BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1829

 

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Frisch gesungen!

 

Hab oft im Kreise der Lieben

In duftigem Grase geruht,

Und mir ein Liedlein gesungen,

Und alles war hübsch und gut.

 

Hab einsam auch mich gehärmet

In bangem düsterem Muth,

Und habe wieder gesungen,

Und alles war wieder gut.

 

Und manches, was ich erfahren,

Verkocht ich in stiller Wuth,

Und kam ich wieder zu singen,

War alles auch wieder gut.

 

Sollst nicht uns lange klagen,

Was alles dir wehe thut,

Nur frisch, nur frisch gesungen!

Und alles wird wieder gut.

 

 

Der neue Ahasverus.

 

Hegst im Herzen du die Stunden

Unsrer Kindheit noch, die Träume,

All mein Lieben, all mein Hoffen?

Siehst du wandeln uns verbunden

Durch des Paradieses Räume,

Und die Zukunft vor uns offen,

Sternbeglänzt und ungemessen,

Wie des Aethers reines Blau?

Nein, Sie haben das vergessen,

Gnäd'ge Frau.

 

Ja vergessen! und es sollen

Die französisch wohlgestellten

Worte für Erinnrung gelten!

Mitleid also und Erbarmen

Schenken gnädig Sie dem Armen,

Dessen Thränen Sie entrollen

Sehen, ohne nur zu wissen,

Welch ein Dämon ihn bethört.

O du hast mein Herz zerrissen

Unerhört!

 

Hab in altem Buch gelesen

Eine wundersame Sage,

Wer der ew'ge Jud gewesen.

Nicht kann Ahasverus sterben,

Sterben nicht, noch Ruh erwerben,

Bis der Herr am jüngsten Tage

Ruft die Todten aus dem Grabe,

Und auch er vernimmt das Wort;

Und er wankt am Wanderstabe

Fort und fort.

 

Fürder durch der Erde Weiten

Rastlos, müden Fußes wallt er,

Läßt die Weltgeschichte fluten.

Menschenalter ihm Minuten,

Und Minuten Menschenalter,

Stehen still vor ihm die Zeiten,

Bleibt in ihm sein Herz, das alte,

Drin der alte Schmerz gebannt,

Lastend über ihm die kalte

Schicksalshand.

 

Aber stets nach hundert Jahren

Treibt's nach Salem ihn zu wandern,

Von der Heimath zu erfahren.

Römer, Sarazenen, Franken

Wechselten, verdrängt von andern,

Tempel und Altäre sanken,

Mauern und Paläste brachen,

Flüsse wandten ihren Lauf,

Neue Götter, neue Sprachen

Steigen auf.

 

Düster sinnt der Fremdgewordne

Ueber unbekannten Trümmern,

Daß im Geist er's wieder ordne;

Und er fragt, und fragt vergebens,

Keiner will um ihn sich kümmern,

Auf dem Grabe seines Lebens

Steht versteint der Sohn der Schmerzen,

Ueber ihn hin braust der Sturm,

Und in seinem alten Herzen

Nagt der Wurm.

 

Ich bin Ahasverus, sag ich!

Sieh darauf mich an verwundert,

Salem du, wovor mir grauet.

Irrens müd, das Haar ergrauet,

Wank ich heim nach aber hundert

Jahren und vergebens frag ich,

Ruf ich – in den öden Mauern

Weck ich keinen Widerhall; –

Sieh Versteinten mich betrauern

Salems Fall.

 

 

[Hochzeitlied]

 

[1831 als 1. Lied im Zyklus «Hochzeitlieder»]

 

Es stehn in unserm Garten

Der blühenden Rosen genung, –

Dir blüht, noch schöner als Rosen,

Ein Mägdlein so frisch und so jung.

 

Ich habe mit Fleiß gewählet

Die schönsten Rosen zum Strauß, –

Du küssest die rosigen Lippen

Und lachst am Ende mich aus.

 

 

Der Tod des Räubers.

Nach de la Vigne.

 

Dem Söldner zahlt den ausgerufnen Preis! –

Der sonst um Romas Mauern weit im Kreis

Gemordet und geraubt, liegt überwunden;

Der Schreckliche verspritzt aus tiefen Wunden

Sein Bluth so heiß.

Die Seinen haben ihn hinabgetragen

In ihre Höhle, wo beim Fackelschein

Um den Gefallnen sie gekauert klagen;

Der Alte liegt besinnungslos, allein

Die Pulse schlagen.

 

Der späht, indem den Brand er näher schiebt,

Ob er kein Lebenszeichen von sich giebt;

Der spricht, indem er geht das Grab zu graben

Und seine Thränen er verschluckt: «Wie haben

Wir ihn geliebt!

Die um das Sterbebett des Pabstes weilen,

Sie haben nicht für ihn die Herzlichkeit.

Wie wußt er zu der Plünderung zu eilen!

Wie stark im Kampf und welche Ehrlichkeit

Sodann beim Theilen!

 

Er war ein echter Christ vom alten Schlag,

Er hielt die Fasten, wie nur einer mag,

Die heil'ge Kirche nebst den Heil'gen ehrt' er,

Und Raub und Mord, und jedes Werk verwehrt' er

Am Feiertag.

Da hatte nicht ein Christenkind zu beben,

Der Ketzer durfte nur, wie sich's gebührt,

Der Engeländer uns zu schaffen geben. –

Beeifert euch, wenn's so zu sterben führt,

Noch fromm zu leben!

 

Nun regt er sich, erwartet sein Gebot!» –

Er streckt die Hand aus, breit und bluthig roth,

Sie suchet seine Flinte noch zu fassen;

Nicht will er von der alten Waffe lassen,

Nicht in den Tod.

Sie war so manche Jahre sein getreuer,

Sein einziger Beschützer und Genoß;

Er freut sich ihrer, die er hält so teuer,

Versucht mit starrem Finger noch das Schloß –

Da giebt sie Feuer.

 

«Schon gut, du kennst mich noch; – indessen rafft

Der Söldner mich inmitten meiner Kraft;

Ich kann nicht selber meine Rache nehmen;

Du mußt dich einer stärkern Hand bequemen,

Die Rache schafft.

Durch dich getroffen muß der Wicht erstarren,

Den schuldest du mir noch, versage nicht;

Sie werden in die Erde mich verscharren,

Drei Tage geb ich Zeit, tu deine Pflicht,

Ich werde harren.»

 

Des Weges zog ein Mönch von ungefähr;

Mit Geld und milden Gaben hatten schwer

Die Gläub'gen ihn beladen; dieses bracht er

Dem Kloster zu, des Geldes nur gedacht er; –

So zog er her.

Ein Räuber hieß, ehrfürchtig die Gebärde,

Das Haupt entblößt, ihn folgen zu dem Platz;

Er kam unweigerlich, den Blick zur Erde,

Mit leisem Schritt, daß klingend nicht sein Schatz

Verrathen werde.

 

Und brünstig betet' er zu Gott empor;

Da klang dieß Wort unheimlich in sein Ohr:

«Ihr sollt mich beichten hören, mich entbinden,

So lieb Euch Euer Kopf ist, meiner Sünden.

Confiteor:

Es lastet mancher Mord auf meiner Seele,

Darauf war einmal mein Gewerb gestellt.»

Demüthig sprach mit angstgeschnürter Kehle

Der Mönch: «Wer ist, mein Sohn, in dieser Welt

Ganz frei von Fehle?»

 

Erbaulich kreuzigte, wer um ihn stund,

Bei jedem Mord sich traurend, den sein Mund

Berichtete; und ferner sprach der Alte:

«Wie sich's mit meinem Nachlaß noch verhalte,

Ich mach es kund.

Im Namen Gottes und der Jungfrau, sollen

Gehören meinem Weib Geschmeid und Tand;

Dir mein Gewehr, um Rache mir zu zollen;

Euch, Herr, mein Geld; – die Seel' in Gottes Hand,

Mög er sie wollen!»

 

Der Mönch empfieng im Schrecken seinen Lohn

Und gab dem Sünder Absolution;

Dann trat das schöne Weib herein, mit stieren,

Mit stolzen Augen, in den Armen ihren

Unmünd'gen Sohn.

«Todt», rief sie, «todt! doch hat er nicht die Seinen

Verlassen, und kein Feiger liegt er da!»

«Nein!» schrie er zornig auf, «wer dürft es meinen?»

Das Kind indessen weinte, weil es sah

Die Mutter weinen.

 

Sie warf sich neben den geliebten Mann,

Nahm in den Schoß sein Haupt und weinte dann.

Ihm klapperten vor Schmerz die Zähne heftig;

Bezwingen wollt er sich noch willenskräftig,

Es gieng nicht an.

«Wir werden länger nicht vereinigt bleiben,

Leb wohl, du gutes Kind, es wird nun wahr;

Der scheidet, will auch uns vonsammen treiben.»

Er lächelte, – sein Lächeln aber war

Nicht zu beschreiben.

 

«Und weißt du noch den Kuß, der uns verband,

Den ersten, als im Wald ich einst dich fand,

Dich widerstrebend fest umschlungen hatte,

Und liebesstark dein Bräutigam, dein Gatte

Dich überwand!

So laß mit einem letzten Kuß uns scheiden;

Nicht wonnetrunken, taumelnd, unbewußt,

Nein, schmerzenreich besiegelt er uns beiden,

Wie jener erste dort die erste Lust,

Die letzten Leiden.

 

Es will nicht taugen, daß du einsam bist;

Nimm einen wackern Mann nach kurzer Frist,

Und beide liebet meinen armen Knaben.

Laßt, wie ich selbst, ihn Gott vor Augen haben

Als guter Christ.

Wann dreizehn Jahr er alt ist, so erschein er

Zum Abendmahl; dann sprich zu ihm das Wort:

Dein Vater, der dich schaut, war kühn wie keiner;

Sieh hier sein Grab, die offne Straße dort, –

Und denke seiner.»

