BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Gedichte

 

1841

 

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iv. Frühling und Liebe.

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An die Freunde.

 

Der Jugend Glanz, der Sehnsucht irre Weisen,

Die tausend Ströme durch das duft'ge Land,

Es zieht uns All' zu seinen Zauberkreisen. –

Wem Gottesdienst in tiefster Brust entbrannt,

Der sieht mit Wehmuth ein unendlich Reisen

Zu ferner Heimath, die er fromm erkannt;

Und was sich spielend wob als ird'sche Blume,

Wölbt still den Kelch zum ernsten Heiligthume.

 

So schauet denn das buntbewegte Leben

Ringsum von meines Gartens heitrer Zinn',

Daß hoch die Bilder, die noch dämmernd schweben –

Wo Morgenglanz geblendet meinen Sinn –

An Eurem Blick erwachsen und sich heben.

Verwüstend rauscht die Zeit darüber hin;

In Euren treuen Herzen neu geboren,

Sind sie im wilden Strome unverloren.

 

Entstanden 1814, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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Der Schalk.

.

Läuten kaum die Maienglocken

Leise durch den lauen Wind,

Hebt ein Knabe froh erschrocken

Aus dem Grase sich geschwind,

Schüttelt in den Blüthenflocken

Seine feinen blonden Locken,

Schelmisch sinnend wie ein Kind.

 

Und nun wehen Lerchenlieder,

Und es schlägt die Nachtigall,

Rauschend von den Bergen nieder

Kommt der kühle Wasserfall,

Rings im Walde bunt Gefieder: –

Frühling, Frühling ist es wieder

Und ein Jauchzen überall.

 

Und den Knaben hört man schwirren,

Gold'ne Fäden zart und lind

Durch die Lüfte künstlich wirren –

Und ein süßer Krieg beginnt:

Suchen, Fliehen, schmachtend Irren,

Bis sich alle hold verwirren. –

O beglücktes Labyrinth!

 

Entstanden um 1821/22, Erstdruck 1837

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Die Lerche.

 

Ich kann hier nicht singen,

Aus dieser Mauern dunklen Ringen

Muß ich mich schwingen

Vor Lust und tiefem Weh.

O Freude, in klarer Höh

Zu sinken und sich zu heben,

In Gesang

Ueber die grüne Erde dahinzuschweben,

Wie unten die licht' und dunkeln Streifen

Wechselnd im Fluge vorüberschweifen,

Aus der Tiefe ein Wirren und Rauschen und Hämmern,

Die Erde aufschimmernd im Frühlingsdämmern,

Wie ist die Welt so voller Klang!

Herz, was bist Du bang?

Mußt aufwärts dringen!

Die Sonne tritt hervor,

Wie glänzen mir Brust und Schwingen,

Wie still und weit ist's droben am Himmelsthor!

 

Entstanden 1817, Erstdruck 1818, hier Fassung von 1826

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Abendständchen.

 

Schlafe, Liebchen, weil's auf Erden

Nun so still und seltsam wird!

Oben gehn die goldnen Heerden,

Für uns alle wacht der Hirt.

 

In der Ferne ziehn Gewitter;

Einsam auf dem Schifflein schwank,

Greiff' ich draußen in die Zitter,

Weil mir gar so schwül und bang.

 

Schlingend sich an Bäum' und Zweigen,

In Dein stilles Kämmerlein,

Wie auf goldnen Leitern, steigen

Diese Töne aus und ein.

 

Und ein wunderschöner Knabe

Schifft hoch über Thal und Kluft,

Rührt mit seinem goldnen Stabe

Säuselnd in der lauen Luft.

 

Und in wunderbaren Weisen

Singt er ein uraltes Lied,

Das in linden Zauberkreisen

Hinter seinem Schifflein zieht.

 

Ach, den süßen Klang verführet

Weit der buhlerische Wind,

Und durch Schloß und Wand ihn spüret

Träumend jedes schöne Kind.

 

Entstanden 1811, Erstdruck 1815, 1826 unter dem Titel «Ständchen», hier Fassung von 1826

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Die Stille.

 

Es weiß und räth es doch Keiner,

Wie mir so wohl ist, so wohl!

Ach, wüßt' es nur Einer, nur Einer,

Kein Mensch es sonst wissen soll!

 

So still ist's nicht draußen im Schnee,

So stumm und verschwiegen sind

Die Sterne nicht in der Höhe,

Als meine Gedanken sind.

 

Ich wünscht', es wäre schon Morgen,

Da fliegen zwei Lerchen auf,

Die überfliegen einander,

Mein Herze folgt ihrem Lauf.

 

Ich wünscht', ich wäre ein Vöglein

Und zöge über das Meer,

Wohl über das Meer und weiter,

Bis daß ich im Himmel wär'!

 

Entstanden 1810/12, Erstdruck 1815, hier Fassung von 1826

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Das Mädchen.

 

Stand ein Mädchen an dem Fenster,

Da es draußen Morgen war,

Kämmte sich die langen Haare,

Wusch sich ihre Aeuglein klar.

 

Sangen Vöglein aller Arten,

Sonnenschein spielt' vor dem Haus,

Draußen über'm schönen Garten

Flogen Wolken weit hinaus.

