Orden,

Ewige Gebete lallend,

Vor den Kreuzen allerorten

Auf das Antlitzt niederfallend.

 

Und nun treten schwarze Nonnen

Um den Sarg, in weißen Schleiern,

Wie die Strahlen einer Sonnen,

Dieser Frommen Tod zu feiern.

 

Aber sie auch müssen gehen,

Denn jetzt nahn die Tiefbetrübten;

Seht der Kindlein Fahne wehen,

Traurig bei der Hochgeliebten!

 

Agnus castus mit dem Lamme

Führt die Mägdlein und die Knaben,

Die mit einem Blumendamme

Nun der Hirtin Sarg umgaben.

 

Und mit kindisch süßem Flehen

Drängt die Schar zu ihren Füßen;

Jedes Kindlein will sie sehen

Und die milden Hände küssen.

 

Ach! sie kennen nicht das Scheiden,

Freuen sich des Rosenkranzes

Und des Rocks von Samt und Seiden

Und des Diamantenglanzes.

 

Doch Bolognas Heereswagen

Mit gedämpften Hörnerklang,

Ihren Leib zur Gruft zu tragen,

Durch die Kinderschar herdrang.

 

Und den Sarg hinan zu heben

Zaudern noch die ernsten Ritter,

Sich die Hand dazu zu geben

Ist ihr innrer Groll zu bitter.

 

Als der Konsul dies ersehen,

Fürchtet Störung er der Ruhe

Und beginnt umher zu spähen,

Wer erheben soll die Truhe.

 

Sieh, da naht mit Flötenschalle

Ernst der Zug sich der Studenten,

Jeder Nation Marschalle

Sich heran zum Sarge wenden.

 

Jene, die sie nach dem Brande

Heimgetragen mit Verehren,

Nahn dem Konsul als Gesandte,

Schwarz, mit langen Trauerflören.

 

Und da sie das Zögern sahen

Und des Konsuls Wink empfingen,

Barhaupt sie dem Sarge nahen,

Fassen an den goldnen Ringen.

 

Heben ihn mit guter Site

Auf den hohen Trauerwagen,

In der Blumen stille Mitte,

Traurend, aber ohn Verzagen.

 

Als den Wagen sie verließen,

Kehrend hin zu den Gesellen,

Nun die Kinder ihn umschließen

Rings mit freudgen Blumenwellen.

 

Zwischen schlanken Lilienstengeln

Und den zarten Rosenzweigen,

Rings umwallt von frommen Engeln,

Zieht er hin mit prächtgem Schweigen.

 

Und es folget Jacopone;

Zwischen Pietro und Meliore

Wanelt mit der Totenkrone

Rosablanka in dem Chore.

 

Ihre Locken aufgelöset

Traurend um die Schultern wehen,

Ihre Füße sind entblößet,

Sie muß so zur Buße gehen.

 

Als sie aus dem Haus geschritten,

Zog sie Schuh und Strümpfe ab,

Die sie, auf sein dringend Bitten,

Pietro zu bewahren gab.

 

Und im Gurt er sie verstecket,

Wie beliebten, reichen Schmuck;

Seines Herzens Schlag erwecket

Der verehrten Pfänder Druck.

 

In verschiednem Schmerz befangen

Diese Viere vor uns schreiten,

Manche Trän auf frmden Wangen

Ehrt ihr tränenloses Leiden.

 

Wie ein Christ scheint Jacopone,

Der getrost zum Tode gehet,

Dem die blutge Martyrkrone

Aus dem Himmel niederwehet.

 

Hinter ihm kommt Rosablanke,

Mit der Blumen süßem Glanz,

Als ob sie vom Himmel schwanke

Zu ihm mit dem Martyrkranz;

 

Wie ein Engel ungetrübet,

Doch umhaucht von irdschem Leid,

Weil der Herr die Menschen liebet,

Die um ihn bestehn den Streit.

 

Ihr zur Rechten Meliore,

Wie ein unbesiegter Held

Unter einem Sklavenheere

Durch der Brüder Leichenfeld.

 

Er ist nach dem Kranz gesprungen,

Fesseln haben ihn umringt,

Er hat selbst das Lied gesungen,

Das der Feind jetzt um ihn singt.

 

Aber der ist unbesieget,

Der ein Dichter und ein Held,

Weil er in dem Himmel wieget

Seines Schmerzes giftge Welt.

 

Und es steigt an seinem Leiden

Heilend Sonn und Mond empor,

Unter Sklaven kann er schreiten,

Wie ein Sänger in dem Chor.

 

Er ist einsam im Getümmel,

Und er geht in selgem Traum,

Und sein Aug steigt zum Himmel

Ewig von dem irdschen Saum.

 

Aber Pietro geht zur Linken

Wie ein armer Schäferknabe,

Der den Schatz hinab sah sinken,

Den er mühsam ausgegraben.

 

Immer sieht er vor sich spielen

Noch die goldne Zaubertruhe,

Wo sein Weg auch hin mag zielen,

Flieht der Schatz ihn ohne Ruhe.