 

Er sprach's, dann gieng's zu sterben; in der Wuth

Der Schmerzen wälzt' er stöhnend sich im Bluth,

Das Antlitz bleich von Angstschweiß überflossen.

Noch rief er: «Ave!» – «Amen!» die Genossen

Mit trübem Muth.

Dann sank sein müdes Haupt zurück. Hienieden

Gebührt die Ehr ihm: feuert in die Luft

Noch drei Mal die Musketen; schaffet Frieden

Vor Kinderschrei um dieses Mannes Gruft:

Er ist verschieden.

 

 

Der neue Diogenes.

 

Was pressen sich die dichten Massen

Des Volkes in den engen Raum?

Es fassen, Amiens, deine Straßen

Das wogende Gedränge kaum. –

Der Kaiser naht, der Herr der Welt;

Hebt Siegeslieder an zu singen!

Er hat der Feinde Macht zerschellt,

Er naht, den Seinen Heil zu bringen! –

 

Der Freudenrausch, der sich ergossen,

Er läßt den Einen unberührt:

Ein Steinmetz ist's, der unverdrossen

Den Meißel und den Hammer führt;

Der läßt den Zug vorübergehn

Und nicht im Tagewerk sich stören,

Als hab er Augen nicht, zu sehn,

Als hab er Ohren nicht, zu hören.

 

Vom Roß herab bemerkt von ferne

Der Kaiser dort den rüst'gen Mann;

Es reizt ihn, daß er kennen lerne,

Wer so von ihm sich sondern kann.

Er hat sich ihm genaht, er fragt:

«Was schaffst du da?» – «Den Stein behauen!»

Entgegnet der, und wie er's sagt,

Er kann ihm scharf ins Antlitz schauen.

 

«Ich sah dich bei den Pyramiden,

Du schlugst dich gut, du warst Sergeant;

Wie kam's, daß du den Dienst gemieden,

Vergessen hier und unbekannt?»

«Ich habe meine Schuldigkeit

Gethan, o Herr, zu allen Stunden,

Und ward nach ausgedienter Zeit

Von Eid und Kriegespflicht entbunden!» –

 

«Es thut mir leid, im Heer zu missen,

Wer brav sich hielt im Kriegeslauf;

Laß deinen kühnsten Wunsch mich wissen,

Des Kaisers Gnade sucht dich auf!» –

«Ich brauche nichts, die Hände mein

Genügen noch, mich zu ernähren;

Laß mich behauen meinen Stein,

Und deiner Gnade nicht begehren.»

 

 

Sophia Kondulimo und ihre Kinder.

 

(Ed. Blaquière, Letters from Greece. London, 1828)

 

Du sinkest, Missolunghi, und liegst in Trümmern nun,

Bezeichnend nur den Friedhof, wo deine Helden ruhn;

Einziehend jauchzt der Moslim, der unserm Glauben flucht,

Und strauchelt über Leichen, wo er nach Sklaven sucht.

 

Sophia Kondulimo, die nun verwitwet stand, –

Ihr Gatte war gestorben den Tod fürs Vaterland –

Drückt ihre beiden Kinder an ihr gebrochnes Herz,

Und mißt die nächste Zukunft mit grenzenlosem Schmerz.

 

Die blühnde Jungfrau gleichet an hoher Schönheit Ruhm

Der goldnen Aphrodite vom blinden Heidenthum;

Nicht Jüngling noch zu nennen, der Knab entschüttelt kaum

Der blondgelockten Stirne den frohen Kindheitstraum.

 

«Auf, auf! der wüste Lüstling, der Türke stürmt herbei;

Noch steht ein Thor uns offen, ob wohl noch Rettung sei?

Nimm, Sohn, des Vaters Waffen, du – gestern noch ein Kind,

Es spricht die Zeit dich mündig, nun sei, was Männer sind!

 

Der Schande gilt's zu wehren, die gräßlich uns bedroht,

Wir fliehen vor der Schande, wir fürchten nicht den Tod;

Den letzten Schuß verwahrst du auf meinen Wink bereit,

Ich werde dir bezeichnen das Ziel und auch die Zeit.»

 

Es wälzt sich durch die Straßen, bedrängt von der Gefahr,

Der Witwen und der Waisen verzweiflungsvolle Schar,

Und flüchtend zu den Bergen ergießt sie sich durchs Feld,

Und wird in vollem Jammer vom Brand der Stadt erhellt.

 

Berittne Haufen schweifen und stellen auf dem Plan,

Sich Sklavinnen zu fangen, ein Menschentreiben an. –

O weinet, meine Augen! ich kann im Elendmeer

Sophia mit den Ihren nicht unterscheiden mehr.

 

Dort taucht sie aus der Menge, dort, bei der Bergesschlucht;

O rette deine Kinder, beflügle deine Flucht!

Es brechen Menschenräuber dort aus dem Hinterhalt,

Und feldwärts jagen Reiter herbei mit Sturmgewalt.

 

Zu spät! Die Schmerzenreiche ermißt, was kommen muß;

Der Sohn, des Winks gewärtig, bereitet sich zum Schuß,

Und sie – verhüllt ihr Antlitz, und ruft: «Der Türke naht! –

Dein Ziel – der Schwester Busen!» – Geschehen ist die That.

 

Stumm liegt zu ihren Füßen die göttergleiche Maid,

Von deren Herzens-Bluthquell sich gräßlich färbt ihr Kleid.

«Hinweg, hinweg! Sie ruhet gesichert so vor Schmach,

Hinweg vor dem Entsetzen, wovor das Herz uns brach.»

 

Sie sind nur wen'ge Schritte noch weiter ab geflohn,

Da sinkt an ihrer Seite verwundet auch der Sohn,

Und wie in ihren Armen sie ihn zu bergen glaubt,

Da blitzt ein Türkensäbel hernieder auf ihr Haupt.

 

Sie deckt den zarten Sprößling mit ihrem eignen Leib:

«Halt an: Und siehest, Unmensch, du nicht, ich bin ein Weib!»

Der Türke hält, getroffen vom Mutter-Angstgeschrei,

Und sparet die Gefangnen für harte Sklaverei.

 

Woher auf jenem Eiland das freudige Gewühl?

Sie küssen dort den Boden mit frommem Dankgefühl.

Ja, Eynards Boten eilten zur bluthgedüngten Statt,

Die Griechen-Sklaven sind es, die er erkaufet hat.

 

Sophia Kondulimo, du Schmerzensmutter, hier,

Und auch, den du gerettet, der Sohn zur Seite dir?

Bist du zu längerm Jammer hienieden aufgespart,

Das bluth'ge Bild der Tochter in steter Gegenwart?

 

Noch bringen andre Schiffe der Freigekauften viel,

Und viel des bittern Elends erreicht der Hoffnung Ziel;

Der junge Kondulimo, gemischt in ihre Schar,

Theilt Freud und Leid mit jedem, den Griechenland gebar.

 

«Wer bist du, Licht der Jungfraun? O wäre nicht geschehn,

Was selbst doch ich vollbrachte, ich dächte dich zu sehn;

O Schwester! – ja du bist es, ja, meine Schwester du!

Nun führ ich selbst der Mutter die Neugeborne zu!»

 

Eynard, du Freund der Menschheit, du segenreicher Mann,

Den auch der Dichter preisend nicht höher ehren kann,

Er beugt vor dir sich schweigsam und zollet dir gerührt

Mit Thränen frommer Ehrfurcht den Dank, der dir gebührt.

 

 

Rede des alten Kriegers Bunte-Schlange

im Rathe der Creek-Indianer.

 

Im Rath der Creek-Indianer ward der Bote

Des Präsidenten Jackson vorgelassen;

Der Brief, den er verlas, enthielt Gebote.

Die Landmark, welche diesseits sie besaßen

Des Mississippi, sollten gleich sie räumen,

Und der Entschluß blieb ihnen nur zu fassen.

Und starr und stumm beharrten, wie in Träumen,

Die Oberhäupter, man vernahm noch lange

Das Säuseln nur des Windes in den Bäumen.

Da hob sich aus der Männer erstem Range

Der hundertjähr'ge waffenmüde Greis,

Ein Nestor seines Volks, der Bunte-Schlange.

Er trat gestützt von zweien in den Kreis,

Und wie gespannt ein jeder auf ihn sah,

Begann er seine Rede klug und weis:

«Ihr, meine Brüder, höret selber ja,

Was unsers großen Vaters Meinung ist;

Er liebet seine rothen Kinder ja.

Er ist sehr gut, – ihr, meine Brüder, wißt,

Ich habe früher oft sein Wort vernommen –

Er ist sehr gut, wohl ohne Falsch und List.

Wie erst vom großen Wasser er gekommen,

Er war sehr klein, er trug ein rothes Kleid,

Es mocht ihm länger nicht im Boote frommen.

Der weiße Mann that unsern Brüdern leid;

Er bat um Land, sein Feuer anzuzünden,

Und wartete geruhig auf Bescheid.

Er wollte, gab er vor, uns bloß verkünden,

Was vieles wir zu unserm Glücke brauchten;

Wir aber wollten uns mit ihm verbünden.

Am Ufer des Savannah-Stromes rauchten

Die Muskotshihs mit ihm die Friedenspfeife;

Dort war's, wo in den Wind den Rauch sie hauchten.

Sie machten ihm ein Feuer an; die Steife

Der Glieder wärmte da der weiße Mann;

Sie gaben Land ihm, wo nach Wild er schweife.

Er war sehr klein; es feindeten ihn an

Des Südens blasse Männer, die um Beute

Sich wider ihn erhoben; Krieg begann.

Für ihn ergriffen unsre jungen Leute

Den Tomahawk, und gaben nicht ihn bloß

Dem Messer zu skalpieren, das er scheute.

