BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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Halb träumend erinnere ich den Conducteur an die bewußte Straße. Dieser hält, ich steige aus, – wo bin ich? „Pardon! je vous ai monté trop haut! à gauche!“ ruft er, aber meine Stimme wird von dem Rasseln der Räder übertäubt. Ich blicke um mich. Hatten die Lichter im Palais-Royal erst mich fast blind geblendet, so war mir jetzt die Nacht nur um desto finsterer. – Von den Dächern ergoß sich rauschend der Regen. Heftig blies der Wind, und weht' und dämpfte abwechselnd die wenigen Lampen, die noch brannten, so daß ihr Licht nur ein trügerisches ward. Kein menschlicher Fuß, keine menschliche Stimme, aber tausend Stimmen des Schreckens überfielen mich und geiselten meine arme Phantasie. – Am Tage verfehlte ich selten in Paris meinen Weg, weil ich wegen meines Ortssinnes gleichsam zum Reisen organisirt bin. Ein Schild, diese oder jene Farbe eines Hauses, werden mir schnell zum Compaß. Aber was thun in einer solchen Nacht, wo alles zur Nacht geworden. Da stand ich, die Augen reibend, sie weit öffnend, und dennoch sah ich nicht besser. Hohe, hohe Häuser, die mir nur noch riesenhafter erscheinen, rücken mir näher; mich umklammert eine namenlose Angst, es ist, als sträubten sich mir die Haare.

À gauche! rief ich mir zu. Dorthin durchirre ich die Straße, aber alles ist hier wie verzaubert. Das sind Häuser, die ich nie gesehen, immer weiter öffnen sie sich – ich erkenne   Alleen,   endlose   Avenueen,  denn  ich  war  in die   Champs  Elysees   gerathen.   Wieder  zurück  denn. In  diesen fürchterlichen Augenblicken  war ich nur immer

 

eines einzigen Gedankens mächtig, weil das Gefühl der Qual sich meinem Geist feindlich entgegen stellte, und ihn gleichsam überwältigte. À droite! hieß nun der nächste Gedanke. Aber à droite war mir nicht glücklicher. Auch diese Straße schien mir ganz fremd; meine Kniee zitterten und ich schluchzte wie ein Kind. Doch horch! Da höre ich Tritte. Zwei häßliche Weiber, die Arm in Arm die Straße heraufziehen. Weinend nahe ich mich ihnen: „je me suis égarée, montrez moi la rue de M.“ „Vîte, vîte!“ schnarrte sie mir entgegen; „nous chercherons le corps de garde!“ Entfliehe! ruft es in mir, und zu meinem Glück, denn ich erfuhr später, daß derjenige, der Jemanden auf die Wache bringt, zwei Franken zur Belohnung erhalte. Ich schien daher ihnen eine willkommene Beute. Mir armen Verwirrten, zierlich Gekleideten, würde es freilich Niemand geglaubt haben, daß bei einem Prediger ich den Abend zugebracht, und kurz zuvor geistliche Lieder gesungen hatte. – Fort stürzte ich, einer andern Straße zu. Immer spärlicher brannten die Lampen, der Regen rauschte, der Wind winselte, und ich glühte fieberisch Ach Gott hilf ! seufzte ich. Dort ein Schimmer von Licht, schnell verschwand es hinter dem Gegitter und ich pochte vergebens. Wieder hör' ich Tritte und näher kommen: ein Mann,   eine   Frau.    Weinend    nahe   ich   mich   diesen: je   me   suis   égarée,   montrez   moi  la  rue  de  M[on­ceau]  war mein   Klagelied   geworden.   Die  Frau brummte   ein: je ne la sais pas. Aber der Mann war mitleidiger. „Ne pleurez pas, ma petite Dame, nous demanderons ici!“ gab er zur Antwort, und klopfte an eine

 

 


 

Alles ist wie verzaubert ... Ich erkenne Alleen, endlose Avenueen, denn ich war in die Champs Elysée gerathen.