B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Carl von Clausewitz
1780 - 1831
     
   


V o m   K r i e g e
E r s t e r   T e i l


E r s t e s   B u c h
Über die Natur des Krieges

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1. Kapitel   Was ist der Krieg?
2. Kapitel   Zweck und Mittel im Kriege
3. Kapitel   Der kriegerische Genius
4. Kapitel   Von der Gefahr im Kriege
5. Kapitel   Von der körperlichen Anstrengung im Kriege
6. Kapitel   Nachrichten im Kriege
7. Kapitel   Friktion im Kriege
8. Kapitel   Schlußbemerkungen zum ersten Buch


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     Erstes Kapitel:
     Was ist der Krieg?


     1.
     Einleitung.


     Wir denken die einzelnen Elemente unseres Gegenstandes, dann die einzelnen Teile oder Glieder desselben und zuletzt das Ganze in seinem inneren Zusammenhange zu betrachten, also vom Einfachen zum Zusammengesetzten fortzuschreiten. Aber es ist hier mehr als irgendwo nötig, mit einem Blick auf das Wesen des Ganzen anzufangen, weil hier mehr als irgendwo mit dem Teile auch zugleich immer das Ganze gedacht werden muß.

     2.
     Definition.


     Wir wollen hier nicht erst in eine schwerfällige publizistische Definition des Krieges hineinsteigen, sondern uns an das Element desselben halten, an den Zweikampf. Der Krieg ist nichts als ein erweiterter Zweikampf. Wollen wir uns die Unzahl der einzelnen Zweikämpfe, aus denen er besteht, als Einheit denken, so tun wir besser, uns zwei Ringende vorzustellen. Jeder sucht den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen; sein nächster Zweck ist, den Gegner niederzuwerfen und dadurch zu jedem ferneren Widerstand unfähig zu machen.
     Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen..
     Die Gewalt rüstet sich mit den Erfindungen der Künste und Wissenschaften aus, um der Gewalt zu begegnen. Unmerkliche, kaum nennenswerte Beschränkungen, die sie sich selbst setzt unter dem Namen völkerrechtlicher Sitte, begleiten sie, ohne ihre Kraft wesentlich zu schwächen. Gewalt, d. h. die physische Gewalt (denn eine moralische gibt es außer dem Begriffe des Staates und Gesetzes nicht), ist also das Mittel, dem Feinde unseren Willen aufzudringen, der Zweck. Um diesen Zweck sicher zu erreichen, müssen wir den Feind wehrlos machen, und dies ist dem Begriff nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung. Es vertritt den Zweck und verdrängt ihn gewissermaßen als etwas nicht zum Kriege selbst Gehöriges.

     3.
     Äußerste Anwendung
     der Gewalt.


     Nun könnten menschenfreundliche Seelen sich leicht denken, es gebe ein künstliches Entwaffnen oder Niederwerfen des Gegners, ohne zuviel Wunden zu verursachen, und das sei die wahre Tendenz der Kriegskunst. Wie gut sich das auch ausnimmt, so muß man doch diesen Irrtum zerstören, denn in so gefährlichen Dingen, wie der Krieg eins ist, sind die Irrtümer, welche aus Gutmütigkeit entstehen, gerade die schlimmsten. Da der Gebrauch der physischen Gewalt in ihrem ganzen Umfange die Mitwirkung der Intelligenz auf keine Weise ausschließt, so muß der, welcher sich dieser Gewalt rücksichtslos, ohne Schonung des Blutes bedient, ein Übergewicht bekommen, wenn der Gegner es nicht tut. Dadurch gibt er dem anderen das Gesetz, und so steigern sich beide bis zum äußersten, ohne daß es andere Schranken gäbe als die der innewohnenden Gegengewichte.
     So muß man die Sache ansehen, und es ist ein unnützes, selbst verkehrtes Bestreben, aus Widerwillen gegen das rohe Element die Natur desselben außer acht zu lassen.
     Sind die Kriege gebildeter Völker viel weniger grausam und zerstörend als die der ungebildeten, so liegt das in dem gesellschaftlichen Zustande, sowohl der Staaten in sich als unter sich. Aus diesem Zustande und seinen Verhältnissen geht der Krieg hervor, durch ihn wird er bedingt, eingeengt, ermäßigt: aber diese Dinge gehören ihm nicht selbst an, sind ihm nur ein Gegebenes, und nie kann in der Philosophie des Krieges selbst ein Prinzip der Ermäßigung hineingetragen werden, ohne eine Absurdität zu begehen.
     Der Kampf zwischen Menschen besteht eigentlich aus zwei verschiedenen Elementen, dem feindseligen Gefühl und der feindseligen Absicht. Wir haben das letztere dieser beiden Elemente zum Merkmal unserer Definition gewählt, weil es das allgemeine ist. Man kann sich auch die roheste, an Instinkt grenzende Leidenschaft des Hasses nicht ohne feindliche Absicht denken, dagegen gibt es viele feindselige Absichten, die von gar keiner oder wenigstens von keiner vorherrschenden Feindschaft der Gefühle begleitet sind. Bei rohen Völkern herrschen die dem Gemüt, bei Gebildeten die dem Verstande angehörenden Absichten vor; allein dieser Unterschied liegt nicht in dem Wesen von Roheit und Bildung selbst, sondern in den sie begleitenden Umständen, Einrichtungen usw.: er ist also nicht notwendig in jedem einzelnen Fall, sondern er beherrscht nur die Mehrheit der Fälle, mit einem Wort: auch die gebildetsten Völker können gegeneinander leidenschaftlich entbrennen.
     Man sieht hieraus, wie unwahr man sein würde, wenn man den Krieg der Gebildeten auf einen bloßen Verstandesakt der Regierungen zurückführen und ihn sich immer mehr als von aller Leidenschaft loslassend denken wollte, so daß er zuletzt die physischen Massen der Streitkräfte nicht wirklich mehr brauchte, sondern nur ihre Verhältnisse, eine Art Algebra des Handelns.
     Die Theorie fing schon an, sich in dieser Richtung zu bewegen, als die Erscheinungen der letzten Kriege sie eines Besseren belehrten. Ist der Krieg ein Akt der Gewalt, so gehört er notwendig auch dem Gemüt an. Geht er nicht davon aus, so führt er doch darauf mehr oder weniger zurück, und dieses Mehr oder Weniger hängt nicht von dem Grade der Bildung, sondern von der Wichtigkeit und Dauer der feindseligen Interessen ab.
     Finden wir also, daß gebildete Völker den Gefangenen nicht den Tod geben, Stadt und Land nicht zerstören, so ist es, weil sich die Intelligenz in ihre Kriegführung mehr mischt und ihnen wirksamere Mittel zur Anwendung der Gewalt gelehrt hat als diese rohen Äußerungen des Instinkts.
     Die Erfindung des Pulvers, die immer weitergehende Ausbildung des Feuergewehrs zeigen schon hinreichend, daß die in dem Begriff des Krieges liegende Tendenz zur Vernichtung des Gegners auch faktisch durch die zunehmende Bildung keineswegs gestört oder abgelenkt worden ist.
     Wir wiederholen also unseren Satz: der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, die dem Begriff nach zum äußersten führen muß. Dies ist die erste Wechselwirkung und das erste Äußerste, worauf wir stoßen.
     (Erste Wechselwirkung.).

     4.
     Das Ziel ist, den Feind
     wehrlos zu machen.


     Wir haben gesagt: den Feind wehrlos zu machen sei das Ziel des kriegerischen Aktes, und wir wollen nun zeigen, daß dies wenigstens in der theoretischen Vorstellung notwendig ist.
     Wenn der Gegner unseren Willen erfüllen soll, so müssen wir ihn in eine Lage versetzen, die nachteiliger ist als das Opfer, welches wir von ihm fordern; die Nachteile dieser Lage dürfen aber natürlich, wenigstens dem Anscheine nach, nicht vorübergehend sein, sonst würde der Gegner den besseren Zeitpunkt abwarten und nicht nachgeben. Jede Veränderung dieser Lage, welche durch die fortgesetzte kriegerische Tätigkeit hervorgebracht wird, muß also zu einer noch nachteiligeren führen, wenigstens in der Vorstellung. Die schlimmste Lage, in die ein Kriegführender kommen kann, ist die gänzliche Wehrlosigkeit. Soll also der Gegner zur Erfüllung unseres Willens durch den kriegerischen Akt gezwungen werden, so müssen wir ihn entweder faktisch wehrlos machen oder in einen Zustand versetzen, daß er nach Wahrscheinlichkeit damit bedroht sei. Hieraus folgt: daß die Entwaffnung oder das Niederwerfen des Feindes, wie man es nennen will, immer das Ziel des kriegerischen Aktes sein muß.
     Nun ist der Krieg nicht das Wirken einer lebendigen Kraft auf eine tote Masse, sondern, weil ein absolutes Leiden kein Kriegführen sein würde, so ist er immer der Stoß zweier lebendiger Kräfte gegeneinander, und was wir von dem letzten Ziel der kriegerischen Handlung gesagt haben, muß von beiden Teilen gedacht werden. Hier ist also wieder Wechselwirkung. Solange ich den Gegner nicht niedergeworfen habe, muß ich fürchten, daß er mich niederwirft, ich bin also nicht mehr Herr meiner, sondern er gibt mir das Gesetz, wie ich es ihm gebe. Dies ist die zweite Wechselwirkung, die zum zweiten Äußersten führt.
     (Zweite Wechselwirkung.).

     5.
     Äußerste Anstrengung
     der Kräfte.


     Wollen wir den Gegner niederwerfen, so müssen wir unsere Anstrengung nach seiner Widerstandskraft abmessen; diese drückt sich durch ein Produkt aus, dessen Faktoren sich nicht trennen lassen, nämlich: die Größe der vorhandenen Mittel und die Stärke der Willenskraft.
     Die Größe der vorhandenen Mittel würde sich bestimmen lassen, da sie (wiewohl doch nicht ganz) auf Zahlen beruht, aber die Stärke der Willenskraft läßt sich viel weniger bestimmen und nur etwa nach der Stärke des Motivs schätzen. Gesetzt, wir bekämen auf diese Weise eine erträgliche Wahrscheinlichkeit für die Widerstandskraft des Gegners, so können wir danach unsere Anstrengungen abmessen und diese entweder so groß machen, daß sie überwiegen, oder, im Fall dazu unser Vermögen nicht hinreicht, so groß wie möglich. Aber dasselbe tut der Gegner; also neue gegenseitige Steigerung, die in der bloßen Vorstellung wieder das Bestreben zum Äußersten haben muß. Dies ist die dritte Wechselwirkung und ein drittes Äußerstes, worauf wir stoßen.
     (Dritte Wechselwirkung.).

     6.
     Modifikationen in
     der Wirklichkeit.


     So findet in dem abstrakten Gebiet des bloßen Begriffs der überlegende Verstand nirgends Ruhe, bis er an dem Äußersten angelangt ist, weil er es mit einem Äußersten zu tun hat, mit einem Konflikt von Kräften, die sich selbst überlassen sind, und die keinen anderen Gesetzen folgen als ihren inneren; wollten wir also aus dem bloßen Begriffe des Krieges einen absoluten Punkt für das Ziel, welches wir aussetzen, und für die Mittel, welche wir anwenden sollen, ableiten, so würden wir bei den beständigen Wechselwirkungen zu Extremen geraten, die nichts als ein Spiel der Vorstellungen wären, hervorgebracht durch einen kaum sichtbaren Faden logischer Spitzfindigkeit. Wenn man, fest an das Absolute haltend, alle Schwierigkeiten mit einem Federstrich umgehen und mit logischer Strenge darin beharren wollte, daß man sich jederzeit auf das Äußerste gefaßt machen und jedesmal die äußerste Anstrengung daransetzen müsse, so würde ein solcher Federstrich ein bloßes Büchergesetz sein und keins für die wirkliche Welt.
     Gesetzt auch, jenes Äußerste der Anstrengungen wäre ein Absolutes, was leicht gefunden werden könnte, so muß man doch gestehen, daß der menschliche Geist sich dieser logischen Träumerei schwerlich unterordnen würde. Es würde in manchen Fällen ein unnützer Kraftaufwand entstehen, welcher in anderen Grundsätzen der Regierungskunst ein Gegengewicht finden müßte; eine Anstrengung des Willens würde erfordert werden, die mit dem vorgesetzten Zweck nicht im Gleichgewicht stände und also nicht ins Leben gerufen werden könnte, denn der menschliche Wille erhält seine Stärke nie durch logische Spitzfindigkeiten.
     Anders aber gestaltet sich alles, wenn wir aus der Abstraktion in die Wirklichkeit übergehen. Dort mußte alles dem Optimismus unterworfen bleiben, und wir mußten uns den einen wie den anderen denken, nicht bloß nach dem Vollkommenen strebend, sondern auch es erreichend. Wird dies jemals in der Wirklichkeit auch so sein? Es würde so sein, wenn:.
     1. der Krieg ein ganz isolierter Akt wäre, der urplötzlich entstünde und nicht mit dem früheren Staatsleben zusammenhinge,.
     2. wenn er aus einer einzigen oder aus einer Reihe gleichzeitiger Entscheidungen bestünde,.
     3. wenn er eine in sich vollendete Entscheidung enthielte und nicht der politische Zustand, welcher ihm folgen wird, durch den Kalkül schon auf ihn zurückwirkte.

     7.
     Der Krieg ist nie ein
     isolierter Akt.


     Was den ersten Punkt betrifft, so ist jeder der beiden Gegner dem anderen keine abstrakte Person, auch für denjenigen Faktor im Widerstandsprodukt, der nicht auf äußere Dinge beruht, nämlich den Willen. Dieser Wille ist kein ganz Unbekanntes; er tut sich kund für das, was er morgen sein wird, in dem, was er heute war. Der Krieg entsteht nicht urplötzlich; seine Verbreitung ist nicht das Werk eines Augenblicks, es kann also jeder der beiden Gegner den anderen großenteils schon aus dem beurteilen, was er ist, was er tut, nicht nach dem, was er, strenge genommen, sein und tun müßte. Nun bleibt aber der Mensch mit seiner unvollkommenen Organisation immer hinter der Linie des Absolut-Besten zurück, und so werden diese von beiden Seiten in Wirksamkeit tretenden Mängel ein ermäßigendes Prinzip.

     8.
     Er besteht nicht aus einem
     einzigen Schlag ohne Dauer.


     Der zweite Punkt gibt uns zu folgenden Betrachtungen Veranlassung.
     Wäre die Entscheidung im Kriege eine einzige oder eine Reihe gleichzeitiger, so müßten natürlich alle Vorbereitungen zu derselben die Tendenz zum Äußersten bekommen, denn ein Versäumnis ließe sich auf keine Weise wieder einbringen; es würden also aus der wirklichen Welt höchstens die Vorbereitungen des Gegners, soweit sie uns bekannt sind, einen Maßstab für uns abgeben können, und alles übrige fiele wieder der Abstraktion anheim. Besteht aber die Entscheidung aus mehreren sukzessiven Akten, so kann natürlich der vorgehende mit allen seinen Erscheinungen am nachfolgenden ein Maß werden, und auf diese Weise tritt auch hier die wirkliche Welt an, die Stelle des Abstrakten und ermäßigt so das Bestreben nach dem Äußersten.
     Nun würde aber jeder Krieg notwendig in einer einzigen Entscheidung oder in einer Reihe gleichzeitiger enthalten sein müssen, wenn die zum Kampf bestimmten Mittel alle zugleich aufgeboten würden oder sich aufbieten ließen; denn da eine nachteilige Entscheidung die Mittel notwendig vermindert, so kann, wenn sie in der ersten alle angewendet worden sind, eine zweite eigentlich nicht mehr gedacht werden. Alle kriegerischen Akte, die nachfolgen könnten, gehörten dem ersten wesentlich zu und bildeten eigentlich nur seine Dauer.
     Allein wir haben gesehen, daß schon bei den Vorbereitungen zum Kriege die wirkliche Welt an die Stelle des bloßen Begriffs, ein wirkliches Maß an die Stelle einer äußersten Voraussetzung tritt; also schon darum werden beide Gegner in ihrer Wechselwirkung hinter der Linie einer äußersten Anstrengung zurückbleiben und also nicht sogleich alle Kräfte aufgeboten werden.
     Aber es liegt auch in der Natur dieser Kräfte und ihrer Anwendung, daß sie nicht alle zugleich in Wirksamkeit treten können. Diese Kräfte sind: die eigentlichen Streitkräfte, das Land mit seiner Oberfläche und Bevölkerung und die Bundesgenossen.
     Das Land mit seiner Oberfläche und Bevölkerung macht nämlich, außerdem daß es der Quell aller eigentlichen Streitkräfte ist, auch noch für sich einen integrierenden Teil der im Kriege wirksamen Größen aus, und zwar nur mit dem Teile, der zum Kriegstheater gehört oder einen merklichen Einfluß darauf hat.
     Nun kann man wohl alle beweglichen Streitkräfte gleichzeitig wirken lassen, aber nicht alle Festungen, Ströme, Gebirge, Einwohner usw., kurz nicht das ganze Land, wenn dieses nicht so klein ist, daß es von dem ersten Akt des Krieges ganz umfaßt wird. Ferner ist die Mitwirkung der Bundesgenossenschaft nicht von dem Willen der Kriegführenden abhängig, und es liegt in der Natur der Staatenverhältnisse, daß sie häufig erst später eintritt oder sich verstärkt zur Herstellung des verlorenen Gleichgewichts.
     Daß dieser Teil der Widerstandskräfte, welche nicht sogleich in Wirksamkeit gesetzt werden können, in manchen Fällen einen viel größeren Teil des Ganzen ausmacht, als man auf den ersten Blick glauben sollte, und daß dadurch selbst da, wo die erste Entscheidung mit einer großen Gewalt gegeben und also das Gleichgewicht der Kräfte sehr gestört worden ist, dieses doch wieder hergestellt werden kann, wird in der Folge näher entwickelt werden. Hier genügt es uns zu zeigen, daß der Natur des Krieges eine vollkommene Vereinigung der Kräfte in der Zeit entgegen ist. Nun könnte dies an und für sich kein Grund sein, die Steigerung der Anstrengungen für die erste Entscheidung zu ermäßigen, weil eine ungünstige Entscheidung immer ein Nachteil ist, dem man sich nicht absichtlich aussetzen wird, und weil die erste Entscheidung, wenn sie auch nicht die einzige bleibt, doch um so mehr Einfluß auf die folgenden haben wird, je größer sie gewesen ist; allein die Möglichkeit einer späteren Entscheidung macht, daß der menschliche Geist sich in seiner Scheu vor allzugroßen Anstrengungen dahinein flüchtet, also bei der ersten Entscheidung die Kräfte nicht in dem Maß sammelt und anstrengt, wie sonst geschehen sein würde. Was jeder der beiden Gegner aus Schwäche unterläßt, wird für den anderen ein wahrer objektiver Grund der Ermäßigung, und so wird durch diese Wechselwirkung wieder das Streben nach dem Äußersten auf ein bestimmtes Maß der Anstrengung zurückgeführt.

     9.
     Der Krieg ist mit seinem Resultat
     nie etwas Absolutes.


     Endlich ist selbst die Totalentscheidung eines ganzen Krieges nicht immer für eine absolute anzusehen, sondern der erliegende Staat sieht darin oft nur ein vorübergehendes Übel, für welches in den politischen Verhältnissen späterer Zeiten noch eine Abhilfe gewonnen werden kann. Wie sehr auch dies die Gewaltsamkeit der Spannung und die Heftigkeit der Kraftanstrengung mäßigen muß, versteht sich von selbst.

     10.
     Die Wahrscheinlichkeiten des wirklichen Lebens treten an die
     Stelle des Äußersten und Absoluten der Begriffe.


     Auf diese Weise wird dem ganzen kriegerischen Akte das strenge Gesetz der nach dem Äußersten getriebenen Kräfte genommen. Wird das Äußerste nicht mehr gefürchtet und nicht mehr gesucht, so bleibt dem Urteil überlassen, statt seiner die Grenzen für die Anstrengungen festzustellen, und dies kann nur aus den Daten, welche die Erscheinungen der wirklichen Welt darbieten, nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen geschehen. Sind die beiden Gegner nicht mehr bloße Begriffe, sondern individuelle Staaten und Regierungen, ist der Krieg nicht mehr ein idealer, sondern ein sich eigentümlich gestaltender Verlauf der Handlung, so wird das wirklich Vorhandene die Daten abgeben für das Unbekannte, zu Erwartende, was gefunden werden soll.
     Aus dem Charakter, den Einrichtungen, dem Zustande, den Verhältnissen des Gegners wird jeder der beiden Teile nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen auf das Handeln des anderen schließen und danach das seinige bestimmen.

