BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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gehen nicht leer aus, und müssen wenigstens alle Stationen der Cholera geistig durchpassiren. Das halbe Faubourg St. Germain soll in Krämpfen liegen. Da wird frottirt, geräuchert - aus jedem Hause stürzt freudeglühend ein Dieu Docteur – in den Magazinen wird raffinirt; man verkauft rothen Flanell, empfiehlt ihn als remède incomparable, so wie gewisse Säckchen als Amulet. Die crieurs leiern nichts als Verhaltungsregeln ab, und während hier diese Tragi-Comödie gespielt wird, sieht es in andern Vierteln der Stadt ernstlich tragisch aus. – Vergangenen Sonntag war im Faubourg St. Denis großer Aufstand, den die Chiffoniers (Lumpensammler) angestiftet. Wie Du weißt, lieber Vater, gehen diese Leute beständig mit Körben auf den Rücken und Stecken in der Hand, um das Kehricht vor den Häusern zu durchsuchen; da sie aber nur das Brauchbare nehmen und den Schmutz liegen lassen, so sorgte einmal das Gouvernement für eine allgemeine Reinigung. Die Chiffoniers fühlten sich in's Herz beleidigt, glaubten, man wolle auch dieses ihr Verdienst schmälern, anderes Volk gesellte sich zu ihnen – man schrie: die Cholera sey nicht in Paris, nur das Gouvernement habe dieß Gerücht verbreitet, damit die Fremden in Paris vertrieben und der Handel verringert werde, – man vergifte die Armen. Das Militär mußte einspringen und Ruhe schaffen. Heute war noch alles auf den Boulevards in Bewegung, die Straßen mit Soldaten und Gardisten besetzt.  Paris  hat  eben  auch  tiefe  Schatten neben  seinen  Licht-Seiten.  Die  von  Divertisse­ments  und Potpourris  verfolgt leidenden  Musik-Genies führe ich ins Conservatoire und  dem von Vorurtheilen be-

 

sessenen Adel zeige ich die Fahnen à tricolore, die kühn auf Säulen und Thürmen wehen.

Bald Briefe, nicht wahr, lieber Vater? Zanke ein bischen mit Dir selbst, daß Du so lange mich schmachten läßt.

 

 

 

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VI.

Paris, am 18. März.

 

So eben machte ich einen Besuch in meiner klösterlichen Pension; es ist dieselbe, in der ich, in Paris angelangt, mein Absteigequartier nahm. Die lieben Mädchen umringten mich, ganz verwundert über meine jetzt mehr als deutsch-rosigen Wangen. Nun! dachte ich, kein Wunder! Wem werden auch englisches Beefsteak und Malaga nicht wohl bekommen? Freilich ein Unterschied, sonst und jetzt. Hier plagte mich je zuweilen, wie euch, der blaße Hunger, denn in Pensionen giebt es schmale Bissen. Da ärgerte mich das Kaminfeuer jeden Morgen, und kniend vor dem Herde schwang ich den Blasbalg und zählte andachtig die Kohlen. Ich sah aus wie eine Feueranbeterin. Auch wehten die Stürme vielen Rauch in die Stube, so daß man oft lange Tage ohne Feuer seyn mußte. Die Directorin der Pension freilich wärmte sich, und wär' es auch nur an dem Gedanken, daß solche liebliche Winde weniger Holz verbrennen machten.

Mein blonder Wildfang ist eben heute nicht zum Ler­nen aufgelegt.  Glücklicherweise,  daß  ich  ein  Sittenbüch-

 

 


 

Ein Apparat zur Heilung der Cholera

 

Cholera in Paris

 

Les Chiffoniers