 

Also muß ein Buhler irren,

Dem die Buhle ging zu Grab,

Die aus zaubrischen Geschirren

Ihm die Liebestränke gab;

 

Also in dem Venusheere

Zieht die liebestörge Brut,

Daß sie ewig sich verzehre,

Ewig wachs in böser Glut.

 

Ob sin Blick zur Erde nieder

Oder auf zum Himmel schwebt,

Sieht er stets den Rumpf der Hyder,

Der ein neues Haupt erhebt.

 

Jede Blume möcht er küssen,

Die die Jungfrau ihm zur Rechten

Tritt mit zarten Rosenfüßen,

Und sich einen Kranz draus flechten,

 

Und mit solchem Schmerz bekränzet,

Steigen durch die finstern Felsen,

Wo kein Stern mehr fröhlich glänzet

Und sich schwarze Bäche wälzen.

 

Und an einen bittren Bronnen

Möcht er trinkend niedersinken,

Bis zum Ablauf aller Sonnen

Immer schöpfen, immer trinken,

 

Und dem Quelle wieder weinen,

Ihn mit seinem Schmerz berauschen,

Und zum Felsen dann versteinen

Und den eignen Schmerz belauschen. –

 

Diesen folgen nun die Armen,

All in neues Tuch gekleidet;

Sterbend hat sie voll Erbarmen

Ihnen diesen Trost bereitet.

 

Die Konsulen folgen diesen

In dem festlichen Ornat,

Und die Herrn des Rates schließen

Sich an sie, und der Senat.

 

Weiter alle Professoren

Der juristschen Fakultät

Und Magister und Doktoren,

In der Hand das Samtbarett.

 

Und nun treten die Pedelle

Mit den Silberstäben her,

Der Studenten Mareschälle

Und so fort ihr ganzes Heer.

 

In den schwarzen Mänteln steckten

Pursch ealler Nationen,

Kandidaten der Pandekten,

Helden der Institutionen.

 

Alle seine Schüler ehrten

Jacopones schweres Leid,

So beschlossen und vermehrten

Sie das prächtige Geleit.

 

Und so schlingt der Zug der Trauer

Sich durch lange Straßen hin

Und ergießt sich durch die Schauer,

Aber alle ehren ihn.

 

Doch dort auf des Marktes Mitte

Ist ein heftiges Bewegen,

Alles wendet seine Schritte

Einem neuen Bild entgegen.

 

Als der Sarg zur Stelle schreitet,

Trat zum Zuge her Apone

Mit Biondetten, frech gekleidet,

Dich zum armen Jacopone.

 

Und ein wunderbar Entsetzen

Bricht durch alle, die sie sahn

So, mit frechem Zuchtverletzen,

Sich der frommen Leiche nahn.

 

Und der ganze Zug sich hemmte;

Es entstehet ein Gedränge;

«Weg mit diesem Purpurhemde!»

Schreit empört die rege Menge.

 

Doch will keiner sie ergreifen,

Weil sie so satanisch gleißet,

Und wo ihre Augen schweifen,

Alle Sinne sie zerreißet.

 

In den Wogen ihres Busens

Alle Sünder untertauchen,

Und wie Schlangenhaar Medusens

Ihre Locken Schrecken hauchen.

 

Über Apos greisem Haupte

Die zwei Nachtigallen schweben,

Weil er ihre Herrin raubt,

Ihre Klage laut erheben.

 

Und als sie sich auf der Stirne

Von Biondetten niedersenken,

Scheuchet sie die freche Dirne

Mit des Hauptes freiem Schwenken.

 

Und so groß ist das Erschrekcen,

Wie sie so verwandelt sei,

Daß nicht Achtung konnt erwecken

RosablankesnHilfsgeschrei,

 

Der Meliore an der Seite

Sinnlos sank zur Erde hin,

Als er sah, Biondette schreite

Her wie eine Sünderin.

 

Und sie legt die Totenkrone

Zu dem Sarge auf den Wagen:

«Helft, o helft, zu Jacopone

Mir den kranken Jüngling tragen!» –

 

«Dahin ist nicht durchzudringen,

Alles füllt der rege Zug,

Können wir ihn seitwärts bringen

Ist es Hilfe schon genug.»

 

Pietro nun mit Rosablanken

Machen sich im Volke Raum,

Und er trägt den stillen Kranken

Zum Altare an dem Baum.

 

Doch es mehrt sich die Verwirrung,

Und es steiget auf den Wagen

Nun der Konsul, dieser Irrung

Ersten Anlaß zu erfragen.

 

So erhöhet aus der Menge

Sieht er Apo und Biondetten,

Rings in wogendem Gedränge,

Vor dem Pöbel kaum zu retten.

 

Und er rufet: «Stille! Stille!

Um das Heil der Republik!»

Endlich sieget dann sein Wille,

Und er spricht mit strengem Blick:

 

«Wer hat unsern Zug zerrissen?

Vor uns ruht des Todes Friede,

Fromm geschmückt, auf schwarzen Kissen,

Und die Seele ist geschieden.

 

Und ich seh am Arm des Weisen

Hier mit unverschämter Stirne

Unser frommes Fest zerreißen

Eine sündlich bunte Dirne.