     11.
     Nun tritt der politische
     Zweck wieder hervor.


     Hier drängt sich nun von selbst ein Gegenstand von neuem in die Betrachtung, den wir (s. Nr. 2) daraus entfernt hatten: es ist der politische Zweck des Krieges. Das Gesetz des Äußersten, die Absicht, den Gegner wehrlos zu machen, ihn niederzuwerfen, hatte diesen Zweck bisher gewissermaßen verschlungen. Sowie dieses Gesetz in seiner Kraft nachläßt, diese Absicht von ihrem Ziel zurücktritt, muß der politische Zweck des Krieges wieder hervortreten. Ist die ganze Betrachtung ein Wahrscheinlichkeitskalkül, aus bestimmten Personen und Verhältnissen hervorgehend, so muß der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv ein sehr wesentlicher Faktor in diesem Produkt werden. Je kleiner das Opfer ist, welches wir von unserem Gegner fordern, um so geringer dürfen wir erwarten, daß seine Anstrengungen sein werden, es uns zu versagen. Je geringer aber diese sind, um so kleiner dürfen auch die unsrigen bleiben. Ferner, je kleiner unser politischer Zweck ist, um so geringer wird der Wert sein, den wir auf ihn legen, um so eher werden wir uns gefallen lassen, ihn aufzugeben: also um so kleiner werden auch aus diesem Grunde unsere Anstrengungen sein. So wird also der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krieges das Maß sein, sowohl für das Ziel, welches durch den kriegerischen Akt erreicht werden muß, als für die Anstrengungen, die erforderlich sind. Aber er wird dies nicht an und für sich sein können, sondern, weil wir es mit wirklichen Dingen zu tun haben und nicht mit bloßen Begriffen, so wird er es in Beziehung auf die beiderseitigen Staaten sein. Ein und derselbe politische Zweck kann bei verschiedenen Völkern, oder selbst bei ein und demselben Volk, zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Wirkungen hervorbringen. Wir können also den politischen Zweck nur so als das Maß gelten lassen, indem wir uns ihn in Einwirkungen auf die Massen denken, die er bewegen soll, so daß also die Natur dieser Massen in Betrachtung kommt. Daß dadurch das Resultat ein ganz anderes werden kann, je nachdem sich in den Massen Verstärkungs- oder Schwächungsprinzipe für die Handlung finden, ist leicht einzusehen. Es können in zwei Völkern und Staaten sich solche Spannungen, eine solche Summe feindseliger Elemente finden, daß ein an sich sehr geringes politisches Motiv des Krieges eine weit über seine Natur hinausgehende Wirkung, eine wahre Explosion hervorbringen kann.
     Dies gilt für die Anstrengungen, welche der politische Zweck in beiden Staaten hervorrufen, und für das Ziel, welches er der kriegerischen Handlung stecken soll. Zuweilen wird er selbst dieses Ziel sein können, z. B. die Eroberung einer gewissen Provinz. Zuweilen wird der politische Zweck selbst sich nicht dazu eignen, das Ziel der kriegerischen Handlung abzugeben; dann muß ein solches genommen werden, welches als ein Äquivalent für ihn gelten und beim Frieden ihn vertreten kann. Aber auch hierbei ist immer die Rücksicht auf die Eigentümlichkeit der wirkenden Staaten vorausgesetzt. Es gibt Verhältnisse, wo das Äquivalent viel größer sein muß als der politische Zweck, wenn dieser damit errungen werden soll. Der politische Zweck wird als Maß um so mehr vorherrschen und selbst entscheiden, je gleichgültiger sich die Massen verhalten, je geringer die Spannungen sind, die auch außerdem in beiden Staaten und ihren Verhältnissen sich finden, und so gibt es Fälle, wo er fast allein entscheidet.
     Ist nun das Ziel des kriegerischen Aktes ein Äquivalent für den politischen Zweck, so wird er im allgemeinen mit diesem heruntergehen, und zwar um so mehr, je mehr dieser Zweck vorherrscht; und so erklärt es sich, wie ohne inneren Widerspruch es Kriege mit allen Graden von Wichtigkeit und Energie geben kann, von dem Vernichtungskriege hinab bis zur bloßen bewaffneten Beobachtung. Dies führt uns aber zu einer Frage anderer Art, die wir noch zu entwickeln und zu beantworten haben.

     12.
     Ein Stillstand im kriegerischen Akt
     ist dadurch noch nicht erklärt.


     Wie unbedeutend auch die politischen Forderungen beider Gegner sein mögen, wie schwach die aufgebotenen Mittel, wie gering das Ziel, welches sie dem kriegerischen Akte stecken, kann dieser Akt je einen Augenblick stillstehen? Dies ist eine in das Wesen der Sache tief eindringende Frage.
     Jede Handlung braucht zu ihrer Vollziehung eine gewisse Zeit, die wir ihre Dauer nennen. Diese kann größer oder kleiner sein, je nachdem der Handelnde mehr oder weniger Eile hineinlegt.
     Um dieses Mehr oder Weniger wollen wir uns hier nicht bekümmern. Jeder macht die Sache auf seine Weise; der Langsame aber macht sie nicht darum langsamer, weil er mehr Zeit darauf verbringen will, sondern weil er seiner Natur nach mehr Zeit braucht und sie bei größerer Eile weniger gut machen würde. Diese Zeit hängt also von inneren Gründen ab und gehört zur eigentlichen Dauer der Handlung.
     Lassen wir nun im Kriege einer jeden Handlung diese ihre Dauer, so müssen wir wenigstens auf den ersten Blick dafürhalten, daß jeder Zeitaufwand außer dieser Dauer, d. h. jeder Stillstand im kriegerischen Akt widersinnig erscheint. Wir müssen immer dabei nicht vergessen, daß nicht von dem Fortschreiten des einen oder anderen der beiden Gegner, sondern von dem Fortschreiten des ganzen kriegerischen Aktes die Rede ist.

     13.
     Es gibt nur einen Grund, welcher das Handeln aufhalten kann,
     und dieser scheint immer nur auf einer Seite sein zu können.


     Haben beide Teile sich zum Kampf gerüstet, so muß ein feindseliges Prinzip sie dazu vermocht haben; solange sie nun gerüstet bleiben, d.h. nicht Frieden schließen, muß dieses Prinzip vorhanden sein, und es kann bei jedem der beiden Gegner nur unter einer einzigen Bedingung ruhen, nämlich: einen günstigeren Zeitpunkt des Handelns abwarten zu wollen. Nun scheint es auf den ersten Blick, daß diese Bedingung immer nur auf einer Seite vorhanden sein könne, weil sie eo ipso auf der anderen zum Gegenteil wird. Hat der eine das Interesse des Handelns, so muß der andere das Interesse des Abwartens haben.
     Ein völliges Gleichgewicht der Kräfte kann einen Stillstand nicht hervorbringen, denn bei einem solchen müßte der, welcher den positiven Zweck hat (der Angreifende), der Vorschreitende bleiben.
     Wollte man sich aber das Gleichgewicht so denken, daß derjenige, welcher den positiven Zweck, also das stärkere Motiv hat, zugleich über die geringeren Kräfte gebietet, so daß die Gleichung aus dem Produkt von Motiv und Kräften entstände, so müßte man immer noch sagen: wenn für diesen Zustand des Gleichgewichts keine Veränderung vorher zu sehen ist, so müssen beide Teile Frieden machen; ist sie aber vorher zu sehen, so wird sie nur dem einen günstig sein und dadurch also der andere zum Handeln bewogen werden müssen. Wir sehen, daß der Begriff des Gleichgewichts den Stillstand nicht erklären kann, sondern daß es doch wieder auf das Abwarten eines günstigeren Augenblicks hinausläuft. Gesetzt also, von zwei Staaten habe der eine einen positiven Zweck: er will eine Provinz des Gegners erobern, um sie beim Frieden geltend zu machen. Nach dieser Eroberung ist sein politischer Zweck erfüllt, das Bedürfnis des Handelns hört auf, für ihn tritt Ruhe ein. Will der Gegner sich auch bei diesem Erfolg beruhigen, so muß er Frieden schließen, will er dies nicht, so muß er handeln; nun läßt sich denken, daß er in vier Wochen mehr dazu organisiert sein wird, er hat also einen hinlänglichen Grund, das Handeln zu verschieben.
     Von dem Augenblick an aber, so scheint es, fällt die logische Verpflichtung des Handelns dem Gegner zu, damit dem Besiegten nicht Zeit gelassen werde, sich zum Handeln auszurüsten. Es versteht sich, daß hierbei eine vollkommene Einsicht des Falles von beiden Seiten vorausgesetzt wird.

     14.
     Dadurch würde eine Kontinuität in das kriegerische
     Handeln kommen, die alles wieder steigerte.


     Wäre diese Kontinuität des kriegerischen Aktes wirklich vorhanden, so würde durch sie wieder alles zum Äußersten getrieben werden, denn abgesehen davon, daß eine solche rastlose Tätigkeit die Gemütskräfte mehr entflammen und dem Ganzen einen höheren Grad von Leidenschaft, eine größere Elementarkraft geben würde, so würde auch durch die Kontinuität des Handelns eine strengere Folge, eine ungestörtere Kausalverbindung entstehen und damit jede einzelne Handlung bedeutender und also gefahrvoller werden.
     Aber wir wissen, daß die kriegerische Handlung selten oder nie diese Kontinuität hat, und daß es eine Menge von Kriegen gibt, wo das Handeln bei weitem den geringsten Teil der angewendeten Zeit einnimmt und der Stillstand den ganzen übrigen. Dies kann unmöglich immer eine Anomalie, und der Stillstand im kriegerischen Akt muß möglich, d. h. kein Widerspruch in sich sein. Daß und wie es so ist, wollen wir jetzt zeigen.

     15.
     Hier wird also ein Prinzip der Polarität
     in Anspruch genommen.


     Indem wir das Interesse des einen Feldherrn immer in entgegengesetzter Größe bei dem anderen gedacht haben, haben wir eine wahre Polarität angenommen. Wir behalten uns vor, diesem Prinzip in der Folge ein eigenes Kapitel zu widmen, müssen aber hier folgendes darüber sagen.
     Das Prinzip der Polarität ist nur gültig, wenn diese an ein und demselben Gegenstand gedacht wird, wo die positive Größe und ihr Gegensatz, die negative, sich genau vernichten. In einer Schlacht will jeder der beiden Teile siegen; das ist wahre Polarität, denn der Sieg des einen vernichtet den des anderen. Wenn aber von zwei verschiedenen Dingen die Rede ist, die eine gemeinschaftliche Beziehung außer sich haben, so haben nicht diese Dinge, sondern ihre Beziehungen die Polarität.

     16.
     Angriff und Verteidigung sind Dinge von verschiedener
     Art und von ungleicher Stärke, die Polarität kann
     also nicht auf sie angewendet werden.


     Gäbe es nur eine Form des Krieges, nämlich den Anfall des Gegners, also keine Verteidigung, oder mit anderen Worten, unterschiede sich der Angriff von der Verteidigung bloß durch das positive Motiv, welches jener hat und diese entbehrt, der Kampf wäre aber immer ein und derselbe: so würde in diesem Kampfe jeder Vorteil des einen immer ein ebenso großer Nachteil des anderen sein, und es wäre Polarität vorhanden.
     Allein die kriegerische Tätigkeit zerfällt in zwei Formen, Angriff und Verteidigung, die, wie wir in der Folge sächlich dartun werden, sehr verschieden und von ungleicher Stärke sind. Die Polarität liegt also in dem, worauf sich beide beziehen, in der Entscheidung, aber nicht im Angriff und der Verteidigung selbst. Will der eine Feldherr die Entscheidung später, so muß der andere sie früher wollen, aber freilich nur bei derselben Form des Kampfes. Hat A das Interesse, seinen Gegner nicht jetzt, sondern vier Wochen später anzugreifen, so hat B das Interesse, nicht vier Wochen später, sondern jetzt von ihm angegriffen zu werden. Dies ist der unmittelbare Gegensatz; daraus folgt aber nicht, daß B das Interesse hätte, A jetzt gleich anzugreifen, welches offenbar etwas ganz Verschiedenes ist.

     17.
     Die Wirkung der Polarität wird oft durch die
     Überlegenheit der Verteidigung über den Angriff
     vernichtet, und so erklärt sich der
     Stillstand des kriegerischen Aktes.


     Ist die Form der Verteidigung stärker als die des Angriffs, wie wir in der Folge zeigen werden, so frägt es sich, ob der Vorteil der späteren Entscheidung bei dem einen so groß ist wie der Vorteil der Verteidigung bei dem anderen; wo das nicht ist, da kann er auch nicht vermittelst seines Gegensatzes diesen aufwiegen und so auf das Fortschreiten des kriegerischen Aktes wirken. Wir sehen also, daß die anregende Kraft, welche die Polarität der Interessen hat, sich in dem Unterschied der Stärke von Angriff und Verteidigung verlieren und dadurch unwirksam werden kann.
     Wenn also derjenige, für welchen die Gegenwart günstig ist, zu schwach ist, um den Vorteil der Verteidigung entbehren zu können, so muß er sich gefallen lassen, der ungünstigeren Zukunft entgegenzugehen; denn es kann immer noch besser sein, sich in dieser ungünstigen Zukunft verteidigend zu schlagen, als jetzt angreifend, oder als Frieden zu schließen. Da nun nach unserer Überzeugung die Überlegenheit der Verteidigung (richtig verstanden) sehr groß und viel größer ist, als man sich beim ersten Anblick denkt, so erklärt sich daraus ein sehr großer Teil der Stillstandsperioden, welche im Kriege vorkommen, ohne daß man genötigt ist, dabei auf einen inneren Widerspruch zu schließen. Je schwächer die Motive des Handelns sind, um so mehr werden ihrer von diesem Unterschied von Angriff und Verteidigung verschlungen und neutralisiert werden, um so häufiger also wird der kriegerische Akt innehalten, wie die Erfahrung dies auch lehrt.

     18.
     Ein zweiter Grund liegt in der
     unvollkommenen Einsicht des Falles.


     Aber es gibt noch einen anderen Grund, welcher den kriegerischen Akt zum Stehen bringen kann, nämlich die unvollkommene Einsicht des Falles. Jeder Feldherr übersieht nur seine eigene Lage genau, die des Gegners nur nach ungewissen Nachrichten; er kann sich also in seinem Urteil darüber irren und infolge dieses Irrtums glauben, das Handeln sei am Gegner, wenn es eigentlich an ihm ist. Dieser Mangel an Einsicht könnte nun zwar ebensooft ein unzeitiges Handeln wie ein unzeitiges Innehalten veranlassen und würde also an sich nicht mehr zur Verzögerung als zur Beschleunigung des kriegerischen Aktes beitragen; aber immer wird es als eine der natürlichen Ursachen betrachtet werden müssen, welche den kriegerischen Akt ohne inneren Widerspruch zum Stehen bringen können. Wenn man aber bedenkt, daß man immer vielmehr geneigt und veranlaßt ist, die Stärke seines Gegners zu hoch, als sie zu gering zu schätzen, weil es so in der menschlichen Natur ist, so wird man auch zugeben, daß die unvollkommene Einsicht des Falles im allgemeinen sehr dazu beitragen muß, die kriegerische Handlung aufzuhalten und das Prinzip derselben zu ermäßigen.
     Die Möglichkeit eines Stillstandes führt eine neue Ermäßigung in den kriegerischen Akt, indem sie denselben gewissermaßen mit Zeit verdünnt, die Gefahr in ihrem Schritte hemmt und die Mittel zur Herstellung eines verlorenen Gleichgewichts vermehrt. Je größer die Spannungen sind, aus denen der Krieg hervorgegangen, je größer also seine Energie ist, um so kürzer werden diese Stillstandsperioden sein; je schwächer das kriegerische Prinzip ist, um so länger; denn die stärkeren Motive vermehren die Willenskraft, und diese ist, wie wir wissen, jedesmal ein Faktor, ein Produkt der Kräfte.

     19.
     Der häufige Stillstand im kriegerischen Akt entfernt
     den Krieg noch mehr vom Absoluten, macht ihn noch mehr
     zum Wahrscheinlichkeitskalkül.


     Je langsamer aber der kriegerische Akt abläuft, je häufiger und länger er zum Stehen kommt, um so eher wird es möglich, einen Irrtum gutzumachen, um so dreister wird also der Handelnde in seinen Voraussetzungen, um so eher wird er damit hinter der Linie des Äußersten zurückbleiben und alles auf Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen bauen. Was also die Natur des konkreten Falles an sich schon erfordert, einen Wahrscheinlichkeitskalkül nach den gegebenen Verhältnissen, dazu läßt der mehr oder weniger langsame Verlauf des kriegerischen Aktes mehr oder weniger Zeit.

     20.
     Es fehlt also nur noch der Zufall, um ihn zum Spiel zu
     machen, und dessen entbehrt er am wenigsten.


     Wir sehen hieraus, wie sehr die objektive Natur des Krieges ihn zu einem Wahrscheinlichkeitskalkül macht; nun bedarf es nur noch eines einzigen Elementes, um ihn zum Spiel zu machen, und dieses Elementes entbehrt er gewiß nicht: es ist der Zufall. Es gibt keine menschliche Tätigkeit, welche mit dem Zufall so beständig und so allgemein in Berührung stände als der Krieg. Mit dem Zufall aber nimmt das Ungefähr und mit ihm das Glück einen großen Platz in ihm ein.

     21.
     Wie durch seine objektive Natur, so wird der
     Krieg auch durch die subjektive zum Spiel.


     Werfen wir nun einen Blick auf die subjektive Natur des Krieges, d.h. auf diejenigen Kräfte, womit er geführt werden muß, so muß er uns noch mehr als ein Spiel erscheinen. Das Element, in welchem die kriegerische Tätigkeit sich bewegt, ist Gefahr; welche aber ist in der Gefahr die vornehmste aller Seelenkräfte? Der Mut. Nun kann zwar Mut sich wohl mit kluger Berechnung vertragen, aber sie sind doch Dinge von verschiedener Art, gehören verschiedenen Seelenkräften an; dagegen sind Wagen, Vertrauen auf Glück, Kühnheit, Verwegenheit nur Äußerungen des Mutes, und alle diese Richtungen der Seele suchen das Ungefähr, weil es ihr Element ist.
     Wir sehen also, wie von Hause aus das Absolute, das sogenannte Mathematische, in den Berechnungen der Kriegskunst nirgends einen festen Grund findet, und daß gleich von vornherein ein Spiel von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Glück und Unglück hineinkommt, welches in allen großen und kleinen Fäden seines Gewebes fortläuft und von allen Zweigen des menschlichen Tuns den Krieg dem Kartenspiel am nächsten stellt.

     22.
     Wie dies dem menschlichen Geiste
     im allgemeinen am meisten zusagt.


     Obgleich sich unser Verstand immer zur Klarheit und Gewißheit hingedrängt fühlt, so fühlt sich doch unser Geist oft von der Ungewißheit angezogen. Statt sich mit dem Verstande auf dem engen Pfade philosophischer Untersuchung und logischer Schlußfolgen durchzuwinden, um, seiner selbst sich kaum bewußt, in Räumen anzukommen, wo er sich fremd fühlt, und wo ihn alle bekannten Gegenstände zu verlassen scheinen, weilt er lieber mit der Einbildungskraft im Reiche der Zufälle und des Glücks. Statt jener dürftigen Notwendigkeit schwelgt er hier im Reichtum von Möglichkeiten; begeistert davon, beflügelt sich der Mut, und so wird Wagnis und Gefahr das Element, in welches er sich wirft wie der mutige Schwimmer in den Strom.
     Soll die Theorie ihn hier verlassen, sich in absoluten Schlüssen und Regeln selbstgefällig fortbewegen? Dann ist sie unnütz fürs Leben. Die Theorie soll auch das Menschliche berücksichtigen, auch dem Mut, der Kühnheit, selbst der Verwegenheit soll sie ihren Platz gönnen. Die Kriegskunst hat es mit lebendigen und mit moralischen Kräften zu tun, daraus folgt, daß sie nirgends das Absolute und Gewisse erreichen kann; es bleibt also überall dem Ungefähr ein Spielraum, und zwar ebenso groß bei dem Größten wie bei dem Kleinsten. Wie dieses Ungefähr auf der einen Seite steht, muß Mut und Selbstvertrauen auf die andere treten und die Lücke ausfüllen. So groß wie diese sind, so groß darf der Spielraum für jenes werden. Mut und Selbstvertrauen sind also dem Kriege ganz wesentliche Prinzipe; die Theorie soll folglich nur solche Gesetze aufstellen, in welchen sich jene notwendigen und edelsten der kriegerischen Tugenden in allen ihren Graden und Veränderungen frei bewegen können. Auch im Wagen gibt es noch eine Klugheit und ebensogut eine Vorsicht, nur daß sie nach einem anderen Münzfuß berechnet sind.

     23.
     Aber der Krieg bleibt doch immer ein
     ernsthaftes Mittel für einen ernsthaften Zweck.
     Nähere Bestimmungen desselben.


     So ist der Krieg, so der Feldherr, der ihn führt, so die Theorie, die ihn regelt. Aber der Krieg ist kein Zeitvertreib, keine bloße Lust am Wagen und Gelingen, kein Werk einer freien Begeisterung; er ist ein ernstes Mittel für einen ernsten Zweck. Alles, was er von jenem Farbenspiel des Glückes an sich trägt, was er von den Schwingungen der Leidenschaften, des Mutes, der Phantasie, der Begeisterung in sich aufnimmt, sind nur Eigentümlichkeiten dieses Mittels.
     Der Krieg einer Gemeinheit - ganzer Völker - und namentlich gebildeter Völker geht immer von einem politischen Zustande aus und wird nur durch ein politisches Motiv hervorgerufen. Er ist also ein politischer Akt. Wäre er nun ein vollkommener, ungestörter, eine absolute Äußerung der Gewalt, wie wir ihn uns aus seinem bloßen Begriff ableiten mußten, so würde er von dem Augenblicke an, wo er durch die Politik hervorgerufen ist, an ihre Stelle treten als etwas von ihr ganz Unabhängiges, sie verdrängen und nur seinen eigenen Gesetzen folgen, so wie eine Mine, die sich entladet, keiner anderen Richtung und Leitung mehr fähig ist, als die man ihr durch vorbereitende Einrichtungen gegeben. So hat man sich die Sache bisher auch wirklich gedacht, sooft ein Mangel an Harmonie zwischen der Politik und Kriegführung zu theoretischen Unterscheidungen der Art geführt hat. Allein so ist es nicht, und diese Vorstellung ist eine grundfalsche. Der Krieg der wirklichen Welt ist, wie wir gesehen haben, kein solches Äußerstes, was seine Spannung in einer einzigen Entladung löst, sondern er ist das Wirken von Kräften, die nicht vollkommen gleichartig und gleichmäßig sich entwickeln, sondern die jetzt hinreichend aufschwellen, um den Widerstand zu überwinden, den die Trägheit und die Friktion ihr entgegenstellen, ein anderes Mal aber zu schwach sind, um eine Wirkung zu äußern; so ist er gewissermaßen ein Pulsieren der Gewaltsamkeit, mehr oder weniger heftig, folglich mehr oder weniger schnell die Spannungen lösend und die Kräfte erschöpfend; mit anderen Worten: mehr oder weniger schnell ans Ziel führend, immer aber lange genug dauernd, um auch noch in seinem Verlauf Einfluß darauf zu gestatten, damit ihm diese oder jene Richtung gegeben werden könne, kurz, um dem Willen einer leitenden Intelligenz unterworfen zu bleiben. Bedenken wir nun, daß der Krieg von einem politischen Zweck ausgeht, so ist es natürlich, daß dieses erste Motiv, welches ihn ins Leben gerufen hat, auch die erste und höchste Rücksicht bei seiner Leistung bleibt. Aber der politische Zweck ist deshalb kein despotischer Gesetzgeber, er muß sich der Natur des Mittels fügen und wird dadurch oft ganz verändert, aber immer ist er das, was zuerst in Erwägung gezogen werden muß. Die Politik also wird den ganzen kriegerischen Akt durchziehen und einen fortwährenden Einfluß auf ihn ausüben, soweit es die Natur der in ihm explodierenden Kräfte zuläßt.

