BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Béranger's Lieder

 

Auswahl in freier Bearbeitung

von Adelbert von Chamisso und

Franz Freiherrn von Gaudy

Leipzig 1838

 

Text:

Adelbert von Chamisso, Gesammelte Werke in 2 Bdn.

Hrsg.: W. Feudel, Leipzig 1981

 

______________________________________________________________________________

 

 

Vorrede

Vorwort zu den neuen Liedern

Die Kartenlegerin

Die rothe Hanne, oder das Weib des Wilddiebes

Der Bettler

Prophezeihung des Nostradamus auf das Jahr MM

Der ewige Jude

Die alte Bettlerin

Hans

Die Sklaven

Nebukadnezar

Die Reliquien

Maria Stuarts Abschied von Frankreich

Plötzlicher Tod

Lisettens Tugend

Die fünf Stockwerke

Die Neger und die Marionetten

Die Irrlichter

Der Alchymist

An Jacques Laffitte

Alt-Mütterchen

Der Ruhm

Die zwei Grenadiere

Waterloo

Hirtenbrief der Generalvikare von Paris

Einer vom Bauche

Die Myrmidonen

Der Tod des Königs Christoph

Neuer Tagesbefehl

Siegeslied der Türken über Psara

Guter Rath den Belgiern

Die Gräber der drei Julitage

Die drei Vettern

Weigerung

An meine Freunde, die neuen Minister

Lebt wohl, ihr Lieder

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Vorrede

 

La chanson, das französische Volkslied, vertritt schon früh in der Geschichte des französischen Volkes die Stelle, die später die Presse, vorzüglich die periodische, in der Welt unserer Gesittung eingenommen hat. Die chanson ist, wenn gleich keine selbstständige Macht, doch das Organ einer Macht, das Organ der Meinung bald des Volkes, bald der Parteien im Volke. Das Volk macht sich seine Lieder und Liederdichter, wie die öffentliche Meinung ihre Journale und Journalisten erzeugt, und das Lied oder das Blatt, die keinen Anklang finden, sind wie nicht vorhanden. Läßt sich auch nicht wegleugnen, daß zwischen der Meinung und ihren Organen eine gewisse sich steigernde Wechselwirkung stattfindet, so ist es doch nicht minder wahr, daß den Wortführern der Massen keine andere Macht, als die der Massen selbst zu Gebote steht, und daß sie dieselben nur in der bezeichneten Richtung fortzuführen vermögen. La chanson, die volksthümliche, nicht zu unterdrückende Freiheit der Franzosen, vertritt bei ihnen die Stelle anderer Freiheiten (Rede-, Preßfreiheit, Petitionsrecht u.s.w.), die, wie das Beispiel Englands uns lehrt, in bedrohlichen Zeiten das Sicherheitsventil des Dampfkessels sind. Der Franzos versingt seinen Kummer, seine Noth, seinen Groll, seinen Haß, und die chanson sagt selbst: tout finit par des chansons.

