BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1832 - 1905

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

1387- 1400

 

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Prolog.

Vers 1 - 860

 

Wenn milder Regen, den April uns schenkt,

Des Märzes Dürre bis zur Wurzel tränkt,

In alle Poren süßen Saft ergießt,

Durch dessen Wunderkraft die Blume sprießt;

Wenn, durch des Zephyrs süßen Hauch geweckt,

Sich Wald und Feld mit zartem Grün bedeckt;

Wenn in dem Widder halb den Lauf vollzogen

Die junge Sonne hat am Himmelsbogen;

Wenn Melodieen kleine Vögel singen,

10

Die offnen Augs die ganze Nacht verbringen,

Weil sie Natur so übermüthig macht: –

Dann ist auf Wallfahrt Jedermann bedacht,

Und Pilger ziehn nach manchem fremden Strande

Zu fernen Heil'gen, die berühmt im Lande;

In England aber scheint von allen Enden

Nach Canterbury sich ihr Zug zu wenden,

Dem heil'gen Hülfespender aller Kranken,

Dem segensvollen Märtyrer zu danken.

 

 

Chaucer

 

Zu dieser Zeit geschah's, als einen Tag

20

Zu Southwark Ich im Tabard rastend lag –

Bereit mit andachtsvollem, frommem Sinn

Zur Pilgerfahrt nach Canterbury hin –

Daß Abends langte dort im Gasthof an

Wohl eine Schaar von neunundzwanzig Mann

Verschiednen Volkes, das durch Zufalls Spiel

Zusammenwarf das gleiche Wallfahrtsziel;

Nach Canterbury reiten wollten Alle.

Raum gab's genug im Hause wie im Stalle

Und Jeder fand sein gutes Unterkommen.

Und kurz, als kaum die Sonne war verglommen,

30

Hatt' ich gesprochen schon mit Jedermann

Und zur Genossenschaft zählt' ich fortan.

Früh galt es aufzustehn, um mit den Andern

Des Weges zum besagten Ziel zu wandern.

Indessen, da mir Zeit und Raum nicht fehlt,

Und eh' der weitere Verlauf erzählt,

So denk' ich, daß es der Vernunft entspricht,

Wenn ich zunächst beginne den Bericht,

Wer sie und was sie waren und, soweit

Ich solches sehen konnte, wie das Kleid

40

Und was der Rang und Stand war eines Jeden.

Und drum vom Ritter will zuerst ich reden.

 

 

Der Ritter

 

 

Es war ein Ritter da, ein würd'ger Mann,

Der, seit den ersten Kriegsritt er begann,

Von Herzen liebte Ritterthum und Streit

Und Freimuth, Ehre, Wahrheit, Höflichkeit,

Und tapfer focht im Dienste seines Herrn.

Geritten war wohl Keiner je so fern

Wie er in Christenland und Heidenthum,

Und überall gewann er Preis und Ruhm.

50

Bei der Erobrung Alexandrias

War er zugegen. Oft bei Tafel saß

Vor allem Volk er obenan in Preußen;

Gereist, wie er, bei Letten und bei Reussen

War kaum ein Christenmensch von seinem Stand.

Er war in Granada, als man berannt

Dort Algesir. Er ritt nach Belmarie

Und focht vor Layas und vor Satalie,

Als man sie einnahm; und im großen Meere

Bestand er manche Waffenthat mit Ehre.

60

In funfzehn blut'gen Schlachten focht der Ritter,

Bei Tramissene für den Glauben stritt er

In drei Turnieren und erschlug den Feind;

Wie mit Palathias Herrscher auch vereint

Der tapfre Ritter manchen Kampf bestand

Mit andern Heiden aus dem Türkenland.

Den höchsten Preis gewann er immerdar;

Und ob so würdig er, wie weise, war,

Betrug er sich doch sanft wie eine Maid.

Er sagte nimmer eine Schlechtigkeit

70

Zu irgend wem in seinem ganzen Leben.

Er war ein durchaus edler Ritter eben.

Um auch von seinem Anzug zu berichten:

Gut sah sein Pferd aus, doch er selbst mit Nichten.

Sein Wappenrock war nur von Barchenttuch

Und durch den Harnisch schmutzbedeckt genug;

Denn eben von der Reise heimgekommen

Hatt' er sofort die Wallfahrt unternommen.

 

 

Der Junker

 

 

Sein Junker Sohn zog mit ihm als Begleiter,

Ein lust'ger Bursche, so verliebt, wie heiter.

80

Von krausen Locken war sein Haupt umwallt,

Und zwanzig Jahre war er – denk' ich – alt.

Sein Körper war vom reinsten Ebenmaß.

Viel Stärke, viel Gewandtheit er besaß.

Auf Ritterfahrt zog mehrfach er schon früh

Nach Artois, Flandern und der Picardie,

Und hielt sich brav im kurzen Kampf. Sein Sinnen

War seiner Dame Gunst sich zu gewinnen.

Wie eine Wiese, wo zur Frühlingszeit

Sich roth und weiß an Blume Blume reiht,

90

War er geschmückt, und, heiter wie der Mai,

Sang er und pfiff den ganzen Tag dabei.

Sein Rock war kurz, die Aermel weit und lang,

Kein bessrer Reiter auf ein Roß sich schwang;

Gewandt war er in schriftlichen Berichten,

Im Zielen, Zeichnen, Tanzen, Liederdichten;

Und liebesbrünstig hatte manche Nacht

Er schlaflos wie die Nachtigall durchwacht.

Dienstwillig war er, höflich und bescheiden;

Am Herrentisch durft' er den Braten schneiden.

 

 

Der Knappe

 

 

100

Nur einen Knappen nahm auf seinen Ritt

Zur Zeit nach Neigung er an Dienern mit.

Sein Rock und Hut bestand aus grünem Tuch,

Und in dem Gurt er einen Köcher trug

Voll Pfauenfeder-Pfeilen. Sicher nahm

Er stets sein Ziel, so daß kein Bolzen kam

Mit seinem Federend' voran geflogen.

