BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

[Ueber Censur und Preßfreiheit I]

 

entstanden nach dem 10. 12. 1828,

wahrscheinlich unveröffentlicht

 

Text:

Adelbert von Chamisso, Gesammelte Werke in 2 Bdn.

Hrsg.: W. Feudel, Leipzig 1981

 

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[Ueber Censur und Pressfreiheit I]

 

Das Gedicht, das wir hier mittheilen, war von dem Herrn Verfasser einem der literarischen Blätter bestimmt, die in Berlin erscheinen. Der dortige Censor hat unserm Blatte diese poetische Gabe zugewandt und ihm zugleich den anziehenden Stoff zu gegenwärtigem Aufsatz geliefert. Der Leser wird nun neugierig in der «Kartenlegerin» nach Stellen spähen, von denen er urtheilen könne, ein Censor habe geurtheilt, ihr Erscheinen in den preußischen Landen könne dem Staat und der Monarchie Gefahr bringen. Wir sagen: «ihr Erscheinen in den preußischen Landen», weil es sich keineswegs handelte, ihr Erscheinen überhaupt zu unterdrücken oder nur zu verhindern, daß sie in Preußen gelesen würden. Der geehrte Censor wußte ja selbst, was weltkundig ist, und was [wir] hier am unbefangensten mit den Worten eines englischen Torys oder Illiberalen, mit den Worten Walter Scotts in dem Leben Napoleons wiederholen: «Deutschland verdankt von jeher die Wohlthat der Preßfreiheit der politischen Eintheilung seines Gebietes.»

Aber noch müht sich der Leser, das in der «Kartenlegerin» enthaltene Gift zu entdecken, und müht sich umsonst: wir müssen ihm zu Hülfe kommen. Die Stellen, denen das Imprimatur verweigert wurde, sind: die Zeile des Titels: «Nach Béranger» und die letzte Strophe des Gedichtes:

 

Kommt das grämliche Gesicht,

kommt die Alte da mit Keuchen,

Lieb und Lust mir zu verscheuchen,

eh die Jugend mir gebricht? –

Ach, die Mutter ist's, die aufwacht, –

und den Mund zu schelten aufmacht. –

Nein, die Karten lügen nicht!

 

Wir können zur Noth einen Sinn darin finden, daß der volksthümliche Liederdichter Frankreichs, den seine Stellung als Vorfechter der Opposition den Ministern des Königs unbequem und verhaßt macht; daß der übermüthige Liebling der Musen und des Volkes, den neuerdings noch ein Richterspruch straffällig befunden hat, in Preußen überhaupt nicht genannt werden dürfe. Der verehrte Censor mochte befürchten: jede ihm erwiesene, auch eine literarische Ehre, könne von der französischen Regierung mißfällig bemerkt werden und dem Staate, wo solches geduldet werde, in verdrießliche Händel verwickeln. Wie aber finden wir in andern gleichzeitigen Berlinischen Zeit- und Flugschriften den Namen Béranger und andere Lieder von ihm übersetzt und abgedruckt? Nun – es giebt mehrere Censoren, und die Einsicht jeglichen ist das Maaß, nach welchem er die Macht ausübt, womit er vom Staate bekleidet worden ist.

Was die Zeilen des Liedes selbst anbetrifft, wir gestehen, daß, die ihnen widerfahrene Ehre uns ein Räthsel ist, zu welchem, nachdem wir uns vergeblich mit literarischen und illiterarischen, rechtskundigen und gottesgelahrten Freunden darüber berathen haben, wir einen Schlüssel zu finden nicht vermocht haben, und wir legen es unentziffert unseren Lesern vor. Aber dieses Räthsel ist das einzige nicht in seiner Art, das uns die Berliner Censur zu rathen giebt; wir führen beispielsweise ein anderes an: hört! In einem literarischen Aufsatz geschah von einer Weinstube Erwähnung, von einer wirklichen Weinstube, die, wie in Berlin alle Weinschenken, sich selbst in ausgehängtem Schilde Weinstube nennt. Der wachsame Censor strich aus eigener Machtvollkommenheit das staatsbefährdende Wort Weinstube weg. Als ihm darauf die entstandene Lücke beliebig auszufüllen überlassen ward, setzte er: Weinhandlung an die Stelle, und so trat, geläutert und unverfänglich, der Aufsatz an das Licht.

Aber nicht den Franzosen Béranger allein, auch den deutschen Dichterfürsten, auch Goethen, trachtete die Berliner Censur seiner Ehren zu berauben. Den Tages- und literarischen Blättern ward es eine lange Zeit hindurch strenge verwehrt, von den Festen, zu denen der Geburtstag des Altmeisters deutschen Gesanges Veranlassung zu geben pflegt, irgendeine Erwähnung zu thun. Sein Name sollte, wo nicht ganz unterdrückt, doch möglichst vermieden werden. Und erst als in den öffentlichen Blättern Berlins gedruckt zu lesen stand: der König Ludwig von Bayern habe Goethen einen Besuch abgestattet, schien der über ihn verhängte Verruf einige Linderung zu erleiden. Aber die Namen Béranger und Goethe sind die einzigen nicht, die auszusprechen die Sicherheit des Staates zu befährden scheint. Ein anderer, ein bedrohlicherer Name verschwand eine lange, lange Zeit hindurch aus den Berliner Zeitungen, literarischen und Unterhaltungsblättern. Dieser Name, wir werden ihn nennen, und selbst Berliner Zeitungen nennen ihn jetzt wieder, – dieser Name – Hört! Hört! – dieser Name heißt: Oberon, König der Elfen.