Béranger, der volksthümliche Dichter Frankreichs, sein chansonnier, seine Liederstimme, gehört der abgelaufenen Epoche der Restauration an; er beginnt unter dem Kaiserreich und ragt nur mit wenigen Liedern in die Zeit, die mit dem Sturze der alten Dynastie anhebt, herüber. Unter dem Eroberer leiht er der Sehnsucht nach Frieden seine Stimme. Der Restauration tritt er nicht unmittelbar feindlich entgegen; erst als sie von der Ordnung, die sie eingeführt hat, ablenkt, und die unseelige rückgängige Bahn einschlägt, die sie unaufhaltsam den verhängnißvollen drei Tagen zuführt, kehrt er sich entschieden gegen dieselbe, und vertritt ihr unablässig hemmend den Weg des Verderbens. Er kann als ein Konservativer bezeichnet werden in dem Sinne, daß er den gesetzlich eingenommenen Boden vertheidigt, und der Angriff auch als Nothwehr erscheint, wo er für dasjenige kämpft, was aus der Zeit der Republik und des Kaiserreiches in das Leben und in die Sitten des Volkes übergegangen ist. Nun besingt er den Glanz, den der Gewaltige, vor dem er nie das Knie gebeugt, über das stolz durch ihn gewordene Frankreich verbreitet hat; er tröstet und ermuthiget das Unglück, rächt den Gekränkten und überschüttet mit Spott die Anmaaßung derer, die zu ernten eilen, wo sie nicht gesät. Er verfolgt mit unbarmherzigem Hohn die Abtrünnigen des Kaiserthums, den wiederauftauchenden Spuk des vermorschten Lehnwesens, die Höflinge, die Jesuiten, den hab- und herrschsüchtigen Klerus. Eben so unabhängig als unbestechlich beharrt er als Freiwilliger unter den Vorkämpfern des Widerstandes; die unrathsame Verfolgung, die er erduldet, ermüdet und erbittert ihn nicht; sie steigert zugleich die Volksgunst, die ihn trägt, und seine Laune und Singlust, und von dem Gefängniß aus, zu dem er wiederholt verurtheilt wird, schwirren unausgesetzt seine Liederpfeile zahlreicher und sicherer nach ihrem Ziele.

Nach der Julirevolution, zu welcher er sich rühmt mitgewirkt zu haben, wendet er sich von der Beute ab, weiset jedes Anerbieten seiner an das Staatsruder gelangten Freunde zurück, nimmt von ihnen Abschied, legt sein Saitenspiel und den Bogen Apolls nieder, und tritt, dürftig wie zuvor, von dem Schauplatz ab. Seine Rolle ist ausgespielt.

Wie man einerseits in Béranger den außerordentlichen Dichter bewundern muß, dem alle Töne zu Gebote stehen, der bald die Sprache des alten Soldaten oder die der unteren Volksklassen redet, und bald dem Liede, zum Erstaunen, eine Erhabenheit und Fülle der Poesie verleiht, die man vergeblich bei den französischen Klassikern sucht, so kann man andererseits nicht umhin, der Lauterkeit seiner Gesinnung und der Reinheit seines Charakters Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er ist ein Mann, dem man wohl als Gegner feindlich entgegentreten, dem man aber nicht seine ganze Achtung versagen kann.

Aber Gesinnung und Charakter sind eben die Wurzeln seiner Poesie, ohne dieselben würde er nur ein Mann von Talent sein, wie es deren Andere giebt, nicht der Dichter, der alle überragt. «Mes chansons, c'est moi. – Le peuple c'est ma muse.» Meine Lieder sind ich selbst, das Volk ist meine Muse; diesem schlichten Zeugniß, welches er von sich selber ablegt, ist nichts hinzuzufügen.

Béranger, in gutem Kriege mit der Geistlichkeit begriffen, an welcher er des Weltlichen so viel zu strafen hat, und spöttisch den menschlichen Aufputz der Religion (la livrée du catholicisme) abzureißen bemüht, ist darum nicht der Gottlosigkeit zu zeihen. Er zeichnet sich vielmehr durch religiöse Ueberzeugung vor den gleichzeitigen französischen Literatoren aus, und die christlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, liegen offenbar der Philanthropie, die er eindringlich einprägt, zum Grunde. *)