Und wie darauf er, seines Feindes los,

Sich unter uns erwärmet und genährt,

Da wuchs er auf, da ward er riesengroß;

Da hat sein Tritt das Jagdrevier verheert,

Da hat er überholt die fernsten Horden,

Und Wald und Flur und See für sich begehrt.

Nach Süden reichte seine Hand und Norden,

Und seine Stirne zu des Mondes Schild;

Da ist er unser großer Vater worden.

Zu seinen rothen Kindern sprach er mild, –

Er liebt sie ja: ‹Geht weiter, weiter! hört!

Sonst tret ich euch, so wie im Forst das Wild.›

Er stieß sie mit dem Fuße, unerhört!

Den Oconih hinüber; dann zertrat er

Die Gräber ihrer Väter ungestört.

Und immer war er unser großer Vater

Und liebte seine rothen Kinder sehr,

Und ihnen wiederum zu wissen that er:

‹Ihr seid mir noch zu nah, entfernt euch mehr.›

Eins war, wie jetzt, schon damals zu bedauern:

Es fanden Schlechte sich in unserm Heer.

Die sah man um der Väter Gräber trauern,

Und finstern Sinnes schleichen in die Runde,

Und um den Fußtritt unsers Vaters lauern.

Und ihre Zähne bissen eine Wunde

In seinen Fuß; da liebt' er uns nicht minder,

Doch ward er bös auf uns zur selben Stunde.

Da trieb er mit Kanonen uns geschwinder,

Weil träg er uns und ungelehrig fand;

Und dennoch liebt' er seine rothen Kinder. –

Wie unsern großen Vater ich verstand,

Am Tag er zu uns sprach im Zorne sein:

‹Geht weiter abwärts, dort ist schönes Land›;

So sprach er auch: ‹Dies Land soll euer sein,

So lang ihm nicht des Himmels Thau gebricht,

So lang es grünet in der Sonne Schein.›

Gehöret hab ich, was er heute spricht;

Er spricht: ‹Das Land, das ihr zur Zeit bewohnet,

Nicht euer ist es, es gehört euch nicht.

Durchkreuzt den Mississippi, drüben lohnet

Das Wild dem Jäger, euch gehört der Ort,

Wohnt dort, so lang die Sonn am Himmel thronet.›

Wird unser großer Vater nicht auch dort

Zu uns hinüberreichen? – Nein, er sagt,

Er werde nicht, und Wahrheit ist sein Wort. –

Ihr Brüder, unser großer Vater klagt,

Daß unsre schlechten Menschen ihn betrübt,

Mit Mord an einen Weißen sich gewagt. –

Wo sind die rothen Kinder, die er liebt?

So zahlreich wie im Walde sonst das Laub,

Wie kommt's, daß ihre Zahl wie Laub zerstiebt?

Ach! seinen weißen Kriegern sind zum Raub

Gar viele worden, viele sind erschlagen,

Und viele trat sein Fuß selbst in den Staub.

Ich habe, Brüder, weiter nichts zu sagen.»

 

 

Chios.

 

Eugène Delacroix, Das Massaker von Chios (1824, Louvre Paris)

 

1

Der Dichter

 

«Auf! wach auf! entsetzlich müssen

Fieberträume dich erschrecken,

Krampfhaft stöhnst du, – laß mit Küssen

Dich dein treues Weib erwecken.» –

Dank dir, Weib; verscheuchst die bangen

Träume, hegst mich traut umfangen,

Und noch starrt mein Haar empor;

Noch, wohin die Blicke schweifen,

Seh ich bluth'ge Leichen schleifen,

Schwebt der Greuel Bild mir vor.

 

Dieses Buch 1) – es ist vergebens!

Laß an deiner Brust mich weinen,

Nimmer wird die Lust des Lebens

Wieder lächelnd mir erscheinen.

Chios, blühnder Friedensgarten,

Weh! du unterliegst dem harten,

Dem entmenschten Bluthgericht;

Deine neunzig tausend Bürger

Sind erwürgt, es zürnt der Würger,

Daß an Opfern es gebricht.

 

Allah! ruft der Moslim, hauet

Greise nieder, Kinder, Frauen;

Christus! ruft der Raja, schauet

Himmelwärts mit Hochvertrauen;

Er begehrt die heil'ge Palme; –

Menschen mähet der, wie Halme,

Jauchzet auf, ob Allahs Sieg. –

Das ist zu des Himmels Rache,

Das ist für die heil'ge Sache

Völker- und Vernichtungskrieg!

 

Die dem Wütherich zu Willen

Christensklaven hier verladen,

Schnöden Goldesdurst zu stillen

Sich in Bluth und Thränen baden,

Die nach Stambul bluth'ge Glieder

Liefern der erschlagnen Brüder –

Weh mir! – sind – o Schand und Spott!

Wagt mein Mund es auszusprechen? –

Franken sind es, und die Frechen

Nennen Christum ihren Gott.

 

Und die Pairs von Frankreich haben

Eines hohen Raths gepflogen,

Solcher Schandthat, solchen Knaben

Recht und Strafe zugewogen.

Du – Villele, sollst mir sagen,

Der den Rath zu unterschlagen

Du dich nicht entblödet hast:

Kennst du noch des Schlafes Mächte?

Nicht die Träume meiner Nächte

Tauscht ich gegen deine Rast!

 

2

Die Brüder

«Als von Samos du uns brachtest,

Logothetes, die Empörung,

Unglücksel'ger, du bedachtest

Nicht die drohende Zerstörung,

Nicht Vehib und seine Rotte,

Ali nicht und seine Flotte,

Nicht der Asiaten Brut;

Du entfleuchst, – wir sind vernichtet;

Der gereizte Tiger richtet,

Sättigt sich in unserm Bluth.»

 

Und er schreitet spähend, zagend,

Ueber Schutt und zwischen Leichen,

Gold und Edelsteine tragend,

In die Festung sich zu schleichen.

Ach er kommt, um zu den Füßen

Des Vehibs den Staub zu küssen,

Kommt den Unmensch zu erflehn; –

Wird dem Glanz der Edelsteine,

Wird Vehib dem Goldesscheine

Unerbittlich wiederstehn?

 

«Du und Ali habt's berathen;

Alle Geiseln müssen sterben,

Keiner soll von den Primaten

Unsers Volkes Gnad erwerben.

Nicht mit meinem Herrn zu rechten

Kam ich her; mit euren Knechten

Schaltet, wie ihr's räthlich glaubt;

Nimm hier deines Sklaven Gabe,

Nimm, Herr, seine ganze Habe,

Nimm sein dargebrachtes Haupt.

 

Ja mein Haupt: der Geiseln einer

Ist mein Bruder, nicht den Guten

Straf am Leben, nimm statt seiner

Mich, und laß für ihn mich bluthen.

Er ist Vater vieler Kinder;

Haupt um Haupt, es zählt nicht minder

Meines, als das teure Haupt.

Nimm hier deines Sklaven Gabe,

Nimm, Herr, meine ganze Habe,

Nimm mein dargebrachtes Haupt.»

 

Und es scheint, daß er sich freue

An dem Glanze des Metalles:

«Gilt dir, Raja, Brudertreue

Ueberschwenglich mehr als alles?

Willst den Tod für ihn erleiden?

Wohl, ich werde nicht euch scheiden. –

Schafft zur Stelle, den er meint!»

Wie sie sich umarmen wollen,

Winkt er; – beider Häupter rollen,

Und der Tod hat sie vereint.

 

3

Die Märtyrer

 

Welche nicht gewohnte Klänge

Hallen von den Klüften wider?

Jubelruf und Festgesänge:

«Heil dem Kreuz!» und Siegeslieder;

Und der Türke schaut verzaget

Nach den Bergen hin und fraget,

Ob der Halbmond unterliegt?

Ja, die Christusstreiter waren

Stark in harten Kampfs Gefahren,

Ja, es hat das Kreuz gesiegt.

 

Neun Tag ist das Bluth geflossen;

Der Barbaren wilde Horden,

Die sich rings ins Land ergossen,

Fangen Menschen ein und morden;

Herdenweise heimgetrieben,

Wie sie fest im Glauben blieben,

Sind dem Tode sie geweiht;

Wen'ge sparet man zu Sklaven;

Sie zu feilschen sind im Hafen

Fränk'sche Schiffe schon bereit.

 

Von den Bergen niederwallen

Sieht man einen neuen Haufen;

Diese sind, ach! abgefallen,

Sich vom Tode loszukaufen;

Türken, welche sie begleiten

Und voran dem Zuge reiten,

Triumphieren hochentzückt;

Doch sie selbst mit dumpfem Schweigen,

Und mit Schamerröthen zeigen,

Wie die Schmach sie niederdrückt.

 

Wie zum Richtplatz sie gelangen

Und dem Tod ins Auge schauen,

Dort, wo ihre Brüder hangen,

Ueberwinden sie das Grauen;

Es erfaßt sie, und sie beben

Vor der Sünde nur, dem Leben,

Vor der Schande bittrer Noth: –

«Heil dem Kreuze! wir sind Christen,

Wollen nicht das Leben fristen;

Gebt uns Märtyrern den Tod!»

 

Und der Bascha winkt im Grimme

Seinen Schergen sie zu schlachten;

Laut erschallt von fester Stimme

Der Gesang der Christenschlachten;

Bluth beginnt den Grund zu färben,

Und sie singen, und sie sterben,

Und des Kreuzes Hymne schallt,

Bis, erfüllt des Himmels Wille,

Schauerlich in Todesstille

Endlich der Gesang verhallt.

 

4

Die Geretteten

 

Vor der Wiege lieget bluthig,

Jung und schön, der Mann erschlagen,

Hat die schweren Wunden muthig

Vorn auf seiner Brust getragen;

Auf der Wiege selber lieget,

Angeklammert, angeschmieget,

Regungslos das zarte Weib,

Und den Säugling, welcher weinet

Und der Brust bedürftig scheinet,

Deckt sie starr mit ihrem Leib.