     24.
     Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung
     der Politik mit anderen Mitteln.


     So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln. Was dem Kriege nun noch eigentümlich bleibt, bezieht sich bloß auf die eigentümliche Natur seiner Mittel. Daß die Richtungen und Absichten der Politik mit diesen Mitteln nicht in Widerspruch treten, das kann die Kriegskunst im allgemeinen und der Feldherr in jedem einzelnen Falle fordern, und dieser Anspruch ist wahrlich nicht gering; aber wie stark er auch in einzelnen Fällen auf die politischen Absichten zurückwirkt, so muß dies doch immer nur als eine Modifikation derselben gedacht werden, denn die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden.

     25.
     Verschiedenartigkeit
     der Kriege.


     Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltsamer die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, um so mehr wird der Krieg sich seiner abstrakten Gestalt nähern, um so mehr wird es sich um das Niederwerfen des Feindes handeln, um so mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen, um so reiner kriegerisch, weniger politisch scheint der Krieg zu sein. Je schwächer aber Motive und Spannungen sind, um so weniger wird die natürliche Richtung des kriegerischen Elementes, nämlich der Gewalt, in die Linie fallen, welche die Politik gibt, um so mehr muß also der Krieg von seiner natürlichen Richtung abgelenkt werden, um so verschiedener ist der politische Zweck von dem Ziel eines idealen Krieges, um so mehr scheint der Krieg politisch zu werden.
     Wir müssen aber hier, damit der Leser nicht falsche Vorstellungen unterlege, bemerken, daß mit dieser natürlichen Tendenz des Krieges nur die philosophische, die eigentlich logische gemeint ist und keineswegs die Tendenz der wirklich im Konflikt begriffenen Kräfte, so daß man sich z. B. darunter alle Gemütskräfte und Leidenschaften der Kämpfenden denken sollte. Zwar könnten in manchen Fällen auch diese in solchem Maße angeregt sein, daß sie mit Mühe in dem politischen Wege zurückgehalten werden könnten; in den meisten Fällen aber wird solcher Widerspruch nicht entstehen, weil durch das Dasein so starker Bestrebungen auch ein großartiger, damit zusammenstimmender Plan bedingt sein wird. Wo dieser Plan nur auf Kleines gerichtet ist, da wird auch das Streben der Gemütskräfte in der Masse so gering sein, daß diese Masse immer eher eines Anstoßes als einer Zurückhaltung bedürfen wird.

     26.
     Sie können alle als politische
     Handlungen betrachtet werden.


     Wenn es also, um zur Hauptsache zurückzukehren, auch wahr ist, daß bei der einen Art Krieg die Politik ganz zu verschwinden scheint, während sie bei der anderen Art sehr bestimmt hervortritt, so kann man doch behaupten, daß die eine so politisch sei wie die andere; denn betrachtet man die Politik wie die Intelligenz des personifizierten Staates, so muß unter allen Konstellationen, die ihr Kalkül aufzufassen hat, doch auch diejenige begriffen sein können, wo die Natur aller Verhältnisse einen Krieg der ersten Art bedingt. Nur insofern man unter Politik nicht eine allgemeine Einsicht, sondern den konventionellen Begriff einer der Gewalt abgewendeten, behutsamen, verschlagenen, auch unredlichen Klugheit versteht, könnte die letzte Art des Krieges ihr mehr angehören als die erstere.

     27.
     Folgen dieser Ansicht für das Verständnis der Kriegsgeschichte
     und für die Grundlagen der Theorie.


     Wir sehen also erstens: daß wir uns den Krieg unter allen Umständen als kein selbständiges Ding, sondern als ein politisches Instrument zu denken haben; und nur mit dieser Vorstellungsart ist es möglich, nicht mit der sämtlichen Kriegsgeschichte in Widerspruch zu geraten. Sie allein schließt das große Buch zu verständiger Einsicht auf. - Zweitens: zeigt uns ebendiese Ansicht, wie verschieden die Kriege nach der Natur ihrer Motive und der Verhältnisse, aus denen sie hervorgehen, sein müssen.
     Der erste, der großartigste, der entschiedenste Akt des Urteils nun, welchen der Staatsmann und Feldherr ausübt, ist der, daß er den Krieg, welchen er unternimmt, in dieser Beziehung richtig erkenne, ihn nicht für etwas nehme oder zu etwas machen wolle, was er der Natur der Verhältnisse nach nicht sein kann. Dies ist also die erste, umfassendste aller strategischen Fragen; wir werden sie in der Folge beim Kriegsplan näher in Betrachtung ziehen.
     Hier begnügen wir uns, den Gegenstand bis auf diesen Punkt geführt und dadurch den Hauptgesichtspunkt festgestellt zu haben, aus welchem der Krieg und seine Theorie betrachtet werden müssen.

     28.
     Resultat für
     die Theorie.


     Der Krieg ist also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach, in Beziehung auf die in ihm herrschenden Tendenzen eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elementes, dem Haß und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeuges, wodurch er dem bloßen Verstande anheimfällt.
     Die erste dieser drei Seiten ist mehr dem Volke, die zweite mehr dem Feldherrn und seinem Heer, die dritte mehr der Regierung zugewendet. Die Leidenschaften, welche im Kriege entbrennen sollen, müssen schon in den Völkern vorhanden sein; der Umfang, welchen das Spiel des Mutes und Talents im Reiche der Wahrscheinlichkeiten des Zufalls bekommen wird, hängt von der Eigentümlichkeit des Feldherrn und des Heeres ab, die politischen Zwecke aber gehören der Regierung allein an.
     Diese drei Tendenzen, die als ebenso viele verschiedene Gesetzgebungen erscheinen, sind tief in der Natur des Gegenstandes gegründet und zugleich von veränderlicher Größe. Eine Theorie, welche eine derselben unberücksichtigt lassen oder zwischen ihnen ein willkürliches Verhältnis feststellen wollte, würde augenblicklich mit der Wirklichkeit in solchen Widerspruch geraten, daß sie dadurch allein schon wie vernichtet betrachtet werden müßte.
     Die Aufgabe ist also, daß sich die Theorie zwischen diesen drei Tendenzen wie zwischen drei Anziehungspunkten schwebend erhalte.
     Auf welchem Wege dieser schwierigen Aufgabe noch am ersten genügt werden könnte, wollen wir in dem Buche von der Theorie des Krieges untersuchen. In jedem Fall wird die hier geschehene Feststellung des Begriffs vom Kriege der erste Lichtstrahl, der für uns in den Fundamentalbau der Theorie fällt, der zuerst die großen Massen sondern und sie uns unterscheiden lassen wird.
 