Der Gegensatz, in welchem die verschiedene Volksthümlichkeit der Franzosen und der Deutschen sich in Hinsicht auf Sitten in ihrer Volkspoesie und in ihrer Literatur abspiegelt, müßte zuvörderst wohl erwogen werden, bevor Béranger unter diesem Gesichtspunkt beurtheilt werden könnte. Das französische Volkslied ist wesentlich frivol. Les rondes (Reigen, das allein echt französische Volkslied, nach welchem getanzt wird) sind ohne Ausnahme der Art, daß sich der Fremde höchlich verwundert, sie auch in gesitteten Kreisen ohne Arg im Schwange zu finden. In der höhern Literatur besingt der Franzos les faveurs de Glycère und sa belle maitresse, wo der ehrbare Deutsche in der Regel seine Liebe, seine Braut, seine Frau und seine Kinder meint; das Alles kann der Franzos auch haben, aber es fällt ihm nicht ein, daß man es besingen könne. In diesem Betracht unterscheidet sich Béranger nicht von andern Franzosen; er besingt hergebrachter Weise die Lust. Von etlichen unsittlicheren Liedern, die, sei es zu seiner Ehre gesagt, zu seinen schwächsten Erzeugnissen gehören, sagt er selber, sie hätten guten Vorschub seinen politischen Gesängen geleistet, die ohne ihr Geleit minder leicht so weithin, so tief hinab und so hoch hinauf gedrungen wären. Er kennt sein Volk.

Wir haben in dieser Hinsicht unsern Autor oft mehr verdeutscht als übersetzt. Er selbst kommt in manchen seiner Dichtungen und Sittengemälde dem deutschen Geiste näher, als irgend einer seiner Landsleute, die er alle an poetischer Tiefe übertrifft. **)

Der chansonnier Béranger hat seine Zeit ausgefüllt; seine chansons werden diese Zeit, nachdem sie abgelaufen ist, überdauern, theils als Monumente derselben, theils wegen ihres eigenen poetischen Werthes. Wir übergeben gegenwärtigen Auszug, in welchem wir vermittelnd eine merkwürdige Erscheinung der deutschen gelehrten Welt näher zu rücken versucht haben, dem Geschichtsforscher, welcher ihm einen Platz in seiner Bibliothek neben den Denkschriften, die die Restauration betreffen, anweisen mag, und dem Freunde der Poesie, der unter der gesammten Europäischen Literatur nach ihren verschiedenartigen Blüthen forscht. Manche Lieder durften aus dieser Sammlung nicht ausgeschlossen werden, die außerhalb derselben zu erscheinen sich nicht eignen würden. Manche, im schnellen Laufe der Zeit veraltet, hätten bereits zu ihrem besseren Verständniß historischer Erläuterungen bedurft, die wir jedoch zu geben uns nicht berufen gefühlt haben. Daß wir nicht Sinn und Inhalt vertreten wollen, bedarf nicht bevorwortet zu werden. Unsere Zeitungen leihen arglos ihren Widerhall Deklamationen der englischen und französischen Rednerbühnen, die oft grell genug ihrem eigenen Sinne widersprechen. Wer zum Beispiel möchte sich beleidigt fühlen, daß zu jener Zeit der Franzos, selbst mit Unrecht, wider die Fremden eifert, die sein Vaterland überzogen, und ihn in seiner Hauptstadt gedemüthigt haben?

A. v. Ch.

__________ 

*) Siehe unter andern Liedern: «Alt-Mütterchen».

**) Siehe: «Der ewige Jude», «Die rothe Hanne», «Der Winter», «Die Schwalben» u.s.w. 

 

 

Die Kartenlegerin.

 

Schlief die Mutter endlich ein

Ueber ihre Hauspostille?

Nadel, liege du nun stille:

Nähen, immer nähen, – nein! –

Legen will ich mir die Karten.

Ei, was hab ich zu erwarten?

Ei, was wird das Ende sein?

 

Trüget mich die Ahndung nicht,

Zeigt sich Einer, den ich meine, –

Schön! da kommt er ja, der Eine,

Cœurbub kannte seine Pflicht. –

Eine reiche Witwe? – wehe!

Ja, er freit sie, ich vergehe!

O verruchter Bösewicht!

 

Herzeleid und viel Verdruß, –

Eine Schul und enge Mauern, –

Carreaukönig, der bedauern,

Und zuletzt mich trösten muß. –

Ein Geschenk auf art'ge Weise –

Er entführt mich – eine Reise –

Geld und Lust in Ueberfluß!

