BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

Gedichte.

Ausgabe letzter Hand

 

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Vier Lieder von Béranger.

 

1

Die Kartenlegerin

 

Schlief die Mutter endlich ein

Ueber ihre Hauspostille?

Nadel, liege du nun stille:

Nähen, immer nähen, – nein! –

Legen will ich mir die Karten.

Ei, was hab ich zu erwarten?

Ei, was wird das Ende sein?

 

Trüget mich die Ahndung nicht,

Zeigt sich Einer, den ich meine, –

Schön! da kommt er ja, der Eine,

Cœurbub kannte seine Pflicht. –

Eine reiche Witwe? – wehe!

Ja, er freit sie, ich vergehe!

O verruchter Bösewicht!

 

Herzeleid und viel Verdruß, –

Eine Schul und enge Mauern, –

Carreaukönig, der bedauern,

Und zuletzt mich trösten muß. –

Ein Geschenk auf art'ge Weise –

Er entführt mich – eine Reise –

Geld und Lust in Ueberfluß!

 

Dieser Carreaukönig da

Muß ein Fürst sein oder König,

Und es fehlt daran nur wenig,

Bin ich selber Fürstin ja. –

Hier ein Feind, der mir zu schaden

Sich bemüht bei seiner Gnaden,

Und ein Blonder steht mir nah.

 

Ein Geheimniß kommt zu Tag

Und ich flüchte noch bei Zeiten, –

Fahret wohl, ihr Herrlichkeiten!

O das war ein harter Schlag! –

Hin ist Einer, eine Menge

Bilden um mich ein Gedränge,

Daß ich kaum sie zählen mag.

 

Dieser hier in grauem Haar

Ist ein Junker wohl vom Lande,

Spröde halt ich ihn am Bande

Und ich führ ihn zum Altar. –

Nach Paris! – Ein lustig Leben!

Brummt der Mann, so lach ich eben,

Bleibt doch alles, wie es war. –

 

Kommt das grämliche Gesicht,

Kommt die Alte da mit Keuchen,

Lieb und Lust mir zu verscheuchen,

Eh die Jugend mir gebricht? –

Ach! die Mutter ist's, die aufwacht,

Und den Mund zu schelten aufmacht. –

Nein, die Karten lügen nicht!

 

2

Die rothe Hanne, oder das Weib des Wilddiebes

 

Den Säugling an der Brust, den zweiten

Der Knaben auf dem Rücken, führt

Sie an der Hand den Erstgebornen,

Der fast entkleidet, barfuß friert.

Den Vater haben sie gefangen,

Er kühlt im Kerker seinen Muth;

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Ich sah sie oft in bessern Tagen,

Schulmeisters liebes Töchterlein;

Sie spann und sang und las und nähte,

Ein herzig Kind, und schmuck und fein;

Beim Sonntagstanz im Kreis der Linden,

Wie war sie froh und wohlgemuth!

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Ein junger, hübscher, reicher Pächter

Versprach ihr einst ein beßres Glück;

Ihr rothes Haar, das ward verspottet,

Der reiche Freier trat zurück;

Es kamen andre, giengen wieder;

Sie hatte ja kein Heirathsgut.

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Ein Taugenichts war schnell entschlossen:

Ich nehme dich, blond oder roth;

Drei Büchsen hab ich, weiß die Schliche,

Der Förster macht mir keine Noth;

Den Schwarzrock will ich auch bezahlen,

Des Sprüchlein uns zusammenthut;

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Sie sprach nicht nein, mit sanfter Lockung

Gebot Natur in ihrer Brust,

Und drei Mal ward allein im Walde

Sie Mutter unter bittrer Lust;

Die Kinder treiben und gedeihen,

Ein blühend frisch gesundes Bluth;

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

Des treuen Weibes nächt'gen Jammer

Erhellet noch ein milder Schein;

Sie lächelt: ihre Kleinen werden

Schwarzlockig wie der Vater sein;

Sie lächelt, ach! aus ihrem Lächeln

Schöpft der Gefangne frischen Muth;

Sei Gott du mit der rothen Hanne!

Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.

 

3

Der Bettler

 

Ich will in dieser Rinne sterben,

Bin alt und siech genug dazu;

Sie mögen mich «betrunken» schelten,

Mir recht! sie lassen mich in Ruh.

Die werfen mir noch ein'ge Groschen,

Die wenden ab ihr Angesicht;

Ja, eilt nur, eilt zu euren Festen,

Zum Sterben brauch ich euch doch nicht.