 

Jourdain, der mit zweien Booten

Kam, die Küste zu erspähen,

Und den letzten der Chioten

Rettung bringend beizustehen,

Jourdain sieht das Bild mit Schaudern,

Sucht die Mutter ohne Zaudern

Zu erwecken – kalt und todt!

Zitternd nimmt er in die Arme

Nun das Kind, es trieft das arme

Von der Mutter Bluth so roth.

 

Schüsse, die er höret, ziehen

Ins Gebirg ihn; mit Barbaren

Kämpft ein Grieche; jene fliehen,

Und befreiet von Gefahren,

Zeigt ihm dieser eine bleiche

Junge Frau, die auf die Leiche

Des durchbohrten Säuglings weint;

Trost will dieser Schmerzenreichen

Hochergraut ein Priester reichen,

Und er weint mit ihr vereint.

 

In den Schoß des jungen Weibes

Legt den Findling Jourdain nieder:

«Nahm das Kind dir deines Leibes

Gott, er schenket eins dir wieder;

Nennen sollst du's: Gottesgabe.

Aber auf! und folgt; ich habe

Boote dort bereit zur Fahrt.»

Wie die Gatten folgend danken,

Redet zu dem edeln Franken

So der Priester hochbejahrt:

 

«Zeuch mit Gott, der her dich sandte,

Und er leuchte deinen Wegen;

Der in dir zu uns sich wandte,

Spendet auch durch mich den Segen;

Schau auf diese meine Haare,

Die gebleichet achtzig Jahre,

Nicht der Lust gehör ich an;

Es geziemt mir hier zu wandeln,

An den Brüdern so zu handeln,

Wie du, Fremder, hast gethan.»

 

5

Die Leichen

 

Da, wo Chios einst gewesen,

Herrschet Stille sonder Gleichen;

Auf der Trümmerstatt verwesen

Zwanzig Tausend Christen-Leichen;

Andre füllen Strand und Hafen;

Keine Raja, keine Sklaven

Frönen mehr am öden Ort;

Es beginnt die Pest zu wüthen,

Und, die Seuche zu verhüten,

Zog der Türke weiter fort.

 

Ausgespannt die dunkeln Flügel

Deckt die Nacht die stummen Trümmer;

Doch wer geht, wer gräbt am Hügel

Einsam bei der Lampe Schimmer?

Ach! es ist der Gottesdiener,

Ist der fromme Kapuziner,

Der aus Frankreichs Konsulat;

Armer Greis! ins Grab sie betten

Muß er, die er jüngst von Ketten

Und vom Schwert errettet hat.

 

Das Gekreisch, was hat's zu schaffen,

Angstvoll auf dem Meer erhoben?

«Zu den Waffen! zu den Waffen!

Allah, sollen wir dich loben?

Schwarzer Ali, du sollst wachen!»

Donnerndes Geschützes Krachen

Weckt den fernen Widerhall; –

«Zu den Waffen! Feinde kommen,

Rajas kommen her geschwommen,

Wagen einen Ueberfall!»

 

Und aus finstrer Wolkenschichte

Bricht hervor des Mondes Scheibe;

Schaudernd sehn sie bei dem Lichte,

Daß der Landwind Leichen treibe,

Leichen in gedrängten Scharen,

Raja-Leichen, die da waren

Alis grauses Siegesmal;

Angespült wie von Gedanken,

Legen sie sich um die Flanken

Seines Schiffes sonder Zahl.

 

Bischof Platon, dort, der Greise,

Scheinet starr ihn anzuschauen,

Und es wird sein Bluth zu Eise,

Es erfasset ihn ein Grauen;

Will sich diesem Graus entziehen,

 

Will vor seinen Todten fliehen –

Schwarzer Ali, nur gemach!

Sieh, in deines Kieles Gleise

Ziehn sie wunderbarer Weise

Ihrem Mörder drohend nach.

 

6

Kanaris

 

Mondlos ist die Nacht; im Dunkeln

Sieht man fernher von den Masten

Alis farb'ge Lichter funkeln;

Schwelgend feiert er die Fasten,

Hat auch für ein Fest zu sorgen,

Dem Propheten weiht er morgen

Kinder, die er jüngst geraubt;

Und die fränk'schen Schiffe brachten

Ihm Trophä'n von Kretas Schlachten,

Ihm Balestes bluth'ges Haupt.

 

Siegsmusik und Hohn dem Armen!

Schwelge, schwelge noch Sekunden!

Hält dich fest in Flammenarmen

Doch dein Schicksal schon umwunden.

«Heil dem Kreuze!» – «Feuer! Feuer!»

Held Kanaris, Ungeheuer,

Leitete den Brander gut;

Deine Zeit ist um, die Flammen

Schlagen über dir zusammen,

Unter dir ergrimmt die Flut.

 

Unter gräßlichem Geheule

Stürzen krachend Mast' und Raaen,

Wirbelnd steigt die Feuersäule,

Keine Hülfe wagt zu nahen;

Sonder Führung und Gebote

Ueberfüllen sich die Boote,

Sie verschlingt des Meeres Schoß;

Gluth erfaßt nach kurzem Jammer

Endlich auch die Pulverkammer, –

Ali, du erfüllst dein Los.

 

Schweigsam steuert – angegriffen

Wird sein Boot er selber sprengen –

Held Kanaris zwischen Schiffen,

Die in blinder Flucht sich drängen; –

Keines mag um ihn sich kümmern –

Steuert zwischen Schiffestrümmern,

Bis er freier um sich schaut:

«Heil dem Kreuz!» vor Psaras Strande,

Vor dem teuren Vaterlande,

Flaggt er, als der Morgen graut.

 

«Seht die Flaggen! Heil dem Sieger!

Heil dem Rächer! ihm zum Lohne,

Der erlegt den grimmen Tiger,

Lorbeer, winde dich zur Krone!»

Und, sein Steuerruder tragend,

Landet, schreitet er entsagend

Durch die Haufen, stumm und taub,

Barhaupt, barfuß zur Kapelle,

Und er wirft auf heil'ger Schwelle

Vor dem Kreuz sich in den Staub.

 

1) Pouquevilles «Geschichte der Wiedergeburt Griechenlands». VI. Buch.

 

 

[Süsser Freund, du blicktest]

 

[1831 als 6. Lied im Zyklus «Frauen-Liebe und Leben»]

 

Süßer Freund, du blicktest

Mich verwundert an,

Kannst es nicht begreifen,

Wie ich weinen kann;

Laß der feuchten Perlen

Ungewohnte Zier

Freudenhell erzittern

In den Wimpern mir.

 

Wie so bang mein Busen,

Wie so wonnevoll!

Wüßt ich nur mit Worten,

Wie ich's sagen soll;

Komm und birg dein Antlitz

Hier an meiner Brust,

Will ins Ohr dir flüstern

Alle meine Lust.

 

Hab ob manchen Zeichen

Mutter schon gefragt,

Hat die gute Mutter

Alles mir gesagt,

Hat mich unterwiesen,

Wie, nach allem Schein,

Bald für eine Wiege

Muß gesorget sein.

 

Weißt du nun die Thränen,

Die ich weinen kann,

Sollst du nicht sie sehen,

Du geliebter Mann;

Bleib an meinem Herzen,

Fühle dessen Schlag,

Daß ich fest und fester

Nur dich drücken mag.

 

Hier an meinem Bette

Hat die Wiege Raum,

Wo sie still verberge

Meinen holden Traum;

Kommen wird der Morgen,

Wo der Traum erwacht,

Und daraus dein Bildniß

Mir entgegen lacht.

 

 

Recht empfindsam.

 

Tochter

Meine teuren Eltern, habt Erbarmen,

Laßt mein Leid erweichen euren Sinn,

Nähm ich diesen Mann, in seinen Armen

Welkt ich, zarte Blume, bald dahin!

 

Vater

Mutter, sieh, wie sie sich zieret!

Hör, du dumme Trine, du,

Einen Mann sollst du bekommen,

Greif mit beiden Händen zu.

 

Tochter

Rauher Wirklichkeit nur mag er frönen;

Ohne Zartheit, ohne Poesie,

Ungebildet, kann er nur mich höhnen,

Mich verstehen, nein, das wird er nie!

 

Vater

Mutter, die verfluchten Bücher

Müssen ihr den Kopf verdrehn.

Waren wir denn je gebildet?

Konnten wir uns je verstehn?

 

Tochter

Wo die Herzen fremd einander blieben,

Knüpft ihr nicht ein gottgefällig Band;

Weder achten kann ich ihn, noch lieben,

Nimmermehr erhält er meine Hand!

 

Vater

Mutter, hör die dumme Trine,

Hör doch, was es Neues giebt!

Haben wir uns je geachtet?

Haben wir uns je geliebt?

 

Tochter

Lieber will ich in ein Kloster fliehen,

Giebt's kein Kloster, in mein frühes Grab;

Wohl denn! dieser Schmach mich zu entziehen,

Stürz ich in die Wellen mich hinab!

 

Vater

Hast du endlich ausgeredet?

Gut, du bleibst mir heut zu Haus,

Hältst dein Maul und nimmst den Bengel,

Punktum, und das Lied ist aus.

 

 

Herzog Huldreich und Beatrix.

 

Herr Huldreich, der Herzog im Böhmerland,

Er jagt auf den Höhen zur Stund;

Die Bäuerin wäscht die Leinewand

Am Bach im schattigen Grund.

 

«Bedürftig und müde verirrtest du

Dich Jäger in unser Thal;

Laß hier dich nieder zu kurzer Ruh,

Und theile mit mir das Mahl.» –

 

«Hab Dank, hab Dank, du freundliches Kind,

Du spendest, wo mancher raubt;

Wie mir ermattet die Glieder sind,

Sinkt sorgenschwer auch mein Haupt.» –

 

«Und naht die Sorge bei freudiger Jagd

Dir Jäger im lustigen Wald?

