BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adelbert von Chamisso

1781 - 1838

 

[Ueber Censur und Preßfreiheit II]

 

entstanden um 1834,

wahrscheinlich unveröffentlicht

 

Text:

Adelbert von Chamisso, Gesammelte Werke in 2 Bdn.

Hrsg.: W. Feudel, Leipzig 1981

 

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[Ueber Censur und Pressfreiheit II]

 

Bei der Censur, wie sie zur Zeit besteht, machen sich die Regierungen selbst für die Unterbeamten verantwortlich, durch welche sie sie ausüben lassen. – Verantwortlich für Alles, was unter ihrem Schirm gedruckt wird, verantwortlich für alles Gehässige und Alberne, was jene Unterbeamten bei Ausführung ihres Amtes verschulden; und da schreit das sich anhäufende Jämmerliche und Lächerliche so laut, daß unnöthig wird, über einmüthig Anerkanntes ein Wort mehr zu verlieren.

Und dennoch möchte jeder Redlichgesinnte wünschen, daß den Regierungen eine väterliche verständige Beaufsichtigung der Presse möglich gemacht und gesichert werde, auf daß das Bestehende gegen feindliche Angriffe geschützt werde, durch welche eine unbesonnene Umwälzungssucht dessen zeitgemäße ruhige Fortentwicklung stört und gefährdet.

Aber ist denn der Zweck nur auf dem Wege der verrufenen präventiven Censur zu erreichen, welche doch immer nur von Menschen, und zwar von untergeordneten Menschen, gehandhabt wird, welche, zu keiner Selbstthätigkeit in der Literatur befähigt, sich zu Beaufsichtigern des Gedankens verdingen? Ich bin der Meinung nicht.

Sprecht jedem Beamten, Gelehrten und Bürger, dessen Stellung im Staate eine hinreichende Bürgschaft für seine Anhänglichkeit an das Bestehende gewährt, das Recht zu, unter seiner persönlichen vollen Verantwortlichkeit vor dem Gesetz, was er schreibt, drucken zu lassen.

Das Gesetz hat die Kategorien derer, die dieses Rechtes theilhaftig sind, bestimmt abzugrenzen. Wer in dieselben nicht gehört, Einheimischer oder Auswärtiger, hat selbst sich seinen Censor unter den Berechtigten zu suchen, von denen einer für seine Schrift bei Nennung des eigenen Namens die persönliche volle Verantwortlichkeit vor dem Gesetze übernehmen muß. Somit höre denn jede Anonymität und Pseudonymität auf. Der Verleger oder Drucker einer sträflichen Schrift, bei welcher den obigen Bestimmungen nicht genügt worden, hat außer den Strafen, die ihn treffen können, sein Verlagsrecht oder Patent verwirkt.

Bei so bestallter Oligarchie würde dem Unfug der Presse vorgebeugt werden, und gleichzeitig möchten verschärfte Strafbestimmungen ihre Verirrungen bedrohn.

Ueber Preßvergehen oder Verbrechen gegen Personen, durch welche deren Ehre, Rechte oder Eigenthum gefährdet werden kann und gegen welche die Censur nie geschützt hat, haben die Gerichte auf die Klage der Betheiligten zu sprechen. Die Veröffentlichung einer Injurie durch den Druck erschwert deren Straffälligkeit, und in höherem Grade, wenn ihr die periodische Presse zum Organ gedient hat. Dem allen wird das Gesetz vorgesehen haben.

Aber das Gefährliche oder Straffällige einer Schrift, welche wider die gesellige Ordnung, die öffentliche Moral, die Religion oder den Staat ankämpft, liegt nicht sowohl in vereinzelten Worten oder Sätzen, dergleichen man selbst aus den heiligen Büchern herausheben könnte, als vielmehr in der allgemeinen Tendenz derselben, und da scheint mir das Delikt so absonderlicher Natur zu sein, daß es einer das öffentliche Gewissen vertretenden Jury überlassen bleiben müßte, dasselbe zu konstatiren und darüber durch ein begründetes, der öffentlichen Meinung dargebotenes Urtheil das «Schuldig» in dem oder dem Grade auszusprechen. Dem Richter bliebe nur vorbehalten, auf den Grund eines solchen Verdikts die Anwendung des Buchstabens des Gesetzes zu verfügen. Inwiefern die Universitäten etwa als natürliche Jury in Angelegenheiten der Presse zu betrachten seien oder auch Hausväter und Staatsbürger von Ansehn und Autorität zu dem geschworenen Gerichte zu ziehen sein möchten, lasse ich in diesen flüchtigen Andeutungen unerörtert.

In Hinsicht der periodischen Presse dürften die Bürgschaften erschwert und die Strafbestimmungen verschärft werden. Das Privilegium einer Zeitschrift, deren Tendenz durch Urtheil und Spruch nur getadelt worden, müßte erlöschen. In Hinsicht der einzelnen Artikel würde der Nachweis der Quelle, aus welcher sie entlehnt worden, oder die Namensunterschrift ihrer Verfasser die Verantwortlichkeit der Redaktion erleichtern. Die Regierung zuerst dürfte die Mittheilungen, die sie den Regierten zu machen, die Aufklärungen, die sie ihnen zu geben beliebt, nicht verleugnen, und da sollten die betreffenden Artikel als von den Ministerien, die sie geliefert haben, herrührend bezeichnet werden. Mit der in dieser Hinsicht hergebrachten Halbheit würde ein arger Uebelstand aufhören, und man könnte nicht mehr in einem halboffiziellen Blatte die Aussprüche einer neu aufsprießenden Schule, die morgen ein schwerer Bann treffen wird, mit der Meinung der Regierung verwechseln.

Die Leihbibliotheken und öffentlichen Lese-Institute müßten einer verschärften polizeilichen Aufsicht unterworfen werden und das Verleihen oder Auslegen eines gerichtlich getadelten Werkes mit dem Verluste der Privilegii verknüpft sein.

Da, wo zwischen Regierenden und Regierten Friede und Zutrauen herrscht, würde, meine ich, die öffentliche Meinung die vorgeschlagenen Einrichtungen bekräftigen und unterstützen; da aber, wo zwischen ihnen Krieg ist und Mißtrauen, da weiß ich nicht zu rathen.

Uebrigens schweben mir die Worte des Tory Walter Scott im «Leben Napoleons» allezeit vor: «Deutschland verdankt von jeher der politischen Zerstückelung seines Gebietes die Wohlthat der Preßfreiheit.» Nun aber gilt, was er von Deutschland sagt, von der gesammten gesitteten Welt.