     Zweites Kapitel:
     Zweck und Mittel im Kriege


     Nachdem wir im vorigen Kapitel die zusammengesetzte und veränderliche Natur des Krieges kennengelernt haben, wollen wir uns damit beschäftigen, zu untersuchen, welchen Einfluß dies auf Zweck und Mittel im Kriege hat.
     Fragen wir zuerst nach dem Ziel, worauf der ganze Krieg gerichtet werden muß, um für den politischen Zweck das rechte Mittel zu sein, so werden wir dasselbe ebenso veränderlich finden, als der politische Zweck und die eigentümlichen Verhältnisse des Krieges es sind.
     Halten wir uns zuvörderst wieder an den reinen Begriff des Krieges, so müssen wir sagen, daß der politische Zweck desselben eigentlich außer seinem Gebiete liege; denn wenn der Krieg ein Akt der Gewalt ist, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen, so müßte es immer und ganz allein darauf ankommen, den Gegner niederzuwerfen, d. h. ihn wehrlos zu machen. Wir wollen zuerst diesen aus dem Begriff entwickelten Zweck, dem gleichwohl in der Wirklichkeit eine Menge von Fällen sehr nahekommen, in dieser Wirklichkeit betrachten.
     Wir werden in der Folge beim Kriegsplan näher untersuchen, was es heißt, einen Staat wehrlos machen, müssen aber hier gleich drei Dinge unterscheiden, die als drei allgemeine Objekte alles übrige in sich fassen. Es ist die Streitkraft, das Land und der Wille des Feindes.
     Die Streitkraft muß vernichtet, d. h. in einen solchen Zustand versetzt werden, daß sie den Kampf nicht mehr fortsetzen kann. Wir erklären hierbei, daß wir in der Folge bei dem Ausdruck "Vernichtung der feindlichen Streitkraft" nur dies verstehen werden.
     Das Land muß erobert werden, denn aus dem Lande könnte sich eine neue Streitkraft bilden.
     Ist aber auch beides geschehen, so kann der Krieg, d. h. die feindliche Spannung und Wirkung feindseliger Kräfte, nicht als beendet angesehen werden, solange der Wille des Feindes nicht auch bezwungen ist, d. h. seine Regierung und seine Bundesgenossen zur Unterzeichnung des Friedens oder das Volk zur Unterwerfung vermocht sind; denn es kann sich, während wir im vollen Besitz des Landes sind, der Kampf in seinem Innern oder auch durch Beistand seiner Bundesgenossen von neuem entzünden. Freilich kann dies auch nach dem Frieden geschehen, aber dies beweist weiter nichts, als daß nicht jeder Krieg eine vollkommene Entscheidung und Erledigung in sich trägt. Aber selbst wenn dies der Fall ist, so ersterben doch im Friedensschluß selbst jedesmal eine Menge Funken, die im stillen fortgeglüht hätten, und die Spannungen lassen nach, weil alle dem Frieden zugewandten Gemüter, deren es in jedem Volk und unter allen Verhältnissen immer eine große Anzahl gibt, sich aus der Richtung des Widerstandes ganz abwenden. Wie dem übrigens auch sei, immer muß man mit dem Frieden den Zweck als erreicht und das Geschäft des Krieges als beendigt ansehen.
     Da von jenen drei Gegenständen die Streitkraft zur Beschützung des Landes bestimmt ist, so ist die natürliche Ordnung, daß diese zuerst vernichtet, dann das Land erobert, und durch diese beiden Erfolge sowie durch den Zustand, in welchem wir uns dann noch befinden, der Gegner zum Frieden vermocht werde. Gewöhnlich geschieht die Vernichtung der feindlichen Streitkraft nach und nach, und in eben dem Maße folgt ihr auf dem Fuße die Eroberung des Landes. Beide pflegen dabei in Wechselwirkung zu treten, indem der Verlust der Provinzen auf die Schwächung der Streitkräfte zurückwirkt. Diese Ordnung ist aber keineswegs notwendig, und deswegen findet sie auch nicht immer statt. Es kann sich die feindliche Streitmacht, noch ehe sie merklich geschwächt worden ist, an die entgegengesetzten Grenzen des Landes, auch ganz ins Ausland zurückziehen. In diesem Falle wird also der größte Teil des Landes oder auch das ganze erobert.
     Aber dieser Zweck des abstrakten Krieges, dieses letzte Mittel zur Erreichung des politischen Zwecks, in dem sich alle anderen zusammenfinden sollen, das Wehrlosmachen des Gegners, ist in der Wirklichkeit keineswegs allgemein vorhanden, ist nicht die notwendige Bedingung zum Frieden und kann also auf keine Weise in der Theorie als ein Gesetz aufgestellt werden. Es gibt eine zahllose Menge von Friedensschlüssen, die erfolgt sind, ehe einer der beiden Teile als wehrlos angesehen werden konnte, ja ehe das Gleichgewicht auch nur merklich gestört war. Noch mehr, wenn wir auf die konkreten Fälle sehen, so müssen wir uns sagen, daß in einer ganzen Klasse derselben das Niederwerfen des Gegners ein unnützes Spiel der Vorstellungen sein würde, wenn nämlich der Gegner bedeutend mächtiger ist.
     Die Ursache, warum der aus dem Begriff des Krieges entwickelte Zweck nicht allgemein auf den wirklichen Krieg paßt, liegt in der Verschiedenheit beider, womit wir uns im vorigen Kapitel beschäftigt haben. Wäre er, wie ihn der bloße Begriff gibt, so würde ein Krieg zwischen Staaten von merklich ungleichen Kräften als ein Absurdum erscheinen, also unmöglich sein; die Ungleichheit der physischen Kräfte dürfte höchstens so groß sein, daß sie durch die entgegengesetzten moralischen ausgeglichen werden könnte, und das würde in Europa bei unserem heutigen gesellschaftlichen Zustande nicht weit reichen. Wenn wir also Kriege zwischen Staaten von sehr ungleicher Macht haben stattfinden sehen, so ist es, weil der Krieg in der Wirklichkeit sich von seinem ursprünglichen Begriff oft sehr weit entfernt.
     Es sind zwei Dinge, welche in der Wirklichkeit als Motiv zum Frieden an die Stelle der Unfähigkeit zum ferneren Widerstande treten können. Das erste ist die Unwahrscheinlichkeit, das zweite ein zu großer Preis des Erfolges.
     Da, wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, der ganze Krieg von dem strengen Gesetz innerer Notwendigkeit loslassen und sich der Wahrscheinlichkeitsberechnung anheimgeben muß, und da dies immer um so mehr der Fall ist, je mehr er sich den Verhältnissen nach, aus denen er hervorgegangen ist, dazu eignet, je geringer die Motive und die Spannungen sind, so ist es auch begreiflich, wie aus dieser Wahrscheinlichkeitsberechnung das Motiv zum Frieden selbst entstehen kann. Es braucht also der Krieg nicht immer bis zum Niederwerfen des einen Teiles ausgekämpft zu werden, und man kann denken, daß bei sehr schwachen Motiven und Spannungen eine leichte, kaum angedeutete Wahrscheinlichkeit schon hinreicht, den, gegen welchen sie gerichtet ist, zum Nachgeben zu bewegen. Wäre nun der andere im voraus davon überzeugt, so ist es ja natürlich, daß er nur nach dieser Wahrscheinlichkeit streben, nicht erst den Umweg eines gänzlichen Niederwerfens des Feindes suchen und machen wird.
     Noch allgemeiner wirkt die Beachtung des Kraftaufwandes, welcher schon erforderlich gewesen ist und es noch sein wird, auf den Entschluß zum Frieden. Da der Krieg kein Akt blinder Leidenschaft ist, sondern der politische Zweck darin vorwaltet, so muß der Wert, den dieser hat, die Größe der Aufopferungen bestimmen, womit wir ihn erkaufen wollen. Dies wird nicht bloß der Fall sein bei ihrem Umfang, sondern auch bei ihrer Dauer. Sobald also der Kraftaufwand so groß wird, daß der Wert des politischen Zwecks ihm nicht mehr das Gleichgewicht halten kann, so muß dieser aufgegeben werden und der Friede die Folge davon sein.
     Man sieht also, daß in den Kriegen, wo der eine den anderen nicht ganz wehrlos machen kann, die Motive zum Frieden in beiden Teilen steigen und fallen werden nach der Wahrscheinlichkeit der ferneren Erfolge und des erforderlichen Kraftaufwandes. Wenn diese Motive in beiden Teilen gleich stark wären, so würden sie sich in der Mitte ihrer politischen Differenz treffen; was sie in dem einen an Stärke zunehmen, dürfen sie in dem anderen schwächer sein; wenn ihre Summe nur hinreicht, so wird der Friede zustande kommen, natürlich aber mehr zum Besten dessen ausfallen, der die schwächsten Motive dazu hatte.
     Wir übergehen hier absichtlich noch den Unterschied, den die positive und negative Natur des politischen Zwecks im Handeln notwendig hervorbringen muß; denn wenn dieser auch, wie wir in der Folge zeigen werden, von der höchsten Wichtigkeit ist, so müssen wir uns doch hier auf einem noch allgemeineren Standpunkt erhalten, weil die ursprünglichen politischen Absichten im Laufe des Krieges sehr wechseln und zuletzt ganz andere werden können, eben weil sie durch die Erfolge und durch die wahrscheinlichen Ergebnisse mit bestimmt werden.
     Es entsteht nun die Frage, wie man auf die Wahrscheinlichkeit der Erfolge wirken kann. Zuerst natürlich durch dieselben Gegenstände, welche auch zum Niederwerfen des Gegners führen: die Vernichtung seiner Streitkräfte und die Eroberung seiner Provinzen; aber beide sind darum nicht genau dieselben, welche sie bei jenem Zweck sein würden. Wenn wir die feindliche Streitkraft angreifen, so ist es etwas ganz anderes, ob wir dem ersten Schlag eine Reihe anderer folgen lassen wollen, bis zuletzt alles zertrümmert ist, oder ob wir uns mit einem Siege begnügen wollen, um das Gefühl der Sicherheit beim Gegner zu brechen, ihm das Gefühl unserer Überlegenheit zu geben und ihm also für die Zukunft Besorgnisse einzuflößen. Wollen wir das, so werden wir an die Vernichtung seiner Streitkräfte nur so viel setzen, als dazu hinreichend ist. Ebenso ist die Eroberung von Provinzen eine andere Maßregel, wenn es nicht auf das Niederwerfen des Gegners abgesehen ist. In jenem Falle wäre die Vernichtung seiner Streitkraft die eigentliche wirksame Handlung und das Einnehmen der Provinzen nur die Folge davon; sie einzunehmen, ehe die Streitkraft zusammengeworfen ist, wäre immer nur als ein notwendiges Übel zu betrachten. Dagegen ist, wenn wir es nicht auf das Niederwerfen der feindlichen Streitkraft absehen, und wenn wir überzeugt sind, daß der Feind den Weg der blutigen Entscheidung selbst nicht sucht, sondern fürchtet, das Einnehmen einer schwach oder gar nicht verteidigten Provinz schon an sich ein Vorteil; und ist dieser Vorteil groß genug, um den Gegner über den allgemeinen Erfolg besorgt zu machen, so ist er auch als ein naher Weg zum Frieden zu betrachten.
     Nun kommen wir aber noch auf ein eigentümliches Mittel, - auf die Wahrscheinlichkeit des Erfolges zu wirken, ohne die feindliche Streitkraft niederzuwerfen, nämlich solche Unternehmungen, die eine unmittelbare politische Beziehung haben. Gibt es Unternehmungen, die vorzugsweise geeignet sind, Bündnisse unseres Gegners zu trennen oder unwirksam zu machen, uns neue Bundesgenossen zu erwerben, politische Funktionen zu unserem Besten aufzuregen usw., so ist leicht begreiflich, wie dies die Wahrscheinlichkeit des Erfolges sehr steigern und ein viel kürzerer Weg zum Ziel werden kann, als das Niederwerfen der feindlichen Streitkräfte.
     Die zweite Frage ist, welches die Mittel sind, auf den feindlichen Kraftaufwand, d. h. auf die Preiserhöhung zu wirken.
     Der Kraftaufwand des Gegners liegt in dem Verbrauch seiner Streitkräfte, also in der Zerstörung derselben von unserer Seite; in dem Verlust von Provinzen, also in der Eroberung derselben durch uns.
     Daß diese beiden Gegenstände wegen der verschiedenen Bedeutung auch hier nicht allemal mit der gleichnamigen bei einem anderen Zweck zusammenfallen, wird sich bei näherer Betrachtung von selbst ergeben. Daß die Unterschiede meistens nur gering sein werden, darf uns nicht irremachen, denn in der Wirklichkeit entscheiden oft bei schwachen Motiven die feinsten Nuancen für die eine oder andere Modalität der Kraftanwendung. Uns kommt es hier nur darauf an, zu zeigen, daß unter Voraussetzung gewisser Bedingungen andere Wege zum Ziele möglich, kein innerer Widerspruch, kein Absurdum, auch nicht einmal Fehler sind.
     Außer diesen beiden Gegenständen gibt es nun noch drei eigentümliche Wege, die unmittelbar darauf gerichtet sind, den Kraftaufwand des Gegners zu steigern. Der erste ist die Invasion, d. h. die Einnahme feindlicher Provinzen, nicht mit der Absicht sie zu behalten, sondern um Kriegssteuern darin zu erheben, oder sie gar zu verwüsten. Der unmittelbare Zweck ist hier weder die Eroberung des feindlichen Landes noch das Niederwerfen seiner Streitkraft, sondern bloß ganz allgemein der feindliche Schaden. Der zweite Weg ist, unsere Unternehmungen vorzugsweise auf solche Gegenstände zu richten, die den feindlichen Schaden vergrößern. Es ist nichts leichter, als sich zwei verschiedene Richtungen unserer Streitkraft zu denken, davon die eine bei weitem den Vorzug verdient, wenn es darauf ankommt, den Feind niederzuwerfen, die andere aber, wenn vom Niederwerfen nicht die Rede ist und sein kann, einträglicher ist. Wie man zu sagen gewohnt ist, würde man die erste für die mehr militärische, die andere mehr für eine politische halten. Wenn man sich aber auf den höchsten Standpunkt stellt, so ist eine so militärisch wie die andere, und jede nur zweckmäßig, wenn sie zu den gegebenen Bedingungen paßt. Der dritte Weg, an Umfang der ihm zugehörigen Fälle bei weitem der wichtigste, ist das Ermüden des Gegners. Wir wählen diesen Ausdruck nicht bloß, um das Objekt mit einem Wort zu bezeichnen, sondern weil er die Sache ganz ausdrückt und nicht so bildlich ist, als es auf den ersten Blick scheint. In dem Begriff des Ermüdens bei einem Kampfe liegt eine durch die Dauer der Handlung nach und nach hervorgebrachte Erschöpfung der physischen Kräfte und des Willens.
     Wollen wir nun den Gegner in der Dauer des Kampfes überbieten, so müssen wir uns mit so kleinen Zwecken als möglich begnügen, denn es liegt in der Natur der Sache, daß ein großer Zweck mehr Kraftaufwand erfordert als ein kleiner; der kleinste Zweck aber, den wir uns vorsetzen können, ist der reine Widerstand, d. h. der Kampf ohne eine positive Absicht. Bei diesem werden also unsere Mittel verhältnismäßig am größten sein und also das Resultat am meisten gesichert. Wie weit kann nun diese Negativität gehen? Offenbar nicht bis zur absoluten Passivität, denn ein bloßes Leiden wäre kein Kampf mehr; der Widerstand aber ist eine Tätigkeit, und durch diese sollen so viele von des Feindes Kräften zerstört werden, daß er seine Absicht aufgeben muß. Nur das wollen wir bei jedem einzelnen Akt, und darin besteht die negative Natur unserer Absicht.
     Unstreitig ist diese negative Absicht in ihrem einzelnen Akt nicht so wirksam, wie eine in gleicher Richtung liegende positive sein würde, vorausgesetzt, daß sie gelinge; aber darin liegt eben der Unterschied, daß jene eher gelingt, also mehr Sicherheit gibt. Was ihr nun an Wirksamkeit im einzelnen Akt abgeht, muß sie durch die Zeit, also durch die Dauer des Kampfes, wieder einbringen; und so ist denn diese negative Absicht, welche das Prinzip des reinen Widerstandes ausmacht, auch das natürliche Mittel, den Gegner in der Dauer des Kampfes zu überbieten, das ist ihn zu ermüden.
     Hier liegt der Ursprung des das ganze Gebiet des Krieges beherrschenden Unterschiedes von Angriff und Verteidigung. Wir können aber diesen Weg hier nicht weiter verfolgen, sondern begnügen uns zu sagen, daß aus dieser negativen Absicht selbst alle die Vorteile und so alle die stärkern Formen des Kampfes abgeleitet werden können, die ihr zur Seite stehen, und in welcher sich also dieses philosophisch-dynamische Gesetz, was zwischen Größe und Sicherheit des Erfolgs besteht, verwirklicht. Wir werden dies alles in der Folge betrachten.
     Gibt also die negative Absicht, d. h. die Vereinigung aller Mittel im bloßen Widerstand, eine Überlegenheit im Kampf, so wird, wenn diese so groß ist, um ein etwaiges Übergewicht des Gegners auszugleichen, die bloße Dauer des Kampfes hinreichen, um den Kraftaufwand beim Gegner nach und nach auf den Punkt zu bringen, daß ihm der politische Zweck desselben nicht mehr das Gleichgewicht halten kann, er ihn also aufgeben muß. Man sieht also, daß dieser Weg, die Ermüdung des Gegners, die große Anzahl von Fällen unter sich begreift, wo der Schwache dem Mächtigen widerstehen will.
     Friedrich der Große im Siebenjährigen Kriege wäre niemals imstande gewesen, die österreichische Monarchie niederzuwerfen, und hätte er es in dem Sinne eines Karl XII. versuchen wollen, er würde unfehlbar zugrunde gegangen sein. Nachdem aber die talentvolle Anwendung einer weisen Ökonomie der Kräfte den gegen ihn verbündeten Mächten sieben Jahre lang gezeigt hatte, daß der Kraftaufwand viel größer werde, als sie sich anfangs vorgestellt hatten, beschlossen sie den Frieden.
     Wir sehen also, daß es im Kriege der Wege zum Ziele viele gibt, daß nicht jeder Fall an die Niederwerfung des Gegners gebunden ist, daß Vernichtung der feindlichen Streitkraft, Eroberung feindlicher Provinzen, bloße Besetzung derselben, bloße Invasion derselben, Unternehmungen, die unmittelbar auf politische Beziehungen gerichtet sind, endlich ein passives Abwarten der feindlichen Stöße - alles Mittel sind, die, jedes für sich, zur Überwindung des feindlichen Willens gebraucht werden können, je nachdem die Eigentümlichkeit des Falles mehr von dem einen oder dem anderen erwarten läßt. Wir können noch eine ganze Klasse von Zwecken als kürzere Wege zum Ziele hinzufügen, die wir Argumente ad hominem nennen könnten. In welchem Gebiete menschlichen Verkehrs kämen diese, alle sächlichen Verhältnisse überspringenden Funken der persönlichen Beziehungen nicht vor, und im Kriege, wo die Persönlichkeit der Kämpfer, im Kabinett und Felde, eine so große Rolle spielt, können sie wohl am wenigsten fehlen. Wir begnügen uns, darauf hinzudeuten, weil es eine Pedanterie wäre, sie in Klassen bringen zu wollen. Mit diesen, kann man wohl sagen, wächst die Zahl der möglichen Wege zum Ziel bis ins Unendliche.
     Um diese verschiedenen kürzeren Wege zum Ziel nicht unter ihrem Wert zu schätzen, sie entweder nur als seltene Ausnahmen gelten zu lassen oder den Unterschied, den sie in der Kriegführung bedingen, für unwesentlich zu halten, muß man sich nur der Mannigfaltigkeit der politischen Zwecke bewußt werden, die einen Krieg veranlassen können, oder mit einem Blick den Abstand messen, der zwischen einem Vernichtungskrieg um das politische Dasein und einem Krieg stattfindet, den ein erzwungenes oder hinfällig gewordenes Bündnis zur unangenehmen Pflicht macht. Zwischen beiden gibt es zahllose Abstufungen, die in der Wirklichkeit vorkommen. Mit eben dem Recht, womit man eine dieser Abstufungen in der Theorie verwerfen wollte, könnte man sie alle verwerfen, d. h. die wirkliche Welt ganz aus den Augen setzen.
     So ist es im allgemeinen mit dem Ziel beschaffen, welches man im Kriege zu verfolgen hat; wenden wir uns jetzt zu den Mitteln.
     Dieser Mittel gibt es nur ein einziges, es ist der Kampf. Wie mannigfaltig dieser auch gestaltet sei, wie weit er sich von der rohen Erledigung des Hasses und der Feindschaft im Faustkampfe entfernen möge, wieviel Dinge sich einschieben mögen, die nicht selbst Kampf sind, immer liegt es im Begriff des Krieges, daß alle in ihm erscheinenden Wirkungen ursprünglich vom Kampf ausgehen müssen.
     Daß dem auch in der größten Mannigfaltigkeit und Zusammensetzung der Wirklichkeit immer so sei, dafür gibt es einen sehr einfachen Beweis. Alles, was im Kriege geschieht, geschieht durch Streitkräfte; wo aber Streitkräfte, das ist bewaffnete Menschen angewendet werden, da muß notwendig die Vorstellung des Kampfes zum Grunde liegen.
     Es gehört also alles zur kriegerischen Tätigkeit, was sich auf die Streitkräfte bezieht, also alles, was zu ihrer Erzeugung, Erhaltung und Verwendung gehört.
     Erzeugung und Erhaltung sind offenbar nur die Mittel, die Anwendung aber ist der Zweck.
     Der Kampf im Kriege ist nicht ein Kampf des einzelnen gegen den einzelnen, sondern ein vielfach gegliedertes Ganzes. In diesem großen Ganzen können wir Einheiten zweierlei Art unterscheiden: die eine nach dem Subjekt, die andere nach dem Objekt bestimmt. In einem Heere reiht sich die Zahl der Kämpfer immer zu neuen Einheiten zusammen, die Glieder einer höheren Ordnung bilden. Es bildet also der Kampf eines jeden dieser Glieder auch eine mehr oder weniger hervortretende Einheit. Ferner bildet der Zweck des Kampfes, also sein Objekt, eine Einheit desselben.
     Jede dieser Einheiten nun, die sich im Kampf unterscheiden, belegt man mit dem Namen eines Gefechts.
     Liegt aller Anwendung von Streitkräften die Vorstellung von Kampf zum Grunde, so ist auch die Verwendung der Streitkräfte überhaupt nichts als die Feststellung und Anordnung einer gewissen Anzahl von Gefechten.
     Es bezieht sich also alle kriegerische Tätigkeit notwendig auf das Gefecht, entweder unmittelbar oder mittelbar. Der Soldat wird ausgehoben, gekleidet, bewaffnet, geübt, er schläft, ißt, trinkt und marschiert, alles nur, um an rechter Stelle und zu rechter Zeit zu fechten.
     Endigen sich also im Gefecht alle Fäden kriegerischer Tätigkeit, so werden wir sie auch alle auffassen, indem wir die Anordnung der Gefechte bestimmen; nur von dieser Anordnung und ihrer Vollziehung gehen die Wirkungen aus, niemals unmittelbar von den ihnen vorhergehenden Bedingungen. Nun ist im Gefecht alle Tätigkeit auf die Vernichtung des Gegners oder vielmehr seiner Streitkräfte gerichtet, denn es liegt in seinem Begriff; die Vernichtung der feindlichen Streitkraft ist also immer das Mittel, um den Zweck des Gefechts zu erreichen.
     Dieser Zweck kann ebenfalls die bloße Vernichtung der feindlichen Streitkraft sein, aber dies ist keineswegs notwendig, sondern er kann auch etwas ganz anderes sein. Sobald nämlich, wie wir das gezeigt haben, das Niederwerfen des Gegners nicht das einzige Mittel ist, den politischen Zweck zu erreichen, sobald es andere Gegenstände gibt, welche man als Ziel im Kriege verfolgen kann, so folgt von selbst, daß diese Gegenstände der Zweck einzelner kriegerischer Akte werden können und also auch der Zweck von Gefechten.
     Aber selbst diejenigen Gefechte, welche der Niederwerfung der feindlichen Streitkraft als untergeordnete Glieder ganz eigentlich gewidmet sind, brauchen die Vernichtung derselben nicht gerade zu ihrem nächsten Zweck zu haben.
     Wenn man an die mannigfaltige Gliederung einer großen Streitkraft denkt, an die Menge von Umständen, die bei ihrer Anwendung in Wirksamkeit kommen, so ist begreiflich, daß auch der Kampf einer solchen Streitkraft eine mannigfache Gliederung, Unterordnung und Zusammensetzung bekommen muß. Da können und müssen natürlich für die einzelnen Glieder eine Menge von Zwecken vorkommen, die nicht selbst Vernichtung feindlicher Streitkraft sind und dieselbe zwar in einem gesteigerten Maße, aber nur mittelbar bewirken. Wenn ein Bataillon den Auftrag erhält, den Feind von einem Berge, einer Brücke usw. zu vertreiben, so ist in der Regel der Besitz dieser Gegenstände der eigentliche Zweck, die Vernichtung der feindlichen Kräfte daselbst bloßes Mittel oder Nebensache. Kann der Feind durch eine bloße Demonstration vertrieben werden, so ist der Zweck auch erreicht; aber dieser Berg, diese Brücke werden in der Regel nur genommen, um damit eine gesteigerte Vernichtung der feindlichen Streitkraft zu bewirken. Ist es schon so auf dem Schlachtfelde, so wird es noch viel mehr so sein auf dem ganzen Kriegstheater, wo nicht bloß ein Heer dem anderen, sondern ein Staat, ein Volk, ein Land dem anderen gegenübersteht. Hier muß die Zahl möglicher Beziehungen und folglich der Kombinationen sehr vermehrt, die Mannigfaltigkeit der Anordnungen vergrößert und durch die sich unterordnende Abstufung der Zwecke das erste Mittel von dem letzten Zwecke weiter entfernt werden.
     Es ist also aus vielen Gründen möglich, daß der Zweck eines Gefechts nicht die Vernichtung der feindlichen Streitkraft, nämlich der uns gegenüberstehenden ist, sondern daß diese bloß als Mittel erscheint. In allen diesen Fällen aber kommt es auch auf die Vollziehung dieser Vernichtung nicht mehr an; denn das Gefecht ist hier nichts als ein Abmesser der Kräfte, hat an sich keinen Wert, sondern nur den des Resultates, d. h. seiner Entscheidung.
     Ein Abmessen der Kräfte kann aber in Fällen, wo sie sehr ungleich sind, schon durch das bloße Abschätzen erhalten werden. In solchen Fällen wird auch das Gefecht nicht stattfinden, sondern der Schwächere gleich nachgeben.
     Ist der Zweck der Gefechte nicht immer die Vernichtung der darin begriffenen Streitkräfte, und kann ihr Zweck oft sogar erreicht werden, ohne daß das Gefecht wirklich stattfindet, durch seine bloße Feststellung und die daraus hervorgehenden Verhältnisse, so wird es erklärlich, wie ganze Feldzüge mit großer Tätigkeit geführt werden können, ohne daß das faktische Gefecht darin eine namhafte Rolle spielt.
     Daß dem so sein kann, beweist die Kriegsgeschichte in hundert Beispielen. Wie viele von diesen Fällen die unblutige Entscheidung mit Recht gehabt haben, d.h. ohne inneren Widerspruch, und ob einige daher entspringende Berühmtheiten die Kritik aushalten würden, das wollen wir dahingestellt sein lassen, denn es ist uns nur darum zu tun, die Möglichkeit eines solchen kriegerischen Verlaufes zu zeigen.
     Wir haben nur ein Mittel im Kriege, das Gefecht, was aber bei der Mannigfaltigkeit seiner Anwendung uns in alle die verschiedenen Wege hineinführt, die die Mannigfaltigkeit der Zwecke zuläßt, so daß wir nichts gewonnen zu haben scheinen; so ist es aber nicht, denn von dieser Einheit des Mittels geht ein Faden aus, der sich für die Betrachtung durch das ganze Gewebe kriegerischer Tätigkeit fortschlingt und es zusammenhält.
     Wir haben aber die Vernichtung der feindlichen Streitkraft als einen der Zwecke betrachtet, die man im Kriege verfolgen kann, und es dahingestellt sein lassen, welche Wichtigkeit ihm unter den übrigen Zwecken gegeben werden solle. Im einzelnen Falle wird es von den Umständen abhängen, und für das Allgemeine haben wir seinen Wert unbestimmt gelassen; jetzt werden wir noch einmal darauf zurückgeführt, und wir werden einsehen lernen, welcher Wert ihm notwendig zugestanden werden muß.
     Das Gefecht ist die einzige Wirksamkeit im Kriege; im Gefecht ist die Vernichtung der uns gegenüberstehenden Streitkraft das Mittel zum Zweck, ist es selbst da, wo das Gefecht nicht faktisch eintritt, weil jedenfalls der Entscheidung die Voraussetzung zum Grunde liegt, daß diese Vernichtung als unzweifelhaft zu betrachten sei. Sonach ist also die Vernichtung der feindlichen Streitkraft die Grundlage aller kriegerischen Handlungen, der letzte Stützpunkt aller Kombinationen, die darauf wie der Bogen auf seinen Widerlagen ruhen. Es geschieht also alles Handeln unter der Voraussetzung, daß, wenn die dabei zum Grunde liegende Entscheidung der Waffen wirklich eintreten sollte, sie eine günstige sei. Die Waffenentscheidung ist für alle großen und kleinen Operationen des Krieges, was die bare Zahlung für den Wechselhandel ist; wie entfernt diese Beziehungen auch sein, wie selten die Realisationen eintreten mögen, ganz können sie niemals fehlen.
     Ist die Waffenentscheidung die Grundlage aller Kombinationen, so folgt, daß der Gegner jede derselben durch eine glückliche Waffenentscheidung unwirksam machen kann, nicht nur, wenn es die ist, auf welcher unsere Kombination unmittelbar beruht, sondern auch durch jede andere, wenn sie nur bedeutend genug ist; denn jede bedeutende Waffenentscheidung, d. i. Vernichtung feindlicher Streitkräfte, wirkt auf alle anderen vorliegenden zurück, weil sie sich wie ein flüssiges Element ins Niveau setzen.
     So erscheint also die Vernichtung der feindlichen Streitkraft immer als das höherstehende, wirksamere Mittel, dem alle anderen weichen müssen.
     Aber freilich können wir der Vernichtung feindlicher Streitkraft nur bei vorausgesetzter Gleichheit aller übrigen Bedingungen eine höhere Wirksamkeit zuschreiben. Es wäre also ein großes Mißverstehen, wenn man daraus den Schluß ziehen wollte, ein blindes Draufgehen müßte über behutsame Geschicklichkeit immer den Sieg davontragen. Ein ungeschicktes Draufgehen würde zur Vernichtung der eigenen, nicht der feindlichen Streitkraft führen, und kann also von uns nicht gemeint sein. Die höhere Wirksamkeit gehört nicht dem Wege, sondern dem Ziele an, und wir vergleichen nur die Wirkung des einen erreichten Zieles mit dem anderen.
     Wenn wir von Vernichtung der feindlichen Steitmacht sprechen, so müssen wir hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß uns nichts zwingt, diesen Begriff auf die bloße physische Streitkraft zu beschränken, sondern vielmehr die moralische notwendig darunter mit verstanden werden muß, weil ja beide sich bis in die kleinsten Teile durchdringen und deshalb gar nicht voneinander zu trennen sind. Es ist aber gerade hier, wo wir uns auf die unvermeidliche Einwirkung berufen, die ein großer Vernichtungsakt (ein großer Sieg) auf alle übrigen Waffenentscheidungen hat: das moralische Element, dasjenige, was am flüssigsten ist, wenn wir uns so ausdrücken dürfen und also am leichtesten sich über alle Glieder verteilt. Dem überwiegenden Wert, welchen die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte über alle anderen Mittel hat, steht die Kostbarkeit und Gefahr dieses Mittels gegenüber, und nur um diese zu vermeiden ist es, daß andere Wege eingeschlagen werden.
     Daß das Mittel kostbar sein muß, ist an sich verständlich, denn der Aufwand eigener Streitkräfte ist bei übrigens gleichen Umständen immer größer, je mehr unsere Absicht auf die Vernichtung der feindlichen gerichtet ist.
     Die Gefahr dieses Mittels liegt aber darin, daß eben die größere Wirksamkeit, welche wir suchen, im Fall des Nichtgelingens auf uns zurückfällt, also größere Nachteile zur Folge hat.
     Die anderen Wege sind also weniger kostbar beim Gelingen und weniger gefährlich beim Mißlingen; aber es liegt hierin notwendig die Bedingung, daß sie es nur mit ihresgleichen zu tun haben, nämlich, daß der Feind dieselben Wege geht; weil, wenn der Feind den Weg großer Waffenentscheidung wählte, der unserige sich eben dadurch gegen unseren Willen auch in einen solchen verwandeln würde. Es kommt also dann auf den Ausgang des Vernichtungsaktes an; nun ist aber klar, daß wir, alle übrigen Umstände wieder gleich genommen, in diesem Akt im Nachteil aller Verhältnisse sein müssen, weil wir unsere Absichten und unsere Mittel zum Teil auf andere Dinge gerichtet hatten, welches der Feind nicht getan hat. Zwei verschiedene Zwecke, deren der eine nicht Teil des anderen ist, schließen einander aus, und es kann also eine Kraft, die für den einen verwendet wird, nicht zugleich dem anderen dienen. Wenn also einer der beiden Kriegführenden entschlossen ist, den Weg großer Waffenentscheidungen zu gehen, so hat er auch schon eine hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolges für sich, sobald er gewiß ist, daß der andere ihn nicht gehen, sondern ein anderes Ziel verfolgen will; und jeder, der sich ein solches anderes Ziel vorsetzt, kann dies vernünftigerweise nur tun, insofern er von seinem Gegner voraussetzt, daß er die großen Waffenentscheidungen ebensowenig sucht.
     Aber was wir hier von einer anderen Richtung der Absichten und Kräfte gesagt haben, bezieht sich nur auf die positiven Zwecke, welche man außer der Vernichtung feindlicher Kräfte sich im Kriege noch vorsetzen kann, durchaus nicht auf den reinen Widerstand, der in der Absicht gewählt wird, die feindliche Kraft dadurch zu erschöpfen. Dem bloßen Widerstand fehlt die positive Absicht, und mithin können bei demselben unsere Kräfte dadurch nicht auf andere Gegenstände geleitet, sondern nur bestimmt sein, die Absichten des Gegners zu vernichten.
     Hier ist es, wo wir von der Vernichtung der feindlichen Streitkraft die negative Seite, nämlich die Erhaltung der eigenen, zu betrachten haben. Diese beiden Bestrebungen gehen stets miteinander, weil sie in Wechselwirkung stehen; sie sind integrierende Teile ein und derselben Absicht, und wir haben nur zu untersuchen, welche Wirkung entsteht, wenn die eine oder die andere das Übergewicht hat. Das Bestreben zur Vernichtung der feindlichen Streitkräfte hat den positiven Zweck und führt zu positiven Erfolgen, deren letztes Ziel die Niederwerfung des Gegners sein wurde. Das Erhalten der eigenen Streitkräfte hat den negativen Zweck, führt also zur Vernichtung der feindlichen Absicht, d. h. zum reinen Widerstand, wovon das letzte Ziel nichts sein kann, als die Dauer der Handlung so zu verlängern, daß der Gegner sich darin erschöpft.
     Das Bestreben mit dem positiven Zweck ruft den Vernichtungsakt ins Leben, das Bestreben mit dem negativen wartet ihn ab.
     Wie weit dieses Abwarten gehen soll und darf, werden wir bei der Lehre von Angriff und Verteidigung, an deren Ursprung wir uns abermals befinden, näher angeben. Hier müssen wir uns begnügen zu sagen, daß das Abwarten kein absolutes Leiden werden darf und daß in dem damit verbundenen Handeln die Vernichtung der in dem Konflikt dieses Handelns begriffenen feindlichen Streitkraft ebensogut das Ziel sein kann wie jeder andere Gegenstand. Es wäre also ein großer Irrtum in den Grundvorstellungen zu glauben, daß das negative Bestreben dahin führen müßte, die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte nicht zum Zweck zu wählen, sondern eine unblutige Entscheidung vorzuziehen. Das Übergewicht des negativen Bestrebens kann allerdings die Veranlassung dazu sein, aber dann geschieht es immer auf die Gefahr, ob dieser Weg der angemessene sei, welches von ganz anderen Bedingungen abhängt, die nicht in uns, sondern im Gegner liegen. Dieser andere, unblutige Weg kann also keineswegs als das natürliche Mittel betrachtet werden, um der überwiegenden Sorge für die Erhaltung unserer Streitkräfte genugzutun; vielmehr würden wir diese in Fällen, wo ein solcher Weg den Umständen nicht entspräche, dadurch vollkommen zugrunde richten. Sehr viele Feldherren sind in diesen Irrtum verfallen und dadurch zugrunde gegangen. Die einzige notwendige Wirkung, welche das Übergewicht des negativen Bestrebens hat, ist das Aufhalten der Entscheidung, so daß der Handelnde sich gewissermaßen in das Abwarten der entscheidenden Augenblicke hineinflüchtet. Die Folge davon pflegt zu sein: das Zurückverlegen der Handlung in der Zeit und, insofern der Raum damit in Verbindung steht, auch im Raum, soweit es die Umstände gestatten. Ist der Augenblick, wo dies ohne überwiegenden Nachteil nicht weiter geschehen könnte, gekommen, so muß der Vorteil der Negative als erschöpft betrachtet werden, und nun tritt das Bestreben zur Vernichtung der feindlichen Streitkraft, welches nur durch ein Gegengewicht aufgehalten, aber nicht verdrängt war, unverändert hervor.
     Wir haben also in unseren bisherigen Betrachtungen gesehen, daß es im Kriege vielerlei Wege zum Ziel, d. h. zur Erlangung des politischen Zweckes, gibt, daß aber das Gefecht das einzige Mittel ist, und daß darum alles unter einem höchsten Gesetz steht: unter der Waffenentscheidung; daß, wo sie faktisch am Gegner in Anspruch genommen wird, dieser Rekurs niemals versagt werden kann, daß also der Kriegführende, welcher einen anderen Weg gehen will, sicher sein muß, daß der Gegner diesen Rekurs nicht nehmen oder seinen Prozeß an diesem höchsten Gerichtshof verlieren wird; daß also, mit einem Wort, die Vernichtung der feindlichen Streitkraft unter allen Zwecken, die im Kriege verfolgt werden können, immer als der über alles gebietende erscheint.
     Was Kombinationen anderer Art im Kriege leisten können, werden wir erst in der Folge und natürlich nur nach und nach kennenlernen. Wir begnügen uns, hier im allgemeinen ihre Möglichkeit als etwas auf die Abweichung der Wirklichkeit von dem Begriff, auf die individuellen Umstände Gerichtetes anzuerkennen. Aber wir dürfen nicht unterlassen, schon hier die blutige Entladung der Krise, das Bestreben zur Vernichtung der feindlichen Streitkraft, als den erstgeborenen Sohn des Krieges geltend zu machen. Mag bei kleinen politischen Zwecken, bei schwachen Motiven, geringen Spannungen der Kräfte ein behutsamer Feldherr geschickt alle Wege versuchen, wie er ohne große Krisen und blutige Auflösungen, durch die eigentümlichen Schwächen seines Gegners, im Felde und im Kabinett, sich zum Frieden hinwindet; wir haben kein Recht, ihn darüber zu tadeln, wenn seine Voraussetzungen gehörig motiviert sind und zum Erfolg berechtigen; aber wir müssen doch immer von ihm fordern, daß er sich bewußt bleibe, nur Schleifwege zu gehen, auf denen ihn der Kriegsgott ertappen kann, daß er den Gegner immer im Auge behalte, damit er nicht, wenn dieser zum scharfen Schwerte greift, ihm mit einem Galanteriedegen entgegentrete.
     Diese Resultate, von dem, was der Krieg ist, wie Zweck und Mittel in ihm wirken, wie er sich von seinem ursprünglich strengen Begriff in den Abweichungen der Wirklichkeit bald mehr, bald weniger entfernt, hin und her spielt, aber immer unter jenem strengen Begriff wie unter einem höchsten Gesetz steht - das alles müssen wir in unserer Vorstellung festhalten und müssen uns desselben bei jedem der folgenden Gegenstände wieder bewußt werden, wenn wir ihre wahren Beziehungen, ihre eigentümliche Bedeutung richtig verstehen und nicht unaufhörlich in die schreiendsten Widersprüche mit der Wirklichkeit und zuletzt mit uns selbst geraten wollen.
 