 

Dieser Carreaukönig da

Muß ein Fürst sein oder König,

Und es fehlt daran nur wenig,

Bin ich selber Fürstin ja. –

Hier ein Feind, der mir zu schaden

Sich bemüht bei seiner Gnaden,

Und ein Blonder steht mir nah.

 

Ein Geheimniß kommt zu Tag

Und ich flüchte noch bei Zeiten, –

Fahret wohl, ihr Herrlichkeiten!

O das war ein harter Schlag! –

Hin ist Einer, eine Menge

Bilden um mich ein Gedränge,

Daß ich kaum sie zählen mag.

 

Dieser hier in grauem Haar

Ist ein Junker wohl vom Lande,

Spröde halt ich ihn am Bande

Und ich führ ihn zum Altar. –

Nach Paris! – Ein lustig Leben!

Brummt der Mann, so lach ich eben,

Bleibt doch alles, wie es war. –

 

Kommt das grämliche Gesicht,

Kommt die Alte da mit Keuchen,

Lieb und Lust mir zu verscheuchen,

Eh die Jugend mir gebricht? –

Ach! die Mutter ist's, die aufwacht,

Und den Mund zu schelten aufmacht. –

Nein, die Karten lügen nicht!

 

 

Die rothe Hanne,

oder das Weib des Wilddiebes.

 

Den Säugling an der Brust, den zweiten

Der Knaben auf dem Rücken, führt

Sie an der Hand den Erstgebornen,

Der fast entkleidet, barfuß friert.

Den Vater haben sie gefangen,

Er kühlt im Kerker seinen Muth;

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Ich sah sie oft in bessern Tagen,

Schulmeisters liebes Töchterlein;

Sie spann und sang und las und nähte,

Ein herzig Kind, und schmuck und fein;

Beim Sonntagstanz im Kreis der Linden,

Wie war sie froh und wohlgemuth!

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Ein junger, hübscher, reicher Pächter

Versprach ihr einst ein beßres Glück;

Ihr rothes Haar, das ward verspottet,

Der reiche Freier trat zurück;

Es kamen andre, giengen wieder;

Sie hatte ja kein Heirathsgut.

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Ein Taugenichts war schnell entschlossen:

Ich nehme dich, blond oder roth;

Drei Büchsen hab ich, weiß die Schliche,

Der Förster macht mir keine Noth;

Den Schwarzrock will ich auch bezahlen,

Des Sprüchlein uns zusammenthut;

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Sie sprach nicht nein, mit sanfter Lockung

Gebot Natur in ihrer Brust,

Und drei Mal ward allein im Walde

Sie Mutter unter bittrer Lust;

Die Kinder treiben und gedeihen,

Ein blühend frisch gesundes Bluth;

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Des treuen Weibes nächt'gen Jammer

Erhellet noch ein milder Schein;

Sie lächelt: ihre Kleinen werden

Schwarzlockig wie der Vater sein;

Sie lächelt, ach! aus ihrem Lächeln

Schöpft der Gefangne frischen Muth;

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

 

Der Bettler.

 

Ich will in dieser Rinne sterben,

Bin alt und siech genug dazu;

Sie mögen mich «betrunken» schelten,

Mir recht! sie lassen mich in Ruh.

Die werfen mir noch ein'ge Groschen,

Die wenden ab ihr Angesicht;

Ja, eilt nur, eilt zu euren Festen,

Zum Sterben brauch ich euch doch nicht.

 

Vor Alter muß ich also sterben,

Man stirbt vor Hunger nicht zumal;

Ich hofft in meinen alten Tagen

Zuletzt noch auf ein Hospital;

So viel des Elends giebt's im Volke,

Man kommt euch nirgends mehr hinein;

Die Straße war ja meine Wiege,

Sie mag mein Sterbebett auch sein.