In Händen hielt er einen mächt'gen Bogen;

Nußköpfig war er und sehr braun gebrannt,

Und Eisenschienen schützten Arm und Hand.

110

In jeder Jagdkunst war er wohl bewährt;

Auf einer Seite trug er Schild und Schwert,

Und auf der andern einen Dolch von Schliff

Scharf wie ein Speer und wohlverziert am Griff.

Ein Silber-Christoph schmückt' die Brust ihm vorn,

An grüner Banderolle hing sein Horn.

Ein Förster war er – trügt mich nicht mein Sinn.

 

 

Die Nonnen-Priorin

 

 

Da war auch eine Nonnen-Priorin,

Scheu lächelnd und von schüchterner Natur.

„Bei St. Eligius!“ war ihr stärkster Schwur,

120

Und Madam Eglantine war ihr Name.

Gar lieblich durch die Nase sang die Dame

Beim Gottesdienst. Französisch sprach sie so

Gewandt, wie immer Stratfort-atte-Bow

Es lehren kann; jedoch sie wußte nicht,

Wie in Paris man das Französisch spricht.

Beim Essen war besonders sie beflissen

Der größten Sauberkeit, und jeden Bissen

Führte sie so zu Mund, daß ihren Lippen

Kein Stück entfiel. Die Finger einzustippen

130

In ihre Brühe, fiel ihr niemals ein.

Die Oberlippe wischte sie so rein,

Daß in dem Becher nie von Fett die Spur,

Und zu verschütten einen Tropfen nur

Von ihrem Trunke war sie zu manierlich;

Und nach der Mahlzeit rülpste sie höchst zierlich;

Gewiß, sie war von liebenswürd'ger Güte,

Gefäll'gem Sinn und heiterem Gemüthe.

Viel Mühe gab sie sich, zu imitiren

Den Hofton, und durch stattliche Manieren

140

Als würdevoll zu gelten und geachtet.

Doch ihre Seele sei nunmehr betrachtet:

Mitleid und Güte sie so sehr vereinte,

Daß sie beim Anblick eines Mäuschens weinte,

Lag's in der Falle blutend oder todt.

Wenn von den Hündchen, die mit Semmelbrod

Und Bratenfleisch und süßer Milch sie nährte,

Eines verreckt war, oder mit der Gerte

Geschlagen wurde, weinte sie vor Schmerz.

So voller Zartgefühl war sie und Herz.

150

Stets steckte sie ihr Busentuch genau;

Lang war die Nase; ihre Augen grau.

Ihr Mund war schmal mit einem Lippenpaar

Von sanftem Roth. Die schöne Stirne war

Der Breite nach wohl eine Spanne lang,

Und sicher, stattlich war ihr Wuchs und schlank.

Ihr Mantel – sah ich – stand ihr schmuck genug;

Zwei Schnüre von Korallenperlen trug

Sie an den Armen, grün mit Schmelz verziert

Und goldnem Medaillon, auf dem gravirt

160

Zu lesen stand: erst ein gekröntes A

Und drunter: „Amor vincit omnia!“

 

 

Die Nonne

 

 

Mit ihrem Priester reiste sie und mit

Ihrer Caplanin-Nonne zu selbstdritt.

 

 

Der Mönch

 

 

Ein Mönch war da, ein würdiger Kumpan,

Ein großer Jäger und ein Reitersmann,

Ein ganzer Kerl, gemacht, um Abt zu werden.

Gar wohl versehen war sein Stall mit Pferden;

Saß er zu Rosse, wenn es windig war,

So klirrten seine Zügel hell und klar,

170

Als läutete die Glocke zur Kapelle,

Woselbst der Herr Bewohner einer Zelle.

Die Regeln von St. Maur und Benedict

Hielt dieser Mönch für reichlich all und strict;

Weßhalb er sich mit ihnen nicht befaßte,

Und seinen Schritt der neuen Welt anpaßte.

Kein Hühnerbein gab er für die Maxime,

Daß Jägerei der Geistlichkeit nicht zieme,

Und was dem Fisch das nasse Element,

Sei für den Mönch die Regel im Convent,

180

Das heißt: in seinem Kloster sei sein Platz.

Doch keine Auster gab er für den Satz.

Und ich kann ihm die Ansicht nicht verübeln.

Was? sollt' er etwa denn verrückt sich grübeln,

In seinem Kloster über Büchern sitzen,

Gar bei der Arbeit seiner Hände schwitzen,

Wie Augustin befiehlt? – Die Welt muß treiben

Und Augustin mag bei der Arbeit bleiben!

Darum gebraucht' er seine Zügel tüchtig;

Windhunde hielt er, wie die Vögel flüchtig;

190

Das Reiten war ihm und das Hasenhetzen

Das nie zu theure, liebste Hochergötzen.

Die Aermel – sah ich – hatt' er an der Hand

Verbrämt mit feinstem Pelzwerk aus dem Land,

Seine Kapuze schloß er unterm Kinne

Mit einer wunderlichen, goldnen Pinne,

An der als Knopf ein Liebesknoten saß.

Rund war sein Schädel und so blank wie Glas,

Und fettig glänzten seine Wangen auch;

Ein feister Herr war er und stark von Bauch.

200

Sein rollend Augenpaar lag tief im Hirne,

Und wie ein Kessel dampfte sein Stirne.

Die Stiefel waren weich, und herrlich glänzte

Sein Roß. Kein angstgequältes, bleich Gespenste

Konnt nennen man den trefflichen Prälaten;

Ein fetter Schwan war ihm der liebste Braten,

Und brombeerfarben sah sein Leibroß aus.

 

 

Der Bettelmönch

 

 

Ein Bettelmönch, ein liederliches Haus,

War gleichfalls da. Es stand der würd'ge Mann

In den vier Orden Jedem weit voran,

210

Was Scherz betraf und schöne Redensart.

Auf eigne Kosten war von ihm gepaart

Wohl manches junge Weibsbild schon geworden,

Und eine Zierde war er für den Orden.