     Drittes Kapitel:
     Der kriegerische Genius


     Jede eigentümliche Tätigkeit bedarf, wenn sie mit einer gewissen Virtuosität getrieben werden soll, eigentümlicher Anlagen des Verstandes und Gemüts. Wo diese in einem hohen Grade ausgezeichnet sind und sich durch außerordentliche Leistungen darstellen, wird der Geist, dem sie angehören, mit dem Namen des Genius bezeichnet.
     Wir wissen wohl, da dieses Wort nach Ausdehnung und Richtung in sehr verschiedenartigen Bedeutungen vorkommt und daß in manchen dieser Bedeutungen es eine sehr schwere Aufgabe ist, das Wesen des Genius zu bezeichnen; aber da wir uns weder für einen Philosophen noch für einen Grammatiker ausgeben, so wird es uns gestattet sein, bei einer im Sprachgebrauch üblichen Bedeutung stehenzubleiben und unter Genie die für gewisse Tätigkeiten sehr gesteigerte Geisteskraft zu verstehen.
     Wir wollen bei dieser Fakultät und Würde des Geistes einige Augenblicke verweilen, um die Berechtigung näher nachzuweisen und den Inhalt des Begriffs näher kennenzulernen. Aber wir können nicht bei dem durch ein sehr gesteigertes Talent graduierten, bei dem eigentlichen Genie stehenbleiben, denn dieser Begriff hat ja keine abgemessenen Grenzen, sondern wir müssen überhaupt jede gemeinschaftliche Richtung der Seelenkräfte zur kriegerischen Tätigkeit in Betrachtung ziehen, die wir dann als das Wesen des kriegerischen Genius ansehen können. Wir sagen die gemeinschaftlichen, denn darin besteht eben der kriegerische Genius, daß er nicht eine einzelne dahin gerichtete Kraft, z. B. der Mut ist, während andere Kräfte des Verstandes und Gemüts fehlen oder eine für den Krieg unbrauchbare Richtung haben, sondern daß er ein harmonischer Verein der Kräfte ist, wobei eine oder die andere vorherrschen, aber keine widerstreben darf.
     Wenn jeder Kämpfende vom kriegerischen Genius mehr oder weniger beseelt sein sollte, so würden unsere Heere wohl sehr schwach sein; denn eben weil darunter eine eigentümliche Richtung der Seelenkräfte verstanden wird, so kann sie da nur selten vorkommen, wo in einem Volke die Seelenkräfte nach so vielen Seiten hin in Anspruch genommen und ausgebildet werden. Je weniger verschiedenartige Tätigkeiten ein Volk aber hat, je mehr die kriegerische bei demselben vorherrscht, um so mehr muß sich auch der kriegerische Genius in demselben verbreitet finden. Dies bestimmt aber nur seinen Umfang, keineswegs seine Höhe, denn diese hängt von der allgemeinen geistigen Entwicklung des Volkes ab. Wenn wir ein rohes, kriegerisches Volk betrachten, so ist ein kriegerischer Geist unter den einzelnen viel gewöhnlicher als bei den gebildeten Völkern, denn bei jenen besitzt ihn fast jeder einzelne Krieger, während bei den gebildeten eine ganze Masse nur durch die Notwendigkeit und keineswegs durch inneren Trieb mit fortgerissen wird. Aber unter rohen Völkern findet man nie einen eigentlich großen Feldherrn, und äußerst selten, was man ein kriegerisches Genie nennen kann, weil dazu eine Entwicklung der Verstandeskräfte erforderlich ist, die ein rohes Volk nicht haben kann. Daß auch gebildete Völker eine mehr oder weniger kriegerische Richtung und Entwicklung haben können, versteht sich von selbst, und je mehr dies der Fall ist, um so häufiger wird sich in ihrem Heere der kriegerische Geist auch in dem einzelnen linden. Da dies nun mit dem höheren Grade desselben zusammentrifft, so gehen von solchen Völkern immer die glänzendsten kriegerischen Erscheinungen aus, wie Römer und Franzosen bewiesen haben. Die größten Namen dieser und aller im Kriege einst berühmten Völker fallen aber immer erst in die Zeiten einer höheren Bildung.
     Es läßt uns dies schon erraten, wie groß der Anteil ist, welchen die Verstandeskräfte an dem höheren kriegerischen Genius haben. Wir wollen jetzt einen nähern Blick auf ihn werfen.
     Der Krieg ist das Gebiet der Gefahr, es ist also Mut vor allen Dingen die erste Eigenschaft des Kriegers.
     Der Mut ist doppelter Art: einmal Mut gegen die persönliche Gefahr, und dann Mut gegen die Verantwortlichkeit, sei es vor dem Richterstuhl irgendeiner äußeren Macht oder der inneren, nämlich des Gewissens. Nur von dem ersteren ist hier die Rede.
     Der Mut gegen die persönliche Gefahr ist wieder doppelter Art: erstens kann er Gleichgültigkeit gegen die Gefahr sein, sei es, daß sie aus dem Organismus des Individuums oder aus Geringschätzung des Lebens oder aus Gewohnheit hervorgehe, auf jeden Fall aber ist er als ein bleibender Zustand anzusehen.
     Zweitens kann der Mut aus positiven Motiven hervorgehen wie Ehrgeiz, Vaterlandsliebe, Begeisterung jeder Art. In diesem Fall ist der Mut nicht sowohl ein Zustand als eine Gemütsbewegung, ein Gefühl.
     Es ist begreiflich, daß beide Arten verschiedener Wirkung sind. Die erste Art ist sicherer, weil sie, zur zweiten Natur geworden, den Menschen nie verläßt, die zweite führt oft weiter; der ersten gehört mehr die Standhaftigkeit, der zweiten mehr die Kühnheit an; die erste läßt den Verstand nüchterner, die zweite steigert ihn zuweilen, verblendet ihn aber auch oft. Beide vereinigt geben die vollkommenste Art des Mutes.
     Der Krieg ist das Gebiet körperlicher Anstrengungen und Leiden; um dadurch nicht zugrunde gerichtet zu werden, bedarf es einer gewissen Kraft des Körpers und der Seele, die, angeboren oder eingeübt, gleichgültig dagegen macht. Mit diesen Eigenschaften, unter der bloßen Führung des gesunden Verstandes, ist der Mensch schon ein tüchtiges Werkzeug für den Krieg, und diese Eigenschaften sind es, die wir bei rohen und halbkultivierten Völkern so allgemein verbreitet antreffen. Gehen wir in den Forderungen weiter, die der Krieg an seine Genossen macht, so treffen wir auf vorherrschende Verstandeskräfte. Der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit. Her ist es also zuerst, wo ein feiner, durchdringender Verstand in Anspruch genommen wird, um mit dem Takte seines Urteils die Wahrheit herauszufühlen.
     Es mag ein gewöhnlicher Verstand diese Wahrheit einmal durch Zufall treffen, ein ungewöhnlicher Mut mag das Verfehlen ein andermal ausgleichen, aber die Mehrheit der Fälle, der Durchschnittserfolg, wird den fehlenden Verstand immer an den Tag bringen.
     Der Krieg ist das Gebiet des Zufalls. In keiner menschlichen Tätigkeit muß diesem Fremdling ein solcher Spielraum gelassen werden, weil keine so nach allen Seiten hin in beständigem Kontakt mit ihm ist. Er vermehrt die Ungewißheit aller Umstände und stört den Gang der Ereignisse.
     Jene Unsicherheit aller Nachrichten und Voraussetzungen, diese beständigen Einmischungen des Zufalls machen, daß der Handelnde im Kriege die Dinge unaufhörlich anders findet, als er sie erwartet hatte, und es kann nicht fehlen, daß dies auf seinen Plan oder wenigstens auf die diesem Plane zugehörigen Vorstellungen Einfluß habe. Ist dieser Einfluß auch so groß, die gefaßten Vorsätze entschieden aufzuheben, so müssen doch in der Regel neue an ihre Stelle treten, für welche es dann oft in dem Augenblicke an Datis fehlt, weil im Lauf des Handelns die Umstände den Entschluß meistens drängen und keine Zeit lassen, sich von neuem umzusehen, oft nicht einmal so viel, um reifliche Überlegungen anzustellen. Aber es ist viel gewöhnlicher, daß die Berichtigung unserer Vorstellungen und die Kenntnis eingetretener Zufälle nicht hinreicht, unseren Vorsatz ganz umzustoßen, sondern ihn nur wankend zu machen. Die Kenntnis der Umstände hat sich in uns vermehrt, aber die Ungewißheit ist dadurch nicht verringert, sondern gesteigert. Die Ursache ist, weil man diese Erfahrungen nicht alle mit einemmal macht, sondern nach und nach, weil unsere Entschließungen nicht aufhören, davon bestürmt zu werden, und der Geist, wenn wir so sagen dürfen, immer unter den Waffen sein muß.
     Soll er nun diesen beständigen Streit mit dem Unerwarteten glücklich bestehen, so sind ihm zwei Eigenschaften unentbehrlich: einmal ein Verstand, der auch in dieser gesteigerten Dunkelheit nicht ohne einige Spuren des inneren Lichts ist, die ihn zur Wahrheit führen, und dann Mut, diesem schwachen Lichte zu folgen. Der erstere ist bildlich mit dem französischen Ausdruck coup d'oeil bezeichnet worden, der andere ist die Entschlossenheit.
     Weil die Gefechte im Kriege das sind, was zuerst und am meisten den Blick auf sich gezogen hat, in den Gefechten Zeit und Raum wichtige Elemente sind, und es in jener Periode noch mehr waren, wo die Reiterei mit ihren rapiden Entscheidungen die Hauptsache war, so ist der Begriff eines schnellen und treffenden Entschlusses zuerst aus der Schätzung jener beiden Dinge hervorgetreten und hat daher einen Ausdruck zur Bezeichnung bekommen, der nur auf richtiges Augenmaß geht. Viele Lehrer der Kriegskunst haben ihn daher auch mit dieser beschränkten Bedeutung definiert. Aber es ist nicht zu verkennen, daß bald alle im Augenblick der Ausführung gefaßten treffenden Entschlüsse darunter verstanden worden sind, z. B. das Erkennen des wahren Angriffspunktes usw. Es ist also nicht bloß das körperliche, sondern häufiger das geistige Auge, welches in dem coup d'oeil gemeint ist. Natürlich ist der Ausdruck wie die Sache immer mehr im Gebiet der Taktik zu Hause gewesen, doch kann sie auch in der Strategie nicht fehlen, insofern auch in ihr oft schnelle Entscheidungen erforderlich sind. Entkleidet man diesen Begriff von dem, was ihm der Ausdruck zu Bildliches und Beschränktes gegeben hat, so ist er nichts als das schnelle Treffen einer Wahrheit, die einem gewöhnlichen Blick des Geistes gar nicht sichtbar ist oder es erst nach langem Betrachten und Überlegen wird.
     Die Entschlossenheit ist ein Akt des Mutes in dem einzelnen Fall, und wenn sie zum Charakterzug wird, eine Gewohnheit der Seele. Aber hier ist nicht der Mut gegen körperliche Gefahr, sondern der gegen die Verantwortung, also gewissermaßen gegen Seelengefahr gemeint. Man hat diesen oft courage d'esprit genannt, weil er aus dem Verstande entspringt, aber er ist darum kein Akt des Verstandes, sondern des Gemüts. Bloßer Verstand ist noch kein Mut, denn wir sehen die gescheitesten Leute oft ohne Entschluß. Der Verstand muß also erst das Gefühl des Mutes erwecken, um von ihm gehalten und getragen zu werden, weil im Drange des Augenblicks Gefühle den Menschen stärker beherrschen als Gedanken.
     Wir haben hier der Entschlossenheit diejenige Stelle angewiesen, wo sie bei nicht hinreichenden Motiven die Qualen der Zweifel, die Gefahren des Zauderns heben soll. Der nicht sehr gewissenhafte Sprachgebrauch belegt freilich auch die bloße Neigung zum Wagen, Dreistigkeit, Kühnheit, Verwegenheit mit diesem Namen. Wo aber hinreichende Motive in dem Menschen sind, sie mögen subjektiv oder objektiv, gültig oder falsch sein, ist kein Grund, von seiner Entschlossenheit zu reden, denn, indem wir das tun, setzen wir uns an seine Stelle und legen Zweifel in die Waagschale, die er gar nicht gehabt hat.
     Hier kann man nur von Kraft oder Schwäche sprechen. Wir sind nicht pedantisch genug, um mit dem Sprachgebrauch über diesen kleinen Mißgriff zu rechten, sondern unsere Bemerkung soll bloß dienen, falsche Einwürfe zu entfernen.
     Diese Entschlossenheit nun, welche einen zweifelhaften Zustand besiegt, kann nur durch Verstand hervorgerufen werden, und zwar durch eine ganz eigentümliche Richtung desselben. Wir behaupten, daß das bloße Beisammensein höherer Einsichten und nötiger Gefühle immer noch nicht die Entschlossenheit macht. Es gibt Leute, die den schönsten Blick des Geistes für die schwierigste Aufgabe besitzen, denen es auch nicht an Mut fehlt, vieles auf sich zu nehmen, und die in schwierigen Fällen doch nicht zum Entschluß kommen können. Ihr Mut und ihre Einsicht stehen jedes einzeln, bieten sich nicht die Hand und bringen darum nicht die Entschlossenheit als ein Drittes hervor. Diese entsteht erst durch den Akt des Verstandes, der die Notwendigkeit des Wagens zum Bewußtsein bringt und durch sie den Willen bestimmt. Diese ganz eigentümliche Richtung des Verstandes, die jede andere Scheu im Menschen niederkämpft mit der Scheu vor dem Schwanken und Zaudern, ist es, welche in kräftigen Gemütern die Entschlossenheit ausbildet; darum können Menschen mit wenig Verstand in unserem Sinne nicht entschlossen sein. Sie können in schwierigen Fällen ohne Zaudern handeln, aber dann tun sie es ohne Überlegung, und es können freilich den, welcher unüberlegt handelt, keine Zweifel mit sich selbst entzweien. Ein solches Handeln kann auch hin und wieder das Rechte treffen, aber wir sagen hier wie oben: es ist der Durchschnittserfolg, welcher auf das Dasein des kriegerischen Genius deutet. Wem unsere Behauptung dennoch wunderlich vorkommt, weil er manchen entschlossenen Husarenoffizier kennt, der kein tiefer Denker ist, den müssen wir erinnern, daß hier von einer eigentümlichen Richtung des Verstandes, nicht von einer großen Meditationskraft die Rede ist.
     Wir glauben also, daß die Entschlossenheit einer eigentümlichen Richtung des Verstandes ihr Dasein verdankt, und zwar einer, die mehr kräftigen als glänzenden Köpfen angehört; wir können diese Genealogie der Entschlossenheit noch dadurch belegen, daß es eine so große Zahl von Beispielen gibt, wo Männer, die in niederen Regionen die größte Entschlossenheit gezeigt hatten, diese in den höheren verloren. Obgleich sie das Bedürfnis haben, sich zu entschließen, so sehen sie doch die Gefahren ein, die in einem falschen Entschluß liegen, und da sie mit den Dingen, die ihnen vorliegen, nicht vertraut sind, so verliert ihr Verstand seine ursprüngliche Kraft, und sie werden nur um so zaghafter, je mehr sie die Gefahr der Unentschlossenheit, in die sie gebannt sind, kennen, und je mehr sie gewohnt waren, frisch von der Faust weg zu handeln.
     Bei dem coup d'oeil und der Entschlossenheit liegt es uns ganz nahe, von der damit verwandten Geistesgegenwart zu reden, die in einem Gebiete des Unerwarteten, wie der Krieg ist, eine große Rolle spielen muß; denn sie ist ja nichts als eine gesteigerte Besiegung des Unerwarteten. Man bewundert die Geistesgegenwart in einer treffenden Antwort auf eine unerwartete Anrede, wie man sie bewundert in der schnell gefundenen Aushilfe bei plötzlicher Gefahr. Beide, diese Antwort und diese Aushilfe, brauchen nicht ungewöhnlich zu sein, wenn sie nur treffen; denn was nach reiflicher und ruhiger Überlegung nichts Ungewöhnliches, also in seinem Eindruck auf uns etwas Gleichgültiges wäre, kann als ein schneller Akt des Verstandes Vergnügen machen. Der Ausdruck Geistesgegenwart bezeichnet gewiß sehr passend die Nähe und Schnelligkeit der vom Verstande dargereichten Hilfe.
     Ob diese herrliche Eigenschaft eines Menschen mehr der Eigentümlichkeit seines Verstandes oder mehr dem Gleichgewicht seines Gemüts zugeschrieben werden muß, hängt von der Natur des Falles ab, wiewohl keines von beiden je ganz fehlen darf. Eine treffende Antwort ist mehr das Werk eines witzigen Kopfes; ein treffendes Mittel in plötzlicher Gefahr setzt vor allen Dingen Gleichgewicht des Gemütes voraus.
     Wenn wir nun einen Gesamtblick auf die vier Bestandteile werfen, aus denen die Atmosphäre zusammengesetzt ist, in welcher sich der Krieg bewegt, auf die Gefahr, die körperliche Anstrengung, die Ungewißheit und den Zufall, so wird es leicht begreiflich, daß eine große Kraft des Gemütes und des Verstandes erforderlich ist, um in diesem erschwerenden Element mit Sicherheit und Erfolg vorzuschreiten, eine Kraft, die wir nach den verschiedenen Modifikationen, welche sie von den Umständen annimmt, als Energie, Festigkeit, Standhaftigkeit, Gemüts- und Charakterstärke in dem Munde der Erzähler und Berichterstatter kriegerischer Ereignisse finden. Man könnte alle diese Äußerungen der Heldennatur als eine und dieselbe Kraft des Willens betrachten, die sich nach den Umständen modifiziert; aber so nahe diese Dinge miteinander verwandt sind, so sind sie doch nicht ein und dasselbe, und es ist in unserem Interesse, das Spiel der Seelenkräfte dabei wenigstens um etwas genauer zu unterscheiden.
     Zuerst gehört es wesentlich zur Deutlichkeit der Vorstellungen zu sagen, daß das Gewicht, die Last, der Widerstand, wie man es nennen will, welche jene Kraft der Seele in dem Handelnden herausfordert, nur zum kleinsten Teil unmittelbar die feindliche Tätigkeit, der feindliche Widerstand, das feindliche Handeln ist. Unmittelbar hat die feindliche Tätigkeit auf den Handelnden zuerst nur für seine eigene Person Einwirkung, ohne seine Tätigkeit als Führer zu berühren. Wenn der Feind statt zwei Stunden vier Stunden widersteht, so befindet sich der Führer statt zwei Stunden vier Stunden in Gefahr; dies ist offenbar eine Größe, deren Bedeutung abnimmt, je höher der Führer steht; was will das sagen in der Rolle des Feldherrn - es ist nichts!.
     Zweitens wirkt der feindliche Widerstand unmittelbar auf den Führer durch den Verlust an Mitteln, der ihm bei einem längeren Widerstand entsteht, und die Verantwortlichkeit, die damit verknüpft ist. Hier, durch diese sorgenvollen Betrachtungen, wird zuerst seine Willenskraft geprüft und herausgefordert. Aber wir behaupten, daß dies bei weitem nicht die schwerste Last ist, die er zu tragen hat, denn er hat es nur mit sich selbst abzumachen. Alle übrigen Wirkungen des feindlichen Widerstandes aber sind auf die Kämpfenden gerichtet, die er anführt, und wirken durch diese auf ihn zurück.
     Solange eine Truppe voll guten Mutes mit Lust und Leichtigkeit kämpft, ist selten eine Veranlassung da, große Willenskraft in der Verfolgung seiner Zwecke zu zeigen; sowie aber die Umstände schwierig werden, und das kann, wo Außerordentliches geleistet werden soll, nie ausbleiben, so geht die Sache nicht mehr von selbst wie mit einer gut eingeölten Maschine, sondern die Maschine selbst fängt an Widerstand zu leisten, und diesen zu überwinden, dazu gehört die große Willenskraft des Führers. Unter diesem Widerstande wird man sich nicht gerade Ungehorsam und Widerrede denken, wiewohl auch diese bei einzelnen Individuen häufig genug vorkommen, sondern es ist der Gesamteindruck aller ersterbenden physischen und moralischen Kräfte, es ist der herzzerreißende Anblick der blutigen Opfer, den der Führer in sich selbst zu bekämpfen hat und dann in allen anderen, die unmittelbar oder mittelbar ihre Eindrücke, ihre Empfindungen, Besorgnisse und Bestrebungen in ihn übergehen lassen. Sowie die Kräfte in dem einzelnen ersterben, diese nicht mehr vom eigenen Willen angeregt und getragen werden, lastet nach und nach die ganze Inertie der Masse auf dem Willen des Feldherrn; an der Glut in seiner Brust, an dem Lichte seines Geistes soll sich die Glut des Vorsatzes, das Licht der Hoffnung aller anderen von neuem entzünden; nur insoweit er dies vermag, insoweit gebietet er über die Masse und bleibt Herr derselben; sowie das aufhört, sowie sein eigener Mut nicht mehr stark genug ist, den Mut aller anderen wiederzubeleben, so zieht ihn die Masse zu sich hinab in die niedere Region der tierischen Natur, die vor der Gefahr zurückweicht und die Schande nicht kennt. Dies sind die Gewichte, welche der Mut und die Seelenstärke des Führers im Kampfe zu überwinden hat, wenn er Ausgezeichnetes leisten will. Sie wachsen mit den Massen, und so müssen also die Kräfte auch zunehmen mit der Höhe der Stellen, wenn sie den Lasten angemessen bleiben sollen.
     Die Energie des Handelns drückt die Stärke des Motivs aus, wodurch das Handeln hervorgerufen wird, das Motiv mag nun in einer Verstandesüberzeugung oder in einer Gemütsregung seinen Grund haben. Die letztere darf aber schwerlich da fehlen, wo sich eine große Kraft zeigen soll.
     Von allen großartigen Gefühlen, die die menschliche Brust in dem heißen Drange des Kampfes erfüllen, ist, wir wollen es nur gestehen, keines so mächtig und konstant wie der Seelendurst nach Ruhm und Ehre, den die deutsche Sprache so ungerecht behandelt, indem sie ihn in Ehrgeiz und Ruhmsucht, durch zwei unwürdige Nebenvorstellungen, herabzusetzen strebt. Freilich hat der Mißbrauch dieser stolzen Sehnsucht gerade im Kriege die empörendsten Ungerechtigkeiten gegen das menschliche Geschlecht hervorbringen müssen; aber ihrem Ursprunge nach sind diese Empfindungen gewiß zu den edelsten der menschlichen Natur zu zählen, und im Kriege sind sie der eigentliche Lebenshauch, der dem ungeheuren Körper eine Seele gibt. Alle anderen Gefühle, wieviel allgemeiner sie auch werden können, oder wieviel höher manche auch zu stehen scheinen, Vaterlandsliebe, Ideenfanatismus, Rache, Begeisterung jeder Art, sie machen den Ehrgeiz und die Ruhmbegierde nicht entbehrlich. Jene Gefühle können den ganzen Haufen im allgemeinen erregen und höherstimmen, aber geben dem Führer nicht das Verlangen, mehr zu wollen als die Gefährten, welches ein wesentliches Bedürfnis seiner Stelle ist, wenn er Vorzügliches darin leisten soll; sie machen nicht, wie der Ehrgeiz tut, den einzelnen kriegerischen Akt zum Eigentum des Anführers, welches er dann auf die beste Weise zu nutzen strebt, wo er mit Anstrengung pflügt, mit Sorgfalt sät, um reichlich zu ernten. Diese Bestrebungen aller Anführer aber, von dem höchsten bis zum geringsten, diese Art von Industrie, dieser Wetteifer, dieser Sporn sind es vorzüglich, welche die Wirksamkeit eines Heeres beleben und erfolgreich machen. Und was nun ganz besonders den höchsten betrifft, so fragen wir: hat es je einen großen Feldherrn ohne Ehrgeiz gegeben, oder ist eine solche Erscheinung auch nur denkbar?.
     Die Festigkeit bezeichnet den Widerstand des Willens in bezug auf die Stärke eines einzelnen Stoßes, die Standhaftigkeit in bezug auf die Dauer.
     So nahe beide beieinanderliegen, und sooft der eine Ausdruck für den anderen gebraucht wird, so ist doch eine merkliche Verschiedenheit ihres Wesens nicht zu verkennen, insofern die Festigkeit gegen einen einzelnen heftigen Eindruck ihren Grund in der bloßen Stärke eines Gefühls haben kann, die Standhaftigkeit aber schon mehr von dem Verstande unterstützt sein will; denn mit der Dauer eine Tätigkeit nimmt die Planmäßigkeit derselben zu, und aus dieser schöpft die Standhaftigkeit zum Teil ihre Kraft.
     Wenden wir uns zur Gemüts- oder Seelenstärke, so ist die erste Frage: was wir darunter verstehen sollen.
     Offenbar nicht die Heftigkeit der Gemütsäußerungen, die Leidenschaftlichkeit, denn das wäre gegen allen Sprachgebrauch, sondern das Vermögen, auch bei den stärksten Anregungen, im Sturm der heftigsten Leidenschaft, noch dem Verstande zu gehorchen. Sollte dies Vermögen bloß von der Kraft des Verstandes herrühren? Wir bezweifeln es. Zwar würde die Erscheinung, daß es Menschen von ausgezeichnetem Verstande gibt, die sich nicht in ihrer Gewalt haben, noch nichts dagegen beweisen, denn man könnte sagen, daß es einer eigentümlichen, vielleicht einer mehr kräftigen als umfassenden Natur des Verstandes bedürfte. Aber wir glauben der Wahrheit doch näher zu sein, wenn wir annehmen, daß die Kraft, sich auch in den Augenblicken der heftigsten Gemütsbewegung dem Verstande noch zu unterwerfen, welche wir die Selbstbeherrschung nennen, in dem Gemüte selbst ihren Sitz hat. Es ist nämlich ein anderes Gefühl, was in starken Gemütern der aufgeregten Leidenschaft das Gleichgewicht hält, ohne sie zu vernichten, und durch dieses Gleichgewicht wird dem Verstande erst die Herrschaft gesichert. Dieses Gegengewicht ist nichts anderes als das Gefühl der Menschenwürde, dieser edelste Stolz, dieses innerste Seelenbedürfnis, überall als ein mit Einsicht und Verstand begabtes Wesen zu wirken. Wir würden darum sagen: ein starkes Gemüt ist ein solches, welches auch bei den heftigsten Regungen nicht aus dem Gleichgewicht kommt.
     Werfen wir einen Blick auf die Verschiedenartigkeit der Menschen in Beziehung auf das Gemüt, so finden wir erstens solche, die sehr wenig Regsamkeit besitzen, und die wir phlegmatisch oder indolent nennen.
     Zweitens sehr Regsame, deren Gefühle aber nie eine gewisse Stärke überschreiten, und die wir als gefühlvolle, aber ruhige Menschen kennen.
     Drittens sehr Reizbare, deren Gefühle sich schnell und heftig wie Pulver entzünden, aber nicht dauernd sind; endlich viertens solche, die durch kleine Veranlassungen nicht in Bewegung zu bringen sind und die überhaupt nicht schnell, sondern nach und nach in Bewegung kommen, deren Gefühle aber eine große Gewalt annehmen und viel dauernder sind. Dies sind die Menschen mit energischen, tief und versteckt liegenden Leidenschaften.
     Dieser Unterschied der Gemütskonstitution liegt wahrscheinlich dicht an der Grenze der körperlichen Kräfte, die sich in dem menschlichen Organismus regen, und gehört jener Amphibiennatur an, die wir Nervensystem nennen, die mit der einen Seite der Materie, mit der anderen dem Geiste zugewendet scheint. Wir mit unserer schwachen Philosophie haben in diesem dunklen Felde nichts weiter zu suchen. Wichtig ist es uns aber, bei der Wirkung einen Augenblick zu verweilen, welche diese verschiedenen Naturen in der kriegerischen Tätigkeit haben, und inwiefern eine große Seelenstärke von ihnen zu erwarten ist.