 

Lehrt mich ein Handwerk, gebt mir Arbeit,

Mein Brod verdienen will ich ja; –

Geh betteln! hieß es, Arbeit? Arbeit?

Die ist für alle Welt nicht da.

Arbeite! schrien mich an, die schmausten,

Und warfen mir die Knochen zu;

Ich will den Reichen doch nicht fluchen,

Ich fand in ihren Scheunen Ruh.

 

Ich hätte freilich stehlen können,

Mir schien zu betteln minder hart;

Ich habe höchstens mir am Wege

Ein paar Kartoffeln ausgescharrt;

Und immer aller Orten steckte

Die Polizei mich dennoch ein,

Mir raubend meine einz'ge Habe –

Du Gottes Sonne bist ja mein!

 

Was kümmern mich Gesetz und Ordnung,

Gewerb und bürgerliches Band?

Was euer König, eure Kammern?

Sagt, hab ich denn ein Vaterland?

Und dennoch, als in euern Mauern

Der Fremde, Herr zu sein, gemeint,

Der Fremde, der mich reichlich speiste,

Ich Narr, wie hab ich da geweint!

 

Ihr hättet mich erdrücken sollen,

Wie ich das Licht der Welt erblickt;

Ihr hättet mich erziehen sollen,

Wie sich's für einen Menschen schickt;

Ich wäre nicht der Wurm geworden,

Den ihr euch abzuwehren sucht;

Ich hätt euch brüderlich geholfen,

Und euch im Tode nicht geflucht.

 

 

Prophezeihung des Nostradamus

auf das Jahr MM.

 

Schreibt Nostradamus, der die Zeit beschwören,

Und aus den Sternen konnte prophezeihn:

Im Jahr zweitausend wird von Jubelchören

Das glückliche Paris durchtönet sein;

Man wird nur einer Stimme Mißlaut hören,

Die wird am Fuß des Louvre kläglich schrein:

Ihr glücklichen Franzosen, wollt des armen,

Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!

 

Aus Rom gekommen wird ein siecher Greise,

Ein armer Lazarus, den Ruf erheben,

Und einem weiten dichtgedrängten Kreise

Von Straßenjungen sich zum Schauspiel geben;

Drauf giebt ihm streng ein Senator Verweise:

«Hört, Freund! hier darf von Betteln keiner leben.» –

«Ihr werdet doch, mein gnäd'ger Herr, des armen,

Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!»

 

«Bist wirklich du von jener Sippe?» – «Ja!

Der ich zu Rom zur Pabstzeit noch die Krone

In meines Ahnherrn Händen schimmern sah;

Er mußte sie verkaufen; die Spione,

Die Skribler und die Helfer heischten da

Den vollen Goldeswerth zu ihrem Lohne;

Ein Stab ist nun mein Zepter. Wollt des armen,

Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!

 

Mein Vater starb bejahrt im Schuldenthurme;

Er hatte mir ein Handwerk untersagt,

Ich bettle. Hart erweist ihr euch dem Wurme,

Ihr Glückeskinder, sei es Gott geklagt!

Ich komme her verschlagen von dem Sturme,

Ihr habt so oft die Meinen weggejagt,

O wollt doch, da ihr glücklich seid, des armen,

Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!»

 

Wird der Senator bei der Hand ihn fassen

Und sprechen; «Komm mit mir nach meinem Gute;

Wir hören auf die Könige zu hassen,

Die letzten küssen höflich unsre Rute;

Darfst dem Senat dein Schicksal überlassen;

Der ich aus altem Königsmörder-Bluthe

Entsprossen bin, ich will indeß des armen,

Des letzten Königs Frankreichs mich erbarmen.»

