BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1880

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

Fragment VII

 

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Prolog des Schiffers.

Vers 1 - 28

[Dieser Prolog ist in modernen Ausgaben der

Canterbury Tales nicht enthalten]

 

Hoch in den Bügeln stand der Wirth und sprach:

„Hört, guten Leute, meiner Meinung nach

War die Erzählung überaus gelungen.

Herr Pfarrer!“ – rief er – „tragt, wie ausbedungen,

Uns etwas vor! Denn – bei des Herrn Gebein! –

Manch guter Schwank fällt Euch Gelehrten ein

– Bei Gottes Würde! – wie ich wohl erseh'!“

Der Pfarrer sprach: „Ei, benedicite!

Was fehlt dem Mann, so lästerlich zu schwören?“

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„O!“ – schrie der Wirth – „Mein Hans! läßt Du Dich hören?

Ich witt're, gute Herren, in der Luft

Von einem Lollhard *), scheint es mir, den Duft.

Bei Christi Seelenleiden! gebet Acht,

Mit einer Predigt werden wir bedacht

Noch allesammt von diesem Lollhard hier!“

„Nein,“ – rief der Schiffer – „das verbitt' ich mir!

Bei meines Vaters Seele! mit Sermonen

Und Bibelglossen soll er uns verschonen.

Wir glauben Alle hier an Gott, den Herrn.

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Er aber möchte Streit und Hader gern

Und Unkraut säen in die reine Saat.

Fürwahr, mein Wirth, mir scheint's der beste Rath:

Ich, lust'ger Kerl, erzähle nunmehr weiter

Und rasseln mit der Schelle will ich heiter,

Daß munter bleibt die ganze Compagnie.

Ich werde sicher von Philosophie,

Juristerei und Medicin Nichts sagen,

Denn viel Latein beschwert nicht meinen Magen!“

 

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*) Walther Lollhard soll ein um 1315 in Deutschland ansässiger Engländer gewesen sein, der die Messe, die letzte Ölung, die Anrufung der Heiligen und die Gewalt des Papstes etc. verworfen haben soll. Deshalb wurde er der Ketzerei angeklagt und soll 1325 zu Köln verbrannt worden sein. Eine Beziehung zur religiösen Lollarden-Bewegung im England des 14. Jahunderts gibt es wohl nicht. (Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 10, Altenburg 1860, S. 477)