Gar wohl beliebt und sehr genau bekannt

War bei den Gutsbesitzern auf dem Land

Und würd'gen Frauenzimmern in der Stadt er;

Denn mehr Gewalt in seiner Beichte hatt' er –

So sprach er selbst – als ein Vicarius hat.

Von seinem Orden war er Licentiat.

Gemüthlich war bei ihm die Confession,

220

Und angenehm gab er Absolution.

Leicht war die Buße, die er zudictirte,

Vorausgesetzt, daß man ihn reichlich schmierte.

Denn Geld zu geben einem armen Orden,

Beweist, daß gründlich abgebeichtet worden.

Drum, gab man ihm, so durft' er auch verkünden,

Er wisse, man bereue seine Sünden.

Denn mancher Mann ist also hart von Herzen,

Daß er nicht weinen kann bei seinen Schmerzen.

Drum laßt das Beten und die Heulerei,

230

Und Silber gebt der armen Klerisei!

Messer und Nadeln trug er stets zum Putze

Für schöne Frau'n im Zipfel der Kapuze;

Und, wahrlich, lustig seine Stimme klang;

Auch spielte schön die Leier er und sang;

Im Liebeslied gewann er stets den Preis.

Sein Hals war wie die fleur de lis so weiß.

Dazu war er ein starker Pokulante,

Der in den Städten jedes Wirthshaus kannte;

Mehr lag der Zapfer und die Kellnerin

240

Als Kranke oder Bettler ihm im Sinn.

Für solchen würd'gen Mann schien's zu gemein

Und gänzlich unter seinem Stand zu sein,

Mit so aussätz'gem Volk sich zu beschmutzen;

Denn das bringt wenig Ehre, wenig Nutzen.

Statt mit Gesindel pflegt man angenehmern

Verkehr mit reichen Leuten und mit Krämern.

Doch wenn es Vortheil brachte, so war keiner

Je dienstbefliss'ner oder tugendreiner

Und höflicher als er. In dem Convente

250

War er der beste Bettler. Eine Rente

Zahlt er dem Kloster für das Privileg,

Daß ihm kein Bruder käm' in sein Geheg';

Und hörte seinem „In principio“ zu

Die ärmste Wittwe mit nur einem Schuh,

So war gewiß ihr letzter Heller sein;

Und mehr als seinen Pachtzins heimst' er ein.

Oft war er wie ein wildes Raubthier wüthig,

Oftmals an Friedenstagen half er gütig;

Nicht, wie beim Klausner und Scholasten, schäbig

260

War seine Kleidung; ebenso behäbig

Im Anzug war er, wie ein Papst und Meister;

In doppelt-wollener Kapuze reist' er,

Die wie die neugegossne Glocke rund;

Und liebeslüstern lispelte sein Mund,

Damit sein Englisch süß und zierlich klänge.

Beim Harfenspiel am Schlusse der Gesänge

Pflegten im Kopf die Augen ihm zu funkeln,

Wie Sterne bei der Winterszeit im Dunkeln.

Des Bettelmönches Name war Hubert. –

 

 

Der Kaufmann

 

 

270

Ein gabelbärt'ger Kaufmann, hoch zu Pferd,

War gleichfalls da. Er trug sich buntgescheckt,

Den Kopf mit einem Biberhut bedeckt

Aus Flandern; seine Stiefel paßten prächtig;

Und, was er sprach, klang ernsthaft und bedächtig.

Auf Geldverdienst war immerdar bedacht er

Und wünschte nur, daß etwas unbewachter

Die See von Middelburg bis Orewell sei.

Mit wälschen Thalern trieb er Wechselei.

Der würd'ge Mann war klug und voll Verstand,

280

Und Niemand wußte, wie sein Schuldbuch stand.

Er paßte scharf in seinem Handel auf,

Beim Abschluß von Verträgen, wie beim Kauf.

Für einen Ehrenmann galt er bei Allen,

Doch leider ist sein Name mir entfallen.

 

 

Der Gelehrte

 

 

Es war noch ferner ein Gelehrter dort,

Der Logik lang' studirt in Oxenford.

Er ritt auf einer klapperdürren Mähre,

Und auch er selbst war nicht sehr fett – auf Ehre! –

Hohläugig war er, doch voll Nüchternheit,

290

Und fadenscheinig war sein Oberkleid.

Nicht weltlich von Gesinnung, hatt' er drum

Auch weder Amt noch Beneficium.

Mehr liebt er zwanzig Bücher überm Bette,

In schönem Einband auf dem Bücherbrette,

Von Aristoteles Philosophei,

Als Kleiderpracht, Musik und Fidelei.

Jedoch ein so gelehrter Philosoph er,

Hatt' er nur wenig Gold in seinem Koffer,

Da Alles, was von Freunden ihm gespendet,

300

Zum Studium er und Bücherkauf verwendet.

Doch unermüdlich pflegt' er Gott zu bitten

Für die, so sein Scholastenthum bestritten.

In seinen Studien sorgsam und verständig,

Sprach er kein Wort mehr, als durchaus nothwendig.

Kurz und bestimmt, jedoch gewählt zugleich

War seine Rede und gedankenreich,

Und stets kam die Moral dabei zu Ehren.

Er lernte gern, und gerne mocht' er lehren,

 

 

Der Justitiar

 

 

Ein weiser und gelehrter Justitiar,

310

Der schon auf manchem Rechtsparkette war,

Ritt gleichfalls mit. Bei aller Trefflichkeit

War er voll Rücksicht und Bescheidenheit,

Wie seine weisen Worte dies bewiesen.

Oft war er schon zum Richter der Assisen

Durch Vollmacht oder Commission ernannt.

Bei seinem Wissen, seinem Ruf verstand

Er auf den Gelderwerb sich unvergleichlich,

Und Kleider, wie Gebühren hatt' er reichlich.

Als simple Spesen strich er Alles ein,

320

Von dem Verdacht der Käuflichkeit ganz rein.

Er hatte viel zu thun, und schien sogar

Geschäftiger, als er beschäftigt war;

Und alle Rechtsentscheidungen und Fälle

Seit König Will citirt' er auf der Stelle.