     Die indolenten Menschen können nicht leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden, aber freilich kann man das nicht Seelenstärke nennen, wo es an aller Kraftäußerung fehlt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß solche Menschen eben wegen ihres beständigen Gleichgewichts im Kriege von einer gewissen einseitigen Tüchtigkeit sind. Es fehlt ihnen oft das positive Motiv des Handelns, der Antrieb, und als Folge davon die Tätigkeit, aber sie verderben nicht leicht etwas.
     Die Eigentümlichkeit der zweiten Klasse ist, daß sie von kleinen Gegenständen leicht zum Handeln angeregt, von großen aber leicht erdrückt wird. Menschen dieser Art werden eine lebhafte Tätigkeit zeigen, einem einzelnen Unglücklichen zu helfen, aber von dem Unglück eines ganzen Volkes nur traurig gestimmt, nicht zum Handeln angeregt werden.
     Im Kriege wird es solchen Männern weder an Tätigkeit noch an Gleichgewicht fehlen, aber etwas Großes werden sie nicht vollbringen, es müßte denn sein, daß in einem sehr kräftigen Verstande die Motive dazu vorhanden wären. Es ist aber selten, daß sich mit solchen Gemütern ein sehr starker, unabhängiger Verstand verbände.
     Die aufbrausenden, aufflammenden Gefühle sind an sich für das praktische Leben und also auch für den Krieg nicht sehr geeignet. Sie haben zwar das Verdienst starker Antriebe, aber diese halten nicht vor. Wenn indessen in solchen Menschen die Regsamkeit die Richtung des Mutes und des Ehrgeizes hat, so wird sie im Kriege auf niedrigen Stellen oft sehr brauchbar aus dem bloßen Grunde, weil der kriegerische Akt, über den ein Führer der niederen Stufen zu gebieten hat, von viel kürzerer Dauer ist. Hier reicht oft ein einzelner mutiger Entschluß, eine Aufwallung der Seelenkräfte hin. Ein kühner Anfall, ein kräftiges Hurra ist das Werk weniger Minuten, ein kühner Schlachtenkampf ist das Werk eines ganzen Tages und ein Feldzug das Werk eines Jahres.
     Bei der reißenden Schnelligkeit ihrer Gefühle ist es solchen Menschen doppelt schwer, das Gleichgewicht des Gemüts zu behaupten, daher verlieren sie häufig den Kopf, und dies ist für die Kriegführung die schlimmste ihrer Seiten. Aber es würde gegen die Erfahrung sein, zu behaupten, daß sehr reizbare Gemüter niemals stark, d. h. auch in ihren stärksten Regungen im Gleichgewicht sein könnten. Warum sollte auch das Gefühl für die eigene Würde in ihnen nicht vorhanden sein, da sie in der Regel den edleren Naturen angehören! Dies Gefühl fehlt ihnen selten, es hat aber nicht Zeit, wirksam zu werden. Hinterher sind sie meist von Selbstbeschämung durchdrungen. Wenn Erziehung, Selbstbeobachtung und Lebenserfahrung sie früh oder spät das Mittel gelehrt haben, gegen sich selbst auf der Hut zu sein, um in Augenblicken lebhafter Anregung sich des in ihrer eigenen Brust ruhenden Gegengewichts noch bei Zeiten bewußt zu werden, so können auch sie einer großen Seelenstärke fähig sein.
     Endlich sind die wenig beweglichen, aber darum tief bewegten Menschen, die sich zu den vorigen wie die Glut zur Flamme verhalten, am meisten geeignet, mit ihrer Titanenkraft die ungeheuren Massen wegzuwälzen, unter welchen wir uns bildlich die Schwierigkeiten des kriegerischen Handelns vorstellen können. Die Wirkung ihrer Gefühle gleicht der Bewegung großer Massen, die, wenn auch langsamer, doch überwältigender ist.
     Obgleich solche Menschen nicht so von ihren Gefühlen überfallen und zu ihrer eigenen Beschämung fortgerissen werden wie die vorigen, so wäre es doch wieder gegen die Erfahrung, zu glauben, daß sie das Gleichgewicht nicht verlieren und blinder Leidenschaft nicht unterwürfig werden könnten; dies wird vielmehr immer geschehen, sobald ihnen der edle Stolz der Selbstbeherrschung fehlt oder sooft er nicht stark genug ist. Wir sehen diese Erfahrung am häufigsten bei großartigen Männern roher Völker, wo die geringe Verstandesausbildung immer ein Vorherrschen der Leidenschaft begünstigt. Aber auch unter den gebildeten Völkern und in den gebildetsten Ständen derselben ist ja das Leben voll solcher Erscheinungen, wo Menschen durch gewaltsame Leidenschaften fortgerissen werden wie im Mittelalter die auf Hirschen angeschmiedeten Wilddiebe durchs Gehölz.
     Wir sagen es also noch einmal: ein starkes Gemüt ist nicht ein solches, welches bloß starker Regungen fähig ist, sondern dasjenige, welches bei den stärksten Regungen im Gleichgewicht bleibt, so daß trotz den Stürmen in der Brust der Einsicht und Überzeugung wie der Nadel des Kompasses auf dem sturmbewegten Schiff das feinste Spiel gestattet ist.
     Mit dem Namen der Charakterstärke oder überhaupt des Charakters bezeichnet man das feste Halten an seiner Überzeugung, sie mag nun das Resultat fremder oder eigner Einsicht sein, und mag sie Grundsätzen, Ansichten, augenblicklichen Eingebungen oder was immer für Ergebnissen des Verstandes angehören. Aber diese Festigkeit kann sich freilich nicht kundtun, wenn die Einsichten selbst häufigem Wechsel unterliegen. Dieser häufige Wechsel braucht nicht die Folge fremden Einflusses zu sein, sondern er kann aus der eigenen fortwirkenden Tätigkeit des Verstandes hervorgehen, deutet dann aber freilich auf eine eigentümliche Unsicherheit desselben. Offenbar wird man von einem Menschen, der seine Ansicht alle Augenblicke ändert, wie sehr dies auch aus ihm selbst hervorgehen mag, nicht sagen: er hat Charakter. Man bezeichnet also nur solche Menschen mit dieser Eigenschaft, deren Überzeugung sehr konstant ist, entweder weil sie tief begründet und klar, an sich zu einer Veränderung wenig geeignet ist, oder weil es, wie bei indolenten Menschen, an Verstandestätigkeit und damit an dem Grund zur Veränderung fehlt, oder endlich, weil ein ausdrücklicher Akt des Willens, aus einem gesetzgebenden Grundsatz des Verstandes entsprungen, den Wechsel der Meinungen bis auf einen gewissen Grad zurückweist.
     Nun liegen im Kriege in den zahlreichen und starken Eindrücken, welche das Gemüt erhält, und in der Unsicherheit alles Wissens und aller Einsicht mehr Veranlassungen, den Menschen von seiner angefangenen Bahn abzudrängen, ihn an sich und anderen irrezumachen, als dies in irgendeiner anderen menschlichen Tätigkeit vorkommt.
     Der herzzerreißende Anblick von Gefahren und Leiden läßt das Gefühl leicht ein Übergewicht über die Verstandesüberzeugung gewinnen, und in dem Dämmerlicht aller Erscheinungen ist eine tiefe, klare Einsicht so schwer, daß der Wechsel derselben begreiflicher und verzeihlicher wird. Es ist immer nur ein Ahnen und Herausfühlen der Wahrheit, nach welcher gehandelt werden muß. Darum ist nirgends die Meinungsverschiedenheit so groß als im Kriege, und der Strom der Eindrücke gegen die eigene Überzeugung hört nie auf. Selbst das größte Phlegma des Verstandes kann kaum dagegen schützen, weil die Eindrücke zu stark und lebhaft und immer zugleich gegen das Gemüt mit gerichtet sind.
     Nur die allgemeinen Grundsätze und Ansichten, welche das Handeln von einem höheren Standpunkt aus leiten, können die Frucht einer klaren und tiefen Einsicht sein, und an ihnen liegt sozusagen die Meinung über den vorliegenden individuellen Fall gewissermaßen vor Anker. Aber das Halten an diesen Resultaten eines früheren Nachdenkens gegen den Strom der Meinungen und Erscheinungen, welchen die Gegenwart herbeiführt, ist eben die Schwierigkeit. Zwischen dem individuellen Fall und dem Grundsatz ist oft ein weiter Raum, der sich nicht immer an einer sichtbaren Kette von Schlüssen durchziehen läßt, und wo ein gewisser Glaube an sich selbst notwendig ist und ein gewisser Skeptizismus wohltätig. Hier hilft oft nichts anderes als ein gesetzgebender Grundsatz, der, außer das Denken selbst gestellt, dasselbe beherrscht; es ist der Grundsatz, bei allen zweifelhaften Fällen bei seiner ersten Meinung zu beharren und nicht eher zu weichen, bis eine klare Überzeugung dazu zwingt. Man muß stark sein in dem Glauben an die bessere Wahrheit wohlgeprüfter Grundsätze und bei der Lebhaftigkeit der augenblicklichen Erscheinungen nicht vergessen, daß ihre Wahrheit von einem geringeren Gepräge ist. Durch dieses Vorrecht, welches wir in zweifelhaften Fällen unserer früheren Überzeugung geben, durch dieses Beharren bei derselben gewinnt das Handeln diejenige Stätigkeit und Folge, die man Charakter nennt.
     Wie sehr das Gleichgewicht des Gemütes die Charakterstärke befördert, ist leicht einzusehen, daher auch Menschen von großer Seelenstärke meistens viel Charakter haben.
     Die Charakterstärke führt uns zu einer Abart derselben, dem Eigensinn.
     Sehr schwer ist es oft, im konkreten Falle zu sagen, wo die eine aufhört und der andere anfängt, dagegen scheint es nicht schwer, den Unterschied im Begriffe festzustellen.
     Eigensinn ist kein Fehler des Verstandes; wir bezeichnen damit das Widerstreben gegen bessere Einsicht, und dieses kann nicht ohne Widerspruch in den Verstand als dem Vermögen der Einsicht gesetzt werden. Der Eigensinn ist ein Fehler des Gemütes. Die Unbeugsamkeit des Willens, diese Reizbarkeit gegen fremde Einrede haben ihren Grund nur in einer besonderen Art von Selbstsucht, welche höher als alles andere das Vergnügen stellt, über sich und andere nur mit eigener Geistestätigkeit zu gebieten. Wir würden es eine Art Eitelkeit nennen, wenn es nicht allerdings etwas Besseres wäre; der Eitelkeit genügt der Schein, der Eigensinn aber beruht auf dem Vergnügen an der Sache.
     Wir sagen also: die Charakterstärke wird zum Eigensinn, sobald das Widerstreben gegen fremde Einsicht nicht aus besserer Überzeugung, nicht aus Vertrauen auf einen höheren Grundsatz, sondern aus einem widerstrebenden Gefühl entsteht. Wenn diese Definition uns auch, wie wir schon eingeräumt haben, praktisch wenig hilft, so wird sie doch verhindern, den Eigensinn für eine bloße Steigerung der Charakterstärke zu halten, während er etwas wesentlich Verschiedenes davon ist, was derselben zwar zur Seite liegt und mit ihr grenzt, aber so wenig ihre Steigerung ist, daß es sogar sehr eigensinnige Menschen gibt, die wegen Mangel an Verstand wenig Charakterstärke haben.
     Nachdem wir in diesen Virtuositäten eines ausgezeichneten Führers im Kriege diejenigen Eigenschaften kennengelernt haben, in welchen Gemüt und Verstand zusammen wirken, kommen wir jetzt zu einer Eigentümlichkeit der kriegerischen Tätigkeit, welche vielleicht als die stärkste betrachtet werden kann, wenn es auch nicht die wichtigste ist, und die ohne Beziehung auf die Gemütskräfte bloß das Geistesvermögen in Anspruch nimmt. Es ist die Beziehung, in welcher der Krieg zu Gegend und Boden steht.
     Diese Beziehung ist erstens ganz unausgesetzt vorhanden, so daß man sich einen kriegerischen Akt unserer gebildeten Heere gar nicht anders als in einem bestimmten Raum vorgehend denken kann; sie ist zweitens von der entscheidendsten Wichtigkeit, weil sie die Wirkungen aller Kräfte modifiziert, zuweilen total verändert; drittens führt sie auf der einen Seite oft zu den kleinsten Zügen der Örtlichkeit, während sie auf der anderen die weitesten Räume umfaßt.
     Auf diese Weise ist es, daß die Beziehung, welche der Krieg zu Gegend und Boden hat, seiner Tätigkeit eine hohe Eigentümlichkeit gibt. Wenn wir an die anderen menschlichen Tätigkeiten denken, die eine Beziehung zu jenem Gegenstande haben, an Garten- und Landbau, an Häuser- und Wasserbauten, an Bergbau, an Jägerei und Forstbetrieb, so sind alle auf sehr mäßige Räume beschränkt, welche sie bald mit genügender Genauigkeit erforschen können. Der Führer im Kriege aber muß das Werk seiner Tätigkeit einem mitwirkenden Raume übergeben, den seine Augen nicht überblicken, den der regste Eifer nicht immer erforschen kann, und mit dem er bei dem beständigen Wechsel auch selten in eigentliche Bekanntschaft kommt. Zwar ist der Gegner im allgemeinen in demselben Fall; aber erstlich ist die gemeinschaftliche Schwierigkeit doch immer eine solche, und es wird der, welcher ihrer durch Talent und Übung Herr wird, einen großen Vorteil auf seiner Seite haben, zweitens findet diese Gleichheit der Schwierigkeit nur im allgemeinen statt, keineswegs in dem einzelnen Fall, wo gewöhnlich einer der beiden Kämpfenden (der Verteidiger) viel mehr von der Örtlichkeit weiß als der andere.
     Diese höchst eigentümliche Schwierigkeit muß eine eigentümliche Geistesanlage besiegen, welche mit einem zu beschränkten Ausdruck der Ortssinn genannt wird. Es ist das Vermögen, sich von jeder Gegend schnell eine richtige geometrische Vorstellung zu machen und als Folge davon sich in ihr jedesmal leicht zurechtzufinden. Offenbar ist dies ein Akt der Phantasie. Zwar geschieht das Auffassen dabei teils durch das körperliche Auge, teils durch den Verstand, der mit seinen aus Wissenschaft und Erfahrung geschöpften Einsichten das Fehlende ergänzt und aus den Bruchstücken des körperlichen Blicks ein Ganzes macht; aber daß dies Ganze nun lebhaft vor die Seele trete, ein Bild, eine innerlich gezeichnete Karte werde, daß dies Bild bleibend sei, die einzelnen Züge nicht immer wieder auseinanderfallen, das vermag nur die Geisteskraft zu bewirken, die wir Phantasie nennen. Wenn ein genialer Dichter oder Maler sich verletzt fühlt, daß wir seiner Göttin eine solche Wirksamkeit zumuten, wenn er die Achseln zuckt, daß ein findiger Jägerbursche darum eine ausgezeichnete Phantasie haben solle, so wollen wir gern einräumen, daß nur von einer sehr beschränkten Anwendung, von einem wahren Sklavendienst derselben die Rede ist. Aber wie weniges dies auch sei, es muß doch von dieser Naturkraft entnommen werden, denn wenn sie ganz abgeht, dann wird es schwer werden, sich die Dinge in ihrem Formenzusammenhange bis zur Anschauung deutlich vorzustellen. Daß ein gutes Gedächtnis dabei sehr zu Hilfe komme, räumen wir gern ein; ob aber das Gedächtnis dann als eine eigene Seelenkraft anzunehmen ist, oder ob es eben in jenem Vorstellungsvermögen liegt, das Gedächtnis für diese Dinge besser zu fixieren, müssen wir um so mehr unausgemacht lassen, als es überhaupt schwer scheint, diese beiden Seelenkräfte in manchen Beziehungen getrennt zu denken.
     Daß Übung und Verstandeseinsicht dabei sehr viel tun, ist nicht zu leugnen. Puységur, der berühmte Generalquartiermeister des berühmten Luxemburg, sagt, daß er sich anfangs in diesem Punkt wenig zugetraut, weil er bemerkt, daß wenn er die Parole weit zu holen gehabt, er jedesmal den Weg verfehlt habe.
     Es ist natürlich, daß auch die Anwendungen dieses Talents sich nach oben hin erweitern. Müssen der Husar und Jäger bei Führung einer Patrouille in Weg und Steg sich leicht finden, und bedarf es dafür immer nur weniger Kennzeichen einer beschränkten Auffassung und Vorstellungsgabe, so muß der Feldherr sich bis zu den allgemeinen geographischen Gegenständen einer Provinz und eines Landes erheben, den Zug der Straßen, Ströme und Gebirge immer lebhaft vor Augen haben, ohne darum den beschränkten Ortssinn entbehren zu können. Zwar sind ihm für die allgemeinen Gegenstände Nachrichten aller Art, Karten, Bücher, Memoiren, und für die Einzelheiten der Beistand seiner Umgebungen eine große Hilfe, aber gewiß ist es dennoch, daß ein großes Talent in schneller und klarer Auffassung der Gegend seinem ganzen Handeln einen leichteren und festeren Schritt verleiht, ihn vor einer gewissen inneren Unbehilflichkeit schützt und weniger abhängig von anderen macht.
     Ist diese Fähigkeit der Phantasie zuzuschreiben, so ist dies auch fast der einzige Dienst, welchen die kriegerische Tätigkeit von dieser ausgelassenen Göttin fordert, die ihr übrigens eher verderblich als nützlich ist. -.
     Wir glauben hiermit diejenigen Äußerungen der Geistes- und Seelenkräfte in Betracht gezogen zu haben, welche durch die kriegerische Tätigkeit der menschlichen Natur abgefordert werden. Überall erscheint der Verstand als eine wesentlich mitwirkende Kraft, und so wird es denn begreiflich, wie das in seinen Erscheinungen so einfache, wenig zusammengesetzte kriegerische Wirken von Leuten ohne ausgezeichnete Verstandeskräfte nicht auf eine ausgezeichnete Art geleistet werden kann.
     Hat man diese Ansicht gewonnen, so ist man nicht mehr genötigt, das Umgehen einer feindlichen Stellung, eine an sich so natürliche, tausendmal dagewesene Sache, und hundert ähnliche für das Werk großer Geistesanstrengung zu halten.
     Freilich ist man gewohnt, den einfachen tüchtigen Soldaten als einen Gegensatz zu denken zu den meditativen oder erfindungs- oder ideenreichen Köpfen und den in Bildungsschmuck aller Art glänzenden Geistern; auch ist dieser Gegensatz keineswegs ohne Realität, aber er beweist nur nicht, daß die Tüchtigkeit des Soldaten bloß in seinem Mute bestände, und daß es nicht auch einer gewissen eigentümlichen Tätigkeit und Tüchtigkeit des Kopfes bedürfte, um nur das zu sein, was man einen guten Degen nennt. Wir müssen immer wieder darauf zurückkommen, daß nichts gewöhnlicher ist als Beispiele von Männern, die ihre Tätigkeit verlieren, sobald sie zu höheren Stellen gelangen, denen ihre Einsichten nicht mehr gewachsen sind; wir müssen aber auch immer wieder daran erinnern, daß wir von vorzüglichen Leistungen reden, von solchen, die Ruf in der Art von Tätigkeit geben, der sie angehören. Es bildet daher jede Stufe des Befehls im Kriege ihre eigene Schicht von erforderlichen Geisteskräften, von Ruhm und Ehre.
     Eine sehr große Kluft liegt zwischen einem Feldherrn, d. h. einem entweder an der Spitze eines ganzen Krieges oder eines Kriegstheaters stehenden General, und der nächsten Befehlshaberstufe unter ihm, aus dem einfachen Grunde, weil dieser einer viel näheren Leitung und Aufsicht unterworfen ist, folglich der eigenen Geistestätigkeit einen viel kleineren Kreis läßt. Dies hat denn veranlaßt, daß die gewöhnliche Meinung eine ausgezeichnete Verstandestätigkeit nur in dieser höchsten Stelle sieht und bis dahin mit dem gemeinen Verstande auszureichen glaubt; ja, man ist nicht abgeneigt, in einem unter den Waffen ergrauten Unterfeldherrn, den seine einseitige Tätigkeit zu einer unverkennbaren Geistesarmut geführt hat, ein gewisses Verdummen zu erblicken und bei aller Verehrung für seinen Mut über seine Einfalt zu lächeln. Es ist nicht unser Vorsatz, diesen braven Leuten ein besseres Los zu erkämpfen; dies würde nichts zu ihrer Wirksamkeit und wenig zu ihrem Glück beitragen, sondern wir wollen nur die Sachen zeigen wie sie sind, und vor dem Irrtum warnen, daß im Kriege ein bloßer Bravo ohne Verstand Vorzügliches leisten könne.
     Wenn wir schon in den niedrigsten Führerstellen für den, welcher ausgezeichnet sein soll, auch ausgezeichnete Geisteskräfte fordern und diese mit jeder Stufe steigern, so folgt daraus von selbst, daß wir eine ganz andere Ansicht von den Leuten haben, welche die zweiten Stellen in einem Heere mit Ruhm bekleiden, und ihre scheinbare Einfalt neben dem Polyhistor, dem federtätigen Geschäftsmann, dem konferierenden Staatsmann soll uns nicht irremachen an der ausgezeichneten Natur ihres werktätigen Verstandes. Freilich geschieht es zuweilen, daß Männer den Ruhm, welchen sie sich in niedrigen Stellen erworben haben, in die höheren mit hinüberbringen, ohne ihn wirklich dort zu verdienen; werden sie nun in diesen nicht viel gebraucht, kommen sie also nicht in die Gefahr, sich Blößen zu geben, so unterscheidet das Urteil nicht so genau, welche Art von Ruf ihnen zukommt, und so tragen solche Männer oft bei, daß man einen geringen Begriff faßt von der Persönlichkeit, die in gewissen Stellen noch zu glänzen vermag.
     Es gehört also von unten herauf zu den ausgezeichneten Leistungen im Kriege ein eigentümlicher Genius. Mit dem Namen des eigentlichen Genius pflegt aber die Geschichte und das Urteil der Nachwelt nur diejenigen Geister zu belegen, die in den ersten, d. h. in den Feldherrnstellen geglänzt haben. Die Ursache ist, weil hier allerdings mit einemmal die Forderungen an Verstand und Geist sehr gesteigert werden.
     Um einen ganzen Krieg oder seine größten Akte, die wir Feldzüge nennen, zu einem glänzenden Ziel zu führen, dazu gehört eine große Einsicht in die höheren Staatsverhältnisse. Kriegführung und Politik fallen hier zusammen, und aus dem Feldherrn wird zugleich der Staatsmann.
     Man gibt Karl XII. nicht den Namen eines großen Genies, weil er die Wirksamkeit seiner Waffen nicht einer höheren Einsicht und Weisheit zu unterwerfen, nicht damit zu einem glänzenden Ziel zu gelangen wußte; man gibt ihn nicht Heinrich IV., weil er nicht lange genug gelebt hat, um mit seiner kriegerischen Wirksamkeit die Verhältnisse mehrerer Staaten zu berühren und in dieser höheren Region sich zu versuchen, wo ein edles Gefühl und ritterliches Wesen nicht soviel über den Gegner vermögen wie bei der Besiegung eines inneren Geistes.
     Um fühlen zu lassen, was hier alles mit einem Blick umfaßt und richtig getroffen sein will, verweisen wir auf unser erstes Kapitel. Wir sagen: der Feldherr wird zum Staatsmann, aber er darf nicht aufhören, das erstere zu sein; er umfaßt mit seinem Blick auf der einen Seite alle Staatsverhältnisse, auf der anderen ist er sich genau bewußt, was er mit den Mitteln leisten kann, die in seiner Hand liegen.
     Da hier die Mannigfaltigkeit und die unbestimmte Grenze aller Beziehungen eine große Menge von Größen in die Betrachtung bringen, da die meisten dieser Größen nur nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen geschätzt werden können, so würde, wenn der Handelnde dies alles nicht mit dem Blick eines die Wahrheit überall ahnenden Geistes träfe, eine Verwicklung von Betrachtungen und Rücksichten entstehen, aus denen sich das Urteil gar nicht mehr herausfinden könnte. In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt, daß viele dem Feldherrn vorliegende Entscheidungen eine Aufgabe mathematischer Kalküls bilden würden, der Kräfte eines Newton und Euler nicht unwürdig.
     Was hier von höheren Geisteskräften gefordert wird, ist Einheit und Urteil, zu einem wunderbaren Geistesblick gesteigert, der in seinem Fluge tausend halbdunkle Vorstellungen berührt und beseitigt, welche ein gewöhnlicher Verstand erst mühsam ans Licht ziehen und an denen er sich erschöpfen würde. Aber diese höhere Geistestätigkeit, dieser Blick des Genies würde doch nicht zur historischen Erscheinung werden, wenn die Gemüts- und Charaktereigenschaften, von denen wir gehandelt haben, ihn nicht unterstützten.
     Das bloße Motiv der Wahrheit ist in dem Menschen nur äußerst schwach, und darum immer ein großer Unterschied zwischen dem Erkennen und Wollen, zwischen dem Wissen und Können. Den stärksten Anlaß zum Handeln bekommt der Mensch immer durch Gefühle und den kräftigsten Nachhalt, wenn man uns den Ausdruck gestatten will, durch jene Legierung von Gemüt und Verstand, die wir in der Entschlossenheit, Festigkeit, Standhaftigkeit und Charakterstärke kennengelernt haben.
     Wenn übrigens diese erhöhte Geistes- und Gemütstätigkeit des Feldherrn sich nicht in dem Totalerfolg seines Wirkens kundtäte und nur auf Treue und Glauben angenommen würde, so würde sie nur selten zur historischen Erscheinung werden.
     Was von dem Gange der kriegerischen Ereignisse bekannt wird, ist gewöhnlich sehr einfach, sieht sich einander sehr ähnlich, und niemand, der sich an die bloße Erzählung hält, sieht von den Schwierigkeiten, die dabei überwunden wurden, etwas ein. Nur hin und wieder kommt in den Memoiren der Feldherren oder ihrer Vertrauten oder bei Gelegenheit einer besonderen historischen Forschung, die sich auf ein Ereignis verbissen hat, ein Teil der vielen Fäden an das Tageslicht, die das ganze Gewebe bilden. Die meisten Überlegungen und Geisteskämpfe, welche einer bedeutenden Ausführung vorhergehen, werden absichtlich verborgen, weil sie politische Interessen berühren, oder geraten zufällig in Vergessenheit, weil sie als bloße Gerüste betrachtet werden, die nach Vollendung des Baues weggenommen werden müssen.
     Wollen wir nun endlich noch, ohne uns an eine nähere Bestimmung der höheren Seelenkräfte zu wagen, einen Unterschied in der Verstandeskraft selbst gelten lassen nach gewohnten Vorstellungen, wie sie sich in der Sprache fixiert haben, und uns dann fragen, welcher Art von Verstand dem kriegerischen Genius am nächsten angehört, so wird uns sowohl der Blick auf den Gegenstand als auf die Erfahrung sagen, daß es mehr die prüfenden als schaffenden, mehr die umfassenden als einseitig verfolgenden, mehr die kühlen als die heißen Köpfe Bind, denen wir im Kriege das Heil unserer Brüder und Kinder, die Ehre und Sicherheit unseres Vaterlandes anvertrauen möchten.
 

