B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Carl von Clausewitz
1780 - 1831
     
   


V o m   K r i e g e
Z w e i t e r   T e i l


S e c h s t e s   B u c h
Verteidigung

Kapitel 1 - 11

________________________________________________

1. Kapitel   Angriff und Verteidigung
2. Kapitel   Wie verhalten sich Angriff und Verteidigung in der Taktik zueinander
3. Kapitel   Wie verhalten sich Angriff und Verteidigung in der Strategie zueinander
4. Kapitel   Konzentrizität des Angriffs und Exzentrizität der Verteidigung
5. Kapitel   Charakter der strategischen Verteidigung
6. Kapitel   Umfang der Verteidigungsmittel
7. Kapitel   Wechselwirkung von Angriff und Verteidigung
8. Kapitel   Widerstandsarten
9. Kapitel   Die Verteidigungsschlacht
10. Kapitel   Festungen
11. Kapitel   Fortsetzung des vorigen Kapitels


________________________________________________
 

     Erstes Kapitel:
     Angriff und Verteidigung


     1.
     Begriff der Verteidigung


     Was ist der Begriff der Verteidigung? Das Abwehren eines Stoßes. Was ist also ihr Merkmal? Das Abwarten dieses Stoßes. Dieses Merkmal also macht jedesmal die Handlung zu einer verteidigenden, und durch dieses Merkmal allein kann im Kriege die Verteidigung vom Angriff geschieden werden. Da aber eine absolute Verteidigung dem Begriff des Krieges völlig widerspricht, weil bei ihr nur der eine Krieg führen würde, so kann auch im Kriege die Verteidigung nur relativ sein, und jenes Merkmal muß also nur auf den Totalbegriff angewendet, nicht auf alle Teile von ihm ausgedehnt werden. Ein partielles Gefecht ist verteidigend, wenn wir den Anlauf, den Sturm des Feindes abwarten; eine Schlacht, wenn wir den Angriff, d. h. das Erscheinen vor unserer Stellung, in unserem Feuer abwarten; ein Feldzug, wenn wir das Betreten unseres Kriegstheaters abwarten. In allen diesen Fällen kommt dem Gesamtbegriff das Merkmal des Abwartens und Abwehrens zu, ohne daß daraus ein Widerspruch mit dem Begriff des Krieges folgt, denn man kann seinen Vorteil darin finden, den Anlauf gegen unsere Bajonette, den Angriff auf unsere Stellung und auf unser Kriegstheater abzuwarten. Da man aber, um wirklich auch seinerseits Krieg zu führen, dem Feinde seine Stöße zurückgeben muß, so geschieht dieser Aktus des Angriffs im Verteidigungskriege gewissermaßen unter dem Haupttitel der Verteidigung, d. h. die Offensive, deren wir uns bedienen, fällt innerhalb der Begriffe von Stellung oder Kriegstheater. Man kann also in einem verteidigenden Feldzuge angriffsweise schlagen, in einer verteidigenden Schlacht angriffsweise seine einzelnen Divisionen gebrauchen, endlich in der einfachen Aufstellung gegen den feindlichen Sturm schickt man ihm sogar noch die offensiven Kugeln entgegen. Die verteidigende Form des Kriegführens ist also kein unmittelbares Schild, sondern ein Schild, gebildet durch geschickte Streiche.

     2.
     Vorteile der Verteidigung


     Was ist der Zweck der Verteidigung? Erhalten. Erhalten ist leichter als gewinnen, schon daraus folgt, daß die Verteidigung bei vorausgesetzten gleichen Mitteln leichter sei als der Angriff. Worin liegt aber die größere Leichtigkeit des Erhaltens oder Bewahrens? Darin, daß alle Zeit, welche ungenutzt verstreicht, in die Waagschale des Verteidigers fällt. Er erntet, wo er nicht gesäet hat. Jedes Unterlassen des Angriffs aus falscher Ansicht, aus Furcht, aus Trägheit, kommt dem Verteidiger zugute. Dieser Vorteil hat den preußischen Staat im Siebenjährigen Kriege mehr als einmal vom Untergang gerettet. - Dieser aus Begriff und Zweck sich ergebende Vorteil der Verteidigung liegt in der Natur aller Verteidigung und ist im übrigen Leben, besonders in dem dem Kriege so ähnlichen Rechtsverkehr, durch das lateinische Sprichwort beati sunt possidentes fixiert. Ein anderer, der nur aus der Natur des Krieges hinzukommt, ist der Beistand der örtlichen Lage, welche die Verteidigung vorzugsweise genießt.
     Nach Feststellung dieser allgemeinen Begriffe wollen wir uns mehr zur Sache wenden.
     In der Taktik ist also jedes Gefecht, groß oder klein, ein verteidigendes, wenn wir dem Feinde die Initiative überlassen und sein Erscheinen vor unserer Fronte abwarten. Von diesem Augenblick an können wir uns aller offensiven Mittel bedienen, ohne daß wir die beiden genannten Vorteile der Verteidigung, nämlich den des Abwartens und den der Gegend, verlieren. In der Strategie tritt zuerst der Feldzug an die Stelle des Gefechts und das Kriegstheater an die Stelle der Stellung; sodann aber auch der ganze Krieg wieder an die Stelle des Feldzuges und das ganze Land an die Stelle des Kriegstheaters, und in beiden Fällen bleibt die Verteidigung, was sie in der Taktik war.
     Daß die Verteidigung leichter sei als der Angriff, ist schon im allgemeinen bemerkt, da aber die Verteidigung einen negativen Zweck hat, das Erhalten, und der Angriff einen positiven, das Erobern, und da dieser die eigenen Kriegsmittel vermehrt, das Erhalten aber nicht, so muß man, um sich bestimmt auszudrücken, sagen: die verteidigende Form des Kriegführens ist an sich stärker als die angreifende. Auf dies Resultat haben wir hinausgewollt; denn ob es gleich ganz in der Natur der Sache liegt und von der Erfahrung tausendfältig bestätigt wird, so läuft es dennoch der herrschenden Meinung völlig entgegen - ein Beweis, wie sich die Begriffe durch oberflächliche Schriftsteller verwirren können.
     Ist die Verteidigung eine stärkere Form des Kriegführens, die aber einen negativen Zweck hat, so folgt von selbst, daß man sich ihrer nur solange bedienen muß, als man sie der Schwäche wegen bedarf, und sie verlassen muß, sobald man stark genug ist, sich den positiven Zweck vorzusetzen. Da man nun, indem man unter ihrem Beistand Sieger wird, gewöhnlich ein günstigeres Verhältnis der Kräfte herbeiführt, so ist auch der natürliche Gang im Kriege, mit der Verteidigung anzufangen und mit der Offensive zu enden. Es ist also ebensogut im Widerspruch mit dem Begriff des Krieges, den letzten Zweck die Verteidigung sein zu lassen, als es Widerspruch war, die Passivität der Verteidigung nicht bloß vom Ganzen, sondern von allen seinen Teilen zu verstehen. Mit anderen Worten: Ein Krieg, bei dem man seine Siege bloß zum Abwehren benutzen, gar nicht widerstoßen wollte, wäre ebenso widersinnig als eine Schlacht, in der die absoluteste Verteidigung (Passivität) in allen Maßregeln herrschen sollte.
     Gegen die Richtigkeit dieser allgemeinen Vorstellung könnte man viele Beispiele von Kriegen anführen, wo die Verteidigung in ihrem letzten Ziel nur verteidigend blieb, und an eine offensive Rückwirkung nicht gedacht war; das könnte man, wenn man vergäße, daß hier von einer allgemeinen Vorstellung die Rede ist, und daß die Beispiele, welche man derselben entgegenstellen könnte, sämtlich als solche Falle zu betrachten sind, wo die Möglichkeit der offensiven Rückwirkung noch nicht gekommen war.
     Im Siebenjährigen Kriege z. B. dachte Friedrich der Große, wenigstens in den letzten drei Jahren desselben, nicht an eine Offensive; ja wir glauben sogar, daß er überhaupt seine Offensive in diesem Kriege nur wie ein besseres Mittel der Verteidigung angesehen hat; seine ganze Lage nötigte ihn dazu, und es ist natürlich, daß ein Feldherr nur dasjenige im Auge hat, was in seiner Lage zunächst begründet ist. Nichtsdestoweniger kann man dieses Beispiel einer Verteidigung im großen nicht betrachten, ohne dabei den Gedanken einer möglichen offensiven Rückwirkung gegen Österreich dem Ganzen zum Grunde zu legen und sich zu sagen: der Augenblick dazu war nur bis dahin nicht gekommen. Daß diese Vorstellung auch bei diesem Beispiel nicht ohne Realität war, zeigt der Friede; was hatte die Österreicher anders zum Frieden bewegen können als der Gedanke, daß sie allein nicht imstande sein würden, mit ihrer Macht dem Talent des Königs das Gleichgewicht zu halten, daß ihre Anstrengungen in jedem Fall noch größer sein müßten als bisher, und daß bei dem mindesten Nachlasse derselben ein neuer Länderverlust zu fürchten sei. Und in der Tat, wer könnte bezweifeln, daß Friedrich der Große, wenn Rußland, Schweden und die Reichsarmee seine Kräfte nicht in Anspruch nahmen, gesucht haben würde, die Österreicher wieder in Böhmen und Mähren zu besiegen?
     Nachdem wir also den Begriff der Verteidigung, wie er im Kriege allein genommen werden kann, festgestellt, nachdem wir die Grenze der Verteidigung angegeben haben, kehren wir noch einmal zu der Behauptung zurück, die Verteidigung sei die stärkere Form des Kriegführens
     Aus der näheren Betrachtung und Vergleichung des Angriffs und der Verteidigung wird dies völlig klar hervorgehen; jetzt aber wollen wir nur die Bemerkung machen, in welchen Widersprüchen mit sich selbst und mit der Erfahrung die umgekehrte Behauptung steht. Wäre die angreifende Form die stärkere, so gäbe es keinen Grund mehr, die verteidigende je zu gebrauchen, da diese ohnehin den bloß negativen Zweck hat; jedermann müßte also angreifen wollen, und die Verteidigung wäre ein Unding. Umgekehrt aber ist es sehr natürlich, daß man den höheren Zweck mit größeren Opfern erkauft. Wer stark genug zu sein glaubt, sich der schwächeren Form zu bedienen, der darf den größeren Zweck wollen; wer sich in den geringeren Zweck setzt, kann es nur tun, um den Vorteil der stärkeren Form zu genießen. - Sieht man auf die Erfahrung, so wäre es wohl etwas Unerhörtes, daß man bei zwei Kriegstheatern mit der schwächeren Armee den Angriff führte und die stärkere auf die Verteidigung ließe. Ist es aber von jeher und überall umgekehrt gewesen, so beweist das wohl, daß die Feldherren, selbst bei eigener entschiedener Neigung für den Angriff, dennoch die Verteidigung für stärker halten. Wir müssen in den nächsten Kapiteln noch einige vorläufige Punkte erläutern.

 
     Zweites Kapitel:
     Wie verhalten sich Angriff und
     Verteidigung in der Taktik zueinander


     Zuerst müssen wir uns nach den Umständen umsehen, welche im Gefechte den Sieg geben.
     Von der Überlegenheit und Tapferkeit, Übung oder anderen Eigenschaften des Heeres ist hier nicht zu reden, weil sie in der Regel von Dingen abhängen, die außerdem Gebiete derjenigen Kriegskunst liegen, von der hier die Rede ist, übrigens bei Angriff und Verteidigung dieselbe Wirksamkeit äußern würden; ja, auch die Überlegenheit in der Zahl im allgemeinen kann hier nicht in Betrachtung kommen, da die Anzahl der Truppen gleichfalls ein Gegebenes ist und nicht in der Willkür des Feldherrn steht. Auch haben diese Dinge zum Angriff und zur Verteidigung keine besondere Beziehung. Außerdem aber scheinen uns nur noch drei Sachen von entscheidendem Vorteil zu sein, nämlich: die Überraschung, der Vorteil der Gegend und der Anfall von mehreren Seiten. Die Überraschung zeigt sich wirksam dadurch, daß man dem Feinde auf einem Punkt viel mehr Truppen entgegenstellt, als er es erwartete. Diese Überlegenheit der Zahl ist von der allgemeinen sehr verschieden, sie ist das wichtigste Agens der Kriegskunst. - Wie der Vorteil der Gegend zum Siege beiträgt, ist an sich verständlich genug, und es ist nur das eine zu bemerken, daß hier nicht bloß von den Hindernissen die Rede ist, welche dem Angreifenden bei seinem Vorrücken aufstoßen, wie: steile Gründe, hohe Berge, sumpfige Bäche, Hecken usw., sondern daß es auch ein Vorteil der Gegend ist, wenn sie uns Gelegenheit gibt, uns verdeckt darin aufzustellen; selbst von einer ganz gleichgültigen Gegend kann man sagen, daß der ihren Beistand genießt, der sie kennt. Der Anfall von mehreren Seiten schließt alle taktischen Umgehungen, groß und klein, in sich, und seine Wirkung gründet sich teils auf doppelte Wirksamkeit der Feuerwaffen, teils auf die Furcht vor dem Abschneiden.
     Wie verhalten sich nun Angriff und Verteidigung in Rücksicht auf diese Dinge?
     Wenn man die oben entwickelten drei Prinzipe des Sieges im Auge hat, so ergibt sich für diese Frage, daß der Angreifende nur einen geringen Teil des ersten und letzten Prinzips für sich hat, während der größere Teil und das zweite Prinzip ausschließend dem Verteidiger zu Gebote steht.
     Der Angreifende hat nur den Vorteil des eigentlichen Überfalles des Ganzen mit dem Ganzen, während der Verteidiger im Laufe des Gefechts durch Stärke und Form seiner Anfälle unaufhörlich zu überraschen imstande ist.
     Der Angreifende hat eine größere Leichtigkeit, das Ganze einzuschließen und abzuschneiden als der Verteidiger, weil dieser schon steht, während jener sich noch in Beziehung auf dieses Stehen bewegt. Aber dieses Umgehen bezieht sich auch wieder nur auf das Ganze, denn im Laufe des Gefechts und für die einzelnen Teile ist der Anfall von mehreren Seiten dem Verteidiger leichter als dem Angreifenden, weil er, wie oben gesagt ist, durch Form und Stärke seiner Anfälle zu überraschen mehr imstande ist
     Daß der Verteidiger den Beistand der Gegend vorzugsweise genießt, ist an sich klar; was aber die Überlegenheit in der Überraschung durch Stärke und Form der Anfälle betrifft, so folgt daraus, daß der Angreifende auf Straßen und Wegen einherziehen muß, wo es nicht schwer wird, ihn zu beobachten, während der Verteidiger sich verdeckt aufstellt und bis zum entscheidenden Augenblicke dem Angreifenden fast unsichtbar bleibt. - Seitdem die rechte Art der Verteidigung Mode geworden ist, sind Rekognoszierungen ganz aus der Mode gekommen, d. h. sie sind unmöglich geworden. Man rekognosziert zwar noch zuweilen, aber man bringt selten viel mit nach Hause. So unendlich groß der Vorteil ist, sich die Gegend zu seiner Aufstellung aussuchen zu können und mit ihr vor dem Gefecht völlig bekannt zu sein, so einfach es ist, daß der, welcher sich in dieser Gegend in den Hinterhalt legt, der Verteidiger, seinen Gegner viel mehr überraschen muß als der Angreifende, so hat man sich doch noch zur Stunde von den alten Begriffen nicht losmachen können, als sei eine angenommene Schlacht schon eine halb verlorene. Dies kommt von der Art von Verteidigung, die vor zwanzig Jahren und zum Teil auch im Siebenjährigen Kriege Mode war, wo man vom Terrain keinen anderen Beistand als den einer schwer zugänglichen Front (steile Berglehnen usw.) erwartete, wo die dünne Aufstellung und die Unbeweglichkeit der Flanken eine solche Schwäche gab, daß man sich von einem Berge zum anderen hinneckte und dadurch das Übel immer ärger machte. Hatte man nun eine Art von Anlehnung gefunden, so kam alles darauf an, daß in dieser wie auf einen Stickrahmen ausgespannten Armee kein Loch gestoßen wurde. Das besetzte Terrain bekam auf jedem Punkt einen unmittelbaren Wert, mußte also unmittelbar verteidigt werden. Da konnte also in der Schlacht weder von einer Bewegung noch Überraschung die Rede sein; es war der völlige Gegensatz von dem, was eine gute Verteidigung sein kann, und was sie in der neueren Zeit auch wirklich geworden ist. -
     Eigentlich ist die Geringschätzung der Verteidigung immer die Folge einer Epoche, wo eine gewisse Manier der Verteidigung sich selbst überlebt hat, und das war dann auch der Fall mit der oben erwähnten, die früher ihre Zeit hatte, wo sie dem Angriff wirklich überlegen war.
     Gehen wir die Ausbildung der neueren Kriegskunst durch, so war im Anfange, d. h. im Dreißigjährigen und im Spanischen Erbfolgekriege, die Entwicklung und Aufstellung der Armee eine der großen Hauptsachen in der Schlacht. Sie war der größte Teil des Schlachtenplanes. Dies gab dem Verteidiger in der Regel große Vorteile, weil er schon aufgestellt und entwickelt war. Sobald die Manövrierfähigkeit der Truppen größer wurde, hörte dieser Vorteil auf, und der Angreifende bekam auf eine Zeitlang das Übergewicht. Nun suchte der Verteidiger Schutz hinter Flüssen, tiefen Taleinschnitten und auf Bergen. Dadurch bekam er abermals ein entschiedenes Übergewicht, welches solange dauerte, bis der Angreifende so beweglich und gewandt wurde, daß er sich in die durchschnittene Gegend selbst wagen und in getrennten Kolonnen angreifen, also den Gegner umgehen konnte. Dies führte zu der immer größeren Ausdehnung, bei welcher nun der Angreifende auf die Idee gebracht werden mußte, sich auf ein Paar Punkte zu konzentrieren und die dünne Stellung zu durchstoßen. Dadurch bekam der Angreifende das Übergewicht zum drittenmal, und die Verteidigung mußte ihr System abermals ändern. Das hat sie in den letzten Kriegen getan. Sie hat ihre Kräfte in großen Massen zusammengehalten, diese meistens unentwickelt, wo es anging, auch verdeckt aufgestellt, und sich also bloß in Bereitschaft gesetzt, den Maßregeln der Angreifenden zu begegnen, wenn diese sich näher entwickeln würden.
     Dies schließt nicht die teilweise passive Verteidigung des Bodens ganz aus; der Vorteil davon ist zu entschieden, als daß die Benutzung desselben nicht hundertmal in einem Feldzuge vorkommen sollte. Aber diese passive Verteidigung des Bodens ist gewöhnlich nicht mehr die Hauptsache, und darauf kommt es hier an.
     Sollte der Angreifende irgendein neues großes Hilfsmittel erfinden, welches doch bei der Einfachheit und inneren Notwendigkeit, zu der alles gediehen ist, nicht wohl abzusehen ist, so wird die Verteidigung auch ihr Verfahren ändern müssen. Immer aber wird ihr der Beistand der Gegend gewiß sein, und weil Gegend und Boden jetzt mehr als je den kriegerischen Akt mit ihren Eigentümlichkeiten durchdringen, ihr im allgemeinen ihre natürliche Überlegenheit sichern.