Im Actenschreiben war er so präcis,

Daß sich nicht drehn daran noch deuteln ließ.

Ein jegliches Statut war ihm bekannt.

Ein schmalgestreifter Seidengurt umwand

Sein Kleid, das bunt gescheckt war, doch höchst schlicht,

330

Und mehr erzähl' ich von dem Anzug nicht.

 

 

Der Gutsherr

 

 

Ein Gutsherr zählte ferner zu dem Kreis.

Sein Bart war wie die Gänseblumen weiß,

Von Ansehn war sanguinisch er und roth;

Gern trank er Wein zu seinem Morgenbrod.

Sein Leben zu genießen, dacht' er nur,

Ganz wie ein ächter Sohn vom Epikur,

Nach dessen Meinung eben im Vergnügen

Des Lebens höchste Seligkeiten liegen.

Groß war sein Haushalt, und an Gastlichkeit

340

Galt als ein St. Julian er weit und breit.

Nach ein Uhr nahm er Brod und Bier erst ein,

Und Niemand war so wohlversehn mit Wein.

Es ging an Fisch und Fleisch in seinem Haus

Wie an Gebäck der Vorrath niemals aus.

An Speise, Trank und allen Leckereien,

Die zu erdenken, schien es nur zu schneien.

Verschieden und der Jahrszeit angemessen

War stets sein Braten und sein Abendessen.

Manch fettes Rebhuhn hielt im Bauer er,

350

An Hecht und Bars war nie sein Kasten leer,

Weh' seinem Koche! wenn die Brühe nicht

Scharf und pikant und schmackhaft das Gericht.

Gedeckt vom Morgen bis zum Abend stand

Stets sein Credenztisch an der Hallenwand.

In den Sessionen war er Präsident,

Grafschafts-Vertreter oft im Parlament.

An seinem Gürtel, weiß wie Milch am Morgen,

Hing Dolch und Seidenbörse wohl geborgen;

Auch war, als würd'ger Freisaß rings bekannt,

360

Zum Obmann er und Scherif oft ernannt.

 

Ein Weber, Tapezirer, Zimmermann,

Ein Färber und ein Krämer kamen dann.

Bei ihnen, wies die Gildetracht es klar,

Daß hochansehnlich Aller Innung war.

Der Spieße Spitzen waren blank polirt;

Mit reinstem Silber waren rings verziert

Die Gürtel sammt den Taschen, die dran hingen,

Und auch von Blech nicht ihre Messerklingen.

Behäb'ge Bürger schienen sie, und Alle

370

Des Thrones werth in ihrer Gildehalle;

Und dem Verstande nach war Jedermann

Befähigt sicherlich zum Aldermann;

Und ihre Weiber liebten es zu zeigen,

Daß reichlich Gut und Renten Jedem eigen;

Sonst müßte man sie ernstlich darob schelten;

So schön es sein mag, als „Madam“ zu gelten,

Und wenn zu den Vigilien man voran

Im reichen Mantel fürstlich gehen kann.

 

 

Der Koch

 

 

Sie ließen sich von einem Koch begleiten,

380

Die Mark- und Hühnersuppen zu bereiten

Nebst Poudremarchant, Galingale und Torten.

Vom Bier in London kannt' er alle Sorten.

Er schmorte, briet, sott, röstete höchst lecker,

Er war Mortreusen- und Pastetenbäcker.

Indeß entstellte – denk' ich – ihn fatal

An seinem Kinn ein großes Muttermal.

Auf Blancmanger verstand er sich am besten.

 

 

Der Schiffer

 

 

Auch war ein Schiffer da, ganz aus dem Westen;

Soviel ich weiß, war er von Dertmouth her.

390

Auf einem magern Klepper ritt er sehr

Beschwerlich nur. Bis an die Kniee ging

Sein Faltenrock, und unterm Arme hing

Sein Dolch, gehalten durch ein Schulterband,

Und von der Sonne war er braun gebrannt.

Er war gewiß ein wackerer Kumpan,

Der von Bordeaux-wärts manchen Schluck gethan,

Sobald der Supercargo lag im Schlummer;

Und sein Gewissen schuf ihm wenig Kummer.

Wenn er im Streit den Gegner überwand,

400

So sandt' er ihn durchs Wasser an das Land;

Doch wußte zu berechnen er die Fluthen

Und Mond- und Sonnenhöhe. Solchen guten

Lotsen, wie ihn, bei Strömung und am Strand

Man von Karthago bis nach Hull nicht fand.

Er war – auf Ehre! – so beherzt, wie klug

Und seinen Bart durchzauste Sturm genug.

Von Gothland bis zum Finisterra Cap

War ihm jedwede Bucht, die es nur gab,

Im Spanier- und Bretagnerland bekannt,

410

Und „Magdalene“ ward sein Schiff genannt.

 

 

Der Arzt

 

 

Ein Arzt war da, Doctor der Medicin;

In aller Welt gab's Keinen je, wie ihn,

Was die Arznei betrifft und Chirurgie.

Er kannte gründlich die Astronomie,

Und manche Lebensstunden konnten danken

Seiner natürlichen Magie die Kranken.

Auch konnte durch Constellation von Sternen

Er der Patienten Ascendenten lernen.

Er wußte, wo der Grund der Krankheit sitze,

420

Ob sie durch Dürre, Nässe, Kälte, Hitze

Entstanden sei und in das Blut gekommen;

Als Praktiker war er durchaus vollkommen.

Sobald der Krankheit Wurzel er erkannt,

War er sofort mit Mitteln bei der Hand.

Die Apotheker sandten für die Curen

Ihm willig die Latwergen und Mixturen;

Denn neu war nicht die Freundschaft zwischen ihnen;

Der eine gab dem andern zu verdienen.

Er kannte gründlich Dioscorides,

430

Den alten Aesculap, Hippokrates,

Und Rufus, Hali, Rasis, Avicen,

Galen, Serapion und Damascen,

Den Averhoës und den Konstantin

Nebst Bernhard, Gatisden und Gilbertin.