Wann nagend den alten Vater sie plagt,

Verscheuchet mein Lied sie bald.» –

 

«Kein Lied aus treuer, freudiger Brust!

So einsam inmitten der Schar!

Kein Stern der heiteren, innigen Lust,

Kein Aug, wie das deine so klar!» –

 

«Doch leuchtet aus kühngewölbten Braun

Mildfreundlich dein Augenstern;

Wer möchte nicht in den Himmel schaun,

Wer nicht in das Auge dir gern?»

 

«Zu mir hinauf wohl manche sah,

Frug nicht nach des Auges Licht,

Und hätte gestanden ein anderer da

Statt meiner, sie merkt' es nicht.» –

 

«Auf, Jäger, es mag geschieden nun sein;

Dort windet dein Pfad sich hinan.

Noch schaut ich ins Auge dem Vater allein,

Sonst keinem anderen Mann.» –

 

«Mißdeute nicht ein trübes Wort,

Das nicht, du Gute, dir galt;

Und schickst du von hinnen mich zürnend fort,

Wo find ich auf Erden noch Halt?» –

 

«Ich zürne nicht, wie du es meinst,

Ich bin vom Zürnen, wie fern!

Gott segne dich, und die dereinst

Wird deines Himmels Stern.» –

 

«Gott segne dich, du liebe Maid;

Noch eins verkünde mir mild:

Gedenk ich dein in Freud und Leid,

Wie nenn ich das süße Bild?» –

 

«Beatrix nennt der Vater mich,

Des Hütte dort sich zeigt;

Du aber sprich, wie nenn ich dich,

Der huldreich sich mir geneigt?» –

 

«Beatrix, Heilesbringerin!

Wohl wirst du als solche bekannt;

Und fragst nach mir? mit zartem Sinn

Hast selbst du mich eben genannt.» –

 

«Du Huldreich? hab ich's doch gedacht,

Wie unser Herzog schier,

Und käm er daher in der Herrschaft Pracht,

Ich blickte doch nur nach dir.» –

 

«Ich dünkte der Freude mich fremd noch fast,

Und hab's dir, Beatrix, vertraut;

Doch wenn um Liebe du Liebe hast,

Verbinde der Ring mir die Braut.» –

 

«Du lieber, du seltsamer Jägersmann,

So Huld- mir und Liebe-reich;

Den Ring, den nehm ich vom Vater nur an,

Ich führe zum Alten dich gleich.» –

 

«Wohlan, wohlan du süße Gestalt,

Ich werb um deine Hand;

Der Alte findet den Bessern, halt!

Doch nicht im böhmischen Land.» –

 

Da kamen die stolzen Genossen der Jagd

Den Herzog suchend einher,

Es dienet der Herr der Bauermagd,

Sie zürnen und schelten sie sehr. –

 

«Was zürnt ihr und scheltet die Bauermagd?

Die heut euch dünket zu klein,

Sie wird, bevor der Morgen noch tagt,

Wohl über euch Herzogin sein.»

 

 

Josua.

 

Juchhei! das war ein Schlagen,

Ein Schlachten bei Gibeon;

Der Tag gebrach den Würgern,

Es neigte die Sonne sich schon.

 

Sprach Josua zur Sonne:

«Du, steh am Himmel fest!»

Sie stand, da gab er gemächlich

Den Ueberwundnen den Rest.

 

Das war ein Tag der Frommen,

Wie nie ein andrer getagt,

Wie nie ein andrer wird tagen,

Das wird ausdrücklich gesagt.

 

Das war ein feines Kunststück,

Wie mancher erachten mag,

Der wohl die Nacht uns wünschte

Zu jenem unendlichen Tag.

 

Sie beten und schimpfen und schöpfen

In Säcke das Sonnenlicht,

Es tief in das Meer zu versenken –

Den Tag verdunkeln sie nicht.

 

Laßt dieses nicht euch kümmern,

Die Welt ist kugelrund,

Und rollt von Westen gen Osten

Verständig zu aller Stund.

 

Und der das Lied euch gesungen,

Hat auch die Welt sich beschaut;

Er hat bei den Wilden gehauset,

Und sich mit ihnen erbaut.

 

 

[Nun hast du mir den ersten Schmerz gethan]

 

[1831 als 8. Lied im Zyklus «Frauen-Liebe und Leben»]

 

Nun hast du mir den ersten Schmerz gethan,

Der aber traf.

Du schläfst, du harter, unbarmherz'ger Mann,

Den Todesschlaf.

 

Es blicket die Verlaßne vor sich hin,

Die Welt ist leer.

Geliebet hab ich und gelebt, ich bin

Nicht lebend mehr.

 

Ich zieh mich in mein Innres still zurück,

Der Schleier fällt,

Da hab ich dich und mein vergangnes Glück,

Du meine Welt!

 

 

Deutsche Barden.

Eine Fiction.

 

Es schimmerten in röthlich heller Pracht

Die schnee'gen Gipfel über mir; es lagen

Die Täler tief und fern in dunkler Nacht.

Der frühe Nebel ward empor getragen;

Ich sah ihn in den Schluchten bald zerfließen,

Bald über mich die feuchte Hülle schlagen,

Den Bergstrom hört ich brausend sich ergießen,

Das starre Meer des Gletschers sich zerspalten,

Und donnernde Lauvinen niederschießen.

Ich hatte Müh den steilen Pfad zu halten,

Auf dem ich klomm zum hohen Bergesthor,

Von wo die Blicke ostwärts sich entfalten.

Und wie ich zu der Höhe mich empor

Geschwungen hatte, traf mit heim'schem Klange

Hochdeutsche Mundart lockend mir das Ohr.

Ich stand gefesselt und ich lauschte lange,

Und hörte der gewalt'gen Rede Fluten

Melodisch schwellend werden zum Gesange.

Es stand der Sänger einsam, in die Gluthen

Der Sonne starrend, die sich nun erhoben

Aus Wolken, die am Horizonte ruhten.

Der Schleier, bluthigroth aus Dunst gewoben,

Auf ebne, weite Landschaft ausgebreitet;

Das tiefe Blau der Himmelswölbung oben;

Die Bilder, so der Morgen hier bereitet,

Sie wurden auf der Griechen Heldenkampf

Verherrlichend vom Liede hingeleitet.

Ich hört ihm zu, sah über Bluth und Dampf

Die Freiheitssonne Hellas' sich erheben,

Das Leben siegen ob dem Todeskrampf:

«Du goldne Freiheit, bist das Licht, das Leben;

Die bluth'ge Taufe tilgt der Ketten Schmach;

Du hast dir, Heldenvolk, das Sein gegeben.»

Er schwieg, ich lauschte noch; vortretend sprach

Den Mann ich an mit dargereichter Rechten:

«Du deutscher Bard', der sich die Palme brach,

Du siehst mein Aug von deines Liedes Mächten

Geschmückt noch mit der Thränen Perlenzier,

Und nicht ob meinem Antrag wirst du rechten.

Ich bin ein Deutscher, so wie du, und mir

Entströmet der Gesang aus Herzens Grunde

Um Freiheit, Recht und Glauben, so wie dir.

Die Wildniß bringt uns näher und die Stunde,

Was in der Brust wir tragen und im Schilde;

O reiche mir die Hand zu heil'gem Bunde!»

Drauf er mit Wehmuth lächelnd und mit Milde:

«Mich freut in deinem Aug der Widerschein

Von dem aus mir hervorgeblühten Bilde.

Doch blicke hier ins offne Thal hinein:

Du wirst auf jenem Pfade niedersteigen,

Und Mensch dort unten unter Menschen sein.

Dein Wille, deine Kraft, sie sind dein eigen;

Du magst mit Lieb und Haß ins Triebrad greifen,

Und magst, so wie du bist, dich offen zeigen.

Dort wird der Freundschaft edle Frucht dir reifen,

Dort gilt der Wärme glückliche Gewalt,

Die es verschmäht zu diesen Höhn zu schweifen.

Blick um uns her, wie lebensleer und kalt

Die starren Zinnen des Gebirges trauern;

Hier ist mein winterlicher Aufenthalt.

Sie sind der Völkerfreiheit feste Mauern,

Und sammeln still die Wolken für das Thal

Zu Quellensegen und zu Regenschauern.

Ich haus in Sturm und Wolken hier zumal;

Dem dieser Alpen ist mein Schaffen gleich,

Ob aber liebend, ob aus freier Wahl –?

Wer blickt in meines Herzens Schattenreich?

Wer fragt nach mir, der einsam ich verbannt

Aus menschlicher Genossenschaft Bereich?

Die flücht'ge Stunde, wo du mich erkannt,

Du magst in der Erinnerung sie feiern,

Wir sind getrennt, so bald ich mich genannt –

Ich bin der König Ludewig von Baiern.»

 

 

Des Gesellen Heimkehr.

 

Wer klopft so stark? wer begehrt ins Haus?

Ich schließe nicht auf, mein Ehherr ist aus.

 

«Und sag ich dir an, der klopft, ist dein Sohn,

O Mutter, o Mutter! so öffnest du schon.»

 

Was kehrtest du heim, mein Sohn, so geschwind,

Bevor noch die Jahre verstrichen sind?

 

«Ich kehrte heim – ich war wohl bethört –

Hast, Mutter, du nie von Heimweh gehört?»

 

Mein Mann, befürcht ich, vernimmt's nicht gern; –

O weh, daß ich freite den anderen Herrn!

 

«O weh, daß dem zweiten du hin dich warfst,

Und nicht mit dem Sohne dich freuen mehr darfst!»

 

Mein Sohn, o schone der Mutter dein,

Und laß das Gericht nur Gottes sein!

 

«O meine Mutter! – doch, mache mir kund,

Wo weilt die Christel zu dieser Stund?»

 

Mein Mann ist streng, unfreundlich fast,

Er trieb aus dem Haus den ihm lästigen Gast.

