BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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sind. Er selbst sagte mir oft, daß seine Compositionen mehr dem deutschen Charakter verwandt seyen. Freilich sind Gomis Werke, so voll Tiefe, Wahrheit und ächten Humors, nicht für die große Menge, und nur ein schöpferischer Künstlergeist mag seine Räthsel lösen. Soll ich Dir ihn in seiner Persönlichkeit vorstellen? Nun! denke Dir ein bewegliches Männchen, mit großen, schwarzen und sprechenden Augen, mit dichterischer Stirne. Ueber den Schläfen sind jene erhöhten Stellen sichtbar, wo, nach Gall die Musik ihren Sitz und Thron hat. Der Mund hat einen eigenthümlichen Zug der Entschlossenheit, und öffnet sich zu wunderlichen, aber geistreichen Reden. – Noch gedenke ich jenes Abends, wo er nach beendigter Singstunde mir Mehreres aus der Oper: le Revenant, damals noch Manuscript, vorspielte und sang. Plötzlich wird ihm das Zimmer zur Bühne, und ganz hingerissen von seiner Gedankenwelt, fängt er an, einen Geisterchor in eigner Person auszuführen. Als Gnome hüpft er auf und nieder wie ein Irrlicht, – die großen Augen funkeln, das braune Spaniergesichte mit krausen Haaren, die Wahrheit der Mimik, die leise, überirdische Stimme, kurz Alles fügte sich zu einem ergreifenden Gemälde. Bald hätte ich weinen, bald lachen mögen! –Anch im äußern Leben ist Gomis ein wahres Original. Er will nie anders als in einem engen und niedrigen Stübchen wohnen, wo er von dem Bette aus das Clavier, den Schreibtisch und alle Gegenstände berühren kann. Das Zimmerchen, dem Winkel einer Cajüte ähnlich, muß von der Straße wo möglich entlegen, zur Aussicht ein Gärtchen und eine hohe Mauer haben.  Oft  erzählte er mir, daß er Todesqual fühle,

 

eine Gassenorgel zu hören, die ihm so unverschämt seine Harmonieen begleite, wenn er eben im Begriff sey, einen wichtigen Satz auszuführen. – Seine früheste Kindheit verlebte er in einem Collegium zu Madrid. Da war es sein größtes Vergnügen, daß er, wenn seine Kameraden schliefen, sein weiches Bett verließ und sich unter die Bettstelle legte. So war's ihm recht. Hart und so niedrig, daß nur ein Zoll die Nase von der Decke trennte.

Doch nun ist's Zeit, daß Gomis und ich sich Dir freundlich empfehlen. Noch einen Kuß drücke ich auf Deine liebe, liebe Hand!

 

 

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VIII.

 

Paris, am 8. April.

 

Seit einiger Zeit versuche ich mich im Componiren, und das macht mich oft Stunden lang glücklich. Die Musik ist ein ewiger Frühling, ein Sternenmeer voll Ahnungen des Paradieses. – Vor ein paar Tagen kam ich Abends nach Hause, und öffnete das Klavier. Da fährt mir's in die Finger, und ich weiß nicht, spiele ich oder eine Andere. Ich trug diese Melodie in einem Salon vor, wo ein Künstler, sie hörend, auf mich zustürzte, mit der Frage: woher? von wem? Natürlich schäme und freue ich mich heimlich und spiele es zum zweitenmale. Es war einer von den Originalitäts-Jägern, der zu Zeiten ausgeht, etwas zu erhaschen für so ein musikalisches Ragout.

 

 


 

 

Das Geburtshaus von

José Melchor Gomis

in Ontinyent (Valencia)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Pariser

Salon um 1830