 
     Drittes Kapitel:
     Wie verhalten sich Angriff und
     Verteidigung in der Strategie zueinander


     Fragen wir wieder zuerst:
     Welches sind die Umstände, die in der Strategie den glücklichen Erfolg geben?
     In der Strategie gibt es keinen Sieg, wie das schon früher gesagt ist. Der strategische Erfolg ist von der einen Seite die glückliche Vorbereitung des taktischen Sieges; je größer dieser Erfolg ist, um so unbezweifelter wird der Sieg im Gefecht. Von der anderen Seite ist der strategische Erfolg die Benutzung des erfochtenen Sieges. Je mehr Ereignisse die Strategie imstande gewesen ist, durch ihre Kombinationen nach einer gewonnenen Schlacht in die Folgen derselben hineinzuziehen, je mehr sie da der nachfallenden Trümmer, deren Grundfeste durch die Schlacht erschüttert worden, an sich reißen kann, je mehr sie mit großen Zügen scharenweise eintreibt, was in der Schlacht selbst mühevoll einzeln errungen werden mußte, um so glücklicher ist ihr Erfolg. - Diejenigen Dinge nun, welche diesen Erfolg vorzüglich herbeiführen oder erleichtern, also die Hauptprinzipe der strategischen Wirksamkeit, sind folgende:
     1. Der Vorteil der Gegend.
     2. Die Überraschung, entweder wie im eigentlichen Überfall oder durch die unvermutete Aufstellung größerer Kräfte auf gewissen Punkten.
     3. Der Anfall von mehreren Seiten; alle drei wie in der Taktik.
     4. Der Beistand des Kriegstheaters durch Festungen und alles, was dazugehört.
     5. Der Beistand des Volkes.
     6. Die Benutzung großer moralischer Kräfte *).
     Wie verhalten sich nun Angriff und Verteidigung in Rücksicht auf diese Dinge?
     Der Verteidiger hat den Vorteil der Gegend, der Angreifende den des Überfalles; dies ist in der Strategie wie in der Taktik. Vom Überfall ist aber zu bemerken, daß er in der Strategie ein unendlich viel wirksameres und wichtigeres Mittel ist als in der Taktik. In dieser wird man einen Überfall selten bis zum großen Sieg ausdehnen können, wogegen ein Überfall in der Strategie nicht selten den ganzen Krieg mit einem Streich geendigt hat. Wieder aber ist zu bemerken, daß der Gebrauch dieses Mittels große, entschiedene, seltene Fehler beim Gegner voraussetzt, daher es in die Waagschale des Angriffs kein sehr großes Gewicht legen kann.
     Die Überraschung des Gegners durch Aufstellen überlegener Kräfte auf gewissen Punkten hat wieder sehr viel Ähnliches mit dem analogen Fall in der Taktik. Wäre der Verteidiger gehalten, seine Kräfte auf mehrere Zugangspunkte seines Kriegstheaters zu verteilen, so hätte der Angreifende offenbar den Vorteil, mit voller Macht auf einen Teil zu fallen.
     Allein auch hier hat die neue Verteidigungskunst durch ein anderes Verfahren unmerklich andere Grundsätze herbeigeführt. Befürchtet der Verteidigende nicht, daß sich der Gegner in einer nicht besetzten Straße auf ein bedeutendes Magazin oder Depot oder auf eine unvorbereitete Festung oder auf die Hauptstadt werfe, - oder muß er sich nicht deswegen dem Angreifenden auf der gewählten Straße gerade entgegenwerfen, weil er sonst den Rückzug verlieren würde, so ist kein Grund vorhanden, seine Kräfte zu verteilen; denn wenn der Angreifende eine andere Straße wählt als die, auf welcher er den Verteidiger findet, so kann dieser ihn einige Tage später immer noch mit seiner ganzen Macht auf dieser Straße aufsuchen; ja er kann sogar in den meisten Fällen sicher sein, daß der Angreifende ihm die Ehre erzeigen wird, ihn selbst aufzusuchen. - Sieht sich aber der letztere veranlaßt, selbst mit geteilten Kräften vorzurücken, welches der Verpflegung wegen oft kaum zu vermeiden ist, so ist der Verteidigende offenbar in dem Vorteil, mit seiner ganzen Macht auf einen Teil seines Gegners fallen zu können.
     Die Flanken- und Rückenangriffe verändern ihre Natur in der Strategie, wo sie sich auf den Rücken und die Seiten der Kriegstheater beziehen, in einem hohen Grade.
     1. Fällt die doppelte Wirkung des Feuers weg, weil man nicht von dem einen Ende des Kriegstheaters bis zum anderen hinschießt.
     2. Die Furcht, den Rückzug zu verlieren, ist bei dem Umgangenen sehr viel schwächer, denn die Räume lassen sich in der Strategie nicht sperren wie in der Taktik.
     3. Es tritt in der Strategie des größeren Raumes wegen die Wirksamkeit der inneren, d. h. der kürzeren Linien stärker hervor und bildet ein großes Gegengewicht gegen die Anfälle von mehreren Seiten.
     4. Ein neues Prinzip erscheint in der Empfindlichkeit der Verbindungslinien, d. h. in der Wirkung, welche aus ihrer bloßen Unterbrechung hervorgeht.
     Nun ist es allerdings in der Natur der Sache, daß in der Strategie wegen der größeren Räume das Umfassen, der Anfall von mehreren Seiten, in der Regel nur demjenigen zusteht, welcher die Initiative hat, also dem Angreifenden, und daß der Verteidiger nicht wie in der Taktik imstande ist, im Verlauf der Handlung den Umfassenden wieder zu umfassen, weil er seine Streitkräfte weder in solcher verhältnismäßigen Tiefe, noch so verborgen aufstellen kann; aber was hilft dem Angriff die Leichtigkeit des Umfassens, wenn die Vorteile desselben nicht vorhanden sind? Man würde daher in der Strategie den umfassenden Angriff überhaupt nicht als ein Prinzip des Sieges aufstellen können, wenn nicht die Wirkung auf die Verbindungslinien in Betrachtung käme. Aber dieser Faktor ist im ersten Augenblick, wo Angriff und Verteidigung einander begegnen und noch in ihrer einfachen Stellung gegeneinander sind, selten groß; er wird erst groß im Verlauf eines Feldzuges, wenn der Angreifende in Feindes Land nach und nach zum Verteidiger wird; dann werden die Verbindungslinien dieses neuen Verteidigers schwach, und der ursprüngliche Verteidiger kann von dieser Schwäche als Angreifender Nutzen ziehen. Wer sieht aber nicht, daß diese Überlegenheit des Angriffs ihm im allgemeinen nicht zugerechnet werden kann, da sie eigentlich aus höheren Verhältnissen der Verteidigung geschöpft ist!
     Das vierte Prinzip, der Beistand des Kriegstheaters, ist natürlich auf der Seite des Verteidigers. Wenn die angreifende Armee den Feldzug eröffnet, so reißt sie sich von ihrem Kriegstheater los und wird dadurch geschwächt, d. h. sie läßt Festungen und Depots aller Art zurück. Je größer der Operationsraum ist, den sie zu durchschreiten hat, um so mehr wird sie geschwächt (durch den Marsch und durch Besatzungen); die verteidigende Armee bleibt mit allem dem verbunden, d. h. sie genießt den Beistand ihrer Festungen, wird durch nichts geschwächt und ist ihren Hilfsquellen näher.
     Der Beistand des Volkes als fünftes Prinzip findet zwar nicht bei jeder Verteidigung statt, denn es kann einen Verteidigungsfeldzug in Feindes Land geben, aber dieses Prinzip geht doch nur aus dem Begriff der Verteidigung hervor und findet seine Anwendung in den allermeisten Fällen. Übrigens ist hiermit vorzugsweise, aber doch nicht ausschließend, die Wirksamkeit eines Landsturmes und einer Nationalbewaffnung gemeint, und es gehört auch dahin, daß alle Friktion geringer und alle Hilfsquellen näher sind und reichhaltiger fließen.
     Eine deutliche Anschauung von der Wirksamkeit der unter 3 und 4 genannten Mittel wie im Vergrößerungsspiegel gibt der Feldzug von 1812: 500000 Mann gingen über den Njemen, 120000 schlugen die Schlacht von Borodino, und noch weniger kamen nach Moskau.
     Man kann sagen: die Wirkung dieses ungeheuren Versuches war so groß, daß die Russen, auch wenn sie gar keine Offensive hätten folgen lassen, sich doch auf geraume Zeit vor einem neuen Einbruch gesichert haben würden. Freilich ist mit Ausnahme Schwedens kein europäisches Land in einer ähnlichen Lage wie Rußland, aber das wirkende Prinzip bleibt dasselbe und unterscheidet sich nur in dem Grade der Stärke.
     Fügt man dem vierten und fünften Prinzip die Betrachtung hinzu, daß diese Kräfte der Verteidigung sich auf die ursprüngliche, nämlich auf die im eigenen Lande beziehen und geschwächt werden, wenn die Verteidigung auf feindlichen Boden verpflanzt und in Offensivunternehmungen verflochten ist, so wird daraus ungefähr wie oben beim dritten Prinzip ein neuer Nachteil des Angriffs; denn sowenig die Verteidigung aus bloß abwehrenden Elementen zusammengesetzt ist, ebensowenig ist der Angriff aus lauter aktiven Elementen zusammengesetzt, sogar muß sich jeder Angriff, der nicht unmittelbar zum Frieden führt, mit einer Verteidigung endigen.
     Werden nun alle Verteidigungselemente, die im Angriff vorkommen, durch seine Natur, d. i. dadurch, daß sie ihm angehören, geschwächt, so muß dies wohl als ein allgemeiner Nachteil desselben betrachtet werden.
     Dies ist so wenig eine mäßige Spitzfindigkeit, daß hierin vielmehr der Hauptnachteil alles Angriffs liegt, und daß man daher bei jedem Entwurf zu einem strategischen Angriff auf diesen Punkt, also auf die Verteidigung, welche ihm folgen wird, von Hause aus sein Hauptaugenmerk richten muß, wie wir das in dem Buche vom Feldzugsplan näher sehen werden.
     Die großen moralischen Kräfte, welche zuweilen das Element des Krieges wie ein eigener Gärungsstoff durchdringen, und deren sich also ein Feldherr in gewissen Fällen zur Verstärkung seiner Kräfte bedienen kann, sind wohl ebensogut auf der Seite der Verteidigung als des Angriffs zu denken; wenigstens treten diejenigen, welche im Angriff besonders glänzen, wie Verwirrung und Schrecken beim Gegner, gewöhnlich erst nach dem entscheidenden Schlage auf und tragen folglich selten bei, diesem eine Richtung zu geben.
     Hiermit glauben wir unseren Satz, daß die Verteidigung eine stärkere Kriegsform sei als der Angriff, zur Genüge durchgeführt zu haben; es bleibt aber noch ein kleiner, bisher unbeachteter Faktor zu erwähnen übrig. Es ist der Mut, das Gefühl der Überlegenheit im Heere, welches aus dem Bewußtsein entspringt, zum Angreifenden zu gehören. Die Sache ist an sich wahr, nur geht das Gefühl sehr bald in dem allgemeineren und stärkeren unter, welches einem Heere durch seine Siege oder Niederlagen, durch das Talent oder die Unfähigkeit seines Führers gegeben wird.

 
     Viertes Kapitel:
     Konzentrizität des Angriffs
     und Exzentrizität der Verteidigung


     Es kommen diese beiden Vorstellungen, diese beiden Formen in dem Gebrauch der Kräfte bei Angriff und Verteidigung, in Theorie und Wirklichkeit so häufig vor, daß sie sich der Phantasie unwillkürlich fast als notwendige, dem Angriff und der Verteidigung innewohnende Formen aufdringen, welches doch, wie die kleinste Überlegung zeigt, nicht eigentlich der Fall ist. Wir wollen sie daher so früh als möglich betrachten und uns ein- für allemal klare Vorstellungen davon verschaffen, um dann bei unseren weiteren Betrachtungen des Verhältnisses von Angriff und Verteidigung davon ganz abstrahieren zu können und nicht unaufhörlich durch den Schein von Vorteil und Nachteil, den sie auf die Dinge werfen, gestört zu werden. Wir betrachten sie also hier als reine Abstraktionen, ziehen den Begriff wie einen Alkohol heraus und behalten uns vor, in der Folge auf den Anteil, welchen er an den Dingen hat, aufmerksam zu machen.
     Der Verteidiger in der Taktik wie in der Strategie wird als abwartend, also als stehend, der Angreifende als in Bewegung gedacht, und zwar sich bewegend in Beziehung auf jenes Stehen. Es folgt hieraus notwendig, daß das Umfassen und Umschließen nur in der Willkür des Angreifenden liegt, nämlich solange seine Bewegung und das Stehen des Verteidigers dauert. Diese Freiheit des Angriffs, konzentrisch zu sein oder es nicht zu sein, nachdem es vorteilhaft oder nachteilig ist, würde ihm als ein allgemeiner Vorzug angerechnet werden müssen. Allein diese Wahl ist ihm nur in der Taktik, in der Strategie aber nicht immer frei gegeben. In der ersteren sind die Anlehnungspunkte für beide Flügel fast niemals absolut sichernd, in der Strategie sehr häufig, wenn sich die Verteidigungslinie in gerader Richtung von Meer zu Meer oder von neutralem Gebiet zu neutralem Gebiet fortzieht. In diesem Fall kann der Angriff nicht konzentrisch vorgehen, und die Freiheit seiner Wahl ist beschränkt. Noch unangenehmer wird sie aber beschränkt, wenn er konzentrisch vorgehen muß. Rußland und Frankreich können Deutschland nicht anders als mit umschließenden, also nicht mit vereinigten Kräften angreifen. Dürften wir nun annehmen, daß die konzentrische Form in der Wirkung der Kräfte in der Mehrheit der Fälle die schwächere sei, so würde der Vorteil, welchen der Angreifende von der größeren Freiheit in der Wahl hat, wahrscheinlich dadurch völlig aufgewogen, daß er in anderen Fällen gezwungen ist, sich der schwächeren Form zu bedienen.
     Jetzt wollen wir die Wirkung dieser Formen in Taktik und Strategie näher betrachten.
     Bei der konzentrischen Richtung der Kräfte, vom Umfang nach dem Mittelpunkt, hat man es als einen ersten Vorzug betrachtet, daß sich die Kräfte im Vorschreiten immer mehr vereinigen; das Faktum ist wahr, der vermeintliche Vorzug aber nicht, denn das Vereinigen findet bei beiden Teilen statt, hält sich also das Gleichgewicht. Ebenso ist es mit dem Zerstreuen bei der exzentrischen Wirkung.
     Ein anderer und der wahre Vorzug aber ist, daß die konzentrisch bewegten Kräfte ihre Wirkung nach einem gemeinschaftlichen Punkt richten, die exzentrisch bewegten nicht. - Welches sind nun diese Wirkungen? Hier müssen wir Taktik und Strategie trennen.
     Wir wollen die Analyse nicht zu weit treiben und geben daher folgende Punkte als die Vorteile dieser Wirkungen an:
     1. Eine doppelte oder wenigstens verstärkte Wirkung des Feuers, sobald sich nämlich alles schon bis auf einen gewissen Punkt zusammengeschoben hat.
     2. Anfall eines und desselben Teiles von mehreren Seiten.
     3. Das Abschneiden des Rückzuges.
     Das Abschneiden des Rückzuges kann strategisch auch gedacht werden, es ist aber offenbar viel schwieriger, weil sich die großen Räume nicht gut sperren lassen. Der Anfall eines und desselben Teiles von mehreren Seiten wird überhaupt um so wirksamer und entscheidender, je kleiner dieser Teil, je näher er der äußersten Grenze, nämlich dem einzelnen Kämpfenden gedacht wird. Ein Heer kann sich füglich von mehreren Seiten zugleich schlagen, eine Division schon weniger, ein Bataillon nur, wenn es eine Masse macht, ein einzelner Mensch gar nicht mehr. Nun nimmt aber die Strategie das Gebiet der großen Massen, Räume und Zeiten ein, und die Taktik liegt auf der entgegengesetzten Seite. Hieraus geht schon hervor, daß der mehrseitige Anfall in der Strategie nicht die Folgen haben kann, die er in der Taktik hat.
     Die Wirkung des Feuers ist gar kein Gegenstand der Strategie, an dessen Stelle tritt aber etwas anderes. Es ist die Erschütterung der Basis, welche jede Armee mehr oder weniger empfindet, wenn der Feind, nahe oder weit, hinter ihrem Rücken siegreich ist.
     Es steht also fest, daß die konzentrische Wirkung der Kräfte einen Vorzug hat, dadurch, daß die Wirkung gegen a zugleich eine gegen b wird, ohne darum gegen a schwächer zu sein, und daß die gegen b zugleich eine gegen a, das Ganze also nicht a + b, sondern noch etwas mehr ist, und daß dieser Vorteil in der Taktik und in der Strategie, wiewohl in beiden etwas verschieden, stattfindet.
     Was steht nun diesem Vorteil bei der exzentrischen Wirkung der Kräfte entgegen? Offenbar das Nahebeisammensein, das Bewegen auf inneren Linien. Es ist unnötig zu entwickeln, auf welche Weise dies ein solcher Multiplikator der Kräfte werden kann, daß der Angreifende ohne eine große Überlegenheit sich diesem Nachteil nicht aussetzen darf. -
     Hat die Verteidigung einmal das Prinzip der Bewegung in sich aufgenommen (einer Bewegung, die zwar später anfängt wie die des Angreifenden, aber immer zeitig genug, um die Fesseln der erstarrenden Passivität zu lösen), so wird dieser Vorteil der größeren Vereinigung und der inneren Linien ein sehr entscheidender und meistens wirksamer zum Siege als die konzentrische Figur des Angriffs. Sieg aber muß dem Erfolg vorhergehen; erst muß man überwinden, ehe man an das Abschneiden denken kann. Kurz, man sieht, es besteht hier ein ähnliches Verhältnis wie das zwischen Angriff und Verteidigung überhaupt; die konzentrische Form führt zu glänzenden Erfolgen, die exzentrische gewährt die ihrigen sicherer, jenes ist die schwächere Form mit dem positiveren Zweck, dieses die stärkere Form mit dem negativen Zweck. Dadurch, scheint uns, sind diese beiden Formen schon in ein gewisses schwebendes Gleichgewicht gebracht. Fügt man nun hinzu, daß die Verteidigung, weil sie nicht überall eine absolute Verteidigung ist, sich auch nicht immer in der Unmöglichkeit befindet, sich der konzentrischen Kräfte zu bedienen, so wird man wenigstens kein Recht mehr haben, zu glauben, daß diese Wirkungsart allein hinreichend sei, dem Angriff ein ganz allgemeines Übergewicht über die Verteidigung zuzusichern, und sich von dem Einfluß losmachen, den diese Vorstellungsart bei jeder Gelegenheit auf das Urteil auszuüben pflegt.
     Was wir bisher gesagt haben, umfaßte Taktik und Strategie, jetzt muß noch ein höchst wichtiger Punkt herausgehoben werden, der die Strategie allein angeht. Der Vorteil der inneren Linien wächst mit den Räumen, worauf sich diese Linien beziehen. Bei Entfernungen von einigen tausend Schritten oder einer halben Meile kann natürlich die Zeit, welche man gewinnt, nicht so groß sein wie bei Entfernungen von mehreren Tagemärschen oder gar von 20 bis 30 Meilen; die ersteren, nämlich die kleinen Räume, gehören der Taktik an, die größeren der Strategie. Wenn man nun freilich in der Strategie auch mehr Zeit zur Erreichung des Zweckes braucht als in der Taktik, und eine Armee nicht so schnell überwunden ist als ein Bataillon, so nehmen doch diese Zeiten in der Strategie auch nur bis zu einem gewissen Punkt zu, nämlich bis zur Dauer einer Schlacht, und allenfalls die paar Tage, welche sich eine Schlacht ohne entscheidende Opfer vermeiden läßt. Ferner findet ein noch viel größerer Unterschied in dem eigentlichen Vorsprung statt, den man in dem einen und dem anderen Fall gewinnt. Bei den kleinen Entfernungen in der Taktik, in der Schlacht, geschehen die Bewegungen des einen fast unter den Augen des anderen; der auf der äußeren Linie Stehende wird also die seines Gegners meistens schnell gewahr. Bei den größeren Entfernungen der Strategie geschieht es wohl höchst selten, daß eine Bewegung des einen nicht wenigstens einen Tag dem anderen verborgen bleiben sollte, und es gibt Fälle genug, wo, wenn die Bewegung nur einen Teil betraf und in einer beträchtlichen Entsendung bestand, dies wochenlang verborgen geblieben ist. - Wie groß der Vorteil der Verbergung für denjenigen ist, welcher durch die Natur seiner Lage am meisten geeignet ist, davon Gebrauch zu machen, läßt sich leicht einsehen. -
     Hiermit schließen wir unsere Betrachtungen über konzentrische und exzentrische Wirkung der Kräfte und ihr Verhältnis zu Angriff und Verteidigung und behalten uns vor, in beiden noch darauf zurückzukommen.