Zugunsten des Königstädter Theaters (bekanntlich eine Privat-Unternehmung) besteht eine Censur-Verordnung des Gehaltes: daß von keinem Stücke, das auf den königlichen Bühnen aufgeführt wird, vor der dritten Vorstellung in öffentlichen Blättern die Rede sein darf. – Woher diese gegen die königlichen Schauspiele gerichtete Zwangsmaaßregel? Diese Parteilichkeit für die Königstädter Bühne?

Wenn in Frankreich, im Wogendrange aufgeregter Parteien, die apostolische Faction nach der Gewalt ringt, den Gesetzen des Landes bald stumm, bald offenkundig widersagt, das Reich der Willkür wiederherzustellen strebt; wenn dort die Faction, meinen wir, den Mund der öffentlichen Meinung stumm, das Auge der Vorsehung (nach dem in England üblichen Bilde) blind zu machen, die Presse zu unterdrücken strebt und die Censur begehrt, um sie selber auszuüben, so hat dieses allerdings einen Sinn, einen schwer gewichtigen Sinn. Aber in Preußen, unter einer gerechten, väterlichen, in vielfachem Betracht großsinnigen Regierung, die als solche der Regierte allgemein anerkennt, ehrt und liebt, was will noch da die Censur? – Was kann die preußische Regierung vermögen, sich länger für Albernheiten des bezeichneten Schlages verantwortlich zu erklären? – Es preßt sich der fromme vertrauende Ausruf aus unserer tiefsten Brust: si le roi le savoit!

Wenn bald einem unschuldigen Wort, bald einem arglosen Wort das Imprimat versagt wird, finden diese Räthsel ihre Lösung in der Lust der Willkür oder in der Querköpfigkeit der kleinen Tyrannen, denen sie zu üben gestattet wird. Censoren leben von ihrem Amte, und der Beamte in Preußen will sein Amt nicht als Sinecur verwalten, er will thätig sein, darthun, daß er thätig ist. Unter den gegebenen Umständen ist das unerklärliche Räthsel die Fortdauer der Censur selbst. Deutschland genießt die Wohlthat der Preßfreiheit, und offenkundig ist das einzige Ergebniß der Censur, die Industrie des Inlandes zugunsten des Auslandes zu untergraben, Buchdruckerei und Buchhandel mehr und mehr über die Grenzen zu verscheuchen, heimische literarische Unternehmungen der Fremde zuzuweisen, die in Berlin erscheinenden öffentlichen Blätter ihrer Abonnenten zu berauben, und sie fremden, mehr begehrten Blättern zuzuwenden, und sie selbst entweder zu ertödten oder endlich zum Auswandern zu zwingen.

Dürfte nicht das Fortbestehen dieses aus abgeflossenen Zeiten ererbten, jetzt nur widersinnigen und verderblichen Instituts in etwas durch den väterlichen Sinn einer Regierung erklärt werden, die überall das Recht schützt, den Besitz ehrt und Anstand nimmt, Beamte, ohne wider sie erfolgten Urtheil und Spruch, aus den Verhältnissen zu entfernen, denen sie ihren Lebensunterhalt verdanken? Wäre dem also, müßten wir die Gesinnung verehren, die Unersprießliches aufrechterhält, aber doch ein Abkommen vorschlagen, bei dem die allgemeine Wohlfahrt ohne Beeinträchtigung des Privatinteresses gefördert würde. Buchhändler, Buchdrucker und Autoren würden sich gerne vereinigen, den außer Thätigkeit tretenden Censoren ein Ruhestands-Gehalt zu sichern, das sie vollkommen entschädigte. Der Preßzwang, der über unsere Nachbaren besteht, verspricht unser Blatt mit schätzbaren Beiträgen zu bereichern und dessen Absatz auf Kosten des dort erscheinenden zu fördern. Wir reden nicht aus Eigennutz, wenn wir die Censur bekämpfen. Die Macht der Presse ist in der Welt der Europäischen Gesittung stärker geworden als aller Zwang; sie dient, wo Rechtlichkeit die Herrschaft führt, und empört sich nur, wo das Unrecht obwaltet; ihren eigenen Ausschweifungen, die nicht geleugnet werden sollen, vermag nur sie allein Einhalt zu thun. Sie besteht durch sich selbst, wie das junge Amerika; an der Zeit ist es, sie anzuerkennen. Unseres Erachtens geschieht in Preußen, durch die Art, wie dort die Censur ausgeübt wird, mehr für die Sache der Preßfreiheit als anderswo durch die Schutzreden, die ihr gehalten werden. So Widersinniges kann zu unserer Zeit nicht von Bestand sein.