 

Vor Alter muß ich also sterben,

Man stirbt vor Hunger nicht zumal;

Ich hofft in meinen alten Tagen

Zuletzt noch auf ein Hospital;

So viel des Elends giebt's im Volke,

Man kommt euch nirgends mehr hinein;

Die Straße war ja meine Wiege,

Sie mag mein Sterbebett auch sein.

 

Lehrt mich ein Handwerk, gebt mir Arbeit,

Mein Brod verdienen will ich ja; –

Geh betteln! hieß es, Arbeit? Arbeit?

Die ist für alle Welt nicht da.

Arbeite! schrien mich an, die schmausten,

Und warfen mir die Knochen zu;

Ich will den Reichen doch nicht fluchen,

Ich fand in ihren Scheunen Ruh.

 

Ich hätte freilich stehlen können,

Mir schien zu betteln minder hart;

Ich habe höchstens mir am Wege

Ein paar Kartoffeln ausgescharrt;

Und immer aller Orten steckte

Die Polizei mich dennoch ein,

Mir raubend meine einz'ge Habe –

Du Gottes Sonne bist ja mein!

 

Was kümmern mich Gesetz und Ordnung,

Gewerb und bürgerliches Band?

Was euer König, eure Kammern?

Sagt, hab ich denn ein Vaterland?

Und dennoch, als in euern Mauern

Der Fremde, Herr zu sein, gemeint,

Der Fremde, der mich reichlich speiste,

Ich Narr, wie hab ich da geweint!

 

Ihr hättet mich erdrücken sollen,

Wie ich das Licht der Welt erblickt;

Ihr hättet mich erziehen sollen,

Wie sich's für einen Menschen schickt;

Ich wäre nicht der Wurm geworden,

Den ihr euch abzuwehren sucht;

Ich hätt euch brüderlich geholfen,

Und euch im Tode nicht geflucht.

 

4

Prophezeihung des Nostradamus auf das Jahr MM.

 

Schreibt Nostradamus, der die Zeit beschwören,

Und aus den Sternen konnte prophezeihn:

Im Jahr zweitausend wird von Jubelchören

Das glückliche Paris durchtönet sein;

Man wird nur einer Stimme Mißlaut hören,

Die wird am Fuß des Louvre kläglich schrein:

Ihr glücklichen Franzosen, wollt des armen,

Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!

 

Aus Rom gekommen wird ein siecher Greise,

Ein armer Lazarus, den Ruf erheben,

Und einem weiten dichtgedrängten Kreise

Von Straßenjungen sich zum Schauspiel geben;

Drauf giebt ihm streng ein Senator Verweise:

«Hört, Freund! hier darf von Betteln keiner leben.» –

«Ihr werdet doch, mein gnäd'ger Herr, des armen,

Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!»

 

«Bist wirklich du von jener Sippe?» – «Ja!

Der ich zu Rom zur Pabstzeit noch die Krone

In meines Ahnherrn Händen schimmern sah;

Er mußte sie verkaufen; die Spione,

Die Skribler und die Helfer heischten da

Den vollen Goldeswerth zu ihrem Lohne;

Ein Stab ist nun mein Zepter. Wollt des armen,

Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!

 

Mein Vater starb bejahrt im Schuldenthurme;

Er hatte mir ein Handwerk untersagt,

Ich bettle. Hart erweist ihr euch dem Wurme,

Ihr Glückeskinder, sei es Gott geklagt!

Ich komme her verschlagen von dem Sturme,

Ihr habt so oft die Meinen weggejagt,

O wollt doch, da ihr glücklich seid, des armen,

Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!»

 

Wird der Senator bei der Hand ihn fassen

Und sprechen; «Komm mit mir nach meinem Gute;

Wir hören auf die Könige zu hassen,

Die letzten küssen höflich unsre Rute;

Darfst dem Senat dein Schicksal überlassen;

Der ich aus altem Königsmörder-Bluthe

Entsprossen bin, ich will indeß des armen,

Des letzten Königs Frankreichs mich erbarmen.»

 

Und Nostradamus schreibt: dem Fürsten spenden

Wird der Senat zwei tausend Franken jährlich;

Der Alte wird zum Guten noch sich wenden,

Als Mair' von Saint Cloud wird er schlicht und ehrlich,

Ein wackrer Bürger, seine Laufbahn enden;

Die Chronik macht's der Nachwelt dann erklärlich,

Wie Frankreich sich im Glücke seines armen

Und letzten Königs mochte mild erbarmen.