 
     Fünftes Kapitel:
     Charakter der strategischen Verteidigung


     Schon früher ist gesagt worden, was die Verteidigung überhaupt ist: Nichts als eine stärkere Form des Krieges, vermittelst welcher man den Sieg erringen will, um nach dem gewonnenen Übergewicht zum Angriff, d. h. zu dem positiven Zweck des Krieges, überzugehen.
     Selbst wenn die Absicht des Krieges bloße Erhaltung des status quo ist, so ist doch eine bloße Zurückweisung des Stoßes etwas dem Begriff des Krieges Widersprechendes, weil Kriegführung unstreitig kein Leiden ist. Hat der Verteidiger einen bedeutenden Vorteil errungen, so hat die Verteidigung das Ihre getan, und er muß unter dem Schutz dieses Vorteiles den Stoß zurückgeben, wenn er sich nicht einem gewissen Untergang aussetzen will. Die Klugheit fordert, das Eisen zu schmieden, solange es warm ist, die gewonnene Überlegenheit zu benutzen, um einem zweiten Anfall vorzubeugen. Wie, wann und wo diese Reaktion eintreten soll, ist freilich vielen anderen Bedingungen unterworfen und wird sich erst in der Folge mehr entwickeln. Hier bleiben wir dabei stehen, daß dieser Übergang zum Rückstoß als eine Tendenz der Verteidigung, also als ein wesentlicher Bestandteil derselben gedacht werden muß, und daß überall, wo der durch die verteidigende Form errungene Sieg nicht auf irgendeine Weise in dem kriegerischen Haushalt verbraucht wird, wo er gewissermaßen ungenutzt dahinwelkt, ein großer Fehler gemacht wird.
     Ein schneller, kräftiger Übergang zum Angriff - das blitzende Vergeltungsschwert - ist der glänzendste Punkt der Verteidigung; wer ihn sich nicht gleich hinzudenkt, oder vielmehr, wer ihn nicht gleich in den Begriff der Verteidigung aufnimmt, dem wird nimmermehr die Überlegenheit der Verteidigung einleuchten, er wird immer nur an die Mittel denken, die man durch den Angriff dem Feinde zerstört und sich erwirbt, welche Mittel aber nicht von der Art, den Knoten zu schürzen, sondern ihn aufzulösen, abhängen. Ferner ist es eine grobe Verwechslung, wenn man unter Angriff immer einen Überfall versteht und sich folglich unter Verteidigung nichts als Not und Verwirrung denkt.
     Freilich faßt der Eroberer seinen Entschluß zum Kriege früher als der harmlose Verteidiger, und wenn er seine Maßregeln gehörig geheim zu halten weiß, wird er diesen wohl oft mehr oder weniger überfallen, aber das ist etwas dem Kriege selbst ganz Fremdes, denn es sollte nicht so sein. Der Krieg ist mehr für den Verteidiger als für den Eroberer da, denn der Einbruch hat erst die Verteidigung herbeigeführt und mit ihr erst den Krieg. Der Eroberer ist immer friedliebend (wie Bonaparte auch stets behauptet hat), er zöge ganz gern ruhig in unseren Staat ein; damit er dies aber nicht könne, darum müssen wir den Krieg wollen und also auch vorbereiten, d. h. mit anderen Worten: es sollen gerade die Schwachen, der Verteidigung Unterworfenen, immer gerüstet sein und nicht überfallen werden; so will es die Kriegskunst.
     Das frühere Erscheinen auf dem Kriegstheater hängt übrigens in den meisten Fällen von ganz anderen Dingen ab als von der Angriffs- oder Verteidigungsabsicht, diese sind also nicht die Ursache, aber oft die Folge davon. Wer früher fertig wird, geht, wenn der Vorteil des Überfalles groß genug ist, aus diesem Grunde angriffsweise, und der, welcher später fertig wird, kann den Nachteil, der ihm daraus entsteht, allein durch die Vorteile der Verteidigung noch einigermaßen ausgleichen.
     Indessen muß es immer im allgemeinen als ein Vorteil des Angriffs angesehen werden, von der früheren Bereitschaft diesen schönen Gebrauch machen zu können, welches auch in dem dritten Buch schon anerkannt ist; nur ist dieser allgemeine Vorteil keine integrierende Notwendigkeit für jeden einzelnen Fall.
     Wenn wir uns also die Verteidigung denken, wie sie sein soll, so ist es mit der möglichsten Vorbereitung aller Mittel, mit einem zum Kriege tüchtigen Heere, mit einem Feldherrn, der nicht aus verlegener Ungewißheit in Angst den Feind erwartet, sondern aus Wahl, mit ruhiger Besonnenheit, mit Festungen, die keine Belagerung scheuen, endlich mit einem gesunden Volk, das seinen Gegner nicht mehr fürchtet, als es von ihm gefürchtet wird. Mit solchen Attributen wird die Verteidigung dem Angriff gegenüber wohl keine so schlechte Rolle mehr spielen und dieser nicht mehr so leicht und unfehlbar erscheinen wie in der dunklen Vorstellung derjenigen, die beim Angriff nur an Mut, Willenskraft und Bewegung, bei der Verteidigung an Ohnmacht und Lähmung denken.

 
     Sechstes Kapitel:
     Umfang der Verteidigungsmittel


     Wir haben in dem zweiten und dritten Kapitel dieses Buches gezeigt, wie die Verteidigung im Gebrauch derjenigen Dinge, welche außer der absoluten Stärke und dem Wert der Streitkräfte den taktischen wie den strategischen Erfolg bestimmen, nämlich Vorteil der Gegend, Überraschung, Anfall von mehreren Seiten, Beistand des Kriegstheaters, Beistand des Volkes, Benutzung großer moralischer Kräfte -, eine natürliche Überlegenheit hat. Wir halten es für nützlich, hier noch einen Blick auf den Umfang derjenigen Mittel zu werfen, welche dem Verteidiger vorzugsweise zu Gebote stehen und gewissermaßen als die verschiedenen Säulenordnungen seines Baues zu betrachten sind.
     1. Die Landwehr. Sie ist in neueren Zeiten auch außer dem Lande zum Angriff des feindlichen Landes gebraucht worden, und es ist nicht zu leugnen, daß ihre Einrichtung in manchen Staaten, z. B. Preußen, von der Art ist, daß sie fast wie ein Teil des stehenden Heeres betrachtet werden muß, also der Verteidigung nicht allein angehört. Indessen ist doch nicht zu übersehen, daß ihr sehr kräftiger Gebrauch 1813, 1814 und 1815 von dem Verteidigungskriege ausging, daß sie an den wenigsten Orten wie in Preußen eingerichtet, bei jedem unvollkommenen Grade der Einrichtung aber notwendig mehr zur Verteidigung als zum Angriff geeignet sein muß. Außerdem aber liegt in dem Begriff der Landwehr immer der Gedanke einer außerordentlichen, mehr oder weniger freiwilligen Mitwirkung der ganzen Volksmasse beim Kriege mit ihren körperlichen Kräften, ihrem Reichtum und ihrer Gesinnung. Je mehr sich die Einrichtung davon entfernt, um so mehr wird das, was sie aufstellt, ein stehendes Heer unter anderem Namen sein, um so mehr wird es die Vorteile desselben haben, aber auch um so mehr die Vorteile der eigentlichen Landwehr entbehren, nämlich eines Kraftumfanges, der viel ausgedehnter, viel weniger bestimmt, viel leichter durch Geist und Gesinnung zu steigern ist. In diesen Dingen liegt das Wesen der Landwehr; dieser Mitwirkung des ganzen Volkes muß durch die Linien ihrer Einrichtung Spielraum gelassen werden, oder man verfolgt, indem man sich von der Landwehr etwas Besonderes verspricht, ein Schattenbild.
     Nun ist aber die nahe Verwandtschaft nicht zu verkennen, in welcher dieses Wesen einer Landwehr mit dem Begriff der Verteidigung steht, und also auch nicht zu verkennen, daß eine solche Landwehr der Verteidigung immer mehr angehören wird als dem Angriff, daß sie diejenigen Wirkungen, womit sie den Angriff überbietet, hauptsächlich bei der Verteidigung zeigen wird.
     2. Festungen. Die Mitwirkung der Festungen des Angreifenden erstreckt sich nur auf die der Grenze zunächst gelegenen und ist nur schwach; bei dem Verteidiger greift sie tiefer ins Land hinein, bringt also mehrere in Wirksamkeit, und diese Wirksamkeit selbst ist von einer ungleich größeren intensiven Stärke. Eine Festung, die eine wirkliche Belagerung veranlaßt und aushält, drückt natürlich mit einem stärkeren Gewicht auf die Waagschale des Krieges als eine, welche durch ihre Werke bloß den Gedanken einer Wegnahme dieses Punktes entfernt, also nicht wirklich feindliche Kräfte beschäftigt und zerstört.
     3. Das Volk. Obgleich der Einfluß eines einzelnen Bewohners des Kriegsschauplatzes auf den Krieg in den meisten Fällen nicht bemerklicher ist als die Mitwirkung eines Wassertropfens bei dem ganzen Strom, so ist doch selbst in Fällen, wo von gar keinem Volksaufstand die Rede ist, der Gesamteinfluß, den die Einwohner des Landes auf den Krieg haben, nichts weniger als unmerklich. Alles geht im eigenen Lande leichter, vorausgesetzt, daß die Gesinnung der Untertanen nicht im Widerspruch mit diesem Begriff ist. Alle Leistungen, groß und klein, geschehen dem Feinde nur unter dem Zwange offenbarer Gewalt; diese muß von der Streitkraft bestritten werden und kostet ihr eine Masse von Kräften und Anstrengungen. Der Verteidiger erhält dies alles, wenn auch nicht eigentlich freiwillig wie in den Fällen enthusiastischer Hingebung, doch durch die langgeübten Wege des bürgerlichen Gehorsams, der dem Einwohner zur zweiten Natur geworden ist und außerdem durch ganz andere, vom Heere nicht ausgehende, viel entfernter liegende Furcht- und Zwangsmittel in Gang erhalten wird. Aber auch die freiwillige, aus wahrer Anhänglichkeit hervorgehende Mitwirkung ist in allen Fällen sehr bedeutend, insofern sie nämlich in allen den Punkten, die keine Opfer kosten, niemals ausbleibt. Wir wollen nur einen dieser Punkte herausheben, welcher von großer Bedeutung für die Kriegführung ist; es sind die Nachrichten. Nicht sowohl die einzelnen großen, wichtigen Kundschafternachrichten, als die unzählige Masse von kleinen Berührungen, in welche der tägliche Dienst eines Heeres mit der Ungewißheit tritt, und wo das Verständnis mit den Einwohnern den Verteidigern eine allgemeine Überlegenheit gibt. Die kleinste Patrouille, jede Feld- und Schildwache, jeder versendete Offizier sind mit ihren Bedürfnissen um Nachrichten über Feind, Freund und Gegner an den Landesbewohner verwiesen.
     Steigt man nun von diesen ganz allgemeinen, nie ausbleibenden Beziehungen zu den besonderen Fällen auf, wo das Land anfängt, an dem Kampfe selbst teilzunehmen, und bis zu dem höchsten Grad derselben, wo es, wie in Spanien, durch einen Volkskrieg diesen Kampf der Hauptsache nach selbst führt, so begreift man, daß hier nicht bloß eine Steigerung des Volksbeistandes, sondern eine wahrhaft neue Potenz entsteht, und daß wir also
     4. die Volksbewaffnung oder den Landsturm als ein eigentümliches Mittel der Verteidigung anführen können.
     5. Endlich dürfen wir noch die Bundesgenossen als die letzte Stütze des Verteidigers nennen. Die gewöhnlichen, welche der Angreifende auch hat, können wir hiermit natürlich nicht meinen, sondern diejenigen, welche bei der Erhaltung eines Landes wesentlich beteiligt sind. Wenn wir nämlich die Staatenrepublik des heutigen Europa im Auge haben, so finden wir, um nicht von einem systematisch geregelten Gleichgewicht der Macht und der Interessen zu reden, wie es nicht vorhanden und darum oft und mit Recht bestritten worden ist, doch unstreitig, daß sich die großen und kleinen Staats- und Volksinteressen auf die mannigfaltigste und veränderlichste Weise durchkreuzen. Jeder solche Kreuzpunkt bildet einen befestigenden Knoten, denn in ihm ist die Richtung des einen der Richtung des anderen das Gegengewicht; durch alle diese Knoten also wird offenbar ein mehr oder weniger großer Zusammenhang des Ganzen gebildet, und dieser Zusammenhang muß bei jeder Veränderung teilweise überwunden werden. Auf diese Weise dienen die Gesamtverhältnisse aller Staaten zueinander mehr das Ganze in seiner Gestalt zu erhalten, als Veränderungen darin hervorzubringen, d. h. es ist im allgemeinen jene Tendenz vorhanden.
     So, glauben wir, muß man den Gedanken eines politischen Gleichgewichts auffassen, und in diesem Sinn wird dasselbe überall von selbst entstehen, wo mehrere kultivierte Staaten in vielseitige Berührung treten.
     Wie wirksam diese Tendenz der Gesamtinteressen zur Erhaltung des bestehenden Zustandes sei, ist eine andere Frage; es lassen sich allerdings Veränderungen in dem Verhältnis einzelner Staaten untereinander denken, die diese Wirksamkeit des Ganzen erleichtern, und andere, die sie erschweren. In dem ersten Fall sind es Bestrebungen, das politische Gleichgewicht auszubilden, und da sie dieselbe Tendenz haben wie die Gesamtinteressen, so werden sie auch die Majorität dieser Interessen für sich haben. In dem anderen Fall aber sind es Ausweichungen, überwiegende Tätigkeit einzelner Teile, wahre Krankheiten; daß diese in einem so schwach verbundenen Ganzen, wie die Menge großer und kleiner Staaten ist, vorkommen, ist nicht zu verwundern, kommen sie doch in dem so wundervoll geordneten organischen Ganzen aller lebendigen Natur vor.
     Wenn man uns also auf die Fälle in der Geschichte hinweist, wo einzelne Staaten bedeutende Veränderungen bloß zu ihrem Vorteil haben bewirken können, ohne daß das Ganze auch nur einen Versuch gemacht hätte, dies zu verhindern, oder gar auf die Fälle, wo ein einzelner Staat imstande gewesen ist, sich so über die anderen zu erheben, daß er fast der unumschränkte Gebieter des Ganzen wurde, - so antworten wir: damit sei keineswegs erwiesen, daß die Tendenz der Gesamtinteressen zur Erhaltung des Zustandes nicht vorhanden, sondern nur, daß ihre Wirksamkeit in dem Augenblick nicht groß genug gewesen sei; das Streben zu einem Ziel ist etwas anderes als die Bewegung dahin, aber darum keineswegs etwas Nichtiges, wie wir das am besten aus der Dynamik des Himmels ersehen.
     Wir sagen: die Tendenz des Gleichgewichts ist die Erhaltung des vorhandenen Zustandes, wobei wir allerdings voraussetzen, daß in diesem Zustande Ruhe, d. i. Gleichgewicht, vorhanden war; denn wo diese schon gestört ist, eine Spannung schon eingetreten ist, da kann die Tendenz des Gleichgewichts allerdings auch auf eine Veränderung gerichtet sein. Diese Veränderung kann aber, wenn wir auf die Natur der Sache sehen, immer nur einzelne wenige, also niemals die Majorität der Staaten treffen, und so ist es denn gewiß, daß diese ihre Erhaltung immer durch die Gesamtinteressen aller vertreten und versichert sehen, also auch gewiß, daß jeder einzelne Staat, der nicht in dem Fall ist, sich gegen das Ganze schon in einer Spannung zu befinden, bei seiner Verteidigung mehr Interessen für als gegen sich haben wird.
     Wer über diese Betrachtungen wie über utopische Träume lacht, der tut es auf Kosten der philosophischen Wahrheit. Wenn diese uns die Verhältnisse erkennen läßt, in welchen die wesentlichen Elemente der Dinge zueinander stehen, so wäre es freilich unüberlegt, mit Übergehung aller zufälligen Einmischungen daraus Gesetze herleiten zu wollen, nach welchen jeder einzelne Fall geregelt werden könnte. Wer sich aber nach dem Ausdruck eines großen Schriftstellers nicht über die Anekdote erhebt, die ganze Geschichte daraus zusammenbaut, überall mit dem Individuellsten, mit der Spitze des Ereignisses anfängt und nur so tief hinuntersteigt, als er eben Veranlassung findet, also niemals auf die tief im Grunde herrschenden allgemeinen Verhältnisse kommt, dessen Meinung wird auch niemals für mehr als einen Fall Wert haben, und dem wird freilich, was die Philosophie für die Allgemeinheit der Fälle ausmacht, wie ein Traum erscheinen.
     Wenn jenes allgemeine Bestreben zur Ruhe und Erhaltung des Bestehenden nicht vorhanden wäre, so würde niemals eine Anzahl gebildeter Staaten eine geraume Zeit nebeneinander bestehen können, sie müßten notwendig in einem zusammenfließen. Wenn also das jetzige Europa über 1000 Jahre besteht, so können wir diese Wirkung nur jener Tendenz der Gesamtinteressen zuschreiben, und wenn der Schutz des Ganzen nicht immer zur Erhaltung jedes einzelnen hingereicht hat, so sind das Unregelmäßigkeiten in dem Leben dieses Ganzen, die aber dasselbe doch nicht zerstört haben, sondern von ihm überwältigt worden sind.
     Es würde sehr überflüssig sein, die Masse der Ereignisse zu durchlaufen, wo Veränderungen, welche das Gleichgewicht zu sehr störten, durch mehr oder weniger offenbare Entgegenwirkung der anderen Staaten verhindert oder rückgängig gemacht worden sind; der flüchtigste Blick auf die Geschichte zeigt sie. Nur von einem Fall wollen wir sprechen, weil er stets im Munde derer ist, die den Gedanken eines politischen Gleichgewichts verspotten, und weil er ganz besonders hierher zu gehören scheint als ein Fall, in welchem ein harmloser Verteidiger unterging, ohne die Teilnahme eines fremden Beistandes zu gewinnen. Wir sprechen von Polen. Daß ein Staat von 8 Millionen Einwohnern verschwinden, von drei anderen geteilt werden konnte, ohne daß von einem der übrigen Staaten ein Schwert gezogen wurde, erscheint auf den ersten Blick als ein Fall, der entweder die allgemeine Unwirksamkeit des politischen Gleichgewichts hinreichend bewiese oder wenigstens zeigte, wie weit sie in einzelnen Fällen gehen könne. Daß ein Staat von solchem Umfang verschwinden und anderen zur Beute werden könnte, die schon zu den mächtigsten gehörten (Rußland und Österreich), schien ein Fall der äußersten Art zu sein, und wenn ein solcher nichts von den Gesamtinteressen der ganzen Staatenrepublik aufregen konnte, wird man sagen, so ist die Wirksamkeit, welche diese Gesamtinteressen für die Erhaltung einzelner haben sollen, als eine eingebildete zu betrachten. Aber wir bleiben dabei stehen, daß ein einzelner Fall, wie auffallend er auch sei, nichts gegen die Allgemeinheit beweist, und behaupten demnächst, daß der Fall von Polens Untergang auch nicht so unbegreiflich ist, wie er erscheint. War denn Polen wirklich als ein europäischer Staat, als ein homogenes Glied in der europäischen Staatenrepublik zu betrachten? Nein! Es war ein Tatarenstaat, der, anstatt wie die Tataren der Krim am Schwarzen Meer, an der Grenze der europäischen Staatenwelt gelegen zu sein, an der Weichsel zwischen ihnen lag. Wir wollen damit weder verächtlich von dem Volk der Polen reden, noch die Teilung des Landes rechtfertigen, sondern nur die Sachen sehen, wie sie sind. Seit 100 Jahren hatte dieser Staat im Grunde keine politische Rolle mehr gespielt, sondern war nur der Zankapfel für andere gewesen. In seinem Zustand und seiner Verfassung konnte er sich auf die Dauer zwischen den anderen unmöglich erhalten; eine wesentliche Veränderung in diesem Tatarenzustand aber hätte nur das Werk eines halben oder ganzen Jahrhunderts sein können, wenn die Führer dieses Volkes dazu willig gewesen wären. Diese aber waren selbst viel zu sehr Tataren, um eine solche Veränderung zu wünschen. Ihr liederliches Staatsleben und ihr unermeßlicher Leichtsinn gingen Hand in Hand und taumelten so in den Abgrund. Lange vor der Teilung Polens waren die Russen dort so gut wie zu Haus, der Begriff eines selbständigen, nach außen abgeschlossenen Staates gar nicht mehr vorhanden, und nichts gewisser, als daß Polen, wenn es nicht geteilt wurde, zur russischen Provinz werden mußte. Wäre das alles nicht, und Polen ein Staat gewesen, der einer Verteidigung fähig war, so würden die drei Mächte nicht so leicht an seine Teilung geschritten sein, und diejenigen Mächte, die bei seiner Erhaltung am meisten beteiligt waren, wie Frankreich, Schweden und die Türkei, hätten dann ganz anders zu seiner Erhaltung mitwirken können. Wenn aber die Erhaltung eines Staates bloß von außen besorgt werden soll, so ist das freilich zu viel verlangt.
     Die Teilung Polens war über 100 Jahre vorher mehrmals zur Sprache gekommen, und das Land war seitdem nicht wie ein geschlossenes Haus, sondern wie eine öffentliche Straße zu betrachten gewesen, auf der sich beständig fremde Kriegsmacht herumtummelte. Sollten die anderen Staaten dies alles verhindern, sollten sie beständig das Schwert gezückt haben, um die politische Heiligkeit der polnischen Grenze zu bewachen? Das heißt eine moralische Unmöglichkeit fordern. Polen war in dieser Zeit politisch nicht viel mehr als eine unbewohnte Steppe; und sowenig man imstande gewesen wäre, diese zwischen anderen Staaten gelegene, verteidigungslose Steppe vor ihren Eingriffen immer zu schützen, ebensowenig konnte man die Unverletzlichkeit dieses sogenannten Staates sichern. Aus allen diesen Gründen sollte man sich ebensowenig über den geräuschlosen Untergang Polens verwundern als über den stillen Untergang der krimschen Tatarei; die Türken waren dabei in jedem Fall, mehr interessiert als irgendein europäischer Staat bei der Erhaltung Polens, aber sie sahen ein, daß es vergebliche Anstrengung sein würde, eine widerstandlose Steppe zu schützen. -
     Wir kehren zu unserem Gegenstand zurück und glauben dargetan zu haben, daß ein Verteidiger im allgemeinen mehr auf äußeren Beistand rechnen darf als der Angreifende; er wird um so sicherer darauf rechnen dürfen, je bedeutender sein Dasein für alle übrigen, d. h. je gesunder und kräftiger sein politischer und kriegerischer Zustand ist.
     Die Gegenstande, welche wir hier als eigentliche Mittel der Verteidigung genannt haben, werden nicht jeder einzelnen Verteidigung zu Gebot stehen, das versteht sich von selbst, bald werden die einen fehlen, bald die anderen, aber dem Kollektivbegriff der Verteidigung gehören sie insgesamt an.