 

«Des Sohnes Braut aus dem Hause gejagt! –

So auch den Sohn, sei Gott es geklagt!

 

Das Heimweh trieb, ich kam geeilt,

Die Heimath hat gar bald mich geheilt.

 

Und falls Frau Mutter mich länger nicht hält,

Möcht weiter ich ziehn in die weite Welt.

 

Wohin – wen kümmert's? – auf gutes Glück,

Und käme vielleicht so bald nicht zurück.

 

Ade! du gibst deinen Segen mir doch, –

Und Gott, vielleicht, erbarmet sich noch!»

 

So schied er, und wandte zu gehen sich um;

Die Mutter verharrte zitternd und stumm.

 

Und wie hinab er die Straße gewallt,

Am Thor, vor der Wache, da macht er Halt.

 

Stand Christel dort im Soldatenschwarm,

Und hing verbuhlt dem einen im Arm.

 

Wie aber sie erst den Gesellen erschaut,

Verhüllt' sie ihr Antlitz und weinte laut.

 

Da haben umher die Soldaten der Wacht

Mit lärmendem Jubel sie ausgelacht.

 

Er hat nicht gelacht, er hat nicht geweint,

Er starrte sie an und war wie versteint.

 

Er raffte sich endlich, endlich auf,

Und stürzte hinaus mit schnellerem Lauf.

 

Wohin? wen kümmert's? man weiß es nicht,

Erzählt sich zur Kurzweil nur manche Geschicht.

 

Er war hienieden so ganz verarmt,

Hat Gott vielleicht sich seiner erbarmt?

 

Sein Nam, als eines Verschollenen, hat

Zu drei Mal gestanden im Wochenblatt.

 

 

Des Basken Etchehons Klage.

(Gazette des tribunaux)

 

Gensdarmen, ausgesendet

Zu fahen den Etchehon,

Ihr sucht ihn vergeblich zu Barcus,

Er ist zu den Bergen entflohn.

 

Die Pyrenäen verbergen

Ihn gastlich in ihrem Schoß,

Da theilt er, in bitterem Elend,

Des flüchtigen Wildes Los.

 

Es staunen La Soules Hirten

Zu Eguiton ihn an,

Und reichen das Brod des Mitleids

Dem bluthigen Sängersmann.

 

Ihr staunt, mitleidige Hirten,

Wie bluthig die Hand mir sei? –

Zehn Jahre hab ich geschmachtet

In Ketten und Sklaverei.

 

Ich hab ein Weib mir gefreiet

In meiner Jugend Kraft,

Sie hat mich umstricket in Liebe,

Mir Gift in das Haus nur geschafft.

 

Fünf Jahre lag ich in Ketten,

War kaum noch meiner bewußt;

In Eifersucht zehn Jahre.

Die reißt erst scharf in die Brust.

 

Ich trug wohl, Eguiapal,

Um dich der Ketten Last; –

Was trieb dich, mein Weib zu verführen,

Der selbst du ein Weib doch hast?

 

Du wußtest Ränke zu schmieden,

Du spanntest um mich den Verdacht;

Derweil in Sünde du schwelgtest,

Verkam ich in Kerkersnacht.

 

Ich lag in Ketten, im Kerker,

Auf Stroh, in Elend und Noth,

Erweichte mit meinen Thränen

Mein hartes, mein trockenes Brod.

 

Du übermüth'ger Geselle,

Warst Herr in dem Hause mein,

Und schliefest auf meinen Pfühlen,

Und trankest von meinem Wein.

 

Und als den Tag der Freiheit

Ich endlich, endlich geschaut,

Da dünkte reif uns die Rache,

Da hat es vor mir dir gegraut.

 

Ja! zittre, tückischer Bube!

Ich lade verhängnißvoll

Ins Feuerrohr die Kugel,

Die nieder dich strecken soll.

 

So harrt ich zu Nacht bei der Brücke

Von Barcus auf dich, mein Ziel; –

Es trieben die Geister der Hölle

Mit mir ihr grausiges Spiel.

 

Ich sah dich, du kamst gegangen,

Ich zielte sicher und gut,

Ein Druck – und – Etchegoyen

Lag röchelnd in seinem Bluth.

 

Mein Etchegoyen, der liebend

Mich stets zu erfreuen gestrebt! –

Das ist das Bluth, ihr Hirten,

Das mir an den Händen klebt.

 

Und nicht vergebens schreit es

Um Rache zum Himmel empor;

Du bist mir, Eguiapal,

Der Schuldige, siehe dich vor.

 

Du mochtest frevelnd dich rühmen,

Wie trefflich dir alles gelang;

Durch dich ein gleiches Verderben

Die Besten von Barcus umschlang.

 

Bin müde, nur Lieder zu dichten

Zu müßigem Zeitvertreib,

Nur Thränen der Wuth zu weinen,

Gleich einem gekränkten Weib.

 

Es zieht mit Gewalt mich hinunter,

Hinunter ins heimische Thal,

Ob ich, ob du sollst dienen

Den Geiern des Himmels zum Mahl?

 

 

Salas y Gomez.

 

(S. meine Schriften Theil 2. Seite 291)

 

1

 

Salas y Gomez raget aus den Fluten

Des stillen Meers, ein Felsen kahl und bloß,

Verbrannt von scheitelrechter Sonne Gluthen,

Ein Steingestell ohn alles Gras und Moos,

Das sich das Volk der Vögel auserkor

Zur Ruhstatt im bewegten Meeresschoß.

So stieg vor unsern Blicken sie empor,

Als auf dem «Rurik»: «Land im Westen! Land!»

Der Ruf vom Mastkorb drang zu unserm Ohr.

Als uns die Klippe nah vor Augen stand,

Gewahrten wir der Meeresvögel Scharen

Und ihre Brüteplätze längs dem Strand.

Da frischer Nahrung wir bedürftig waren,

So ward beschlossen den Versuch zu wagen,

In zweien Booten an das Land zu fahren.

Es ward dabei zu sein mir angetragen.

Das Schreckniß, das der Ort mir offenbart,

Ich werd es jetzt mit schlichten Worten sagen.

Wir legten bei, bestiegen wohlbewahrt

Die ausgesetzten Boote, stießen ab,

Und längs der Brandung rudernd gieng die Fahrt.

Wo unterm Wind das Ufer Schutz uns gab,

Ward angelegt bei einer Felsengruppe,

Wir setzten auf das Trockne unsern Stab.

Und eine rechts, und links die andre Truppe,

Vertheilten sich den Strand entlang die Mannen,

Ich aber stieg hinan die Felsenkuppe.

Vor meinen Füßen wichen kaum von dannen

Die Vögel, welche die Gefahr nicht kannten,

Und mit gestreckten Hälsen sich besannen.

Der Gipfel war erreicht, die Sohlen brannten

Mir auf dem heißen Schieferstein, indessen

Die Blicke den Gesichtskreis rings umspannten.

Und wie die Wüstenei sie erst ermessen,

Und wieder erdwärts sich gesenket haben,

Läßt eines alles andre mich vergessen.

Es hat die Hand des Menschen eingegraben

Das Siegel seines Geistes in den Stein,

Worauf ich steh, – Schriftzeichen sind's, Buchstaben.

Der Kreuze fünfmal zehn in gleichen Reihn,

Es will mich dünken, daß sie lang bestehen,

Doch muß die flücht'ge Schrift hier jünger sein.

Und nicht zu lesen! – deutlich noch zu sehen

Der Tritte Spur, die sie verlöschet fast;

Es scheint ein Pfad darüber hin zu gehen.

Und dort am Abhang war ein Ort der Rast,

Dort nahm er Nahrung ein, dort Eierschalen!

Wer war, wer ist der grausen Wildniß Gast?

Und spähend, lauschend schritt ich auf dem kahlen

Gesims einher zum andern Felsenhaupte,

Das zugewendet liegt den Morgenstrahlen.

Und wie ich, der ich ganz mich einsam glaubte,

Erklomm die letzte von den Schieferstiegen,

Die mir die Ansicht von dem Abhang raubte;

Da sah ich einen Greisen vor mir liegen,

Wohl hundert Jahre, mocht ich schätzen, alt,

Des Züge, schien es, wie im Tode schwiegen.

Nackt, langgestreckt die riesige Gestalt,

Von Bart und Haupthaar abwärts zu den Lenden

Den hagern Leib mit Silberglanz umwallt.

Das Haupt getragen von des Felsen Wänden,

Im starren Antlitz Ruh, die breite Brust

Bedeckt mit übers Kreuz gelegten Händen.

Und wie entsetzt, mit schauerlicher Lust

Ich unverwandt das große Bild betrachte,

Entflossen mir die Thränen unbewußt.

Als endlich, wie aus Starrkrampf, ich erwachte,

Entbot ich zu der Stelle die Gefährten,

Die bald mein lauter Ruf zusammen brachte.

Sie lärmend herwärts ihre Schritte kehrten,

Und stellten, bald verstummend, sich zum Kreis,

Die fromm die Feier solchen Anblicks ehrten.

Und seht, noch reget sich, noch atmet leis,

Noch schlägt die müden Augen auf und hebt

Das Haupt empor der wundersame Greis.

Er schaut uns zweifelnd, staunend an, bestrebt

Sich noch zu sprechen mit erstorbnem Munde, –

Umsonst! er sinkt zurück, er hat gelebt.

Es sprach der Arzt, bemühnd in dieser Stunde

Sich um den Leichnam noch: «Es ist vorbei.»

Wir aber standen betend in der Runde.

Es lagen da der Schiefertafeln drei

Mit eingeritzter Schrift; mir ward zu Theile

Der Nachlaß von dem Sohn der Wüstenei.

Und wie ich bei den Schriften mich verweile,

Die rein in span'scher Zunge sind geschrieben,

Gebot ein Schuß vom Schiffe her uns Eile.

