BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1880

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

Fragment IX

 

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Prolog des Tafelmeisters

Vers 1 - 104

 

Wißt ihr nicht, wo der kleine Flecken steht,

Wenn man des Wegs nach Canterbury geht,

„Bob auf und nieder unterm Wald“ geheißen?

Dort war's, wo unser Wirth mit Possenreißen

Begann und sprach: „Bleibt Hans im Drecke stecken?

Will Niemand unsern Freund dahinten wecken;

Und es für Lohn und gute Worte hindern,

Daß etwa Diebe binden ihn und plündern?

Seht, wie er nickt! – Potzknochen! – Seht, vom Pferde

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Fällt auf der Stelle sicher er zur Erde!

Ist das ein Koch von London? – Schwerenoth!

Führt ihn mir vor, er weiß schon, was ihm droht!

Erzählen soll er etwas – meiner Treu! –

Ist es auch werthlos wie ein Bündel Heu!

Ei, Koch, wach' auf! Daß Dich der Herrgott plage!

Weßwegen schläfst Du nur am hellen Tage?

Bist Du betrunken? – Setzten Nachts die Flöhe

Und Huren Dir so zu, daß in die Höhe

Du Deinen Kopf nicht halten kannst? – Sag' an!“

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Mehr bleich als roth im Angesicht begann

Der Koch zum Wirth: „So Gott mir Heil gewähre!

Mich überkam, ich weiß nicht welche Schwere;

Und schenkte man vom besten Cheper Wein

Mir einen Eimer, lieber schlief ich ein.“

„Nun“ – sprach der Tafelmeister – „wenn die Last

Es Dir erleichtert und es Jedem paßt

Von der Gesellschaft und der Gastwirth hier

Es höflichst zuläßt, mein Herr Koch, sei Dir

Für dieses Mal erlassen die Geschichte.

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Sehr blaß bist – meiner Treu! – Du im Gesichte.

Dir flimmert's vor den Augen, wie mich dünkt,

Und sicher weiß ich, daß Dein Athem stinkt;

Und das verräth, Dir sei nicht wohl zu Sinn.

Drum laß ich Dich in Ruhe. – Doch, schaut hin!

Wie gähnt – o seht! – der trunkene Geselle,

Als wollt' er uns verschlingen auf der Stelle?

Bei Deines Vaters Sippe, schließ den Mund!

Da steck' der Teufel aus dem Höllenschlund

Die Füße drin! – Dein Pesthauch macht uns krank!

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Pfui, stinkend Schwein! schlimm fahre lebenslang!

Ihr Herr'n, bleibt diesem lust'gen Mann vom Leibe!

Nun – willst Du stechen nach der Flatterscheibe?

Dazu scheinst Du mir wie gemacht zu sein.

Du trankst – ich glaube – zu viel Affenwein;

Nach diesem Stoff treibt jeder Kinderpossen!“

Der Koch, dem diese Reden höchst verdrossen,

Gab einen Wink – da seine Zunge stockte –

Dem Tafelmeister – als die Mähre bockte

Und hülflos er zu Boden niederschlug.

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Dies war des Koches lust'ger Ritterzug.

Ach, hätt' er nur am Küchenlöffel doch

Sich festgehalten! – Denn, bevor den Koch

Man in den Sattel hob, gab's Müh' und Last.

Man schob den blassen, ungefügen Gast

So lange hin und her mit Weh und Ach,

Bis unser Wirth zum Tafelmeister sprach:

„Da dieser Mann von seiner Trunkenheit

So übermannt ist, wird – auf Seligkeit! –

Was er erzählt, auch pöbelhaft nur sein.

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Ob altes, schales Bier er, oder Wein

Getrunken hat, gilt mir ganz gleich. – Er pustet

Und spricht durch seine Nase, niest und hustet,

Und wird genug damit zu schaffen haben,

Auf seinem Gaul zu sitzen, statt im Graben.

Und fällt er uns noch öfters von dem Pferde,

So haben wir die Last und die Beschwerde,

Den trunk'nen Leichnam wieder aufzuheben.

Drum rede Du! – ihn hab' ich aufgegeben.

Doch überpfiffig war es von Dir nicht,

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Sein Laster ihm so grade vors Gesicht

Zu halten. Später mag es ihm gelingen,

Dich zur Vergeltung auf den Leim zu bringen.

Ich meine – wenn er etwa sprechen wollte

Von Deiner Rechnung, und man finden sollte,

Du wärst in Kleinigkeiten nicht ganz ehrlich?“

„Nun, freilich diese Schlinge wär' gefährlich“

– Der Tafelmeister sprach – „und für mich faul!

Bezahlen wollt' ich lieber seinen Gaul,

Auf dem er sitzt, eh' ich mit ihm krakeele;

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Ich will ihn nicht mehr reizen – meiner Seele!

Nur Scherz war Alles, was ich sprach und trieb!

Und wißt Ihr was? Ein Schlückchen Wein verblieb

Im Kürbiß hier, und zwar aus reifen Trauben.

Paßt auf! jetzt will ich mir den Spaß erlauben,

Davon zu trinken diesem Koch zu geben,

Und sagt er nein, so büß' ich's mit dem Leben.“

Und so geschah es wirklich – auf mein Wort!

Ach! aus der Flasche trank der Koch sofort,

Als hätt' er sich noch nicht genug bezecht,

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Und in sein Horn blies er, fürwahr, nicht schlecht;

Und nach dem Trunke wunderfroh zu Sinn,

Gab er die Kürbißflasche wieder hin,

Und sprach, so gut er konnte, seinen Dank.

Der Gastwirth lachte sich vor Lust halb krank,

Und sprach: „Nothwendig ist es, wie ich denke,

Mit uns zu führen solch ein gut Getränke,

Denn dadurch wird manch Uebel abgewendet,

Weil Haß und Groll in Lieb' und Eintracht endet.

O, Bachus, Bachus! hoch sei'st Du verehrt!

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Dem Gotte, der den Ernst in Spaß verkehrt,

Laßt uns stets Dank und Ehrerbietung spenden!

Doch mit der Sache will ich nunmehr enden.

Herr Tafelmeister, jetzt kommt zur Geschichte!“

„Schon gut“ – sprach dieser – „hört, was ich berichte.“