 
     Siebentes Kapitel:
     Wechselwirkung von Angriff und Verteidigung


     Wir wollen jetzt die Verteidigung und den Angriff besonders in Betrachtung ziehen, soweit sich beide voneinander trennen lassen. Wir fangen mit der Verteidigung aus folgenden Gründen an. Es ist zwar sehr natürlich und notwendig, die Regeln der Verteidigung auf die des Angriffs und die Regeln des Angriffs auf die der Verteidigung zu gründen, allein eins von Beidem muß noch einen dritten Punkt haben, wenn die ganze Vorstellungsreihe einen Anfang nehmen, also möglich werden soll. Die erste Frage ist nun dieser Punkt.
     Wenn wir uns die Entstehung des Krieges philosophisch denken, so entsteht der eigentliche Begriff des Krieges nicht mit dem Angriff, weil dieser nicht sowohl den Kampf als die Besitznahme zum absoluten Zweck hat, sondern er entsteht erst mit der Verteidigung, denn diese hat den Kampf zum unmittelbaren Zweck, weil Abwehren und Kämpfen offenbar eins ist. Das Abwehren ist nur auf den Anfall gerichtet, setzt ihn also notwendig voraus, der Anfall aber nicht auf das Abwehren, sondern auf etwas anderes, nämlich die Besitznahme, setzt also das letztere nicht notwendig voraus. Es ist daher in der Natur der Sache, daß derjenige, welcher das Element des Krieges zuerst in die Handlung bringt, von dessen Standpunkt aus zuerst zwei Parteien gedacht werden, auch die ersten Gesetze für den Krieg aufstelle, nämlich der Verteidiger. Hier ist nicht von einem einzelnen Fall, sondern von dem allgemeinen, von dem abstrakten Fall die Rede, den sich die Theorie zur Bestimmung ihres Weges denkt.
     Dadurch nun wissen wir, wo der feste Punkt außerhalb der Wechselwirkung von Angriff und Verteidigung zu suchen ist, nämlich bei der Verteidigung.
     Ist diese Folgerung richtig, so muß es für den Verteidiger Bestimmungsgründe seines Verhaltens geben, auch wenn er gar noch nichts von dem weiß, was der Angreifende tun wird, und zwar müssen diese Bestimmungsgründe eine Anordnung der Kampfmittel enthalten. Umgekehrt müßte es für den Angreifenden, solange er nichts von seinem Gegner wüßte, auch keine Bestimmungsgründe seines Verfahrens geben, die eine Anwendung der Kampfmittel enthielten. Er müßte nichts tun können als diese mitnehmen, d. h. vermittelst einer Armee Besitz ergreifen. Und so ist es doch auch in der Tat; denn Kampfmittel schaffen, heißt noch nicht sie gebrauchen, und der Angreifende, der sie mitnimmt in der ganz allgemeinen Voraussetzung, daß er sie brauchen werde, und der, anstatt durch Kommissarien und Proklamationen von dem Lande Besitz zu nehmen, dies mit Armeen tut, übt eigentlich noch keinen positiven kriegerischen Akt aus; der Verteidiger aber, der seine Kampfmittel nicht bloß sammelt, sondern auch so disponiert, wie er den Kampf führen will, der übt zuerst eine Tätigkeit aus, auf welche der Begriff des Krieges wirklich paßt.
     Die zweite Frage ist nun: welcher Natur können in der Theorie die Bestimmungsgründe sein, welche für die Verteidigung zuerst aufgestellt werden, ehe über den Angriff selbst etwas gedacht worden ist? Offenbar ist es das Vorschreiten zur Besitznahme, welches außerhalb des Krieges gedacht wird, aber den Stützpunkt für die ersten Sätze der kriegerischen Handlung abgibt. Dieses Vorschreiten soll die Verteidigung hindern, es muß also in Beziehung auf das Land gedacht werden, und so entstehen die ersten allgemeinsten Bestimmungen der Verteidigung. Sind diese einmal festgestellt, so wird der Angriff auf sie angewandt, und aus der Betrachtung der Mittel, welche dieser anwendet, ergeben sich neue Verteidigungsgrundsätze. Nun ist die Wechselwirkung da, welche die Theorie in ihrer Untersuchung solange fortsetzen kann, als sie die sich ergebenden neuen Resultate der Berücksichtigung wert findet.
     Diese kleine Analyse war notwendig, um allen unseren künftigen Betrachtungen etwas mehr Klarheit und Festigkeit zu geben; dergleichen ist nicht für das Schlachtfeld, auch nicht für den künftigen Feldherrn gemacht, sondern für das Heer der Theoretiker, die sich die Sachen bisher gar zu leicht gemacht haben.