In der Diät hielt er aufs rechte Maß,

Den Ueberfluß vermied er, doch besaß

Stets seine Nahrung Kraft und war verdaulich.

Das Bibelstudium schien ihm nicht erbaulich.

Er ritt in einem roth und blauen Kleide,

440

Mit Taffetas gefüttert und mit Seide.

Doch war er kein Verschwender, und hielt fest,

Was er gewonnen hatte bei der Pest.

Herzstärkende Arznei ist Gold, und drum

Liebte das Gold er als Specificum.

 

 

Das Weib aus Bath

 

 

Ein gutes Weib aus Bath zog ferner mit;

Doch schade war, daß am Gehör sie litt.

Im Tücherweben man wohl keine Hand

In Gent und Ypern je geschickter fand.

Kein Weib im ganzen Kirchspiel durfte wagen

450

Den Vortritt ihr beim Opfern zu versagen,

Denn ihre Liebe war in diesem Falle

Sofort dahin vor lauter Gift und Galle.

Vom feinsten Stoff trug einen Schleierbund

Sie Sonntags auf dem Kopfe, der ein Pfund

Und selbst darüber wog, bei meiner Treu!

Die scharlachrothen Strümpfe waren neu,

Und glänzten frisch und saßen eng und gut.

Kühn von Gesicht und schön wie Milch und Blut,

War sie ein wackres Weib, das ihrer Zeit

460

Fünf Männer an der Kirchenthür gefreit, –

Die Jugendfreunde dabei ungezählt,

Die zu erwähnen der Beruf mir fehlt. –

Hin nach Jerusalem zum heil'gen Land

War dreimal sie gepilgert. Auch bekannt

War ihr Santiago in Galizia, Rom,

Boulogne, Köln und mancher fremde Strom;

Und auf der Wandrung lernte sie nicht wenig.

Doch, leider Gottes, war sie ziegenzähnig.

Auf ihrem reichgeschirrten Zelter ruhte

Sie höchst bequem, bedeckt mit einem Hute

470

Wie eine Tartsche, wie ein Schild so groß,

Und ihre weiten Hüften rings umschloß

Ein Ueberwurf. Die Sporen waren spitzig,

Und in Gesellschaft war sie scharf und witzig.

Viel Liebesmittel waren ihr bekannt,

Den alten Tanz sie kunstgerecht verstand.

 

 

Der Pfarrer

 

 

Es kam ein Pfarrer aus der Stadt sodann,

Ein gottesfürcht'ger und gelehrter Mann,

Zwar arm nur, doch an heiligen Gedanken

Und guten Werken reich; und ohne Wanken

480

Hielt er an Christi Wort und bracht's zu Ehren

In der Gemeinde durch sein treues Lehren.

Die Güte selbst war er und hülfsbereit

Und voll Geduld in Widerwärtigkeit,

Wie er gezeigt in manchen schweren Proben.

Beim Zehntensammeln pflegt' er nicht zu toben.

Er hätte lieber – ohne alle Frage –

Vom Opfergeld und Naturalertrage

Den Armen seines Kirchspiels abgegeben;

Denn er bedurfte wenig nur zum Leben.

490

Groß war sein Sprengel und weit abgelegen

Die Häuser! aber Donner nicht noch Regen

Hielt ihn zurück. Rief Krankheit oder Leid,

So waren Haus und Hütte nie zu weit

Für seine Füße und für seinen Stab.

Das beste Beispiel er den Schafen gab,

Da er sein Wort stets durch die That bewährte,

Wie ihn sein heilig Evangelium lehrte.

Er führte häufig auch das Gleichniß an:

Will Gold schon rosten, was thut Eisen dann?

500

Denn ist ein Priester, dem wir traun, nicht rein

So ist's kein Wunder, daß voll Rost die Lai'n;

Und Schmach den Priestern, die sich sagen müssen:

Rein sind die Schafe, doch ihr Hirt beschissen!

Ein Priester sollte für der Heerde Leben

Durch eigne Reinheit stets das Beispiel geben.

Daß er die Pfarre Miethern überwies,

Im Sumpfe seine Schafe stecken ließ,

Damit in London etwa als ein fauler

Chorherr im Dome lebe von St. Paul er,

510

Und Mitglied einer Brüderschaft gar werde,

Fiel ihm nicht ein. Er weidete die Heerde

Mit eigner Hand, daß sie kein Wolf beirrte;

Er war kein Miethling – nein, ein guter Hirte.

Obschon ein tugendhaft'ger, heil'ger Mann,

Nahm er sich freundlich doch der Sünder an,

Er predigte nicht pomphaft, noch vulgär,

Nein, liebereich und anstandsvoll vielmehr.

Das Volk durch Güte himmelwärts zu ziehn

Und eignes Beispiel war sein stetes Müh'n.

520

Doch wenn sich Jemand sündlich widersetzte –

War er im Rang der erste oder letzte –

So kanzelt' er ihn ganz gehörig ab.

Der beste Priester war er, den es gab,

Der nicht nach Pomp und äußer'n Ehren geizte,

Sich nie in süßem Selbstbewußtsein spreizte,

Doch Christi und der Jünger Wort so ehrte,

Daß er es erst befolgte und dann lehrte.

Ein Ackersmann war da, des Pfarrers Bruder,

Von Dünger lud er manches liebe Fuder,

Ein treuer Quäler, voller Herzensgüte,

530

Mildthätigkeit und friedlichem Gemüthe.

Er liebte Gott von seinem ganzen Herzen

Und alle Zeit, in Freuden wie in Schmerzen,

Und seinen Nächsten wie sich selbst. Bereit,

Zu graben, pflügen, dreschen jeder Zeit,

War er für jeden Armen, alle Schwache

Ganz unentgeltlich, nur für Christi Sache.

Er zahlte stets zur rechten Zeit die Heuer

An Vieh und Korn und Früchten in der Scheuer.

Auf einer Stute ritt er und im Kittel.

540

Ein Ablasskrämer, Tafelmeister, Büttel,

Ein Müller, ein Verwalter kamen dann;

Zum Schluß ich selber, als der letzte Mann.