Ein zweiter Schuß und bald ein dritter trieben

Von dannen uns mit Hast zu unsern Booten;

Wie dort er lag, ist liegen er geblieben.

Es dient der Stein, worauf er litt, dem Todten

Zur Ruhestätte wie zum Monumente,

Und Friede sei dir, Schmerzenssohn, entboten!

Die Hülle gibst du hin dem Elemente,

Allnächtlich strahlend über dir entzünden

Des Kreuzes Sterne sich am Firmamente,

Und, was du littest, wird dein Lied verkünden.

 

2

Die erste Schiefertafel

 

Mir war von Freud und Stolz die Brust geschwellt,

Ich sah bereits im Geiste hoch vor mir

Gehäuft die Schätze der gesammten Welt.

Der Edelsteine Licht, der Perlen Zier,

Und der Gewänder Indiens reichste Pracht,

Die legt ich alle nur zu Füßen ihr.

Das Gold, den Mammon, diese Erdenmacht,

An welcher sich das Alter liebt zu sonnen,

Ich hatt's dem grauen Vater dargebracht.

Und selber hatt ich Ruhe mir gewonnen,

Gekühlt der thatendurst'gen Jugend Gluth,

Und war geduldig worden und besonnen.

Sie schalt nicht fürder mein zu rasches Bluth;

Ich wärmte mich an ihres Herzens Schlägen,

Von ihren weichen Armen sanft umruht.

Es sprach der Vater über uns den Segen,

Ich fand den Himmel in des Hauses Schranken,

Und fühlte keinen Wunsch sich fürder regen.

So wehten thöricht vorwärts die Gedanken;

Ich aber lag auf dem Verdeck zu Nacht,

Und sah die Sterne durch das Thauwerk schwanken.

Ich ward vom Wind mit Kühlung angefacht,

Der so die Segel spannte, daß wir kaum

Den flücht'gen Weg je schnellern Laufs gemacht.

Da schreckte mich ein Stoß aus meinem Traum

Erdröhnend durch das schwache Bretterhaus;

Ein Wehruf hallte aus dem untern Raum.

Ein zweiter Stoß, ein dritter; krachend aus

Den Fugen riß das Plankenwerk, die Welle

Schlug schäumend ein und endete den Graus.

Verlorner Schwimmer in der Brandung Schwelle,

Noch rang ich jugendkräftig mit den Wogen,

Und sah noch über mir die Sternenhelle.

Da fühlt ich in den Abgrund mich gezogen,

Und wieder aufwärts fühlt ich mich gehoben,

Und schaute einmal noch des Himmels Bogen.

Dann brach die Kraft in der Gewässer Toben,

Ich übergab dem Tod mich in der Tiefe,

Und sagte Lebewohl dem Tag dort oben.

Da schien mir, daß in tiefem Schlaf ich schliefe,

Und sei mir aufzuwachen nicht verliehen,

Obgleich die Stimme mir's im Innern riefe.

Ich rang mich solchem Schlafe zu entziehen,

Und ich besann mich, schaut umher, und fand,

Es habe hier das Meer mich ausgespieen.

Und wie vom Todesschlaf ich auferstand,

Bemüht ich mich die Höhe zu ersteigen,

Um zu erkunden dieß mein Rettungsland.

Da wollten Meer und Himmel nur sich zeigen,

Die diesen einsam nackten Stein umwanden,

Dem nackt und einsam selbst ich fiel zu eigen.

Wo dort mit voller Wuth die Wellen branden,

Auf fernem Riffe war das Wrack zu sehen,

Wo selbst es lange Jahre noch gestanden.

Mir unerreichbar! – und des Windes Wehen,

Der Strom, entführen seewärts weiter fort

Des Schiffbruchs Trümmer, welcher dort geschehen.

Ich aber dachte: nicht an solchem Ort

Wirst lange die Gefährten du beneiden,

Die früher ihr Geschick ereilte dort.

Nicht also, – mich, es will nur mich vermeiden!

Der Vögel Eier reichen hin allein

Mein Leben zu verlängern und mein Leiden.

Selbander leb ich so mit meiner Pein,

Und kratze mit den scharfen Muschelscherben

Auf diesen mehr als ich geduld'gen Stein:

«Ich bin noch ohne Hoffnung bald zu sterben.»

 

3

Die andere Schiefertafel

 

Ich saß vor Sonnenaufgang an dem Strande,

Das Sternenkreuz verkündete den Tag

Sich neigend zu des Horizontes Rande.

Und noch gehüllt in tiefes Dunkel lag

Vor mir der Osten, leuchtend nur entrollte

Zu meinen Füßen sich der Wellenschlag.

Mir war, als ob die Nacht nicht enden wollte;

Mein starrer Blick lag auf des Meeres Saum,

Wo bald die Sonne sich erheben sollte.

Die Vögel auf den Nestern, wie im Traum,

Erhoben ihre Stimmen, blaß und blasser

Erlosch der Schimmer in der Brandung Schaum,

Es sonderte die Luft sich von dem Wasser,

In tiefem Blau verschwand der Sterne Chor;

Ich kniet in Andacht und mein Aug ward nasser.

Nun trat die Pracht der Sonne selbst hervor,

Die Freude noch in wunde Herzen senkt;

Ich richtete zu ihr den Blick empor.

Ein Schiff! ein Schiff! mit vollen Segeln lenkt

Es herwärts seinen Lauf, mit vollem Winde;

Noch lebt ein Gott, der meines Elends denkt!

O Gott der Liebe, ja du strafst gelinde,

Kaum hab ich dir gebeichtet meine Reu,

Erbarmen übst du schon an deinem Kinde.

Du öffnest mir das Grab und führst auf's neu

Zu Menschen mich, sie an mein Herz zu drücken,

Zu leben und zu lieben warm und treu.

Und oben von der Klippe höchstem Rücken,

Betrachtend scharf das Fahrzeug, ward ich bleich,

Noch mußte mir bemerkt zu werden glücken.

Es wuchs das hergetragne Schiff, zugleich

Die Angst in meinem Busen namenlos;

Es galt des Fernrohrs möglichen Bereich.

Nicht Rauch! nicht Flaggentuch! so bar und bloß,

Die Arme nur vermögend auszubreiten!

Du kennst, barmherz'ger Gott, du fühlst mein Los!

Und ruhig sah ich her das Fahrzeug gleiten

Mit windgeschwellten Segeln auf den Wogen,

Und schwinden zwischen ihm und mir die Weiten.

Und jetzt –! es hat mein Ohr mich nicht betrogen,

Des Meisters Pfeife war's, vom Wind getragen,

Die wohl ich gier'gen Durstes eingesogen.

Wie wirst du erst, den seit so langen Tagen

Entbehrt ich habe, wonnereicher Laut

Der Menschenred, ans alte Herz mir schlagen!

Sie haben mich, die Klippe doch erschaut,

Sie rücken an die Segel, im Begriff

Den Lauf zu ändern. – Gott, dem ich vertraut!

Nach Süden – –? wohl! sie müssen ja das Riff

Umfahren, fern sich halten von der Brandung.

O gleite sicher, hoffnungschweres Schiff!

Jetzt wär es an der Zeit! o meine Ahndung!

Blickt her! blickt her! legt bei! setzt aus das Boot!

Dort unterm Winde, dort versucht die Landung!

Und ruhig vorwärts strebend ward das Boot

Nicht ausgesetzt, nicht ließ es ab zu gleiten,

Es wußt gefühllos nichts von meiner Noth.

Und ruhig sah ich hin das Fahrzeug gleiten

Mit windgeschwellten Segeln auf den Wogen,

Und wachsen zwischen ihm und mir die Weiten.

Und als es meinem Blicke sich entzogen,

Der's noch im leeren Blau vergebens sucht,

Und ich verhöhnt mich wußte und belogen;

Da hab ich meinem Gott und mir geflucht,

Und an den Felsen meine Stirne schlagend,

Gewüthet sinnverwirret und verrucht.

Drei Tag und Nächte lag ich so verzagend,

Wie einer, den der Wahnsinn hat gebunden,

Im grimmen Zorn am eignen Herzen nagend;

Und hab am dritten Thränen erst gefunden,

Und endlich es vermocht, mich aufzuraffen,

Vom allgewalt'gen Hunger überwunden,

Um meinem Leibe Nahrung zu verschaffen.

 

4

Die letzte Schiefertafel

 

Geduld! Die Sonne steigt im Osten auf,

Sie sinkt im Westen zu des Meeres Plan,

Sie hat vollendet eines Tages Lauf.

Geduld! Nach Süden wirft auf ihrer Bahn

Sie jetzt, bald wieder senkrecht meinen Schatten,

Ein Jahr ist um, es fängt ein andres an.

Geduld! Die Jahre ziehen ohn Ermatten,

Nur grub für sie kein Kreuz mehr deine Hand,

Seit ihrer funfzig sich gereihet hatten.

Geduld! Du harrest stumm am Meeresrand,

Und blickest starr in öde blaue Ferne,

Und lauschst dem Wellenschlag am Felsenstrand.

Geduld! Laß kreisen Sonne, Mond und Sterne,

Und Regenschauer mit der Sonnengluth

Abwechseln über dir; Geduld erlerne!

Ein Leichtes ist's, der Elemente Wuth

Im hellen Tagesscheine zu ertragen,

Bei regem Augenlicht und wachem Muth.

Allein der Schlaf, darin uns Träume plagen,

Und mehr die schlaflos lange bange Nacht,

Darin sie aus dem Hirn hinaus sich wagen!

Sie halten grausig neben uns die Wacht

Und reden Worte, welche Wahnsinn locken; –

Hinweg! hinweg! wer gab euch solche Macht?

Was schüttelst du im Winde deine Locken?

Ich kenne dich, du rascher wilder Knabe,

Ich seh dich an und meine Pulse stocken.