 
     Achtes Kapitel:
     Widerstandsarten


     Der Begriff der Verteidigung ist das Abwehren; in diesem Abwehren liegt das Abwarten, und dieses Abwarten ist uns das Hauptmerkmal der Verteidigung und zugleich ihr Hauptvorteil gewesen.
     Da aber die Verteidigung im Kriege kein bloßes Leiden sein kann, so kann auch das Abwarten kein absolutes sein, sondern nur ein relatives; der Gegenstand, auf welchen sich dasselbe bezieht, ist dem Raum nach entweder das Land oder das Kriegstheater oder die Stellung, der Zeit nach der Krieg, der Feldzug oder die Schlacht. Daß diese Gegenstände keine unveränderliche Einheiten sind, sondern nur die Mittelpunkte gewisser Gebiete, die sich miteinander verlaufen und ineinander verschlingen, wissen wir wohl; allein im praktischen Leben muß man sich oft begnügen, die Dinge nur zu gruppieren, nicht streng zu sondern, und jene Begriffe haben durch das praktische Leben selbst hinreichende Bestimmtheit bekommen, so daß man um sie die übrigen Vorstellungen bequem sammeln kann.
     Eine Verteidigung des Landes also wartet nur den Angriff des Landes, eine Verteidigung des Kriegstheaters den Angriff des Kriegstheaters, eine Verteidigung der Stellung den Angriff der Stellung ab. Jede positive und folglich mehr oder weniger angriffsartige Tätigkeit, welche sie nach diesem Augenblick übt, wird den Begriff der Verteidigung nicht aufheben, denn das Hauptmerkmal derselben und ihr Hauptvorteil, das Abwarten, hat stattgefunden.
     Die der Zeit angehörigen Begriffe von Krieg, Feldzug, Schlacht gehen neben den Begriffen von Land, Kriegstheater und Stellung her und haben deshalb dieselbe Beziehung zu unserem Gegenstand.
     Die Verteidigung besteht also aus zwei heterogenen Teilen, dem Abwarten und dem Handeln. Indem wir das erstere auf einen bestimmten Gegenstand bezogen haben und also dem Handeln vorangehen lassen, haben wir die Verbindung beider zu einem Ganzen möglich gemacht. Aber ein Akt der Verteidigung, besonders ein großer, wie ein Feldzug oder ganzer Krieg, wird der Zeit nach nicht aus zwei großen Hälften bestehen, der ersten, wo man bloß abwartet, und der zweiten, wo man bloß handelt, sondern aus einem Wechsel dieser beiden Zustände, so daß sich das Abwarten durch den ganzen Akt der Verteidigung wie ein fortlaufender Faden durchziehen kann.
     Daß wir diesem Abwarten eine solche Wichtigkeit beilegen, geschieht bloß, weil die Natur der Sache es fordert; in den bisherigen Theorien ist es freilich als ein selbständiger Begriff niemals herausgehoben worden, in der praktischen Welt aber hat es, obgleich oft unbewußt, unaufhörlich zum Leitfaden gedient. Es ist ein solcher Grundbestandteil des ganzen kriegerischen Aktes, daß dieser ohne jenen kaum als möglich erscheint, und wir werden daher in der Folge noch oft darauf zurückkommen, indem wir auf die Wirkungen desselben in dem dynamischen Spiel der Kräfte aufmerksam machen.
     Jetzt wollen wir uns damit beschäftigen, deutlich zu machen, wie das Prinzip des Abwartens sich durch den Akt der Verteidigung hindurchzieht, und welche Stufenfolge der Verteidigung selbst daraus entspringt.
     Um unsere Vorstellungen an dem einfacheren Gegenstande festzustellen, wollen wir die Landesverteidigung, in welcher eine größere Mannigfaltigkeit und ein stärkerer Einfluß politischer Verhältnisse stattfinden, bis zu dem Buche vom Kriegsplan liegen lassen; auf der anderen Seite ist der Verteidigungsakt in einer Stellung und Schlacht ein Gegenstand der Taktik, welcher nur als Ganzes den Anfangspunkt der strategischen Tätigkeit bildet, daher wird die Verteidigung des Kriegstheaters derjenige Gegenstand sein, an dem wir die Verhältnisse der Verteidigung am besten zeigen können.
     Wir haben gesagt, das Abwarten und das Handeln, welches letztere immer ein Zurückgeben des Stoßes, also eine Reaktion ist, sind beides ganz wesentliche Teile der Verteidigung, ohne das erstere wäre sie keine Verteidigung, ohne das letztere kein Krieg. Diese Ansicht hat uns früher schon auf die Vorstellungsart geführt, daß die Verteidigung nichts sei als die stärkere Form des Krieges, um den Gegner um so sicherer zu besiegen; diese Vorstellung müssen wir durchaus festhalten, teils, weil sie in letzter Instanz allein gegen das Absurdum schützt, teils, weil sie den ganzen Akt einer Verteidigung um so mehr kräftigt, je lebendiger und näher sie bleibt.
     Wollte man also in der Reaktion, welche den zweiten notwendigen Bestandteil der Verteidigung ausmacht, einen Unterschied machen und diejenige, welche das eigentliche Abwehren ausmacht, das Abwehren vom Lande, vom Kriegstheater, von der Stellung, allein als den notwendigen Teil betrachten, der nur so weit reichen würde, als die Sicherung dieser Gegenstände es erfordert, und dagegen die Möglichkeit einer weiter getriebenen Reaktion, die in das Gebiet des wirklichen strategischen Angriffs übergeht, als einen der Verteidigung fremden und gleichgültigen Gegenstand ansehen, so würde das gegen die obige Vorstellungsart sein, und wir können daher einen solchen Unterschied nicht als einen wesentlichen betrachten, sondern müssen dabei beharren, daß jeder Verteidigung die Idee einer Wiedervergeltung zum Grunde liegen muß; denn, wieviel Nachteil man auch im glücklichen Falle bei jener ersten Reaktion seinem Gegner zugefügt haben könnte, es würde immer noch an dem gehörigen Gleichgewicht in dem dynamischen Verhältnis von Angriff und Verteidigung fehlen.
     Wir sagen also: die Verteidigung ist die stärkere Form des Krieges, um den Gegner leichter zu besiegen, und überlassen es den Umständen, ob dieser Sieg über den Gegenstand, auf welchen sich die Verteidigung bezog, hinausgeht oder nicht.
     Aber da die Verteidigung an den Begriff des Abwartens gebunden ist, so kann jener Zweck, den Feind zu besiegen, nur bedingungsweise vorhanden sein, nämlich nur, wenn der Angriff erfolgt, und es versteht sich also, daß die Verteidigung, wenn dies nicht geschieht, sich mit der Erhaltung des Besitzes begnügt; dies ist also ihr Zweck im Zustand des Abwartens, d. h. ihr nächster, und nur, indem sie sich mit diesem bescheideneren Ziel begnügt, kann sie zu den Vorteilen der stärkeren Kriegsform gelangen.
     Denken wir uns nun ein Heer mit seinem Kriegstheater zur Verteidigung bestimmt, so kann dies geschehen:
     1. Indem das Heer den Feind angreift, sobald er in das Kriegstheater eindringt (Mollwitz, Hohenfriedeberg).
     2. Indem es eine Stellung nahe an der Grenze einnimmt und abwartet, bis der Feind zum Angriff vor derselben erscheint, um ihn dann selbst anzugreifen (Czaslau, Soor, Roßbach). Offenbar ist hier das Verhalten schon leidender, man wartet länger ab, und wenn auch die Zeit sehr gering oder Null sein wird, die durch das zweite Verfahren im Vergleich mit dem ersten gewonnen wird, im Fall der feindliche Angriff wirklich statthat, so ist doch die Schlacht, welche im vorigen Fall gewiß war, nun schon weniger gewiß, es kann sein, daß der Entschluß des Feindes nicht bis zum Angriff reicht; der Vorteil des Abwartens ist also schon größer.
     3. Indem das Heer in einer solchen Stellung nicht bloß den Entschluß des Feindes zur Schlacht, d. h. das Erscheinen im Angesicht unserer Stellung, sondern auch den wirklichen Angriff abwartet. (Um bei demselben Feldherrn zu bleiben, Bunzelwitz). In diesem Fall wird man also eine wahre Verteidigungsschlacht liefern, welche aber, wie wir früher schon gesagt haben, doch die offensive Bewegung mit dem einen oder anderen Teil in sich schließen kann. Auch hier wird, wie vorher, der Zeitgewinn noch in gar keine Betrachtung kommen, der Entschluß des Feines aber wird auf eine neue Probe gestellt; mancher hat, nachdem er zum Angriff vorgerückt war, noch im letzten Augenblick oder bei dem ersten Versuch davon abgelassen, weil er die Stellung des Gegners zu stark fand.
     4. Indem das Heer seinen Widerstand in das Innere des Landes verlegt. Der Zweck dieses Rückzuges ist, bei dem Angreifenden eine solche Schwächung zu veranlassen und abzuwarten, daß er entweder in seinem Vorschreiten von selbst innehalten muß oder wenigstens den Widerstand, welchen wir ihm am Ende seiner Bahn leisten, nicht mehr überwinden kann.
     Am einfachsten und deutlichsten zeigt sich dieser Fall, wenn der Verteidiger eine oder mehrere seiner Festungen hinter sich lassen kann, die der Angreifende zu belagern oder einzuschließen gezwungen ist. Wie sehr seine Streitkraft dadurch geschwächt und dem Verteidiger Gelegenheit gegeben wird, sie auf einem Punkt mit großer Überlegenheit anzugreifen, ist an sich klar.
     Aber auch wenn keine Festungen da sind, kann ein solcher Rückzug in das Innere dem Verteidiger nach und nach dasjenige Gleichgewicht oder die Überlegenheit verschaffen, die ihm nötig ist und an der Grenze fehlte, denn jedes Vorschreiten im strategischen Angriff schwächt teils absolut, teils durch die notwendig werdende Teilung, wovon wir beim Angriff mehr sagen werden. Wir antizipieren hier diese Wahrheit, indem wir sie als ein durch alle Kriege hinlänglich bewiesenes Faktum betrachten.
     In diesem vierten Fall nun ist vor allen Dingen der Zeitgewinn als ein bedeutender Vorteil zu betrachten. Belagert der Angreifende unsere Festungen, so haben wir Zeit bis zu ihrem wahrscheinlichen Fall, welches doch mehrere Wochen, in einigen Fällen mehrere Monate sein können; ist aber seine Schwächung, d. h. die Erschöpfung seiner Angriffskraft bloß durch das Vorgehen und die Besetzung der notwendigen Punkte, also bloß durch die Länge seiner Bahn erhalten, so wird der Zeitgewinn in den meisten Fällen noch größer und unser Handeln nicht so an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden sein.
     Außer dem veränderten Machtverhältnis, welches am Ende dieser Bahn zwischen Verteidiger und Angreifendem eintritt, müssen wir für jenen auch wieder den gesteigerten Vorteil des Abwartens in Rechnung bringen. Wenn auch wirklich der Angreifende durch dieses Vorgehen noch nicht in dem Maße geschwächt worden wäre, daß er nicht unsere Hauptmacht da, wo sie Halt macht, noch angreifen könnte, so wird es ihm doch vielleicht an Entschluß dazu fehlen, denn dieser Entschluß wird hier immer stärker sein müssen, als er es an der Grenze zu sein brauchte; teils sind die Kräfte geschwächt und nicht mehr frisch und die Gefahr gesteigert, teils reicht bei unentschlossenen Feldherren der Besitz des Landes, in den sie gekommen sind, oft hin, den Gedanken an eine Schlacht ganz zu entfernen, weil sie entweder wirklich glauben oder den Vorwand nehmen, sie nicht mehr nötig zu haben. Durch diesen unterlassenen Angriff kann nun freilich nicht, wie an der Grenze, dem Verteidiger ein genügender negativer Erfolg werden, aber doch ein großer Zeitgewinn. -
     Es ist klar, daß in allen den vier angegebenen Fällen der Verteidiger den Beistand der Gegend genießt, und ebenso, daß er dadurch die Mitwirkung seiner Festungen und des Volkes in die Handlung bringen kann, und zwar werden diese wirksamen Prinzipe mit jeder neuen Stufe der Verteidigung zunehmen, und diese Dinge sind es namentlich, welche bei der vierten Stufe die Schwächung der feindlichen Macht herbeiführen. Da nun die Vorteile des Abwartens in eben der Richtung zunehmen, so folgt von selbst, daß jene Stufen als eine wahre Steigerung der Verteidigung zu betrachten sind, und daß diese Form des Krieges immer stärker wird, je weiter sie sich von dem Angriff entfernt. Wir fürchten nicht, daß man uns darum der Meinung beschuldige, als sei die passivste aller Verteidigungen die stärkste. Die Handlung des Widerstandes soll mit jeder neuen Stufe nicht geschwächt, sondern nur verzögert, verlegt werden. Daß man aber in einer starken und zweckmäßig verschanzten Stellung eines stärkeren Widerstandes fähig sei, und daß, wenn an diesem die Kräfte des Feindes sich halb erschöpft haben, auch ein wirksamerer Rückstoß gegen ihn erfolgen könne, ist gewiß nichts Widersinniges. Ohne die Vorteile der Stellung bei Kolin hätte Daun den Sieg wohl nicht errungen, und wenn er, nachdem Friedrich der Große nicht mehr als 18000 Mann vom Schlachtfelde zurückbrachte, diese stärker verfolgt hätte, so hätte der Erfolg einer der glänzendsten in der Kriegsgeschichte werden können.
     Wir behaupten also, daß mit jeder neuen Verteidigungsstufe das Übergewicht oder, genauer gesprochen, das Gegengewicht wächst, welches der Verteidiger bekommt, und folglich auch die Stärke des Rückschlages.
     Sind nun diese Vorteile der steigenden Verteidigung ganz umsonst zu haben? Keineswegs, die Opfer, mit welchen sie erkauft werden, steigen in eben dem Sinne.
     Wenn wir den Feind innerhalb unseres Kriegstheaters abwarten, so wird, wie nahe auch die Entscheidung an der Grenze gegeben wird, dieses Kriegstheater doch immer von der feindlichen Macht betreten, welches nicht ohne Opfer von seiten desselben sein kann, während wir durch einen Angriff diesen Nachteil dem Feinde zugewendet haben würden. Gehen wir dem Feinde nicht gleich entgegen, um ihn anzugreifen, so werden die Opfer schon etwas größer; der Raum, welchen der Feind einnimmt, und die Zeit, welche er braucht, um an unsere Stellung zu kommen, vermehren sie. Wollen wir eine Verteidigungsschlacht liefern, überlassen wir also den Entschluß und Augenblick dazu dem Feinde, so kann es sein, daß er geraume Zeit im Besitz des Landstriches bleibt, den er innehat, und die Zeit, welche er uns durch seinen Mangel an Entschluß gewinnen läßt, wird auf jene Weise von uns bezahlt. Noch fühlbarer werden die Opfer, wenn ein Rückzug in das Innere des Landes stattfindet.
     Aber alle diese Opfer, welche der Verteidiger bringt, verursachen ihm meistens einen Ausfall an Kräften, der nur mittelbar, also später und nicht unmittelbar auf seine Streitkräfte wirkt, und oft so mittelbar, daß die Wirkung wenig fühlbar wird. Der Verteidiger sucht also sich auf Kosten der Zukunft im gegenwärtigen Augenblick zu verstärken, d. h. er borgt, wie jeder tun muß, der für seine Verhältnisse zu arm ist.
     Wenn wir nun den Erfolg dieser verschiedenen Widerstandsformen betrachten wollen, so müssen wir auf den Zweck des Angriffs sehen. Dieser ist, in den Besitz unseres Kriegstheaters zu kommen oder wenigstens eines bedeutenden Teiles desselben, denn unter dem Begriff des Ganzen muß wenigstens die größere Masse desselben verstanden werden, und der Besitz eines Landstriches von wenigen Meilen hat in der Strategie in der Regel keine selbständige Wichtigkeit. Solange also der Angreifende in diesem Besitz noch nicht ist, d. h. solange er, weil er sich vor unserer Macht fürchtet, entweder noch gar nicht zum Angriff des Kriegstheaters vorgeschritten ist oder uns in unserer Stellung noch nicht aufgesucht hat oder der Schlacht, welche wir ihm geben wollten, ausgewichen ist, solange ist der Zweck der Verteidigung erfüllt, und die Wirkungen der Verteidigungsmaßregeln sind also erfolgreich gewesen. Aber freilich ist dieser Erfolg ein bloß negativer, welcher zu einem eigentlichen Rückstoß nicht unmittelbar die Kräfte geben kann. Er kann sie aber mittelbar geben, d. h. er ist auf dem Wege dazu, denn die Zeit, welche verstreicht, verliert der Angreifende, und jeder Zeitverlust ist ein Nachteil und muß auf irgendeine Art den, welcher ihn leidet schwächen.
     Es wird also bei den ersten drei Stufen der Verteidigung, d. h. wenn sie an der Grenze geschieht, schon die Nichtentscheidung ein Erfolg der Verteidigung sein. So ist es aber nicht bei der vierten.
     Belagert der Feind unsere Festungen, so müssen wir sie zur rechten Zeit entsetzen, also ist es an uns, die Entscheidung durch positives Handeln zu geben.
     Eben dies ist der Fall, wenn der Feind uns in das Innere des Landes gefolgt ist, ohne einen unserer Plätze zu belagern. Zwar haben wir in diesem Fall mehr Zeit, wir können den Augenblick der höchsten Schwächung des Feindes abwarten, aber immer bleibt doch die Voraussetzung, daß wir endlich zum Handeln übergehen. Der Feind ist zwar nun im Besitz vielleicht des ganzen Landstriches, welcher den Gegenstand seines Angriffs ausmachte; allein es ist ihm nur geliehen, die Spannung dauert fort, und die Entscheidung steht noch bevor. Solange der Verteidiger sich täglich verstärkt und der Angreifende sich täglich schwächt, ist die Nichtentscheidung in dem Interesse des ersteren; sowie aber der Kulminationspunkt eintritt, der notwendig eintreten muß, wäre es auch nur durch die endliche Einwirkung der allgemeinen Verluste, welcher der Verteidiger sich ausgesetzt hat, so ist das Handeln und Entscheiden an dem Verteidiger, und der Vorteil des Abwartens ist als völlig erschöpft zu betrachten.
     Dieser Zeitpunkt hat natürlich kein allgemeines Maß; eine Menge von Umständen und Verhältnissen können ihn bestimmen, aber bemerken müssen wir doch, daß der herannahende Winter einen sehr natürlichen Wendepunkt zu machen pflegt. Können wir den Feind nicht verhindern, in dem eingenommenen Landstrich zu überwintern, so wird in der Regel dieser als aufgegeben zu betrachten sein. Man braucht aber nur an das Beispiel von Torres Vedras zu denken, um einzusehen, daß diese Regel nicht allgemein ist.
     Welches ist nun die Entscheidung überhaupt?
     Wir haben sie in unserer Betrachtung stets in Form einer Schlacht gedacht; dies ist nun freilich nicht notwendig, sondern es lassen sich eine Menge Gefechtskombinationen mit geteilter Macht denken, die zu einem Umschwung führen, entweder, indem sie sich wirklich blutig entladen, oder indem ihre wahrscheinlichen Wirkungen den Rückzug des Gegners notwendig machen.
     Eine andere Entscheidung kann es auf dem Kriegstheater selbst nicht geben, das folgt ganz notwendig aus der Ansicht vom Kriege, wie wir sie aufgestellt haben; denn selbst wenn ein feindliches Heer aus bloßem Mangel an Lebensmitteln seinen Rückzug antritt, so entsteht doch dieser erst aus der Einschränkung, in welcher unser Schwert dasselbe hält; wäre unsere Streitkraft gar nicht vorhanden, so würde es schon Rat zu schaffen wissen.
     Also auch am Ende seiner Angriffsbahn, wenn der Feind den schwierigen Bedingungen seines Angriffs erliegt, Entsendungen, Hunger und Krankheit ihn geschwächt und ausgezehrt haben, ist es immer nur die Furcht vor unserem Schwert, die ihn veranlassen kann, umzukehren und alles wieder fahren zu lassen. Aber es findet freilich nichtsdestoweniger ein großer Unterschied zwischen einer solchen Entscheidung statt und einer an der Grenze gegebenen.
     Hier treten seinen Waffen nur unsere Waffen entgegen, nur diese halten jene im Zaum oder wirken zerstörend auf sie ein; dort aber, am Ende der Angriffsbahn, sind die feindlichen Streitkräfte schon durch die eigenen Anstrengungen halb zugrunde gerichtet, dadurch wird unseren Waffen ein ganz anderes Gewicht gegeben, und sie sind also, wenn auch der letzte, doch nicht mehr der einzige Entscheidungsgrund. Diese Vernichtung der feindlichen Streitkräfte im Vorgehen bereitet die Entscheidung vor, und sie kann das in dem Maße tun, daß die bloße Möglichkeit unserer Reaktion den Rückzug, also den Umschwung veranlassen kann. In diesem Falle also kann man praktisch nichts anderes als die Entscheidung diesen Anstrengungen im Vorgehen zuschreiben. Nun wird man freilich keinen Fall finden, wo das Schwert des Verteidigers nicht mitgewirkt hätte; aber es ist für die praktische Ansicht wichtig, zu unterscheiden, welches der beiden Prinzipe das vorherrschende gewesen ist.
     In diesem Sinne nun glauben wir sagen zu können, daß es in der Verteidigung eine doppelte Entscheidung, also eine doppelte Reaktionsart gebe, je nachdem der Angreifende durch das Schwert des Verteidigers oder durch seine eigenen Anstrengungen zugrunde gehen soll.
     Daß die erste Entscheidungsart bei den drei ersten Stufen der Verteidigung, die zweite bei der vierten vorherrschen wird, ist an sich klar; und zwar wird die letztere hauptsächlich nur vorkommen können, wenn der Rückzug tief in das Innere des Landes stattfindet; und sie allein ist es, welche einen solchen Rückzug mit den großen Opfern, die er kostet, motivieren kann.
     Wir haben also zwei verschiedene Prinzipe des Widerstandes kennengelernt; es gibt Fälle in der Kriegsgeschichte, wo sie so rein und getrennt vorkommen, als im praktischen Leben ein Elementarbegriff nur vorkommen kann. Wenn Friedrich der Große 1745 die Österreicher bei Hohenfriedeberg angreift, indem sie eben aus dem schlesischen Gebirge niedersteigen wollen, so konnte ihre Kraft weder durch Entsendungen, noch durch Anstrengungen auf eine merkliche Weise geschwächt sein; wenn auf der anderen Seite Wellington in der verschanzten Stellung von Torres Vedras abwartet, bis Hunger und Kälte Massénas Heer so weit gebracht haben, daß es seinen Rückzug von selbst antritt, so hat an der wirklichen Schwächung des Angreifenden das Schwert des Verteidigers keinen Anteil gehabt. In anderen Fällen, wo sie vielfältig miteinander verbunden sind, herrscht doch das eine bestimmt vor. So war es im Jahre 1812. Es haben in diesem berühmten Feldzuge eine solche Masse blutiger Gefechte stattgefunden, daß man damit in anderen Fällen die vollkommenste Entscheidung durch das Schwert hätte geben können; nichtsdestoweniger ist wohl in keinem Fall so deutlich wie in diesem gesehen worden, wie der Angreifende durch seine eigenen Anstrengungen zugrunde gehen kann. Von den 300000 Mann, die das französische Zentrum ausmachten, kamen nur etwa 90000 nach Moskau; nur etwa 13000 waren detachiert, es waren also 197000 Mann verloren worden, und gewiß ist nicht über ein Drittel dieses Verlustes auf die Gefechte zu rechnen.
     Alle Feldzüge, welche sich durch ein sogenanntes Temporisieren ausgezeichnet haben, wie die des berühmten Fabius Cunctator, sind vorzugsweise auf die Vernichtung des Gegners durch seine eigenen Anstrengungen berechnet.
     Überhaupt gibt es eine Menge Feldzüge, wo dieses Prinzip die Hauptsachen gemacht hat, ohne daß es recht zur Sprache käme, und nur wenn man gegen die erkünstelten Gründe der Geschichtschreiber die Augen verschließt, dafür aber den Begebenheiten selbst scharf ins Auge sieht, wird man auf diesen wahren Grund vieler Entscheidungen hingeführt.
     Hiermit glauben wir diejenigen Vorstellungen, welche der Verteidigung zum Grunde liegen, hinlänglich entwickelt, die Stufen derselben, und in diesen zwei Hauptarten des Widerstandes deutlich gezeigt und verständlich gemacht zu haben, wie sich das Prinzip des Abwartens durch das ganze Gedankensystem durchzieht und sich mit dem positiven Handeln verbindet, so daß dieses hier früher, dort später hervortritt, und der Vorteil des Abwartens dann als erschöpft er scheint.
     Wir meinen nun hiermit das ganze Gebiet der Verteidigung ausgemessen und umfaßt zu haben. Freilich gibt es noch Gegenstände in ihr von hinreichender Wichtigkeit, um besondere Abschnitte zu bilden, d. h. der Mittelpunkt eigener Gedankensysteme zu werden, deren wir also auch gedenken müssen - das Wesen und der Einfluß der Festungen, verschanzter Lager, der Gebirgs-, Flußverteidigungen, der Flankenwirkungen usw. Wir werden davon in den folgenden Kapiteln handeln; aber alle diese Gegenstände erscheinen uns nicht als außer unserer obigen Vorstellungsreihe vorhanden, sondern nur als eine nähere Anwendung derselben auf Örtlichkeit und Verhältnisse. Jene Vorstellungsreihe hat sich uns aus dem Begriff der Verteidigung und aus ihrem Verhältnis zum Angriff ergeben; wir haben diese einfachen Vorstellungen an die Wirklichkeit angeknüpft und so den Weg gezeigt, wie man aus der Wirklichkeit zu jenen einfachen Vorstellungen wieder zurückgelangen und also festen Grund gewinnen kann, damit man nicht genötigt sei, im Räsonnement zu Stützpunkten seine Zuflucht zu nehmen, die selbst in der Luft schweben.
     Allein der Widerstand durch das Schwert kann durch die Mannigfaltigkeit der Gefechtskombinationen, besonders in dem Fall, wo diese sich nicht blutig entladen, sondern durch ihre bloße Möglichkeit wirksam werden, ein so verändertes Ansehen, einen so verschiedenen Charakter bekommen, daß man sich zu der Meinung hingezogen fühlt, hier müsse auch ein anderes wirksames Prinzip aufgefunden werden können; zwischen dem blutigen Zurückweisen in einer einfachen Schlacht und den Wirkungen eines strategischen Gespinstes, welches die Sache gar nicht so weit kommen läßt, sei ein solcher Unterschied, daß man notwendig eine neue Kraft annehmen müsse: ungefähr wie die Astronomen aus dem großen Zwischenraum zwischen Mars und Jupiter auf das Dasein anderer Planeten geschlossen haben.
     Wenn der Angreifende den Verteidiger in einer festen Stellung findet, die er nicht glaubt überwältigen, wenn er ihn hinter einem bedeutenden Fluß findet, den er nicht glaubt überschreiten zu können, selbst wenn er beim weiteren Vorgehen fürchtet, seine Verpflegung nicht gehörig sichern zu können, so ist es immer nur das Schwert des Verteidigers, welches diese Wirkungen hervorbringt; denn die Furcht, von diesem Schwert besiegt zu werden, entweder in Hauptgefechten oder auf besonders wichtigen Punkten, ist es, was das Handeln des Angreifenden zum Stillstand bringt, nur wird er dies entweder gar nicht oder wenigstens nicht unumwunden aussprechen.
     Gibt man uns nun auch zu, daß selbst bei der unblutigen Entscheidung in letzter Instanz die Gefechte entschieden haben, welche nicht wirklich stattfanden, sondern bloß angeboten wurden, so wird man doch meinen, daß in diesem Falle die strategische Kombination dieser Gefechte als das wirksamste Prinzip betrachtet werden müßte, nicht ihre taktische Entscheidung, und daß dieses Vorwalten der strategischen Kombination nur gemeint sein könne, wenn man an andere Verteidigungsmittel als die des Schwertes denke. Wir räumen dies ein, befinden uns nun aber gerade auf dem Punkte, auf welchen wir gelangen wollten. Wir sagen nämlich: wenn der taktische Erfolg in den Gefechten die Grundlage aller strategischen Kombinationen ausmachen muß, so ist es immer möglich und zu fürchten, daß der Angreifende bis auf diese Grundlage durchgreift, sich vor allen Dingen darauf einrichtet, in diesen taktischen Erfolgen Meister zu werden, um dann die strategische Kombination zusammenzuwerfen; daß diese also niemals als etwas Selbständiges betrachtet werden muß, sondern daß sie nur gültig werden kann, wenn man wegen der taktischen Erfolge aus diesem oder jenem Grunde ohne Sorgen ist. Um uns hier mit wenigem verständlich zu machen, wollen wir nur daran erinnern, daß ein Feldherr wie Bonaparte durch ein ganzes strategisches Gewebe seiner Gegner rücksichtslos durchschritt, um den Kampf selbst aufzusuchen, weil er in diesem Kampf fast niemals an dem Ausgang zweifelte. Wo also die Strategie nicht ihre ganze Industrie darauf verwendet, ihn bei diesem Kampf mit einer überlegenen Macht zu unterdrücken, wo sie sich auf feinere (schwächere) Beziehungen einließ, war sie wie Spinnwebe zerrissen. Ein Feldherr aber wie Daun konnte durch solche Beziehungen leicht aufgehalten werden. Es wäre also töricht, einem Bonaparte und seiner Armee zu bieten, was die preußische Armee des Siebenjährigen Krieges Daun und der seinigen bieten durfte. Warum? - Weil Bonaparte recht gut wußte, daß alles auf die taktischen Erfolge ankomme, und derselben gewiß war, welches beides sich bei Daun anders verhielt. Darum also halten wir es für verdienstlich, zu zeigen, daß jede strategische Kombination nur auf den taktischen Erfolgen ruht, daß diese überall in der blutigen wie in der unblutigen Lösung die eigentlichen Grundursachen der Entscheidung sind. Nur wenn man diese nicht zu fürchten hat, sei es wegen des Charakters oder der Verhältnisse des Gegners oder wegen des moralischen und physischen Gleichgewichts beider Heere oder gar wegen des Übergewichts des unserigen, nur dann kann man von den strategischen Kombinationen an sich etwas erwarten.
     Wenn wir nun in dem ganzen Umfang der Kriegsgeschichte eine große Masse von Feldzügen finden, wo der Angreifende ohne blutige Entscheidung seinen Angriff aufgibt, wo sich also die strategischen Kombinationen so wirksam zeigen, so könnte das zu dem Gedanken führen, daß diese Kombinationen wenigstens in sich eine große Stärke haben und da, wo nicht in den taktischen Erfolgen eine zu entschiedene Überlegenheit des Angreifenden vorauszusetzen wäre, die Sache meistens allein entscheiden könnten. Hierauf müssen wir antworten, daß, wenn man von den Dingen spricht, die auf dem Kriegstheater ihren Ursprung haben, also dem Kriege selbst mehr angehören, auch diese Vorstellung falsch ist, und daß die Unwirksamkeit der meisten Angriffe ihren Grund in den höheren, den politischen Verhältnissen des Krieges hat.
     Die allgemeinen Verhältnisse, aus denen ein Krieg hervorgeht und die natürlich seine Grundlage ausmachen, bestimmen auch seinen Charakter; wir werden davon in der Folge beim Kriegsplan mehr zu sagen haben. Diese allgemeinen Verhältnisse aber haben die meisten Kriege zu einem Halbdinge gemacht, wo die eigentliche Feindschaft sich durch einen solchen Konflikt von Beziehungen winden mußte, daß sie nur ein sehr schwaches Element blieb. Dies muß sich natürlich beim Angriff, auf dessen Seite sich das positive Handeln findet, am meisten und stärksten zeigen. So ist es denn freilich kein Wunder, wenn ein solcher atemloser, hektischer Angriff durch den Druck eines Fingers zum Stillstand gebracht werden konnte. Gegen einen matten, von tausend Rücksichten gelähmten, kaum noch vorhandenen Entschluß ist oft der Schein eines Widerstandes genug.
     Es ist nicht die große Anzahl unangreifbarer Stellungen, welche sich überall finden, nicht die Fruchtbarkeit der dunklen Gebirgsmassen, welche sich über das Kriegstheater hinlagern, oder des breiten Stromes, der es durchzieht, nicht die Leichtigkeit, durch gewisse Zusammenstellungen der Gefechte den Muskel, der den Stoß gegen uns ausführen soll, wirklich zu lähmen; - diese Dinge sind nicht die Ursache des häufigen Erfolges, den der Verteidiger auf unblutigem Wege hat, sondern es ist die Schwäche des Willens, womit der Angreifende den zögernden Fuß vorsetzt.
     Jene Gegengewichte können und müssen berücksichtigt werden, aber man soll sie nur erkennen als das, was sie sind, und ihre Wirkungen nicht anderen Dingen zuschreiben, nämlich den Dingen, von denen wir hier allein sprechen. Wir dürfen nicht unterlassen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, wie die Kriegsgeschichte in dieser Beziehung so leicht zu einem stehenden Lügner und Betrüger werden kann, wenn die Kritik nicht darauf bedacht ist, einen berichtigenden Standpunkt anzunehmen.
     Betrachten wir jetzt die großen Massen der ohne blutige Lösung mißlungenen Angriffsfeldzüge in der Gestalt, welche wir die vulgäre nennen möchten.
     Der Angreifende rückt in Feindesland vor, drängt den Gegner ein Stück zurück, findet aber zu viel Bedenken, es auf eine entscheidende Schlacht ankommen zu lassen; er bleibt also vor ihm stehen, tut, als habe er eine Eroberung gemacht und keine andere Aufgabe, als diese zu decken; als sei es an dem Gegner, die Schlacht zu suchen, als biete er sie ihm täglich an usw. Dies alles sind Vorspiegelungen, die der Feldherr seinem Heer, seinem Hof, der Welt, ja sich selbst macht. Der wahre Grund ist, daß man den Gegner in seiner Lage zu stark findet. Wir sprechen hier nicht von dem Fall, wo der Angreifende den Angriff unterläßt, weil er vom Siege keinen Gebrauch machen konnte, weil er am Ende seiner Laufbahn nicht mehr Schwungkraft genug hatte, eine neue zu beginnen. Dieser Fall setzt einen schon gelungenen Angriff, eine wirkliche Eroberung voraus; wir aber haben hier den Fall im Auge, wo der Angreifende mitten in der beabsichtigten Eroberung stecken bleibt.
     Nur wird gewartet, um günstige Umstände zu benutzen; zu diesen günstigen Umständen sind in der Regel keine Gründe vorhanden, denn der beabsichtigte Angriff beweist schon, daß man sich von der nächsten Zukunft nicht mehr versprechen konnte als von der Gegenwart; es ist also ein neues Trugbild. Ist nun, wie gewöhnlich, das Unternehmen im Zusammenhange mit anderen gleichzeitigen, so wird anderen Heeren zugeschoben, was man nicht selbst leisten will, und die Gründe der eigenen Untätigkeit werden im Mangel an Unterstützung und Zusammenstimmung gesucht. Es wird von unüberwindlichen Schwierigkeiten gesprochen, und Motive werden in den verwickeltsten feinsten Beziehungen gefunden. So verzehren sich die Kräfte des Angreifenden in Untätigkeit oder vielmehr in einer unzureichenden und darum erfolglosen Tätigkeit. Der Verteidiger gewinnt Zeit, worauf es ihm hauptsächlich ankommt, die schlechte Jahreszeit naht und der Angriff endigt damit, daß der Angreifende in sein eigenes Kriegstheater zu den Winterquartieren zurückkehrt.
     Jenes Gewebe nun von unwahren Vorstellungen geht in die Geschichte über und verdrängt den ganz einfachen und wahren Grund des Nichterfolges, nämlich die Furcht vor dem feindlichen Schwert. Geht nun die Kritik in einen solchen Feldzug ein, so müht sie sich an einer Menge von Gründen und Gegengründen ab, die kein überzeugendes Resultat geben, weil sie alle in der Luft schweben, und man in den eigentlichen Grundbau der Wahrheit nicht hinuntersteigt.
     Jener Betrug aber ist nicht etwa bloß eine üble Gewohnheit, sondern in der Natur der Dinge begründet. Die Gegengewichte, wodurch die Elementarkraft des Krieges und also der Angriff insbesondere geschwächt wird, liegen dem größeren Teile nach in den politischen Verhältnissen und Absichten des Staates, und diese werden der Welt, dem eigenen Volke und Heere immer, in manchen Fällen aber sogar dem Feldherrn verborgen. Niemand z. B. kann und wird seinen Entschluß des Innehaltens oder Aufgebens durch das Geständnis motivieren, daß er fürchtet, mit seiner Kraft nicht bis ans Ende zu reichen, oder sich neue Feinde zu erwecken, oder daß er seinen Bundesgenossen nicht will zu stark werden lassen usw. Alle solche Dinge bleiben lange verschwiegen oder bleiben es wohl auf immer; für die Welt aber soll doch das Handeln im Zusammenhange dargestellt werden, und so wird denn der Feldherr genötigt, entweder für eigene Rechnung oder für Rechnung seiner Regierung ein Gewebe von falschen Gründen geltend zu machen. Diese immer wiederkehrenden Spiegelfechtereien der Kriegsdialektik haben sich in der Theorie zu Systemen verknöchert, die natürlich ebensowenig Wahrheit haben. Nur indem die Theorie, wie wir es versucht haben, dem einfachen Faden des inneren Zusammenhanges folgt, kann sie auf das Wesen der Dinge zurückkommen.
     Sieht man die Kriegsgeschichte mit diesem Mißtrauen an, so sinkt ein großer Angriffs- und Verteidigungsapparat, der nur in Hin- und Herreden besteht, in sich zusammen, und die einfache Vorstellungsart, welche wir davon gegeben haben, tritt von selbst hervor. Wir glauben also, daß sie durch das ganze Gebiet der Verteidigung durchgreifend ist, und daß man nur, indem man fest an ihr hält, imstande ist, die Masse der Ereignisse mit klarer Einsicht zu beherrschen.
     Jetzt haben wir uns noch mit der Frage über den Gebrauch dieser verschiedenen Formen der Verteidigung zu beschäftigen.
     Da sie sämtlich Steigerungen derselben sind, die durch immer steigende Opfer erkauft werden, so würde dadurch, wenn andere Umstände nicht mitwirken, die Wahl des Feldherrn schon hinlänglich bestimmt. Er würde diejenige Form wählen, welche ihm eben zureichend schiene, seine Streitkraft auf den erforderlichen Punkt der Widerstandsfähigkeit zu führen; aber er würde nicht weiter in die Verteidigung zurückgehen, um keine unnützen Opfer zu bringen. Allein man muß sagen, daß die Wahl dieser verschiedenen Formen meistens sehr beschränkt ist, weil die anderen Hauptdinge, welche in der Verteidigung vorkommen, zu der einen oder anderen notwendig hindrängen. Für den Rückzug ins Innere des Landes ist eine beträchtliche Oberfläche erforderlich oder Verhältnisse wie die in Portugal 1810, wo ein Verbündeter (England) im Rücken den Anhalt gab, und ein anderer (Spanien) mit seiner weiten Länderfläche die Stoßkraft des Feindes beträchtlich schwächte. Die Lage der Festungen, mehr an der Grenze oder mehr im Inneren des Landes, kann ebenfalls für oder gegen einen solchen Plan entscheiden, noch mehr aber die Natur des Landes und Bodens, der Charakter, die Sitten, die Gesinnung der Einwohner. Die Wahl zwischen Angriffs- und Verteidigungsschlacht kann durch den Plan des Gegners, durch die Eigentümlichkeit beider Heere und Feldherren entschieden werden; endlich kann der Besitz einer vorzüglichen Stellung oder Verteidigungslinie oder der Mangel daran zu dem einen oder anderen führen; - kurz, es ist genug, diese Dinge zu nennen, um fühlen zu lassen, daß die Wahl bei der Verteidigung in vielen Fällen mehr durch sie als durch das bloße Machtverhältnis bestimmt werden wird. Da wir die wichtigsten hier berührten Gegenstände noch näher kennenlernen werden, so wird sich der Einfluß, welchen sie auf die Wahl haben, auch dann erst bestimmter entwickeln lassen, und zuletzt alles in dem Buche vom Kriegs- und Feldzugsplan zu einem Ganzen sich zusammenstellen.
     Aber jener Einfluß wird meistens nur bestimmend werden, wenn das Machtverhältnis nicht zu ungleich ist, im entgegengesetzten Fall aber, sowie in der Allgemeinheit der Fälle, wird dieses Machtverhältnis durchgreifen. Daß es dies getan hat, ohne daß eine solche Vorstellungsreihe, wie wir sie hier entwickelt haben, vorhanden war, also dunkel nach dem bloßen Takt des Urteils, wie das meiste, was im Kriege geschieht, beweist die Kriegsgeschichte hinlänglich. Es war derselbe Feldherr, dasselbe Heer, welche auf demselben Kriegstheater einmal die Schlacht von Hohenfriedeberg lieferten und ein andermal das Lager von Bunzelwitz bezogen. Also auch Friedrich der Große, der, was die Schlacht betrifft, der offensivste aller Feldherren war, sah sich zuletzt beim großen Mißverhältnis der Macht zu einer eigentlichen Verteidigungsstellung gezwungen, und Bonaparte, der früher wie ein wilder Eber seinen Gegner anging, sehen wir ihn nicht, als das Machtverhältnis sich gegen ihn wandte, im August und September 1813 schon wie in einem Käfig eingesperrt hin und her sich wenden, ohne auf einen der Gegner rücksichtslos fortzuschießen? Im Oktober desselben Jahres aber, als das Mißverhältnis seinen Gipfel erreichte, sehen wir ihn nicht bei Leipzig, in dem Winkel der Parthe, Elster und Pleiße Schutz suchend, wie im Winkel eines Zimmers den Rücken gegen die Wand gelehnt, seine Feinde abwarten?
     Wir können nicht unbemerkt lassen, daß aus diesem Kapitel mehr als aus irgendeinem anderen unseres Buches deutlich wird, wie wir es nicht darauf anlegen, neue Grundsätze und Methoden des Kriegführens anzugeben, sondern das längst Vorhandene in seinem innersten Zusammenhange zu untersuchen und auf seine einfachsten Elemente zurückzuführen.