 

Und Nostradamus schreibt: dem Fürsten spenden

Wird der Senat zwei tausend Franken jährlich;

Der Alte wird zum Guten noch sich wenden,

Als Mair' von Saint Cloud wird er schlicht und ehrlich,

Ein wackrer Bürger, seine Laufbahn enden;

Die Chronik macht's der Nachwelt dann erklärlich,

Wie Frankreich sich im Glücke seines armen

Und letzten Königs mochte mild erbarmen.

 

 

Die Reliquien.

 

Ein Nekromant stand am Altar;

Er sah mich die Gebeine küssen

Des Heil'gen, dessen Fest es war;

Und sprach: «Der wird uns beichten müssen.»

Kaum hatt' er auch mit leisem Ton

Die Zauberformel ausgesprochen,

Der Heil'ge sitzt auf und ruft uns schon

Mit gotteslästerlichem Hohn:

«Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!»

 

Und wiehernd lacht nun das Skelett

Und schreit uns gellend in die Ohren:

«Schon tausend Jahr' auf glühndem Bett

Muß ich für meine Sünden schmoren;

Doch hat ein wanstig Priesterlein

Den Heiligen in mir gerochen!

Ich bring' ihm aber tüchtig ein,

Er kann mit mir zufrieden sein. –

Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!

 

Ich war ein Bettler, Gauner, Dieb,

Sprach falsches Zeugniß auf Begehren;

Darauf als Straßenräuber trieb

Ich's ritterlich und kam zu Ehren.

Ich hab auf einer Burg gewohnt,

Bin oft in Kirchen eingebrochen,

Hab' guter Heil'gen nicht geschont;

Ihr seht, wie mir der Himmel lohnt. –

Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!

 

Küßt auch den Schädel dort, doch hat's

Bis morgen Zeit, an ihrem Feste;

Von einer Jüdin, meinem Schatz,

Sind diese heil'gen Ueberreste.

Sie hat die Hölle gut bedacht,

Auf sie mag Luzifer wohl pochen;

Zu straucheln hat ihr Reiz gebracht

Von Mönchen eine ganze Tracht. –

Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!

 

Dort wird ein Heil'ger andrer Art,

Ein Schädel, wie von keinem Denker,

In goldnem Schrein wohl aufbewahrt;

Erst dummer Dieb, dann witz'ger Henker.

Sein Werk trieb er zur höchsten Lust

Des Hofs bei festlichen Epochen;

Wir beide haben dran gemußt,

Zu welcher Ehr', ist euch bewußt. –

Ihr Frommen, küßt nur meine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur meine Knochen!

 

Doch, wenn die Pfaffen ausgestellt

Zur frommen Schau den morschen Plunder,

So regnet's in den Kasten Geld,

Das ist das Wunder aller Wunder! –

Des Teufels Horn! bei meiner Six! –

Adieu! wir werden unterbrochen.»

Sich niederlegend stiehlt er fix

Noch vom Altar das Kruzifix. –

Ihr Frommen, küßt nur seine Knochen!

Ja küßt, ja küßt nur seine Knochen!»

 

 

Die Neger

und die Marionetten.

 

Neger härmten sich und starben,

Auf dem Schiffe dutzendweise,

Starben, starben und verdarben

Dem Patron die ganze Reise.

«Blitz! Die Waare muß man retten!

Ei vergeßt doch eurer Ketten.

Seht auf meine Marionetten.

Gute Sclaven, seid vergnügt!»

 

Also läßt er auf der Stelle

Den Theaterkasten bauen,

Quäkend zeigt sich Pulcinelle,

Frau und Nachbar sind zu schauen;

Negern sind das fremde Sachen,

Sie verwundern sich, sie machen,

Große Augen, ja, sie lachen!

Gute Sclaven, seid vergnügt!

 

Pulcinell, ein arger Zänker;

Mord und Todtschlag! – kommt der Richter. –

Kommt der Galgen – kommt der Henker –

Gar befremdliche Gesichter!

Jener Ketten sind indessen,

Harm und Leid schon fast vergessen,

Seht, sie lachen wie besessen,

Gute Sclaven, seid vergnügt!