     Viertes Kapitel:
     Von der Gefahr im Kriege


     Gewöhnlich macht man sich, ehe man sie kennengelernt hat, eine Vorstellung davon, die eher anziehend als zurückschreckend ist. Im Rausche der Begeisterung sturmschritts auf den Feind eindringen - wer zählt da die Kugeln und die Fallenden -, die Augen wenige Momente zugedrückt, sich dem kalten Tode entgegenzuwerfen, ungewiß, ob wir oder andere ihm entrinnen werden - und dies alles dicht am goldenen Ziel des Sieges - dicht vor der labenden Frucht, nach welcher der Ehrgeiz durstet - kann das schwer sein? Es wird nicht schwer sein, und noch weniger wird es so scheinen. Aber solcher Momente, die dennoch nicht das Werk eines einzigen Pulsschlages sind, wie sie gedacht werden, sondern wie arzneiliche Mischungen mit Zeit verdünnt und verdorben genossen werden müssen - solcher Momente, sagen wir, gibt es nur wenige.
     Begleiten wir den Neuling auf das Schlachtfeld. Wenn wir uns demselben nähern, so wechselt der immer deutlicher werdende Donner des Geschützes endlich mit dem Heulen der Kugeln, welches nun die Aufmerksamkeit des Unerfahrnen auf sich zieht. Kugeln fangen an, nahe vor und hinter uns einzuschlagen. Wir eilen zu dem Hügel, auf welchem der kommandierende General mit seinem zahlreichen Gefolge hält. Hier wird das nahe Einschlagen der Kanonenkugeln, das Zerspringen der Granaten schon so häufig, daß der Ernst des Lebens sich durch das jugendliche Phantasiebild hindurchdrängt. Plötzlich stürzt ein Bekannter - es schlägt eine Granate in den Haufen und bringt einige unwillkürliche Bewegungen hervor - man fängt an zu fühlen, daß man nicht mehr völlig ruhig und gesammelt ist; auch der Bravste wird wenigstens etwas zerstreut. - Jetzt einen Schritt in die Schlacht hinein, die vor uns tobt, fast noch wie ein Schauspiel, zum nächsten Divisionsgeneral; hier folgt Kugel auf Kugel, und der Lärm des eigenen Geschützes mehrt die Zerstreuung. - Vom Divisions- zum Brigadegeneral - dieser, von anerkannter Tapferkeit, hält vorsichtig hinter einem Hügel, einem Hause oder hinter Bäumen; - ein sicherer Exponent der steigenden Gefahr - Kartätschen rasseln in Dächern und Feldern, Kanonenkugeln sausen in allen Richtungen an und über uns weg, und schon stellt sich ein häufiges Pfeifen der Flintenkugeln ein; - noch ein Schritt zu den Truppen, zu der im stundenlangen Feuergefecht mit unbeschreiblicher Standhaftigkeit ausharrenden Infanterie; - hier ist die Luft erfüllt von zischenden Kugeln, die ihre Nähe bald durch den kurzen scharfen Laut verkünden, womit sie zollweit an Ohr, Kopf und Seele vorüberfliegen. Zum Überfluß schlägt das Mitleiden über den Anblick der Verstümmelten und Hinstürzenden mit Jammerschlägen an unser klopfendes Herz.
     Keine dieser verschiedenen Dichtigkeitsschichten der Gefahr wird ein Neuling berühren, ohne zu fühlen, daß das Licht der Gedanken sich hier durch andere Mittel bewege und in anderen Strahlen gebrochen werde als bei der spekulativen Tätigkeit; ja, es müßte der ein sehr außerordentlicher Mensch sein, der bei diesen ersten Eindrücken nicht die Fähigkeit zu einem augenblicklichen Entschluß verlöre. Es ist wahr, die Gewohnheit stumpft diese Eindrücke sehr bald ab; nach einer halben Stunde fangen wir an, gleichgültiger gegen alles zu werden, was uns umgibt, der eine mehr, der andere weniger; aber bis zur völligen Unbefangenheit und zur natürlichen Elastizität der Seele bringt ein gewöhnlicher Mensch es immer nicht - und so mag man denn erkennen, daß mit Gewöhnlichem hier wieder nicht auszureichen ist, welches um so wahrer wird, je größer der Wirkungskreis ist, der ausgefüllt werden soll. Enthusiastische, stoische, angeborene Bravour, gebieterischer Ehrgeiz oder auch lange Bekanntschaft mit der Gefahr, viel von allem dem muß da sein, wenn nicht alle Wirkung in diesem erschwerenden Mittel hinter dem Maß zurückbleiben soll, welches auf dem Zimmer als ein gewöhnliches erscheinen mag.
     Die Gefahr im Kriege gehört zur Friktion desselben, eine richtige Vorstellung davon ist zur Wahrheit der Erkenntnis notwendig, und darum ist ihrer hier Erwähnung geschehen.
 