 
     Neuntes Kapitel:
     Die Verteidigungsschlacht


     Wir haben im vorigen Kapitel gesagt, daß der Verteidiger sich in seiner Verteidigung einer Schlacht bedienen könne, die taktisch eine vollkommene Angriffsschlacht ist, wenn er den Gegner im Augenblick, wo er in unser Kriegstheater einbricht, aufsucht und angreift; daß er aber auch den Feind vor seiner Fronte abwarten und dann zum Angriff übergehen könne, in welchem Fall die Schlacht taktisch wieder eine Angriffsschlacht sein wird, obgleich schon eine etwas bedingte; endlich, daß er den Angriff des Gegners in seiner Stellung wirklich abwarten und demselben sowohl durch örtliche Verteidigung als durch Anfälle mit einem Teil seiner Macht entgegenwirken könne. Hier lassen sich natürlich mehrere Grade und Abstufungen denken, welche immer mehr von dem Prinzip eines positiven Rückstoßes ab in das Prinzip einer örtlichen Verteidigung hineinführen. Wir können uns hier nicht darauf einlassen, zu sagen, wie weit das gehen darf, und welches das vorteilhafteste Verhältnis beider Elemente zur Gewinnung eines entscheidenden Sieges sein möchte. Aber wir bleiben dabei stehen, daß, wo dieser gesucht wird, der offensivste Teil der Schlacht niemals ganz fehlen dürfe, und wir haben die Überzeugung, daß von diesem offensiven Teile aus alle Wirkungen eines entscheidenden Sieges hervorgehen können und müssen so gut wie in einer rein taktischen Offensivschlacht.
     So wie das Schlachtfeld strategisch nur ein Punkt ist, so ist die Zeit einer Schlacht strategisch nur ein Moment, und nicht der Verlauf, sondern das Ende und Resultat einer Schlacht ist eine strategische Größe.
     Wäre es nun wahr, daß sich an die Angriffselemente, die in jeder Verteidigungsschlacht liegen, ein vollständiger Sieg anknüpfen läßt, so müßte für die strategische Kombination im Grunde zwischen Angriff und Verteidigungsschlacht gar kein Unterschied sein. So ist es auch nach unserer Überzeugung, aber es scheint freilich anders. Um den Gegenstand schärfer ins Auge zu fassen, unsere Ansicht klar zu machen und damit jenen Schein zu entfernen, wollen wir das Bild einer Verteidigungsschlacht, wie wir sie uns denken, flüchtig hinwerfen.
     Der Verteidiger erwartet den Angreifenden in einer Stellung, er hat sich eine passende Gegend dazu ausersehen und eingerichtet, d. h. er hat sie genau kennengelernt, hat auf einem paar der wichtigsten Punkte tüchtige Schanzen errichtet, Verbindungen geöffnet und geebnet, Batterien eingeschnitten, Dörfer befestigt und passende Orte zur verdeckten Aufstellung seiner Massen ausgesucht usw. Eine mehr oder weniger starke Fronte, deren Zugang durch einen oder mehrere parallele Einschnitte oder andere Hindernisse oder auch durch den Einfluß vorherrschender fester Punkte erschwert wird, setzt ihn in den Stand, in den verschiedenen Stadien des Widerstandes bis zum Kern der Stellung hin, während sich die gegenseitigen Kräfte in ihren Berührungspunkten aneinander verzehren, mit wenigen der seinigen viele der feindlichen zu zerstören. Die Anlehnungspunkte, welche er seinen Flügeln gegeben hat, sichern ihn vor einem urplötzlichen Anfall von mehreren Seiten; die verdeckte Gegend, die er zur Aufstellung gewählt hat, macht den Angreifenden behutsam, ja zaghaft und gewährt dem Verteidiger die Mittel, die allgemeine rückgängige Bewegung des sich immer mehr zusammenziehenden Gefechts durch kleine glückliche Anfälle zu schwächen. So blickt der Verteidiger mit Zufriedenheit in die Schlacht, die mit gemäßigtem Element vor ihm fortbrennt; - aber er hält seinen Widerstand in der Fronte nicht für unerschöpflich - aber er glaubt seine Seiten nicht unantastbar - aber er erwartet von dem glücklichen Anfall einiger Bataillone oder Schwadronen nicht den Umschwung der ganzen Schlacht. Seine Stellung ist tief, denn jeder Teil auf der Stufenleiter der Schlachtordnung, von der Division bis zum Bataillon hinab, hat seinen Rückhalt für unvorhergesehene Fälle und zur Erneuerung des Gefechts; aber eine bedeutende Masse, 1/4 bis 1/3 des Ganzen, hält er ganz zurück außer der Schlacht, so weit zurück, daß von keinem Verlust durch das feindliche Feuer die Rede sein kann, und womöglich so weit, daß dieser Teil noch außerhalb der Umgehungslinie fällt, womit der Angreifende den einen oder anderen Flügel der Stellung umfassen wird. Mit diesem Teil will er seine Flügel für weitere und größere Umgehungen decken, sich gegen unvorhergesehene Fälle sichern, und im letzten Drittel der Schlacht, wenn der Angreifende seinen Plan ganz entwickelt, seine Kräfte größtenteils ausgegeben hat, dann will er mit dieser Masse sich auf einen Teil der feindlichen Macht werfen, gegen diesen seine eigene kleinere Angriffsschlacht entwickeln, sich darin aller Elemente des Angriffs, wie Anfall, Überraschung, Umgehung, bedienen und durch diesen Druck gegen den noch auf einer Spitze ruhenden Schwerpunkt der Schlacht die zurückschlagende Bewegung des Ganzen hervorbringen.
     Dies ist die Normalvorstellung, welche wir uns von einer Verteidigungsschlacht machen, die auf den jetzigen Stand der Taktik gegründet ist. In derselben ist das allgemeine Umfassen des Angreifenden, wodurch er seinem Angriff mehr Wahrscheinlichkeit und zugleich mehr Umfang des Erfolges geben will, durch ein untergeordnetes Umfassen erwidert, nämlich desjenigen Teils der feindlichen Streitkräfte, welcher zum Umgehen gebraucht worden ist. Dieses untergeordnete Umfassen kann als hinreichend gedacht werden, die Wirkung des feindlichen aufzuheben, aber es kann daraus nicht ein ähnliches allgemeines Umfassen des feindlichen Heeres entspringen, und es wird daher immer der Unterschied zwischen den Lineamenten des Sieges sein, daß er bei der Angriffsschlacht das feindliche Heer umfaßt und nach dem Mittelpunkt desselben wirkt, bei der Verteidigungsschlacht aber mehr oder weniger von dem Mittelpunkt nach dem Umfang und auf Radien.
     Auf dem Schlachtfelde selbst und in dem ersten Stadium der Verfolgung muß die umfassende Form immer als die wirksamere erkannt werden, aber nicht sowohl überhaupt wegen ihrer Gestalt, als vielmehr nur dann, wenn es ihr gelingt, das Umfassen bis auf den äußersten Punkt durchzusetzen, nämlich dem feindlichen Heer schon in der Schlacht den Rückzug wesentlich zu beschränken. Gegen diesen äußersten Punkt aber ist gerade die positive Rückwirkung des Verteidigers gerichtet, und sie wird in vielen Fällen, wo sie nicht hinreicht, ihm den Sieg zu verschaffen, doch hinreichen, ihn gegen jenes Äußerste zu beschützen. Immer aber müssen wir einräumen, daß bei einer Verteidigungsschlacht diese Gefahr, nämlich die einer zu großen Beschränkung des Rückzuges, vorzugsweise vorhanden ist, und daß, wenn sie nicht abgewendet werden kann, der Erfolg in der Schlacht selbst und im ersten Stadium der Verfolgung dadurch sehr gesteigert wird.
     Aber so ist es in der Regel nur im ersten Stadium der Verfolgung, nämlich bis zum Einbruch der Nacht; den folgenden Tag hat das Umfassen sein Ende erreicht, und beide Teile sind in dieser einen Beziehung wieder im Gleichgewicht.
     Freilich kann der Verteidiger um seine beste Rückzugsstraße gekommen und dadurch strategisch fortwährend in eine nachteilige Lage versetzt sein, aber das Umfassen selbst wird, mit wenig Ausnahmen, immer sein Ende haben, weil es nur für das Schlachtfeld berechnet war und also nicht viel weiter reichen kann. Was wird aber auf der anderen Seite entstehen, wenn der Verteidiger siegreich ist? Eine Trennung des Geschlagenen. Diese erleichtert im ersten Augenblick den Rückzug, aber am nächsten Tage ist das höchste Bedürfnis die Vereinigung aller Teile. Ist nun der Sieg sehr entschieden erfochten worden, stößt der Verteidiger mit großer Energie nach, so wird jene Vereinigung oft nicht möglich, und es entstehen aus dieser Trennung des Geschlagenen die schlimmsten Folgen, die in einer Stufenfolge bis ans Zersprengen gehen können. Wenn Bonaparte bei Leipzig gesiegt hätte, so würde die gänzliche Trennung der verbündeten Heere die Folge davon gewesen sein und das Niveau ihres strategischen Verhältnisses mächtig heruntergedrückt haben. Bei Dresden, wo Bonaparte zwar keine eigentliche Verteidigungsschlacht lieferte, hatte doch der Angriff die geometrische Form, von welcher wir hier sprechen, nämlich von dem Mittelpunkt nach dem Umkreis; es ist bekannt, in welcher Verlegenheit sich das verbündete Heer durch seine Trennung befand, eine Verlegenheit, aus welcher sie nur der Sieg an der Katzbach riß, weil auf die Nachricht davon Bonaparte mit den Garden nach Dresden zurückkehrte.
     Diese Schlacht an der Katzbach selbst ist ein ähnliches Beispiel: es ist ein Verteidiger, der im letzten Augenblick zum Angriff übergeht und folglich exzentrisch wirkt; die französischen Korps wurden dadurch auseinandergedrückt, und mehrere Tage nach der Schlacht fiel die Division Puthod als eine Frucht des Sieges den Verbündeten in die Hände.
     Wir schließen hieraus, daß, wenn der Angriff durch die ihm homogenere Form ein Mittel hat, seinen Sieg zu steigern, dem Verteidiger durch die ihm homogenere Form der Exzentrizität gleichfalls ein Mittel wird, seinem Sieg größere Folgen zu geben, als bei einer bloß parallelen Stellung und senkrechten Wirkung der Kräfte der Fall sein würde, und wir glauben, daß das eine Mittel wenigstens ebensoviel gelten könne als das andere.
     Wenn wir aber in der Kriegsgeschichte aus der Verteidigungsschlacht selten so große Siege hervortreten sehen als aus der Angriffsschlacht, so beweist das nichts gegen unsere Behauptung, daß sie an sich dazu ebensosehr geeignet sei, sondern die Ursache liegt in den sehr verschiedenen Verhältnissen des Verteidigers. Der Verteidiger ist meistens der Schwächere, nicht bloß in der Streitkraft, sondern seinen ganzen Verhältnissen nach, er war oder glaubte sich meistens nicht imstande, seinem Siege eine große Folge zu geben, und begnügte sich dann mit der bloßen Zurückweisung der Gefahr und mit der geretteten Waffenehre. Daß der Verteidiger durch seine Schwäche und seine Verhältnisse in dem Maße gebunden sein kann, ist keine Frage; aber allerdings hat man auch oft das, was nur die Folge einer Notwendigkeit sein sollte, für die Folge der Rolle genommen, die man als Verteidiger spielt, und so ist es denn wirklich törichterweise eine Grundansicht über die Verteidigung geworden, daß ihre Schlachten nur auf das Abwehren, nicht auf das Vernichten des Feindes gerichtet wären. Wir halten dies für einen der schädlichsten Irrtümer, für eine wahre Verwechslung der Form mit der Sache und behaupten unbedingt, daß in der Kriegsform, welche wir Verteidigung nennen, nicht allein der Sieg wahrscheinlicher sei, sondern auch eben die Größe und Wirksamkeit erlangen könne wie beim Angriff, und daß dies nicht bloß in dem summarischen Erfolg aller Gefechte, die einen Feldzug ausmachen, der Fall sei, sondern such in der einzelnen Schlacht, wenn es nicht an dem gehörigen Maß von Kraft und Willen fehlt.