 

 

Der Müller

 

 

Der Müller war ein derber Kerl und stark

An Muskeln und an Knochen voller Mark.

Davon gab jeder Ringkampf den Beweis,

Denn stets gewann den Hammel er als Preis.

Mit seinem Kopf durchstieß er jedes Thor

Und hob es aus den Angeln rasch empor.

Stark in den Schultern war er, knorrig, knuppig;

550

Breit wie ein Grabscheit, schweinemäßig struppig

Und fuchsroth war sein Bart; und im Besitze

Von einer Warze war die Nasenspitze;

Ein Büschel Haare wuchs daraus empor,

Wie gelbe Borsten aus dem Schweineohr.

Groß war der schwarzen Nasenlöcher Weite;

Ein Schwert nebst Schild trug er an seiner Seite;

Von Umfang wie ein Ofen war sein Mund.

Ein Goliarde war er, Prahlhans und

Ein Zotenreißer, stahl vom Korn und maß

560

Den Mahlsatz dreifach; aber er besaß

Dabei – Pardi! – den goldnen Müllerfinger.

In weißem Rock und blauer Mütze ging er.

Schön pfiff er Dudelsack und blies darauf

Uns aus der Stadt auf unsrer Reise Lauf.

 

 

Der Tafelmeister

 

 

Der Tafelmeister, der in einem Tempel

Den Tisch versah, war Käufern ein Exempel,

Wie beim Verproviantiren zu verfahren.

Ob stückweis, ob im Ramsch er seine Waaren

Erstehen mochte, er verstand die Sachen

570

So einzurichten, rasch sein Glück zu machen.

Nun, ist das nicht die schönste Gottesgabe,

Daß solch' geringer Mann mehr Weisheit habe,

Als wie ein Haufen hochgelehrter Geister?

Wohl mehr als dreißig Herr'n am Tische speist er,

Und im Gesetz erfahren waren alle.

Ein Dutzend gab es sicher in der Halle,

Die wohl befähigt waren, Gut und Land

Von jedem Lord im ganzen Engeland

Genau und ohne Schulden zu verwalten –

Indessen selbstverständlich vorbehalten,

580

Wenn er ein Filz war oder geistesschwach. –

Woran es in der Grafschaft auch gebrach,

An ihrem Rath gebrach's in keinem Falle; –

Doch hielt zu Narr'n der Tafelmeister Alle.

 

 

Der Landverwalter

 

 

Der glatt rasirte Landverwalter war

Sehr mager und cholerisch, und sein Haar

Trug wie ein Priester er ganz kurz geschoren

Vorn an der Stirn und hinter beiden Ohren.

Sehr lang und mager waren seine Beine,

Gleich einem Stock, und Waden hatt' er keine.

Ordnung hielt er in Scheunen und in Ställen;

590

An seiner Rechnung etwas auszustellen

Fand kein Revisor; und er schätzte leicht

Den Saatertrag, ob's trocken oder feucht.

Von Milchhaus, Fischteich und des Herren Heerden,

Vorräthen, Schweinen, Federvieh und Pferden

War dieser Mann ganz unumschränkt Verwalter,

Seit sein Gebieter zwanzig Jahr an Alter.

Er legte Rechnung an bestimmten Tagen,

Und über Rückstand konnte Niemand klagen.

Kein Vogt, kein Knecht, kein Hirt war ihm zu schlau;

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Denn ihre Schliche kannt' er so genau,

Daß sie vor ihm mehr Furcht und Bangen hatten

Als vor dem Tod. – In grüner Bäume Schatten

Stand seine schöne Wohnung auf dem Felde.

Er speculirte besser mit dem Gelde,

Als sein Gebieter; denn in Heimlichkeit

Gewann er viel. Doch war er schlau bereit,

Davon auf Borg an seinen Herrn zu geben,

Und hatte Dank und Rock und Hut daneben.

Er fing als Jüngling mit dem Handwerk an,

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Und galt als guter, tücht'ger Zimmermann.

Der Hengst, auf dem er saß, war schön von Bau,

Sein Name Scott, die Farbe apfelgrau.

Sein blauer Rock weit über's Knie ihm ging,

Ein rostig Schwert an seiner Seite hing.

Er war aus Norfolk her und zwar vom Land

Nah' einer Stadt, die Baldeswell genannt,

Und aufgeschürzt ganz wie ein Klostermann,

Ritt er stets auf der Reise hintenan.

 

 

Der Büttel

 

 

Mit feuerrothem Cherubim-Gesicht,

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Schmaläugig, finnig und mit Pusteln dicht

Besä't, war noch ein Büttel mit am Platz,

Und geil und lüstern war er, wie ein Spatz.

Mit grind'gem Bart und räud'gen Augenbrauen,

War sein Gesicht der Kinder Furcht und Grauen.

Quecksilber, Schwefel, Borax schlugen fehl,

Ihm half nicht Bleiweiß, Glätte, Weinsteinöl,

Und mochten Salben noch so beißend sein,

Ihn konnte von dem Grinde nichts befrein

Und von den Knubben, die er im Gesicht.

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Knoblauch und Zwiebeln war sein Leibgericht,

Sein Lieblingstrank blutrother, starker Wein;

Und wie verrückt, zu schwätzen und zu schrein

Begann er dann, und wollte, wenn beim Zechen

Er sich betrunken, nur Lateinisch sprechen.

Er lernte – und kein Wunder war's – auswendig

Zwei bis drei Redensarten, die beständig

Er in Decreten angewendet fand. –

Denn schwatzen kann, wie männiglich bekannt,

Die Elster wie der Papst. – Doch unterfing

Sich Jemand, tiefer ihn zu prüfen, ging

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So rasch zu Ende die Philosophie,

Daß er nur: „Questio quid juris?“ schrie.

Wohl selten fand man auf der Erde Rund

Solch güt'gen Kerl und lieben Lumpenhund;

Den guten Burschen wollt' bei wilden Ehen

Ein ganzes Jahr er durch die Finger sehen,

Gab man ihm nur ein Viertel Wein zu trinken.