Du bist ich selbst, wie ich gestrebet habe

In meiner Hoffnung Wahn vor grauen Jahren,

Ich bin du selbst, das Bild auf deinem Grabe.

Was sprichst du noch vom Schönen, Guten, Wahren,

Von Lieb und Haß, von Thatendurst? du Thor!

Sieh her, ich bin, was deine Träume waren.

Und führest wiederum mir diese vor?

Laß ab, o Weib, ich habe längst verzichtet,

Du hauchst aus Aschen noch die Gluth empor!

Nicht so den süßen Blick auf mich gerichtet!

Das Licht der Augen und der Stimme Laut,

Es hat der Tod ja alles schon vernichtet.

Aus deinem hohlen morschen Schädel schaut

Kein solcher Himmel mehr voll Seligkeit;

Versunken ist die Welt, der ich vertraut.

Ich habe nur die allgewalt'ge Zeit

Auf diesem öden Felsen überragt

In grausenhafter Abgeschiedenheit.

Was, Bilder ihr des Lebens, widersagt

Ihr dem, der schon den Todten angehöret?

Zerfließet in das Nichts zurück, es tagt!

Steig auf, o Sonne, deren Schein beschwöret

Zur Ruh den Aufruhr dieser Nachtgenossen,

Und ende du den Kampf, der mich zerstöret.

Sie bricht hervor, und jene sind zerflossen. –

Ich bin mit mir allein und halte wieder

Die Kinder meines Hirns in mir verschlossen.

O tragt noch heut, ihr altersstarren Glieder,

Mich dort hinunter, wo die Nester liegen;

Ich lege bald zur letzten Rast euch nieder.

Verwehrt ihr, meinem Willen euch zu schmiegen,

Wo machtlos innre Qualen sich erprobt,

Wird endlich, endlich doch der Hunger siegen.

Es hat der Sturm im Herzen ausgetobt,

Und hier, wo ich gelitten und gerungen,

Hier hab ich auszuatmen auch gelobt.

Laß, Herr, durch den ich selber mich bezwungen,

Nicht Schiff und Menschen diesen Stein erreichen,

Bevor mein letzter Klagelaut verklungen.

Laß klanglos mich und friedsam hier erbleichen;

Was frommte mir annoch in später Stunde,

Zu wandeln, eine Leiche über Leichen?

Sie schlummern in der Erde kühlem Grunde,

Die meinen Eintritt in die Welt begrüßt,

Und längst verschollen ist von mir die Kunde.

Ich habe, Herr, gelitten und gebüßt, –

Doch fremd zu wallen in der Heimath – nein!

Durch Wermuth wird das Bittre nicht versüßt.

Laß weltverlassen sterben mich allein,

Und nur auf deine Gnade noch vertrauen;

Von deinem Himmel wird auf mein Gebein

Das Sternbild deines Kreuzes niederschauen.

 

 

Es ist nur so

der Lauf der Welt.

 

Mir ward als Kind im Mutterhaus,

Zu aller Zeit, Tag ein, Tag aus,

Die Rute wohl gegeben.

Und als ich an zu wachsen fieng

Und endlich in die Schule gieng,

Ergieng es mir noch schlimmer.

 

Das Lesen war ein Hauptverdruß,

Ach! wer's nicht kann und dennoch muß,

Der lebt ein hartes Leben.

So ward ich unter Schmerzen groß

Und hoffte nun ein beßres Los,

Da gieng es mir noch schlimmer.

 

Wie hat die Sorge mich gepackt!

Wie hab ich mich um Geld geplackt!

Was hat's für Noth gegeben!

Und als zu Geld ich kommen war,

Da führt' ein Weib mich zum Altar,

Da gieng es mir noch schlimmer.

 

Ich hab's versucht, und hab's verflucht,

Pantoffeldienst und Kinderzucht

Und das Gekreisch der Holden.

O meiner Kindheit stilles Glück,

Wie wünsch ich dich jetzt fromm zurück!

Die Rute war ja golden!

 

 

Küssen will ich,

ich will küssen.

 

Freund, noch einen Kuß mir gib,

Einen Kuß von deinem Munde,

Ach! ich habe dich so lieb!

Freund, noch einen Kuß mir gib.

Werden möcht ich sonst zum Dieb,

Wärst du karg in dieser Stunde;

Freund, noch einen Kuß mir gib,

Einen Kuß von deinem Munde.

 

Küssen ist ein süßes Spiel,

Meinst du nicht, mein süßes Leben?

Nimmer ward es noch zu viel,

Küssen ist ein süßes Spiel.

Küsse, sonder Zahl und Ziel,

Geben, nehmen, wiedergeben,

Küssen ist ein süßes Spiel,

Meinst du nicht, mein süßes Leben?

 

Gibst du einen Kuß mir nur,

Tausend geb ich dir für einen.

Ach wie schnelle läuft die Uhr,

Gibst du einen Kuß mir nur.

Ich verlange keinen Schwur,

Wenn es treu die Lippen meinen,

Gibst du einen Kuß mir nur,

Tausend geb ich dir für einen.

 

Flüchtig, eilig wie der Wind,

Ist die Zeit, wann wir uns küssen.

Stunden, wo wir selig sind,

Flüchtig, eilig wie der Wind!

Scheiden schon, ach so geschwind!

Oh, wie werd ich weinen müssen!

Flüchtig, eilig wie der Wind,

Ist die Zeit, wann wir uns küssen.

 

Muß es denn geschieden sein,

Noch nur einen Kuß zum Scheiden!

Scheiden, meiden, welche Pein!

Muß es denn geschieden sein?

Lebe wohl, und denke mein,

Mein in Freuden und in Leiden,

Muß es denn geschieden sein,

Noch nur einen Kuß zum Scheiden!

 

 

Der Kranke.

(Nach Millevoye)

 

Sei mir gegrüßt, o mein geliebter Wald!

Du Schauplatz meiner Kindheit froher Spiele,

Zum letzten Mal gegrüßt! ich scheide bald. –

So jung annoch, und schon am letzten Ziele!

 

Dein Laub wird gelb und gelber, fällt schon ab,

Ich seh es wohl, und fühle mich gebrochen,

Und blicke trauernd in mein frühes Grab.

Im Sommer hat der Arzt zu mir gesprochen:

 

«Es prangt der Wald im grünen Schmuck noch heut,

Du siehst ihn bald sich einmal noch entfärben,

Und wann der Herbst sein falbes Laub verstreut,

So wirst du, Früh-Verwelkter, selber sterben.»

 

Es ist ein Gestern worden, unerhört!

Das Heut, wo du im grünen Schmuck gepranget;

Herbst ist's: es fällt dein Laub, wie sich's gehört,

Und mahnt mich, daß der Tod nach mir verlanget.

 

O falle, Laub! ich kenne ja mein Los,

Zu sterben ohne noch gelebt zu haben;

Sie werden klanglos bald und namenlos

Am Fuße dieser Eiche mich vergraben.

 

O falle, Laub! dem Aug entziehe du

Der Mutter, die mit Schmerzen mich geboren,

Die schmerzlich stille Stätte meiner Ruh!

Sie hat die Hoffnung, unerfüllt, verloren.

 

Wenn aber Eine kommt, die ich gemeint,

Und sucht den kleinen Platz in Waldesräumen,

Und auf den Hügel sie sich wirft und weint,

O rausche, Laub! ich werde von ihr träumen.

 

Er lieget nun am Fuß der Eiche dort,

Nicht aber ist, die er gemeint, gekommen,

Es überdecken Laub und Schnee den Ort,

Und weit umher wird nur das Wild vernommen.

 

 

Der Bettler und sein Hund

 

Drei Thaler erlegen für meinen Hund!

So schlage das Wetter mich gleich in den Grund!

Was denken die Herrn von der Polizei?

Was soll nun wieder die Schinderei?

 

Ich bin ein alter, ein kranker Mann,

Der keinen Groschen verdienen kann;

Ich habe nicht Geld, ich habe nicht Brod,

Ich lebe ja nur von Hunger und Noth.

 

Und wann ich erkrankt, und wann ich verarmt,

Wer hat sich da noch meiner erbarmt?

Wer hat, wann ich auf Gottes Welt

Allein mich fand, zu mir sich gesellt?

 

Wer hat mich geliebt, wann ich mich gehärmt?

Wer, wann ich fror, hat mich gewärmt?

Wer hat mit mir, wann ich hungrig gemurrt,

Getrost gehungert und nicht geknurrt?

 

Es geht zur Neige mit uns zwein,

Es muß, mein Thier, geschieden sein;

Du bist, wie ich, nun alt und krank,

Ich soll dich ersäufen, das ist der Dank!

 

Das ist der Dank, das ist der Lohn!

Dir geht's, wie manchem Erdensohn.

Zum Teufel! ich war bei mancher Schlacht,

Den Henker hab ich noch nicht gemacht.

 

Das ist der Strick, das ist der Stein,

Das ist das Wasser, – es muß ja sein.

Komm her, du Köter, und sieh mich nicht an,

Noch nur ein Fußstoß, so ist es gethan.

 

Wie er in die Schlinge den Hals ihm gesteckt,

Hat wedelnd der Hund die Hand ihm geleckt,

Da zog er die Schlinge sogleich zurück,

Und warf sie schnell um sein eigen Genick.

 

Und that einen Fluch, gar schauderhaft,

Und raffte zusammen die letzte Kraft,

Und stürzt' in die Flut sich, die tönend stieg,

In Kreise sich zog und über ihm schwieg.

 

Wohl sprang der Hund zur Rettung hinzu,

Wohl heult' er die Schiffer aus ihrer Ruh,

Wohl zog er sie winselnd und zerrend her, –

Wie sie ihn fanden, da war er nicht mehr.

 

Er ward verscharret in stiller Stund,

Es folgt' ihm winselnd nur der Hund,

Der hat, wo den Leib die Erde deckt,

Sich hingestreckt und ist da verreckt.