 
     Zehntes Kapitel:
     Festungen


     Früher und bis zur Zeit der großen stehenden Heere herunter waren Festungen, d. i. Schlösser und befestigte Städte, nur zum Schutz ihrer Einwohner da. Der Edelmann, wenn er sich von allen Seiten bedrängt sah, rettete sich in sein Schloß, um Zeit zu gewinnen, einen besseren Augenblick abzuwarten; die Städte suchten durch ihre Befestigungen die vorüberziehende Wetterwolke des Krieges von sich abzuhalten. Bei dieser einfachsten und natürlichsten Bestimmung der Befestigungen ist es nicht geblieben; die Beziehungen, welche ein solcher Punkt zum ganzen Lande und wieder zu dem Kriegsvolk hatte, welches sich im Lande hier und dort bekämpfte, gaben den befestigten Punkten bald eine erweiterte Wichtigkeit, eine Bedeutung, die sich außerhalb ihrer Mauern erstreckte, zur Einnahme oder Behauptung des Landes, zum glücklichen oder unglücklichen Ausgang des ganzen Kampfes beitrug und auf diese Weise selbst ein Mittel wurde, den Krieg mehr zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verbinden. So haben die Festungen ihre strategische Bedeutung bekommen, die eine Zeitlang für so wichtig angesehen wurde, daß sie die Grundlinien zu den Feldzugsplänen abgab, die mehr darauf gerichtet warm, eine oder ein paar Festungen zu erobern, als die feindliche Streitkraft zu vernichten. Man kehrte zu der Veranlassung dieser Bedeutung zurück, nämlich zu den Beziehungen, welche ein befestigter Punkt zur Gegend und zum Heere hat, und glaubte nun in der Bestimmung der zu befestigenden Punkte nicht sorgfältig, fein und abstrakt genug sein zu können. Über dieser abstrakten Bestimmung wurde die ursprüngliche fast ganz aus den Augen verloren, und man kam auf die Idee der Festungen ohne Städte und Einwohner.
     Von der anderen Seite sind die Zeiten vorüber, wo die bloße Befestigung der Mauern ohne andere Kriegsanstalten einen Ort vor der Überschwemmung des Krieges, der über das ganze Land herzieht, völlig trocken erhalten konnte, denn diese Möglichkeit gründete sich teils auf die kleinen Staaten, in welche die Völker früher geteilt waren, teils auf die periodische Natur des damaligen Angriffs, der fast wie die Jahreszeiten seine bestimmte, sehr begrenzte Dauer hatte, weil entweder die Lehnleute nach Hause eilten oder das Geld für die Condottieri regelmäßig auszugehen pflegte. Seitdem große stehende Heere mit ihren gewaltigen Artilleriezügen den Widerstand der einzelnen Punkte maschinenartig niedermähen, hat keine Stadt und keine andere kleine Korporation mehr Lust, ihre Kräfte aufs Spiel zu setzen, um einige Wochen oder Monate später genommen und dann um so strenger behandelt zu werden. Noch weniger kann es das Interesse der Heere sein, sich in eine Unzahl fester Plätze zu zersplittern, die das Vorschreiten des Feindes etwas langsam machen, aber notwendig mit Unterwerfung endigen würden. Es müssen immer soviel Kräfte übrigbleiben, um dem Feinde im Felde gewachsen zu sein, es sei denn, daß man sich auf die Ankunft eines Bundesgenossen stütze, der unsere festen Plätze entsetzt und unser Heer befreit. Es hat sich also die Zahl der Festungen notwendig sehr vermindern müssen, und dies hat von neuem von der Idee, durch Befestigungen die Menschen und Güter der Städte unmittelbar zu schützen, ab- und zu der anderen Idee hinführen müssen, die Festungen als einen mittelbaren Schutz des Landes zu betrachten, den sie durch ihre strategische Bedeutung gewähren, als Knoten, die das strategische Gewebe zusammenhalten.
     So ist der Gang der Ideen gewesen, nicht bloß in Büchern, sondern auch im praktischen Leben; aber freilich in Büchern weiter ausgesponnen, wie das gewöhnlich ist.
     So notwendig diese Richtung der Sache war, so haben die Ideen doch zu weit geführt, und es haben Künstlichkeiten und Spielereien den gesunden Kern des natürlichen und großen Bedürfnisses verdrängt. Nur diese einfachen großen Bedürfnisse werden wir ins Auge fassen, wenn wir die Zwecke und Bedingungen der Festungen nebeneinander aufzählen, wir werden dabei von den einfachen zu den zusammengesetzteren fortschreiten und im folgenden Kapitel sehen, was sich daraus für die Bestimmung ihrer Lage und Anzahl ergibt.
     Offenbar ist die Wirksamkeit einer Festung aus zwei verschiedenen Elementen zusammengesetzt, dem passiven und dem aktiven. Durch das erste schützt sie den Ort und alles, was in ihm enthalten ist, durch das andere übt sie einen gewissen Einfluß auf die auch über ihre Kanonenschußweite hinausliegende Umgegend.
     Dieses aktive Element besteht in den Angriffen, welche die Besatzung auf jeden Feind unternehmen kann, der sich bis auf einen gewissen Punkt nähert. Je größer die Besatzung ist, um so größer werden die Haufen sein, welche zu solchen Zwecken aus ihr hervorgehen, und je größer diese sind, um so weiter können sie in der Regel gehen, woraus dann folgt, daß der aktive Wirkungskreis einer großen Festung nicht nur intensiv stärker, sondern auch größer ist wie der der kleinen. Aber das aktive Element besteht selbst gewissermaßen wieder aus zwei Teilen, nämlich den Unternehmungen der eigentlichen Besatzung und den Unternehmungen, welche andere, nicht dazugehörige, aber mit ihr in Verbindung stehende große und kleine Heerhaufen ausführen können. Es können nämlich Korps, die zu schwach sein würden, dem Feinde selbständig gegenüberzutreten, durch den Schutz, welchen sie im Notfall hinter den Mauern der Festung finden, in den Stand gesetzt werden, sich in der Gegend zu behaupten und dieselbe bis auf einen gewissen Grad zu beherrschen.
     Die Unternehmungen, welche die Besatzung einer Festung sich erlauben darf, sind immer ziemlich beschränkt. Selbst bei großen Festungen und starken Besatzungen sind die Haufen, welche dazu ausgesandt werden können, in Beziehung auf die im Felde stehenden Streitkräfte meistens nicht beträchtlich, und der Durchmesser ihres Wirkungskreises beträgt selten über ein paar Märsche. Ist die Festung aber klein, so werden die Haufen ganz unbedeutend und ihr Wirkungskreis meist auf die nächsten Dörfer beschränkt. Solche Korps aber, die nicht zur Besatzung gehören, also nicht notwendig in die Festung zurückkehren müssen, sind dadurch viel weniger gebunden, und so kann durch sie die aktive Wirkungssphäre einer Festung, wenn die übrigen Umstände dazu günstig sind, außerordentlich erweitert werden. Wir müssen also, wenn wir von der aktiven Wirksamkeit der Festungen im allgemeinen sprechen, diesen Teil derselben vorzüglich im Auge behalten.
     Aber auch die kleinste aktive Wirksamkeit der schwächsten Besatzung ist immer noch ein ganz wesentliches Stück für alle Zwecke, welche die Festungen zu erfüllen haben; denn strenge genommen ist ja die passivste aller Tätigkeiten einer Festung, die Verteidigung beim Angriff, nicht ohne jene aktive Wirksamkeit zu denken. Indessen fällt es in die Augen, daß unter den verschiedenen Bedeutungen, welche eine Festung überhaupt oder in diesem und jenem Augenblick haben kann, die eine mehr die passive, die andere mehr die aktive Wirksamkeit in Anspruch nimmt. Diese Bedeutungen sind teils einfach, und die Wirksamkeit der Festung in diesem Fall gewissermaßen direkt, teils zusammengesetzt, und die Wirksamkeit ist dann mehr oder weniger indirekt. Wir wollen von den ersteren zu den letzteren übergehen, in jedem Fall aber sogleich erklären, daß natürlich eine Festung mehrere oder auch alle diese Bedeutungen zugleich oder wenigstens in verschiedenen Momenten haben kann.
     Wir sagen also: die Festungen sind die ersten und größten Stützen der Verteidigung, auf folgende Weise:
     1. Als gesicherte Vorratshäuser. Der Angreifende lebt während des Angriffs von einem Tage zum anderen; der Verteidiger muß gewöhnlich lange vorher in Bereitschaft sein, er kann also nicht bloß aus der Gegend leben, worin er steht und die er ohnehin gern schont; Vorratshäuser sind ihm folglich ein sehr großes Bedürfnis. Die Vorräte aller Art, die der Angreifende hat, bleiben beim Vorgehen zurück und werden also den Gefahren des Kriegstheaters entzogen, die des Verteidigers kommen mitten darin zu liegen. Sind diese Vorräte aller Art nicht in befestigten Orten, so müssen sie den nachteiligsten Einfluß auf das Handeln im Felde haben, und es sind namentlich oft die gezwungensten und gedehntesten Stellungen nötig, um sie zu decken.
     Ein Verteidigungsheer ohne Festungen hat hundert verwundbare Stellen, es ist ein Körper ohne Harnisch.
     2. Zur Sicherung großer und reicher Städte. Diese Bestimmung ist der ersten sehr nahe verwandt, denn große und reiche Städte, besonders Handelsplätze, sind die natürlichen Vorratshäuser der Heere; als solche trifft ihr Besitz und Verlust das Heer unmittelbar. Außerdem ist es doch immer der Mühe wert, sich diesen Teil des Staatseigentums zu erhalten, teils wegen der Kräfte, die mittelbar daraus gezogen werden, teils weil ein bedeutender Ort selbst bei den Friedensunterhandlungen ein merkliches Gewicht in die Waagschale legt.
     Diese Bestimmung der Festungen ist in der neueren Zeit zu wenig gewürdigt worden, und doch ist sie eine der natürlichsten, die am kräftigsten wirken und den wenigsten Irrtümern unterworfen sind. Gäbe es ein Land, wo nicht allein alle großen und reichen Städte, sondern jeder volkreiche Ort befestigt, durch seine Einwohner und die benachbarten Bauern verteidigt wäre, so würde die Geschwindigkeit der kriegerischen Bewegung dadurch in einem solchen Maße geschwächt werden, und das angegriffene Volk mit einem solchen Teil seiner ganzen Schwere auf die Waagschale drücken, daß das Talent und die Willenskraft des feindlichen Heerführers zur Unmerklichkeit hinabsinken würden. Dieses Ideal einer Landesbefestigung wollen wir uns bloß vorhalten, damit der eben gedachten Bestimmung der Festungswerke ihr Recht widerfahren und die Wichtigkeit des unmittelbaren Schutzes, welchen sie gewähren, in keinem Augenblick übersehen werden möge; übrigens aber soll uns diese Vorstellung nicht in unserer Betrachtung stören, denn immer müßten unter der ganzen Masse der Städte einige sein, die stärker als die anderen befestigt, als die eigentlichen Stützen der bewaffneten Macht anzusehen sind.
     Die beiden unter 1 und 2 genannten Zwecke nehmen fast nur die passive Wirksamkeit der Festungen in Anspruch.
     3. Als eigentliche Schlösser. Sie sperren die Straßen und in den meisten Fällen auch die Flüsse, an welchen sie liegen.
     Es ist nicht so leicht, wie man sich gewöhnlich denkt, einen brauchbaren Nebenweg zu finden, der die Festung umgeht, denn dieses Umgehen muß nicht bloß außer ihrem Kanonenschuß stattfinden, sondern auch in Beziehung auf die möglichen Ausfälle in mehr oder weniger großen Umkreisen.
     Ist die Gegend im mindesten schwierig, so sind oft mit dem geringsten Ausbiegen aus der Straße Verzögerungen verknüpft, die einen ganzen Tagemarsch kosten, welches beim wiederholten Gebrauch der Straße sehr wichtig werden kann.
     Wie sie durch das Sperren der Schiffahrt auf den Strömen in die Unternehmungen eingreifen, ist an sich klar.
     4. Als taktische Anlehnungspunkte. Da der Durchmesser des Feuers einer nicht ganz unbedeutenden Festung schon einige Stunden zu betragen pflegt, und der offensive Wirkungskreis in jedem Fall noch etwas weiter reicht, so sind die Festungen immer als die besten Anlehnungspunkte für den Flügel einer Stellung zu betrachten. Ein See von mehreren Meilen Länge kann gewiß für einen ganz vortrefflichen Stützpunkt gelten, und doch leistet eine mäßige Festung mehr. Der Flügel braucht niemals nahe an ihr zu stehen, da der Angreifende sich nicht zwischen sie und diesen Flügel begeben kann, weil er sonst keinen Rückzug hätte.
     5. Als Station. Liegen die Festungen auf der Verbindungslinie des Verteidigers, welches doch meistens der Fall ist, so sind sie bequeme Stationen für alles, was darauf hin- und herzieht. Die Gefahren, womit die Verbindungslinien bedroht sind, kommen von Streifzüglern her, deren Einwirkung immer nur stoßweise geschieht. Kann ein wichtiger Transport bei der Annäherung eines solchen Kometen eine Festung erreichen, indem er seinen Zug vorwärts beeilt oder schnell umwendet, so ist er gerettet und wartet dann ab, bis die Gefahr vorüber ist. Ferner können alle hin- und herziehende Haufen hier einen oder mehrere Tage Rast halten und dadurch um so eher ihren übrigen Zug beschleunigen. Es sind aber gerade die Rasttage die, wo sie am meisten bedroht sind. Auf diese Weise wird eine 30 Meilen lange Verbindungslinie durch eine in ihrer Mitte gelegene Festung gewissermaßen um die Hälfte verkürzt.
     6. Als Zufluchtsort schwacher oder unglücklicher Korps. Unter den Kanonen einer nicht zu kleinen Festung ist jedes Korps vor den feindlichen Streichen gesichert, wenn auch kein verschanztes Lager dazu besonders eingerichtet ist. Freilich muß ein solches Korps, wenn es verweilen will, seinen weiteren Rückzug aufgeben, aber es gibt Verhältnisse, wo dies Opfer nicht groß ist, weil ein weiterer Rückzug doch nur mit völliger Zerstörung geendigt haben würde.
     Aber in vielen Fällen kann die Festung auch auf einige Tage Aufenthalt gewähren, ohne daß der Rückzug darum verlorengeht. Besonders ist sie für die einem geschlagenen Heer vorauseilenden leicht Verwundeten, Versprengten usw. ein Zufluchtsort, um das Heer wieder abzuwarten.
     Hätte Magdeburg im Jahre 1806 auf der geraden Rückzugslinie des preußischen Heeres gelegen, und wäre diese nicht schon bei Auerstedt verloren worden, so hätte sich das Heer bei dieser großen Festung füglich 3 bis 4 Tage verweilen, folglich sammeln und neu ordnen können. Aber auch so wie die Umstände warm, hat es den Überresten des Hohenloheschen Heeres zum Sammelplatz dienen können, welches erst dort wieder in die Reihe der Erscheinungen zurücktrat.
     Nur im Kriege selbst erhält man mit der lebendigen Anschauung den rechten Begriff von dem wohltätigen Einfluß einer nahen Festung unter schlimmen Umständen. Sie enthalten Pulver und Gewehre, Hafer und Brot, geben Unterkommen den Kranken, Sicherheit den Gesunden und Besonnenheit den Erschreckten. Sie sind eine Herberge in der Wüste.
     In den zuletzt genannten 4 Bedeutungen wird die aktive Wirksamkeit der Festungen schon etwas mehr in Anspruch genommen, welches an sich klar ist.
     7. Als eigentlicher Schild gegen den feindlichen Angriff. Festungen, welche der Verteidiger vor sich läßt, brechen wie Eisblöcke den Strom des feindlichen Angriffs. Der Feind muß sie einschließen, und dazu braucht er, wenn die Besatzungen sich tüchtig betragen, etwa das Doppelte an Truppen. Außerdem aber können und werden meistens diese Besatzungen zur Hälfte aus Truppen bestehen, die man ohne die Festungen gar nicht mit ins Feld hätte nehmen können: halbfertige Landwehren, Halbinvaliden, bewaffnete Bürgerschaft, Landsturm usw. Der Feind wird also in diesem Fall vielleicht viermal mehr geschwächt als wir.
     Diese unverhältnismäßige Schwächung der feindlichen Macht ist der erste wichtigste Vorteil, den uns eine belagerte Festung durch ihren Widerstand gibt; aber er ist nicht der einzige. Von dem Augenblick an, wo der Angreifende die Linie unserer Festungen durchschnitten hat, bekommen alle seine Bewegungen einen viel größeren Zwang; er ist in seinen Rückzugswegen beschränkt und muß stets auf die unmittelbare Deckung der Belagerungen bedacht sein, die er unternimmt.
     Hier also greifen die Festungen in den Akt der Verteidigung auf eine großartige und sehr entscheidende Weise ein, und man muß dies als die wichtigste aller Bestimmungen betrachten, die eine Festung haben kann.
     Wenn wir nichtsdestoweniger diesen Gebrauch von den Festungen, weit entfernt, ihn regelmäßig wiederkehren zu sehen, verhältnismäßig selten finden, so liegt der Grund in dem Charakter der meisten Kriege, für welche dieses Mittel gewissermaßen zu entscheidend, zu durchgreifend ist, welches sich erst in der Folge wird deutlicher machen lassen.
     Bei dieser Bestimmung der Festung wird im Grunde hauptsächlich ihre Offensivkraft in Anspruch genommen, wenigstens ist es diese, von welcher ihre Wirksamkeit ausgeht. Wäre die Festung für den Angreifenden nichts als ein unbesetzbarer Punkt, so könnte sie ihm zwar hinderlich werden, aber niemals in solchem Maße, daß er sich zu einer Belagerung bewogen fühlen sollte. Weil er aber 6, 8 bis 10000 Mann in seinem Rücken nicht schalten und walten lassen kann, darum muß er sie mit einer angemessenen Macht berennen, und um dies nicht immerwährend nötig zu haben, einnehmen, also belagern. Von dem Augenblick der Belagerung an ist es dann hauptsächlich die passive Wirksamkeit, welche tätig wird.
     Alle die bisher betrachteten Bestimmungen der Festungen erfüllen sich ziemlich unmittelbar und auf eine einfache Weise. Dagegen ist in den nächsten beiden Zwecken die Wirkungsart zusammengesetzter.
     8. Als Deckung ausgedehnter Quartiere. Daß eine mäßige Festung den Zugang zu den hinter ihr gelegenen Quartieren auf 3 bis 4 Meilen Breite verschließt, ist eine ganz einfache Wirkung ihres Daseins; wie aber ein solcher Platz zu der Ehre kommt, eine 15 bis 20 Meilen lange Quartierlinie zu decken, wovon doch in der Kriegsgeschichte so häufig die Rede ist, das bedarf, soweit es in der Tat stattfindet, einer Auseinandersetzung, und soweit es illusorisch sein möchte, einer Bemerkung.
     Es kommt hier folgendes in Betrachtung:
     1. Daß der Platz an sich eine der Hauptstraßen verschließt und die Gegend auf 3 bis 4 Meilen Breite wirklich deckt.
     2. Daß er als ein ungewöhnlich starker Vorposten betrachtet werden kann oder eine vollkommenere Beobachtung der Gegend gestattet, die durch die bürgerlichen Verhältnisse, in welchen ein bedeutender Ort mit der Umgegend steht, auf dem Wege geheimer Nachrichten noch erhöht wird. Es ist natürlich, daß man in einem Ort von 6, 8 bis 10000 Einwohnern mehr von der Umgegend erfährt, als in einem Dorf, dem Standquartier eines gemeinen Vorpostens.
     3. Daß kleinere Korps sich an ihn anlehnen, bei ihm Schutz und Sicherheit finden können, die von Zeit zu Zeit gegen den Feind ausziehen, um Nachrichten einzubringen oder auch, im Falle er an der Festung vorbeigeht, in seinem Rücken etwas zu unternehmen; daß also eine Festung, ob sie gleich ihre Stelle nicht verlassen kann, doch in etwas die Wirksamkeit eines vorgeschobenen Korps hat. (Fünftes Buch, achtes Kapitel.)
     4. Daß die Aufstellung des Verteidigers, nachdem er seine Truppen versammelt hat, gerade hinter dieser Festung genommen werden kann, so daß der Angreifende bis zu diesem Aufstellungspunkt nicht vordringen kann, ohne daß ihm die Festung in seinem Rücken gefährlich werde.
     Zwar ist jeder Angriff auf eine Quartierlinie als solcher in dem Sinn eines Überfalles zu nehmen, oder vielmehr, es ist hier nur von dieser Seite des Angriffs die Rede; nun ist es an sich klar, daß ein Überfall seine Wirkungen in einem viel kleineren Zeitraum vollbringt als der wirkliche Angriff eines Kriegstheaters. Wenn also in dem letzteren eine Festung, an der man vorbei muß, notwendig berennt und in Schranken gehalten sein will, so wird bei dem Überfall einer Quartierlinie dies nicht so notwendig, und darum wird also eine Festung denselben such nicht in gleichem Maße schwächen. Dies ist allerdings wahr, auch können die 6 bis 8 Meilen von derselben entfernten Quartiere der Flügel dadurch nicht unmittelbar geschützt werden; allein in dem Anfall von ein paar Quartieren besteht auch der Zweck eines solchen Überfalles nicht. Wir können erst im Buch vom Angriff umständlicher sagen, was ein solcher Überfall eigentlich beabsichtigt und sich versprechen darf; soviel aber dürfen wir hier schon voraussetzen, daß sein Hauptresultat nicht durch das wirkliche Überfallen der einzelnen Quartierstände, sondern durch die Gefechte erhalten wird, welche der Angreifende im Nachdringen den einzelnen, nicht in gehöriger Verfassung befindlichen, mehr zum Eilen nach gewissen Punkten als zum Schlagen eingerichteten Korps aufdringt. Dieses Vor- und Nachdringen wird aber immer mehr oder weniger gegen das Zentrum der feindlichen Quartiere gerichtet sein müssen, und dabei würde eine vor demselben gelegene bedeutende Festung allerdings dem Angreifenden im hohen Grade beschwerlich sein.
     Wir sagen: bedenkt man diese 4 Punkte in ihrer gemeinschaftlichen Wirkung, so wird man einsehen, daß eine bedeutende Festung auf dem direkten oder indirektem Wege allerdings einer viel größeren Quartierausdehnung einige Sicherheit gibt, als man auf den ersten Anblick glauben sollte. Wir sagen: einige Sicherheit, denn alle jene mittelbare Wirkungen machen das Vorrücken des Feindes nicht unmöglich, sondern machen es nur schwieriger und bedenklicher, dadurch also unwahrscheinlicher und weniger gefährlich für den Verteidiger. Das ist aber auch alles, was gefordert und was in diesem Fall unter Deckung verstanden wird. Die eigentliche unmittelbare Sicherheit muß durch Vorposten und Einrichtung der Quartiere erhalten werden.
     Es ist also nicht ohne Realität, wenn man einer bedeutenden Festung die Fähigkeit zuschreibt, eine hinter ihr gelegene Quartierlinie von bedeutender Ausdehnung zu decken; aber es ist auch nicht zu leugnen, daß man hier bei den wirklichen Kriegsentwürfen, noch mehr aber in den historischen Darstellungen oft auf leere Ausdrücke oder illusorische Ansichten stößt. Denn wenn jene Deckung nur durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände entsteht, wenn sie such dann nur eine Verminderung der Gefahr ist, so sieht man wohl ein, wie in einzelnen Fällen durch besondere Umstände, vor allem durch die Kühnheit des Gegners diese ganze Deckung illusorisch werden kann, und man wird sich also im Kriege nicht damit begnügen, die Wirkung einer solchen Festung summarisch anzunehmen, sondern die einzelnen Fälle bestimmt durchdenken müssen.
     9. Als Deckung einer nicht besetzten Provinz. Wenn eine Provinz im Kriege entweder gar nicht oder nicht mit einer namhaften Macht besetzt, gleichwohl feindlichen Streifereien mehr oder weniger ausgesetzt ist, so sieht man eine in ihr liegende nicht zu unbedeutende Festung als eine Deckung oder, wenn man will, als eine Sicherung dieser Provinz an. Als eine Sicherung kann man sie allerdings betrachten, weil der Feind nicht eher Herr der Provinz sein wird, als bis er die Festung genommen hat, wodurch wir Zeit gewinnen, zu ihrer Verteidigung herbeizueilen. Die eigentliche Deckung aber kann freilich nur sehr mittelbar gedacht oder uneigentlich verstanden werden. Die Festung kann nämlich nur durch ihre aktive Wirksamkeit den feindlichen Streifereien einigermaßen Grenzen setzen. Ist diese Wirksamkeit auf die bloße Besatzung beschränkt, so wird der Erfolg nicht merklich sein, da die Besatzungen solcher Festungen meistens nur schwach sind und aus bloßem Fußvolk und zwar nicht dem besten zu bestehen pflegen. Etwas mehr Wirklichkeit wird die Vorstellung gewinnen, wenn kleine Haufen mit der Festung in Verbindung treten, die sie zu ihrem Anhalt und Stützpunkt machen.
     10. Als Mittelpunkt einer Volksbewaffnung. Lebensmittel, Waffen, Munition können zwar in einem Volkskriege nicht der Gegenstand regelmäßiger Lieferungen sein, sondern es ist eben die Natur eines solchen Krieges, sich in diesen Dingen zu helfen wie man kann und auf diese Weise tausend kleine Quellen der Widerstandskräfte zu wecken, die ohne ihn verschlossen blieben; allein es ist doch begreiflich, daß eine bedeutende Festung, die Vorräte jener Gegenstände zur Aushilfe hat, dem ganzen Widerstande mehr Dichtigkeit und Gediegenheit, mehr Zusammenhang und Folge gibt.
     Außerdem ist die Festung der Zufluchtsort der Verwundeten, der Sitz der leitenden Behörden, die Schatzkammer, der Versammlungspunkt für größere Unternehmungen usw., endlich der Kern des Widerstandes, der die feindliche Macht während der Belagerung in einen Zustand versetzt, für welchen die Anfälle der Landesbewaffnung recht eigentlich gemacht sind.
     11. Zur Verteidigung der Ströme und Gebirge. Nirgends kann eine Festung soviel Zwecke erfüllen, soviel Rollen übernehmen, als wenn sie an einem großen Strome liegt. Hier sichert sie unseren Übergang zu jeder Zeit, verhindert den feindlichen auf einige Meilen in ihrem Umkreis, beherrscht den Handel des Stromes, nimmt alle Schiffe in sich auf, sperrt Brücken und Straßen und gibt Gelegenheit, den Strom auf dem indirekten Wege, nämlich durch eine Stellung auf der feindlichen Seite zu verteidigen. Es ist klar, daß sie durch diesen vielseitigen Einfluß die Stromverteidigung in einem hohen Grade erleichtert und als ein wesentliches Glied derselben zu betrachten ist.
     Auf eine ähnliche Art werden die Festungen in Gebirgen wichtig. Hier öffnen und schließen sie ganze Straßensysteme, deren Knoten sie bilden, beherrschen dadurch die ganze Gegend, durch welche diese Straßen im Gebirge ziehen, und sind als die rechten Strebepfeiler ihres Verteidigungssystems zu betrachten.