In aller Stille pflückt' er seine Finken.

Er lehrte Leuten, die in solchen Lagen,

Nicht ängstlich vor dem Erzdekan zu zagen,

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Und seiner Androhung des Kirchenbannes.

Doch wenn am Beutel hing das Herz des Mannes,

Büßte der Beutel, was der Mann gethan.

„Denn unter Hölle meint der Erzdekan

Den Beutel nur,“ sprach – oder log vielmehr – er.

In Schrecken vor ihm standen alle Schwörer. –

Die Beichte rettet, doch der Fluch bringt Tod!

Wohl dem, dem kein „Significavit“ droht! –

Die Dirnen in der Diöcese standen

Kraft seines Amts in seiner Hut, und fanden

Bei ihm stets Rath für ihres Herzens Sehnen.

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Es war mit einem Kranz, an Größe denen

Auf Bierhausstangen gleich, sein Haupt umhüllt,

Und ein gewalt'ger Kuchen war sein Schild.

 

 

Der Ablaßkrämer

 

 

Als Freund und als Gevatter von ihm ritt

Aus Ronceval ein Ablasskrämer mit,

Der gradeswegs vom Hofe kam aus Rom.

Laut sang er: „Komm, mein Herzensliebchen, komm!“

Wozu der Büttel, wie Posaunenklang

Gewaltig dröhnend, seinen Rundreim sang.

Des Ablaßkrämers Haar war gelb wie Wachs,

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Und hing so glatt wie eine Docke Flachs

Auf seine Schultern, die es rings umgab,

In dünnen Locken ihm vom Kopf herab.

In kecker Laune trug er's unbedeckt;

Denn die Kapuze hatt' er eingesteckt

In seinem Mantelsack, der vor ihm hing.

Daß er mit Flatterhaar und baarhaupt ging,

War nach der neu'sten Mode, wie er glaubte;

Drum trug er nur ein Käppchen auf dem Haupte.

Glotzaugen hatt' er ganz wie ein Karnickel,

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Und angenäht am Käppchen ein Vernickel.

Mit Ablaßfracht kam er soeben heiß

Aus Rom zurück. Wie's Meckern einer Gais

Klang seine Stimme. Im Gesichte war,

Ob unrasirt, doch keine Spur von Haar,

Er mußte – dünkt mich – wohl ein Wallach sein.

Von Ware bis Berwick war gewißlich kein

Ablaßverkäufer, der ihm's Wasser reichte.

Als „Unsrer lieben Frauen Schleier“ zeigte

Er einen Kissenüberzug. Im Koffer

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Verwahrte von dem Segel etwas Stoff er,

Das Petri Fahrzeug – wie er sagte – führte,

Als mit dem Herrn er auf dem See spazierte;

Ein steinbesetztes Kreuz hatt' er von Zinn

Sowie ein Glas mit Schweineknochen drin.

Und traf er einen armen Bauersmann,

So schwatzt' er ihm von den Reliquien an,

Und erntete an einem einz'gen Tage

Die Früchte seiner wochenlangen Plage.

So hielt mit Possen und mit Schmeichelworten

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Das Volk zu Narren er an allen Orten.

Doch, um nicht von der Wahrheit abzuweichen,

Als Kirchenredner war er ohnegleichen.

Schön las den Bibeltext er und Historien;

Jedoch am besten sang er Offertorien,

Da hinterdrein er gleich den Anfang machte

Mit seiner Predigt, die ihm Geld einbrachte.

Zu diesem Zwecke spitzt' er seine Zunge

Und sang vergnügt und laut aus voller Lunge.

 

So macht' ich kurz und nach der Reihe kund

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Rang, Anzug, Zahl und minder nicht den Grund,

Weßhalb in Southwerk Jeder angekommen

Und in dem Gasthof sein Quartier genommen,

 

The Tabard Inn

 

Der „Tabard bei der Glocke“ ward genannt;

Und an der Zeit ist's, daß ich Euch bekannt

Auch weiter mache, wie wir unsre Nacht

In dem besagten Wirthshaus zugebracht;

Und hinterdrein gedenk' ich Euch zu sagen,

Was auf der Reise sonst sich zugetragen.

 

Doch bitt' ich Euch zunächst aus Höflichkeit

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Legt es nicht aus als Herzensschlechtigkeit,

Wenn ich getreu im Laufe der Geschichte

Auch jedes Wort von Jedermann berichte;

Sonst ziehe man mit Recht der Lüge mich.

Denn das wißt sicher Ihr so gut wie ich:

Wer melden will, was ihm gesagt ein Mann,

Der wiederhole, so genau er kann,

Ein jedes Wort, sei's noch so schlecht gewählt

Und noch so gröblich, was ihm vorerzählt.

Sonst müßt' er ja die Unwahrheit berichten,

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Den Sinn verfälschend, neue Worte dichten;

Den eignen Bruder darf er schonen nicht,

Ein jedes Wort zu sagen, ist ihm Pflicht.

Sehr kräftig sprach selbst Christus in der Bibel,

Und doch kein Wort – das wißt Ihr – ist von Uebel.

Wer Plato las, dem ist der Spruch bekannt:

Es sei das Wort der Sache nah' verwandt.

Und gleichfalls bitt' ich, daß Ihr mir verzeiht,

Wenn ich Euch nicht nach Rang und Würdigkeit

Die Leute vorgeführt, wie angemessen.

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Mein Witz ist kurz, das dürft ihr nicht vergessen.

 

Holzschnitt aus Caxtons 2. Auflage der Canterbury-Erzählungen (1483), Kolorierung © Ulrich Harsch

 

Für Jeden freundlich, ließ der Wirth vom Haus

Uns niedersitzen rasch zum Abendschmaus.

Die Tafel er mit bester Speise deckte.

Stark war der Wein, der uns vorzüglich schmeckte.

So wohlanständig war des Wirthes Wesen,

Als sei zum Hofmarschall er auserlesen.