     Fünftes Kapitel:
     Von der körperlichen Anstrengung im Kriege


     Wenn niemand ein Urteil über kriegerische Ereignisse anders fällen dürfte als in dem Augenblick, wo er von Frost erstarrt oder vor Hitze und Durst verschmachtend, von Mangel und Müdigkeit niedergedrückt ist, so würden wir zwar noch weniger Urteile haben, die objektiv richtig wären, aber sie würden es wenigstens subjektiv sein, d. h. sie würden das Verhältnis des Urteilenden zum Gegenstande genau in sich enthalten. Man erkennt dies schon, wenn man sieht, wie billig herabstimmend, ja schlaff und klein das Urteil derjenigen über die Resultate schlimmer Fälle ist, welche Augenzeugen waren, besonders solange sie sich mitten darin befanden. Dies sei unsere Anschauung, ein Maß des Einflusses, den die körperliche Anstrengung übt, und der Rücksicht, die sie beim Urteil verdient.
     Unter den vielen Dingen im Kriege, für deren Gebrauch keine Polizeitaxe ein Maß festsetzen kann, gehört hauptsächlich die körperliche Anstrengung. Vorausgesetzt, daß sie nicht verschwendet wird, ist sie ein Koeffizient aller Kräfte, und niemand kann genau sagen, wie weit sie getrieben werden darf. Das Merkwürdige aber ist, daß, so wie nur ein starker Arm des Schützen die Sehne des Bogens schärfer spannen kann, so ist auch nur von einem starken Geist zu erwarten, daß er im Kriege die Kräfte seines Heeres höher spannen werde. Denn ein anderes ist es, wenn infolge großer Unglücksfälle ein Heer, von Gefahren umgeben, sich wie niederstürzendes Gemäuer in Trümmer auflöst und seine Rettung nur in der höchsten Anstrengung seiner körperlichen Kräfte finden kann; ein anderes, wenn ein siegreiches Heer, allein von stolzen Empfindungen fortgezogen, von seinem Feldherrn nach freier Willkür geleitet wird. Dieselbe Anstrengung, die dort höchstens Mitleiden erregen könnte, müßte uns hier Bewunderung einflößen, weil sie viel schwerer zu erhalten war.
     Es tritt also hiermit für das ungetrübte Auge einer der Gegenstände ans Licht, die den Bewegungen des Geistes gleichsam im Dunkeln Fesseln anlegen und die Kräfte der Seele im geheimen verzehren.
     Obgleich hier eigentlich nur die Rede ist von der Anstrengung, die der Feldherr vom Heere, der Führer von seinen Untergebenen fordert, also von dem Mut, sie zu begehren, von der Kunst, sie zu erhalten, so darf doch die körperliche Anstrengung des Führers und des Feldherrn selbst nicht übergangen werden; wir müssen, nachdem wir die Analyse des Krieges ehrlich bis zu diesem Punkt getrieben haben, auch das Gewicht dieser zurückgebliebenen Schlacken in Betrachtung ziehen.
     Von der körperlichen Anstrengung ist hier am Ort hauptsächlich die Rede, weil sie wie die Gefahr zu den vornehmsten Ursachen der Friktion gehört, und weil ihr unbestimmtes Maß sie der Natur elastischer Körper ähnlich macht, deren Reibung sich bekanntlich schwer berechnen läßt.
     Daß von diesen Betrachtungen, von diesem Ermessen der erschwerenden Bedingungen des Krieges kein Mißbrauch gemacht werde, dazu hat die Natur unserem Urteil einen leitenden Führer in unserer Empfindungsweise gegeben. So wie ein einzelner sich auf seine persönliche Unvollkommenheit nicht mit Vorteil berufen wird, wenn er beschimpft und gemißhandelt ist, wohl aber dann, wenn er die Beschimpfung glücklich abwies oder glänzend rächte, so wird kein Feldherr und kein Heer den Eindruck einer schimpflichen Niederlage verbessern durch Darstellung derselben Gefahr, Not und Anstrengung, die den Glanz eines Sieges unendlich erhöhen würden. So verbietet uns eine anscheinende Billigkeit, zu der unser Urteil geneigt sein würde, unser Gefühl, welches aber nur ein höheres Urteil ist.
 

     Sechstes Kapitel:
     Nachrichten im Kriege


     Mit dem Worte Nachrichten bezeichnen wir die ganze Kenntnis, welche man von dem Feinde und seinem Lande hat, also die Grundlage aller eigenen Ideen und Handlungen. Man betrachte einmal die Natur dieser Grundlage, ihre Unzuverlässigkeit und Wandelbarkeit, und man wird bald das Gefühl haben, wie gefährlich das Gebäude des Krieges ist, wie leicht es zusammenstürzen und uns unter seinen Trümmern begraben kann. - Denn daß man nur sicheren Nachrichten trauen solle, daß man das Mißtrauen nie von sich lassen müsse, steht wohl in allen Büchern, ist aber ein elender Büchertrost und gehört zu der Weisheit, zu welcher System- und Kompendienschreiber in Ermangelung von etwas Besserem ihre Zuflucht nehmen.
     Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen. Was man hier vom Offizier fordern kann, ist ein gewisses Unterscheiden, was nur Sach- und Menschenkenntnis und Urteil geben können. Das Gesetz des Wahrscheinlichen muß ihn leiten. Diese Schwierigkeit ist nicht unbedeutend bei den ersten Entwürfen, die auf dem Zimmer und noch außer der eigentlichen Kriegssphäre gemacht werden, aber unendlich größer ist sie da, wo im Getümmel des Krieges selbst eine Nachricht die andere drängt; ein Glück noch, wenn sie, einander widersprechend, ein gewisses Gleichgewicht erzeugen und die Kritik selbst herausfordern. Viel schlimmer für den Nichtgeprüften, wenn ihm der Zufall diesen Dienst nicht erweist, sondern eine Nachricht die andere unterstützt, bestätigt, vergrößert, das Bild mit immer neuen Farben ausmalt, bis die Notwendigkeit uns in fliegender Eile den Entschluß abgedrängt hat, der - bald als Torheit erkannt wird, so wie alle jene Nachrichten, als Lügen, Übertreibungen, Irrtümer usw. Mit kurzen Worten: die meisten Nachrichten sind falsch, und die Furchtsamkeit der Menschen wird zur neuen Kraft der Lüge und Unwahrheit. In der Regel ist jeder geneigt, das Schlimme eher zu glauben als das Gute; jeder ist geneigt, das Schlimme etwas zu vergrößern, und die Gefährlichkeiten, welche auf diese Weise berichtet werden, ob sie gleich wie die Wellen des Meeres in sich selbst zusammensinken, kehren doch wie jene ohne sichtbare Veranlassung immer von neuem zurück. Fest im Vertrauen auf sein besseres inneres Wissen muß der Führer dastehen wie der Fels, an dem die Welle sich bricht. Die Rolle ist nicht leicht; wer nicht von Natur mit leichtem Blute begabt oder durch kriegerische Erfahrungen geübt und im Urteil gestärkt ist, mag es sich eine Regel sein lassen, sich gewaltsam, d. h. gegen das innere Niveau seiner eigenen Überzeugung von der Seite der Befürchtungen ab auf die Seite der Hoffnungen hinzuneigen; er wird nur dadurch das wahre Gleichgewicht erhalten können. Diese Schwierigkeit richtig zu sehen, welche eine der allergrößten Friktionen im Kriege ausmacht, läßt die Dinge ganz anders erscheinen, als man sie gedacht hat. Der Eindruck der Sinne ist stärker als die Vorstellungen des überlegenden Kalküls, und dies geht so weit, daß wohl noch nie eine einigermaßen wichtige Unternehmung ausgeführt worden ist, wo der Befehlshaber nicht in den ersten Momenten der Ausführung neue Zweifel bei sich zu besiegen gehabt hätte. Gewöhnliche Menschen, die fremden Eingebungen folgen, werden daher meistens unschlüssig an Ort und Stelle; sie glauben die Umstände anders gefunden zu haben, als sie solche vorausgesetzt hatten, und zwar um so mehr, da sie auch hier sich wieder fremden Eingebungen überlassen. Aber auch der, welcher selbst entwarf und jetzt mit eigenen Augen sieht, wird leicht an seiner vorigen Meinung irre. Festes Vertrauen zu sich selbst muß ihn gegen den scheinbaren Drang des Augenblicks waffnen; seine frühere Überzeugung wird sich bei der Entwicklung bewähren, wenn die vorderen Kulissen, welche das Schicksal in die Kriegsszenen einschiebt, mit ihren dick aufgetragenen Gestalten der Gefahr weggezogen und der Horizont erweitert ist. - Dies ist eine der großen Klüfte zwischen Entwerfen und Ausführen.
 

     Siebentes Kapitel:
     Friktion im Kriege


     Solange man selbst den Krieg nicht kennt, begreift man nicht, wo die Schwierigkeiten der Sache liegen, von denen immer die Rede ist, und was eigentlich das Genie und die außerordentlichen Geisteskräfte zu tun haben, die vom Feldherrn gefordert werden. Alles erscheint so einfach, alle erforderlichen Kenntnisse erscheinen so flach, alle Kombinationen so unbedeutend, daß in Vergleichung damit uns die einfachste Aufgabe der höheren Mathematik mit einer gewissen wissenschaftlichen Würde imponiert. Wenn man aber den Krieg gesehen hat, wird alles begreiflich, und doch ist es äußerst schwer, dasjenige zu beschreiben, was diese Veränderung hervorbringt, diesen unsichtbaren und überall wirksamen Faktor zu nennen.
     Es ist alles im Kriege sehr einfach, aber das Einfachste ist schwierig. Diese Schwierigkeiten häufen sich und bringen eine Friktion hervor, die sich niemand richtig vorstellt, der den Krieg nicht gesehen hat. Man denke sich einen Reisenden, der zwei Stationen am Ende seiner Tagereise noch gegen Abend zurückzulegen denkt, vier bis fünf Stunden mit Postpferden auf der Chaussee; es ist nichts. Nun kommt er auf der vorletzten Station an, findet keine oder schlechte Pferde, dann eine bergige Gegend, verdorbene Wege, es wird finstere Nacht, und er ist froh, die nächste Station nach vielen Mühseligkeiten erreicht zu haben und eine dürftige Unterkunft dort zu finden. So stimmt sich im Kriege durch den Einfluß unzähliger kleiner Umstände, die auf dem Papier nie gehörig in Betrachtung kommen können, alles herab, und man bleibt weit hinter dem Ziel. Ein mächtiger eiserner Wille überwindet diese Friktion, er zermalmt die Hindernisse, aber freilich die Maschine mit. Wir werden noch oft auf das Resultat kommen. Wie ein Obelisk, auf den die Hauptstraßen eines Ortes zugeführt sind, steht in der Mitte der Kriegskunst gebieterisch hervorragend der feste Wille eines stolzen Geistes.
     Friktion ist der einzige Begriff, welcher dem ziemlich allgemein entspricht, was den wirklichen Krieg von dem auf dem Papier unterscheidet. Die militärische Maschine, die Armee und alles, was dazu gehört, ist im Grunde sehr einfach und scheint deswegen leicht zu handhaben. Aber man bedenke, daß kein Teil davon aus einem Stücke ist, daß alles aus Individuen zusammengesetzt ist, deren jedes seine eigene Friktion nach allen Seiten hin behält. Theoretisch klingt es ganz gut: der Chef des Bataillons ist verantwortlich für die Ausführung des gegebenen Befehls, und da das Bataillon durch die Disziplin zu einem Stück zusammengeleimt ist, der Chef aber ein Mann von anerkanntem Eifer sein muß, so dreht sich der Balken um einen eisernen Zapfen mit wenig Friktion. So aber ist es in der Wirklichkeit nicht, und alles, was die Vorstellung Übertriebenes und Unwahres hat, zeigt sich im Kriege auf der Stelle. Das Bataillon bleibt immer aus einer Anzahl Menschen zusammengesetzt, von denen, wenn der Zufall es will, der unbedeutendste imstande ist, einen Aufenthalt oder sonst eine Unregelmäßigkeit zu bewirken. Die Gefahren, welche der Krieg mit sich bringt, die körperlichen Anstrengungen, die er fordert, steigern das Übel so sehr, daß sie als die beträchtlichsten Ursachen desselben angesehen werden müssen.
     Diese entsetzliche Friktion, die sich nicht wie in der Mechanik auf wenig Punkte konzentrieren läßt, ist deswegen überall im Kontakt mit dem Zufall und bringt dann Erscheinungen hervor, die sich gar nicht berechnen lassen, eben weil sie zum großen Teil dem Zufall angehören. Ein solcher Zufall ist z. B. das Wetter. Hier verhindert der Nebel, daß der Feind zu gehöriger Zeit entdeckt wird, daß ein Geschütz zur rechten Zeit schießt, daß eine Meldung den kommandierenden Offizier findet; dort der Regen, daß ein Bataillon ankommt, daß ein anderes zur rechten Zeit kommt, weil es statt drei vielleicht acht Stunden marschieren mußte, daß die Kavallerie wirksam einhauen kann, weil sie im tiefen Boden steckenbleibt usw.
     Diese paar Detailzüge nur zur Deutlichkeit, und damit Verfasser und Leser zusammen bei der Sache bleiben, denn sonst ließen sich von solchen Schwierigkeiten ganze Bände voll schreiben. Um dies zu vermeiden und doch einen deutlichen Begriff von dem Heere kleiner Schwierigkeiten hervorzubringen, womit man im Kriege kämpft, möchten wir uns in Bildern erschöpfen, wenn wir nicht zu ermüden befürchteten. Aber ein paar werden uns auch diejenigen noch zugute halten, die uns längst verstanden haben.
     Das Handeln im Kriege ist eine Bewegung im erschwerenden Mittel. Sowenig man imstande ist, im Wasser die natürlichste und einfachste Bewegung, das bloße Gehen, mit Leichtigkeit und Präzision zu tun, sowenig kann man im Kriege mit gewöhnlichen Kräften auch nur die Linie des Mittelmäßigen halten. Daher kommt es, daß der richtige Theoretiker wie ein Schwimmeister erscheint, der Bewegungen, die fürs Wasser nötig sind, auf dem Trocknen üben läßt, die denen grotesk und übertrieben vorkommen, die nicht an das Wasser denken; daher kommt es aber auch, daß Theoretiker, die selbst nie untergetaucht haben oder von ihren Erfahrungen nichts Allgemeines zu abstrahieren wissen, unpraktisch und selbst abgeschmackt sind, weil sie nur das lehren, was ein jeder kann - gehen.
     Ferner: jeder Krieg ist reich an individuellen Erscheinungen, mithin ist jeder ein unbefahrenes Meer voll Klippen, die der Geist des Feldherrn ahnen kann, die aber sein Auge nie gesehen hat, und die er nun in dunkler Nacht umschiffen soll. Erhebt sich noch ein widriger Wind, d. h. erklärt sich noch irgendein großer Zufall gegen ihn, so ist die höchste Kunst, Geistesgegenwart und Anstrengung da nötig, wo dem Entfernten alles von selbst zu gehen scheint. Die Kenntnis dieser Friktion ist ein Hauptteil der oft gerühmten Kriegserfahrung, welche von einem guten General gefordert wird. Freilich ist der nicht der beste, der die größte Vorstellung davon hat, dem sie am meisten imponiert (dies gibt jene Klasse von ängstlichen Generalen, die unter den Erfahrenen so häufig zu finden sind), sondern der General muß sie kennen, um sie zu überwinden, wo dies möglich ist, und um nicht eine Präzision in den Wirkungen zu erwarten, die eben wegen dieser Friktion nicht möglich ist. - Man wird sie übrigens theoretisch nie ganz kennenlernen, und könnte man es, so würde jene Übung des Urteils immer noch fehlen, die man Takt nennt, und die allemal in einem Felde voll unendlich kleiner und mannigfaltiger Gegenstände nötiger ist als in großen entscheidenden Fällen, wo man mit sich und anderen Konzilium hält. So wie den Weltmann nur der fast zur Gewohnheit gewordene Takt seines Urteils immer passend sprechen, handeln und sich bewegen läßt, so wird nur der kriegserfahrene Offizier bei großen und kleinen Vorfällen, man möchte sagen bei jedem Pulsschlage des Krieges, immer passend entscheiden und bestimmen. Durch diese Erfahrung und Übung kommt ihm der Gedanke von selbst: das eine geht, das andere nicht. Er wird also nicht leicht in den Fall kommen, sich eine Blöße zu geben, was im Kriege, wenn es häufig geschieht, die Grundfeste des Vertrauens erschüttert und äußerst gefährlich ist.
     Die Friktion, oder was hier so genannt ist, ist es also, welche das scheinbar Leichte schwer macht. Wir werden in der Folge noch oft auf diesen Gegenstand zurückkommen, und es wird dann auch klar werden, daß außer Erfahrung und einem starken Willen noch manche andere seltene Eigenschaften des Geistes zum ausgezeichneten Feldherrn erforderlich sind.
 

     Achtes Kapitel:
     Schlußbemerkungen zum ersten Buch


     Wir haben mit der Gefahr, den körperlichen Anstrengungen, den Nachrichten und der Friktion diejenigen Gegenstände genannt, welche sich als Elemente in der Atmosphäre des Krieges zusammenfinden und dieselbe zu einem erschwerenden Mittel für alle Tätigkeit machen. Sie lassen sich also in ihren hindernden Wirkungen wieder unter dem Gesamtbegriff einer allgemeinen Friktion zusammenfassen. - Gibt es nun kein milderndes Öl für diese Reibung? - Nur eins, und dieses eine steht dem Feldherrn und dem Kriegsheer nicht nach Willkür zu Gebote: es ist die Kriegsgewohnheit des Heeres.
     Gewohnheit stärkt den Körper in großen Anstrengungen, die Seele in großen Gefahren, das Urteil gegen den erstem Eindruck. Überall wird durch sie eine kostbare Besonnenheit gewonnen, welche vom Husaren und Schützen bis zum Divisionsgeneral hinaufreicht und dem Feldherrn das Handeln erleichtert.
     Wie das menschliche Auge im finsteren Zimmer seine Pupille erweitert, das wenige vorhandene Licht einsaugt, nach und nach die Dinge notdürftig unterscheidet und zuletzt ganz gut Bescheid weiß, so der geübte Soldat im Kriege, während dem Neulinge nur die stockfinstere Nacht entgegentritt.
     Kriegsgewohnheit kann kein Feldherr seinem Heere geben, und schwach ist der Ersatz, den Friedensübungen gewähren; schwach im Vergleich mit der wirklichen Kriegserfahrung, aber nicht im Vergleich mit einem Heere, wo auch diese Übungen nur auf mechanische Kunstfertigkeiten gerichtet sind. Die Übungen des Friedens so einzurichten, daß ein Teil jener Friktionsgegenstände darin vorkomme, das Urteil, die Umsichtigkeit, selbst die Entschlossenheit der einzelnen Führer geübt werde, ist von viel größerem Wert, als diejenigen glauben, welche den Gegenstand nicht aus Erfahrung kennen. Es ist unendlich wichtig, daß der Soldat, hoch oder niedrig, auf welcher Stufe er auch stehe, diejenigen Erscheinungen des Krieges, die ihn beim erstenmal in Verwunderung und Verlegenheit setzen, nicht erst im Kriege zum erstenmal sehe; sind sie ihm früher nur ein einziges Mal vorgekommen, so ist er schon halb damit vertraut. Das bezieht sich selbst auf körperliche Anstrengungen. Sie müssen geübt werden, weniger, daß sich die Natur, als daß sich der Verstand daran gewöhne. Im Kriege ist der neue Soldat sehr geneigt, ungewöhnliche Anstrengungen für Folgen großer Fehler, Irrungen und Verlegenheiten in der Führung des Ganzen zu halten und dadurch doppelt niedergedrückt zu werden. Dies wird nicht geschehen, wenn er bei Friedensübungen darauf vorbereitet wird.
     Ein anderes, weniger umfassendes, aber doch höchst wichtiges Mittel, die Kriegsgewohnheit im Frieden zu gewinnen, ist das Heranziehen kriegserfahrener Offiziere anderer Heere. Selten ist in Europa überall Frieden, und nie geht der Krieg in den anderen Weltteilen aus. Ein Staat, der lange im Frieden ist, sollte also stets suchen, von diesen Kriegsschauplätzen sich einzelne Offiziere, aber freilich nur solche, die gut gedient haben, zu verschaffen, oder von den seinigen einige dahin zu schicken, damit sie den Krieg kennenlernen.
     Wie gering auch die Anzahl solcher Offiziere zur Masse eines Heeres erscheinen möge, so ist doch ihr Einfluß sehr fühlbar. Ihre Erfahrungen, die Richtung ihres Geistes, die Ausbildung des Charakters wirken auf ihre Untergebenen und Kameraden, und außerdem sind sie auch dann, wenn sie nicht an die Spitze eines Wirkungskreises gestellt werden können, als der Gegend kundige Männer zu betrachten, die man in vielen einzelnen Fällen befragen kann.