 

Und der Teufel holt am Ende

Pulcinell, er unterlieget.

Jene klatschen in die Hände:

Schwarz! Triumph! Er! wir! er sieget!

Lassen von dem Stück sich irren,

Jubeln, schreien, jauchzen, schwirren –

Helden, deren Ketten klirren,

Gute Sclaven, seid vergnügt!

 

 

Hirtenbrief der

Generalvikare von Paris.

 

Hört für diese Fastenzeit

Unsern Hirtenbrief ihr Brüder;

Hört ihn an mit Frömmigkeit,

Nehmt und lest, und lest ihn wieder.

Wird das Meisterstück verlacht,

Hat's Rousseau so weit gebracht;

Pfeift es aus der Uebermuth,

Ist's Voltaire, der solches thut.

 

Denn Jean Jacques und Arouet

Sind an allem schuld gewesen;

Satan fluchte früh und spät,

Satan hatte sie gelesen;

Mutter Evas Apfelbiß

Kommt von Rousseau ganz gewiß;

Aber Kains Missethat

War die Frucht von Voltaires Saat.

 

Weil der Presse Unfug groß

Dazumal in Noahs Tagen,

Ließ der Herr die Wasser los,

Länger konnt' er's nicht ertragen;

Riß ihm endlich die Geduld,

Trägt Rousseau allein die Schuld,

Bricht die zweite Sündflut ein,

Trägt die Schuld Voltaire allein.

 

Aerger, als sie damals war,

Ist die Welt und wird noch böser.

Dies verruchte Ketzerpaar

Streitet wider den Erlöser;

Satans linke Hand allstund

Ist Rousseau, der Höllenhund,

Aber seine rechte Hand

Ist Voltaire, der Höllenbrand.

 

Gleich in Fesseln ward das Kind

Sonst gelegt, als es geboren,

Daß es lerne, Menschen sind,

Sclav' zu werden auserkohren;

Läßt man's jetzt so fessellos,

Liegt die Schuld an Rousseau blos;

Giebt Vernunft ihm ihren Schein,

Hat Voltaire die Schuld allein.

 

Ultra-Volksvertreter sind

Jakobiner gleich zuzeiten,

Schwatzen, schwatzen in den Wind

So von Freiheit als Freiheiten;

Wer die neue Larve nimmt,

Borgt sie von Rousseau bestimmt;

Legt er sie vergeblich an,

Hat's ihm Voltaire angethan.

 

Wenn Lafitte auch laut verschreit

Des Budgets enorme Zahlen,

Gute Leute, seid bereit,

Doch am Ende zu bezahlen;

Wenn es viel euch dünken sollt',

Hat Rousseau es so gewollt;

Wenn es jährlich sich vermehrt,

Hat Voltaire es so begehrt.

 

Während man behalten will,

Was der Kirche ward genommen,

Mühen wir uns emsig still,

Wieder in Besitz zu kommen.

Mit den Forsten hält es schwer,

Und das rührt vom Rousseau her;

Nicht ein Holzstoß, nicht ein Scheit!

Voltaire bringt es noch so weit.

 

Büßet denn, ihr Sünder da,

Oder fürchtet unsre Rache!

Duldsamkeit, das wißt ihr ja,

Ist nicht eben unsre Sache;

Gebet Gott, was ihm gebührt;

Doch Rousseau hat euch verführt;

Ach, die leid'ge Neurungssucht!

Die ist Voltaires arge Frucht.

 

Deßhalb, lieben Brüder, hat

Gott erlaubt, euch zu erlauben

Harte Eier zum Salat;

Wollt ihr noch gebratne Tauben! –

Schmecken nicht mehr Rüb' und Kohl,

So versucht euch Rousseau wohl;

Wollt ihr Speck noch eingebrockt,

Ist's Voltaire, der euch verlockt.