Sein Wuchs war stark, tief lag sein Augenpaar;

In Chepe selbst kein bessrer Bürger war.

Gewandt und klug und grad' heraus er sprach,

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In Nichts es ihm an Männlichkeit gebrach;

Dazu war er ein aufgeweckter Mann.

Gleich nach dem Abendessen hub er an

In heitrer Laune dies und das zu sprechen;

Und als berichtigt waren unsre Zechen,

Begann er also: „Wahrlich, meine Herr'n,

Willkommen heiß' ich Euch hier herzlich gern.

Denn, meiner Treu, wenn ich nicht lügen soll,

Sah meinen Gasthof ich noch nie so voll

In diesem Jahr, wie heut' am Tag' er ist.

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Gern möcht' ich Euch erheitern. Darum wißt,

Daß ich mir eben einen Scherz erdacht,

Der vielen Spaß und keine Kosten macht.

Ihr geht nach Canterbury. – Eure Pfade

Beschirme Gott und seines Märtyr'rs Gnade! –

Und sicher weiß ich, daß Ihr Euren Weg

Zu kürzen denkt durch heiteres Gespräch.

Denn unbehaglich wahrlich ist's und dumm,

Einherzureiten, wie der Stein so stumm.

Drum würd' es mich, wie ich schon sagte, freun,

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Euch angenehm und lustig zu zerstreun;

Und wenn Ihr insgesammt des Willens seid,

Mir zu gehorchen und mit Folgsamkeit

Dasjenige zu thun, was ich Euch weise, –

Bei meines Vaters Seel'! – seid auf der Reise

Ihr morgen dann nicht hochvergnügt und munter,

Schlagt mir den Kopf von meinem Rumpf herunter!

Macht keine Worte; hebt empor die Hände!“

Wir kamen rasch mit dem Entschluß zu Ende;

Uns schien nicht werth, es lange zu berathen.

Wir gingen schlichthin darauf ein, und baten

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Ihn, kund zu machen, was im Sinn er trage.

„Nun, Herren!“ – sprach er – „hört, was ich Euch sage.

Doch bitt' ich dringend, nehmt es mir nicht krumm!

Denn, kurz und gut, es handelt sich darum,

Es solle Jeder von Euch vier Geschichten,

Den Weg zu kürzen, auf der Fahrt berichten. –

Zwei, während wir nach Canterbury wandern,

Und auf dem Heimweg dann die beiden andern. –

Der aber, welcher schließlich unter Allen

Von Abenteuern, die einst vorgefallen,

Das beste vorgetragen hat – das heißt:

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Was Euch erbaut sowie ergötzt zumeist –

Erhält zum Lohn dafür in diesem Haus

Auf Kosten Aller einen Abendschmaus,

Wenn wir von Canterbury heimwärts kehren.

Und gerne will ich, Eure Lust zu mehren,

Auf eigne Kosten selber mit Euch reiten,

Und Euch als Führer auf der Fahrt begleiten.

Wer meinem Urtheil wagt zu widersprechen,

Zahlt auf der Tagesfahrt dafür die Zechen.

Wenn Ihr gewillt seid, daß dem also sei,

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So stimmt mir ohne viele Worte bei,

Damit ich mich bei Zeiten rüsten kann.“

Dies ward bewilligt und wir schwuren dann

Froh unsern Eid und baten ihn daneben,

Das auszuführen, was er angegeben.

Er möge sich als Leiter uns verpflichten,

Sowie als Richter über die Geschichten,

Den Preis des Abendessens nur fixiren,

Und nach Gefallen über uns regieren

Im Kleinen wie im Großen. – Jedermann

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Nahm gern und willig seinen Vorschlag an.

Und hinterher bestellten wir uns Wein

Und tranken ihn, und dann ward allgemein

Und ohne Zögern gleich zur Ruh gegangen.

Sobald der Tag zu grauen angefangen,

Erhob sich unser guter Wirth und war

Der Hahn für Alle. – Bald war seine Schaar

Beisammen und dann ging, halb Trab, halb Schritt,

Zur Schwemme von Sanct Thomas unser Ritt.

Dort gab der Wirth den Pferden etwas Ruh'

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Und sprach: „Ihr Herrn, hört mir gefälligst zu!

Ihr wißt, was Ihr verspracht und ich bedang.

Ist Euer Abendlied noch Morgensang,

So laßt uns sehn, wer soll der Erste sein,

Der jetzt erzählt? Ich schwör's bei Bier und Wein!

Für Alle zahlt die Zeche, wer sich jetzt

Rebellisch meinem Urtheil widersetzt!

Nun frisch geloost! Dann reiten wir von hinnen,

Und wer das kürz'ste Loos zieht, muß beginnen.

Herr Ritter,“ – sprach er – „Oberherr und Lord!

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Zieht Euer Hälmchen! – so ist der Accord. –

Kommt näher“ – sprach er – „Lady Priorin!

Ihr, Herr Scholar, ermuntert Euren Sinn;

Laßt das Studiren! – Fasse Jeder an.“

Und folgsam zog sein Loos auch Jedermann.

Ganz in der Kürze sei es nun berichtet:

– Ob es Geschick, ob Zufall angerichtet,

Die bei der Ziehung ihre Fäden schürzten –

Die Wahrheit ist: der Ritter zog den Kürz'sten.

Nun war bei Allen Lust und Freude groß.

Er hatte zu beginnen; denn sein Loos

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Verfügte so. – Was braucht's der Worte mehr?

Was abgemacht, wißt Ihr und wußt' auch er.

Und da er klug, gehorsam war und willig,

So hielt er sein Versprechen auch, wie billig.

„In Gottes Namen! wie das Hälmchen fiel,

Will ich beginnen“ – sprach er – „unser Spiel!

Nun reitet weiter und lauscht meinem Wort.“

 

Aufbruch der Pilger von der Tabard Inn in Southwark nach Canterbury zum Grab Thomas Beckets.

 

So zogen wir des Weges weiter fort,

Und dann begann mit freundlichem Gesichte

Er die Erzählung, die ich jetzt berichte.