 
     Elftes Kapitel:
     Fortsetzung des vorigen Kapitels


     Wir haben von der Bestimmung der Festungen gesprochen, jetzt von ihrer Lage. Im ersten Augenblick scheint die Sache sehr verwickelt, wenn man an die Menge der Bestimmungen denkt, die wieder eine jede durch die Örtlichkeit modifiziert werden können; diese Besorgnis aber ist sehr ungegründet, wenn wir uns an das Wesen der Sache halten und vor überflüssigen Spitzfindigkeiten in acht nehmen.
     Es ist klar, daß allen jenen Forderungen zu gleicher Zeit Genüge geschieht, wenn in denjenigen Landstrichen, welche als das Kriegstheater zu betrachten sind, die größten und reichsten Städte auf den großen, beide Länder miteinander verbindenden Landstraßen, und zwar vorzugsweise die an Hafenplätzen und Meerbusen, an großen Strömen und in Gebirgen befestigt werden. Große Städte und große Straßen gehen immer Hand in Hand, und auch mit den großen Strömen und der Meeresküste haben beide eine natürliche Verwandtschaft, es werden also diese vier Bestimmungen leicht miteinander bestehen und keinen Widerspruch erzeugen; dagegen vertragen sich die Gebirge nicht damit, denn selten findet man große Städte in denselben. Es ist also, wenn die Lage und Richtung eines Gebirges dasselbe zur Verteidigungslinie eignet, nötig, seine Straßen und Pässe durch kleine Forts zu schließen, die nur diesen Zweck haben und mit so wenig Kosten als möglich erbaut werden, während die großen Festungsanlagen für die großen Städte der Ebene bestimmt bleiben müssen.
     Wir haben noch keine Beziehung auf die Grenze genommen, nichts von der geometrischen Gestalt der ganzen Festungslinie, auch nichts von den übrigen geographischen Beziehungen ihrer Lage gesagt, weil wir die gegebenen Bestimmungen als die wesentlichsten angesehen wissen wollen und der Meinung sind, daß sie in vielen Fällen, namentlich bei kleinen Staaten, allein hinreichen werden. Allerdings können aber bei Ländern von einer weiteren Oberfläche, welche entweder sehr viel bedeutende Städte und Straßen haben, oder auch welche umgekehrt derselben fast ganz entbehren, die entweder sehr reich sind und bei vielen schon vorhandenen Festungen noch neue anlegen wollen, oder die umgekehrt sehr arm und genötigt sind, sich mit sehr wenigem zu behelfen, kurz, in den Fällen, wo die Zahl der Festungen nicht ziemlich zusammenfällt mit der Zahl der bedeutenden Städte und Straßen, die sich von selbst darbieten, wo sie entweder bedeutend größer oder kleiner ist, da können noch andere Bestimmungen zugelassen und auch erforderlich werden, auf die wir nur einen Blick werfen wollen.
     Die Hauptfragen, welche übrigbleiben, betreffen:
     1. Die Auswahl der Hauptstraße, wenn zur Verbindung der beiden Länder ihrer mehr da sind, als man befestigen will.
     2. Ob die Festungen nur an der Grenze liegen oder über das ganze Land verbreitet sein sollen.
     3. Ob sie gleichmäßig oder gruppenweis verteilt werden sollen.
     4. Die geographischen Beziehungen der Gegend, auf welche Rücksicht zu nehmen ist.
     Mehrere andere Fragen, welche sich noch aus der geometrischen Gestalt der Festungslinie ableiten ließen, ob sie in einer oder in mehreren Reihen angelegt werden sollen, d. h. ob sie mehr tun, wenn sie hintereinander, oder mehr, wenn sie nebeneinander liegen, ob sie schachbrettförmig gelegt, oder ob sie in gerader Linie oder mit vorspringenden und zurücktretenden Teilen wie die Befestigungen selbst sich hinziehen sollen, - halten wir für leere Spitzfindigkeiten, d. h. für Rücksichten von so unbedeutender Art, daß die wichtigeren sie niemals zur Sprache kommen lassen werden, und wir berühren sie hier nur deswegen, weil in manchen Büchern nicht allein die Rede davon gewesen, sondern diesen Erbärmlichkeiten auch eine viel zu große Wichtigkeit eingeräumt worden ist.
     Was die erste Frage betrifft, so wollen wir, um sie klarer vor Augen zu stellen, nur an das südliche Deutschland in seiner Beziehung zu Frankreich, d. h. zum Oberrhein, erinnern. Denkt man sich diesen Länderstrich als ein Ganzes, dessen Befestigung ohne Rücksicht auf die einzelnen Staaten, die denselben bilden, strategisch bestimmt werden sollte, so müßte eine sehr große Ungewißheit entstehen, denn es führt eine Unzahl der schönsten Kunststraßen vom Rhein in das Innere von Franken, Bayern und Österreich. Zwar fehlt es nicht an Städten, die ihrer Größe wegen unter den übrigen hervorragen, wie Nürnberg, Würzburg, Ulm, Augsburg, München, aber wenn man nicht alle befestigen will, so bleibt immer die Auswahl nötig; ferner wenn man auch nach unserer Ansicht die Befestigung der größten und reichsten Städte als die Hauptsache ansieht, so ist doch nicht zu leugnen, daß bei der Entfernung Nürnbergs von München das erstere auch von dem letzteren merklich verschiedene strategische Beziehungen haben wird, und es bliebe also immer die Frage denkbar, ob nicht statt Nürnbergs ein zweiter, wenn auch weniger bedeutender Ort in der Gegend von München anzulegen wäre.
     Was also die Entscheidung in solchen Fällen, d. h. die Beantwortung der ersten Frage betrifft, so müssen wir auf das verweisen, was wir in den Kapiteln von dem allgemeinen Verteidigungsplan und von der Wahl des Angriffspunktes gesagt haben. Da, wo der natürlichste Angriffspunkt ist, da werden wir auch die Verteidigungsanstalten vorzugsweise hinlegen.
     Wir werden also unter einer Anzahl Hauptstraßen, die von dem feindlichen Lande in das unserige führen, vorzugsweise diejenige befestigen, die die geradeste nach dem Herzen unseres Staates ist, oder diejenige, welche dem Feinde wegen der fruchtbaren Provinzen, wegen eines schiffbaren Stromes usw. die größte Leichtigkeit der Unternehmung gibt, und dann sicher sein, daß der Feind entweder auf diese Befestigung trifft oder, wenn er ihr vorbeigehen wollte, uns die Mittel zu einer natürlichen und vorteilhaften Flankenwirkung darbietet.
     Wien ist das Herz des südlichen Deutschlands, und offenbar würde schon in Beziehung auf Frankreich allein, also die Schweiz und Italien neutral gedacht, München oder Augsburg als Hauptfestung wirksamer sein als Nürnberg oder Würzburg. Betrachtet man aber zugleich die von der Schweiz durch Tirol und aus Italien kommenden Straßen, so wird es noch fühlbarer, denn für diese bliebe München oder Augsburg immer von einiger Wirksamkeit, während Würzburg und Nürnberg für sie so gut wie gar nicht vorhanden sind. -
     Wir wenden uns zur zweiten Frage, ob die Festungen nur an den Grenzen liegen oder über das ganze Land verbreitet sein sollen. Zuvörderst bemerken wir, daß bei kleinen Staaten diese Frage überflüssig ist, denn was man strategisch Grenze nennen kann, fällt bei ihnen ziemlich mit dem Ganzen zusammen. Je größer der Staat ist, den man sich bei dieser Frage denkt, um so deutlicher springt ihre Notwendigkeit in die Augen.
     Die natürlichste Antwort ist: daß die Festungen an die Grenzen gehören, denn sie sollen den Staat verteidigen, und der Staat ist verteidigt, solange die Grenzen es sind. Diese Bestimmung mag nun auch für die allgemeine gelten, aber wie sehr sie beschränkt werden kann, werden folgende Betrachtungen zeigen.
     Jede Verteidigung, die hauptsächlich auf fremden Beistand berechnet ist, setzt einen größeren Wert im Zeitgewinn, sie ist nicht ein kräftiger Rückstoß, sondern ein langsames Vorgehen, wobei mehr die Zeit als die Schwächung des Feindes der Hauptgewinn ist. Nun ist es aber in der Natur der Sache, daß, alle übrigen Umstände gleich gedacht, Festungen, die über das ganze Land verbreitet sind und einen großen Flächenraum zwischen sich einschließen, langsamer eingenommen werden als die in einer dichten Linie an den Grenzen zusammengedrängten. Ferner wird es in allen Fällen, wo der Feind durch die Länge seiner Verbindungslinie und die Schwierigkeit seiner Existenz besiegt werden soll, also bei Ländern, welche auf diese Reaktionsart vorzüglich rechnen können, ein völliger Widerspruch sein, seine Verteidigungsanstalten nur an der Grenze zu haben. Bedenkt man endlich noch, daß die Befestigung der Hauptstadt, wenn die Umstände es irgend erlauben, eine Hauptsache ist, daß nach unseren Grundsätzen die Hauptstädte und Haupthandelsorte der Provinzen es auch erfordern, daß Ströme, welche das Land durchschneiden, Gebirge und andere Abschnitte des Bodens den Vorteil neuer Verteidigungslinien geben, daß manche Städte durch eine natürlich feste Lage zur Befestigung auffordern, endlich daß gewisse Kriegsanstalten, z. B. alle Waffenfabriken besser im Innern des Landes als an der Grenze liegen und ihrer Wichtigkeit wegen den Schutz der Festungswerke wohl verdienen, so sieht man, daß es immer bald mehr, bald weniger Veranlassungen gibt, Festungen im Innern des Landes anzulegen, und wir sind also der Meinung, daß, wenn auch bei Staaten, die sehr viel Festungen haben, mit Recht die größere Zahl an den Grenzen angelegt ist, es doch ein großer Fehler sein würde, wenn das Innere ganz davon entblößt wäre. Wir glauben z. B., daß dieser Fehler schon bei Frankreich in einem merklichen Grade stattfindet. - Ein großer Zweifel kann mit Recht entstehen, wenn die Grenzprovinzen des Landes von bedeutenden Städten ganz entblößt sind, und diese sich erst weiter rückwärts finden, wie dies namentlich der Fall mit Süddeutschland ist, weil Schwaben der großen Städte fast ganz entbehrt, während Bayern deren sehr viele hat. Diesen Zweifel ein für allemal nach allgemeinen Gründen aufzuheben, halten wir nicht für nötig, sondern glauben, daß in diesem Falle Gründe der individuellen Lage hinzutreten müssen, um die Bestimmung zu geben, doch müssen wir auf die Schlußbemerkung dieses Kapitels aufmerksam machen. -
     Die dritte Frage, ob die Festungen mehr gruppenweise zusammengehalten oder mehr gleichmäßig verteilt werden sollen, wird, wenn man alles überlegt, selten vorkommen; doch möchten wir sie deswegen nicht zu den unnützen Spitzfindigkeiten zählen, weil allerdings eine Gruppe von 2, 3 oder 4 Festungen, die nur einige Tagemärsche von einem gemeinschaftlichen Zentrum entfernt sind, diesem Punkt und der Armee, welche sich auf ihm befindet, eine solche Stärke gibt, daß man, wenn die anderen Bedingungen es einigermaßen zulassen, sehr versucht sein muß, sich ein solches strategisches Bastion zu bilden. -
     Der letzte Punkt betrifft die noch übrigen geographischen Beziehungen des auszuwählenden Punktes. Am Meere, an Strömen und großen Flüssen und in Gebirgen sind Festungen doppelt wirksam, das haben wir schon gesagt, weil es zu den Hauptrücksichten gehört, aber es bleiben noch manche andere Beziehungen.
     Kann eine Festung nicht am Strome selbst liegen, so ist es besser, sie nicht in seine Nähe, sondern 10-12 Meilen entfernt von demselben zu bauen; der Strom durchschneidet und stört die Wirkungssphäre der Festung in allen den Beziehungen, die wir oben angegeben haben **).
     Dies findet nicht ebenso statt bei einem Gebirge, weil ein solches die Bewegung großer und kleiner Massen nicht in dem Maße auf einzelnen Punkten beschränkt wie ein Strom. Aber auf der feindlichen Seite der Gebirge sind Festungen in ihrer Nähe darum nicht gut gelegen, weil sie schwer zu entsetzen sind. Auch wird, wenn sie diesseits liegen, dem Feinde die Belagerung außerordentlich erschwert, weil das Gebirge seine Verbindungslinien durchschneidet. Wir erinnern an Olmütz 1758.
     Daß große unzugängliche Wälder und Moräste ähnliche Beziehungen geben wie die Ströme, ist leicht einzusehen.
     Ob Städte von einer sehr unzugänglichen Örtlichkeit bessere oder schlechtere Festungen geben, ist auch häufig gefragt worden. Da sie mit weniger Kosten befestigt und verteidigt werden können oder bei gleichem Aufwande von Kräften viel stärker, oder unüberwindlich werden, und die Dienste einer Festung immer mehr passiv als aktiv sind, so scheint es, darf man auf die Einwendung, daß sie leicht gesperrt werden können, kein allzugroßes Gewicht legen.
     Werfen wir zuletzt noch einen Rückblick auf unser so einfaches System der Länderbefestigung, so dürfen wir behaupten, daß es sich auf große, dauernde, mit der Grundlage des Staates unmittelbar verbundene Dinge und Verhältnisse gründet, daß folglich darin nichts von den vergänglichen Modeansichten des Krieges, von eingebildeten strategischen Feinheiten, von ganz individuellen Bedürfnissen des Augenblicks vorkommen kann, welches für Festungen, die für ein halbes, vielleicht für ein ganzes Jahrtausend gebaut werden, ein Fehler von trostlosen Folgen sein würde. Silberberg in Schlesien, welches Friedrich II. auf einem der Kämme der Sudeten erbaute, hat unter ganz veränderten Umständen fast seine ganze Bedeutung und Bestimmung verloren, während Breslau, wäre es eine tüchtige Festung gewesen und geblieben, sie unter allen Umständen behalten haben würde, gegen Franzosen wie gegen Russen, Polen und Österreicher.
     Unser Leser wird nicht vergessen, daß diese Betrachtungen nicht sowohl für den Fall aufgestellt worden, daß ein Staat sich ganz neu mit Festungen waffnete, dann wären sie ebenfalls unnütz, weil das selten oder nie vorkommt, sondern daß sie alle bei der Anlage jeder einzelnen Festung vorkommen können.
 
__________

     *)
     Wer seine Strategie aus Herrn v. Bülow hat, wird nicht begreifen, wie wir hier nichts mehr und nichts weniger ausgelassen haben als die ganze (Bülowsche) Strategie. Aber es ist nicht unsere Schuld, daß Herr v. Bülow von lauter Nebendingen spricht. Ein Kaufmannsbursche könnte sich ebensogut wundem, daß er das Inhaltsregister der ganzen Arithmetik durchlaufen und weder Regeldetri, noch die Regel quinque angetroffen hat. Aber so praktische Regeln sind Herrn von Bülows Meinungen am wenigsten, der Vergleich geschah aus anderen Gründen.
 
     **)
     Philippsburg war das Muster einer schlecht gelegenen Festung. Es gleicht einem blödsinnigen Menschen, der sich mit der Nase dicht an die Wand stellt.