 

Welch ein Blick, von dieser Leiche

Zu dem frechen Weib getragen!

Brücke zu des Teufel Reiche

Aus dem Himmels Tor geschlagen!

 

Was verlangst du hier, Apone?

Bist in Wahnsinn du gefallen?

Trittst du so einher zum Hohne

Dir alleinig, oder allen?»

 

Und Apone ihm erwidert:

«Spreche, Konsul, nicht so gröblich;

Rede, die mich hier erniedert,

Ist nicht ziemlich dir und löblich.

 

Ich bin dir nicht untergeben,

Ich bin kein Vasall des Staates,

Wer kann sich gen mich erheben,

Als der Rektor des Senates?

 

Und vor allem mußt du wissen,

Daß ich, von des Volkes Menge

Wider Willen fortgerissen,

Hier gekommen ins Gedränge.

 

Könnt man doch nicht prächtger trauern,

Wär die Republik gestorben,

Die sich in Bolognas Mauern

Wechselfiebernd hat verdorben.

 

Da ich all die Glocken hörte

Rufen, mit der Zunge Erz,

Gen die Einsamkeit empörte

Sich im Busen mir das Herz.

 

Und ich glaubte, man bereite

Für Biondetten diese Feier,

Weil sie ausgesagt, sie kleide

Heut sich in den Nonnenschleier.

 

Und so führte ich hier nieder

Meine Freundin von der Zelle,

Daß sie durch die Macht der Lieder

Euch, was sie beschloß, erhelle.

 

Doch die Zeit scheint nicht gelegen,

Alles fühlt des Todes Schauer,

Und ich seh auf allen Wegen

Eine übermäßge Trauer.

 

Zieht die Republik zu Grabe

Hier auf unserm Heereswagen,

Tiefer Leid könnt man nicht tragen,

Als ich hier gesehen habe.

 

Sterbt, ihr Bologneser Frauen,

Tut euch recht zu leben not,

Denn galanter ist zu schauen

Als das Leben euer Tod.

 

Zu dem Wagen, der vor Jahren

Unsrer Schlachten wunde Helden

In Triumpfh herangefahren,

Kann sich nun ein jeder melden.

 

Ists erhört, in die Monstranzen,

Wo nur wohnt das Sakrament,

Eines Weibes Bild zu pflanzen,

Die im Schauspielhaus verbrennt?

 

Lambertazzi, Gieremeen,

Wo ist unsrer Ehre Schutz,

Wenn die Staatesflaggen wehen

Über schnöder Leichen Putz?

 

Rühret euch, ihr tapfern Schläger!

Von dem Wagen mit dem Weib!

Mag der falsche Achselträger

Selbst begraben ihren Leib!»

 

Also regt mit falschen Reden

Er des Hasses stille Glut;

Allen, di um ihn getreten,

Wallet zürnend auf das Blut.

 

Und die feindlichen Parteien,

An den Schwertern mit der Hand,

Mit verbissnem Maledeien

Stehn zum Ausbruch angespannt.

 

In dem Lärm steht unbeweget

Jacopone; wie ein Felsen

In dem Meere sich nicht reget,

Wenn sich Stürme um ihn wälzen.

 

Doch es wird ihm aufgetragen

Von dem Konsul nun, zu reden,

Und so ist er auf den Wagen

Zu dem Sarge hingetreten.

 

Doch der Schmerz ihn so durchdringet,

Daß er sich muß niedersetzen;

Alle rings sein Leid bezwinget,

Keiner wagt ihn zu verletzen.

 

Noch, eh er begann zu sprechen,

Sah mit wild gehobnen Armen

Er das dichte Volk durchbrechen

Seine Freunde, alle Armen.

 

Und sie schrien mit lauter Stimme:

«Treibt die Ochsen, fahret zu!

Bringet trotz des Toren Grimme

Unsre Mutter jetzt zur Ruh!»

 

Um den Wagen mit den Kindern

Klaget Agnus castus laut:

«Wer will frech den Brautzug hindern

Einer himmlisch reinen Braut!»

 

Und das Volk zu beiden Seiten

Treibt die Stiere mächtig an,

Und indem sie vorwärts schreiten,

Zieht die Leiche ihre Bahn.

 

Daß sich Apo still entferne,

Läßt der Rektor ihn ermahnen,

Und der Schergen Morgensterne

Müssen ihm den Weg schier bahnen,

 

Bis ihn seine Schüler finden,

Die ihn nun mit Biondetten

Eng mit ihrem Kreis umwinden

Und aus dem Gedränge retten.

 

Doch es ist das Volk geteilet,

Viele hinter Apo drängen,

Der hin zu dem Rathaus eilet;

Andre sich dem Zug vermengen.

 

Beide könnte ich geleiten;

Doch ich gehe zu der Linde,

Wo ich an Meliores Seiten

Rosablanken trauernd finde.

 

Pietro aber steht am Bronnen,

Und von Eifersucht durchpeint,

Fühlt er nicht den Strahl der Sonne,

Die ihm auf den Scheitel scheint.