 

Und sie dehnt' sich in den Morgen

Als ob sie noch schläfrig sey,

Ach, sie war so voller Sorgen,

Flocht ihr Haar und sang dabei:

 

Wie ein Vöglein hell und reine,

Ziehet draußen muntre Lieb',

Lockt hinaus zum Sonnenscheine,

Ach wer da zu Hause blieb'!

 

Entstanden 1810/12, Erstdruck 1815, 1826 unter dem Titel «Morgengruß», hier Fassung von 1826

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Der Gärtner.

 

Wohin ich geh' und schaue,

In Feld und Wald und Thal

Vom Berg' hinab in die Aue:

Viel schöne, hohe Fraue,

Grüß ich Dich tausendmal.

 

In meinem Garten find' ich

Viel Blumen, schön und fein,

Viel Kränze wohl d'raus wind' ich

Und tausend Gedanken bind' ich

Und Grüße mit darein.

 

Ihr darf ich keinen reichen,

Sie ist zu hoch und schön,

Die müssen alle verbleichen,

Die Liebe nur ohne Gleichen

Bleibt ewig im Herzen stehn.

 

Ich schein' wohl froher Dinge

Und schaffe auf und ab,

Und, ob das Herz zerspringe,

Ich grabe fort und singe

Und grab' mir bald mein Grab.

 

Entstanden 1817, Erstdruck 1823, hier Fassung von 1826

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Die Kleine.

 

Zwischen Bergen, liebe Mutter,

Weit den Wald entlang,

Reiten da drei junge Jäger

Auf drei Rößlein blank,

lieb Mutter,

Auf drei Rößlein blank.

 

Ihr könnt fröhlich seyn, lieb' Mutter

Wird es draußen still:

Kommt der Vater heim vom Walde,

Küßt Euch, wie er will,

lieb Mutter,

Küßt Euch, wie er will.

 

Und ich werfe mich im Bettchen

Nachts ohn' Unterlaß,

Kehr' mich links und kehr' mich rechts hin,

Nirgends hab' ich was,

lieb' Mutter,

Nirgends hab' ich was.

 

Bin ich eine Frau erst einmal,

In der Nacht dann still

Wend' ich mich nach allen Seiten,

Küß', so viel ich will,

lieb Mutter,

Küß', so viel ich will.

 

Entstanden 1810/12, Erstdruck 1815, 1826 unter dem Titel «Die Fröhliche», hier Fassung von 1826

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An eine Tänzerin.

 

Castagnetten lustig schwingen

Seh' ich Dich, Du zierlich Kind!

Mit der Locken schwarzen Ringen

Spielt der sommerlaue Wind.

Künstlich regst Du schöne Glieder,

Glühendwild

Zärtlichmild

Tauchest in Musik Du nieder

Und die Woge hebt Dich wieder.

 

Warum sind so blaß die Wangen,

Dunkelfeucht der Augen Glanz,

Und ein heimliches Verlangen

Schimmert glühend durch den Tanz?

Schalkhaft lockend schaust Du nieder,

Liebesnacht

Süß erwacht,

Wollüstig erklingen Lieder –

Schlag nicht so die Augen nieder!

 

Wecke nicht die Zauberlieder

In der dunklen Tiefe Schoos,

Selbst verzaubert sinkst Du nieder,

Und sie lassen Dich nicht los.

Tödtlich schlingt sich um die Glieder

Sündlich Glüh'n,

Und verblühn

Müssen Schönheit, Tanz und Lieder,

Ach, ich kenne Dich nicht wieder!

 

Entstanden 1814, Erstdruck 1816 unter dem Titel «An eine junge Tänzerin», hier Fassung von 1826

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Der Kranke.

 

Vögelein munter

Singen so schön,

Laßt mich hinunter

Spazieren gehn!

 

„Nacht ist's ja draußen;

S'war nur der Sturm,

Den Du hörst sausen

Droben vom Thurm.“

 

Liebchen im Garten

Seh' ich dort steh'n,

Lang mußt' sie warten,

O laß't mich gehn!

 

„Still nur! der blasse

Tod ist's, der sacht

Dort durch die Gasse

Schleicht in der Nacht.“

 

Wie mir ergraute,

Bleiches Gesicht!

Gebt mir die Laute,

Mir wird so licht!

 

„Was willst Du singen

In tiefster Noth?

Lenz, Lust vergingen,

Liebchen ist todt!“ –

 

Laßt mich, Gespenster,

Lied, riegl' auf die Gruft!

Oeffnet die Fenster,

Luft, frische freie Luft!

 

Entstanden 1808/09, Erstdruck 1826

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Bei einer Linde.

 

Seh' ich Dich wieder, Du geliebter Baum,

In dessen junge Triebe

Ich einst in jenes Frühlings schönstem Traum

Den Namen schnitt von meiner ersten Liebe?

 

Wie anders ist seitdem der Aeste Bug,

Verwachsen und verschwunden

Im härt'ren Stamm der vielgeliebte Zug,

Wie ihre Liebe und die schönen Stunden!

 

Auch ich seitdem wuchs stille fort, wie Du,

Und nichts an mir wollt' weilen,

Doch meine Wunde wuchs – und wuchs nicht zu,

Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.

 

Erstdruck 1826, hier Fassung von 1826

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Frau Venus.

 

Was weckst du, Frühling, mich von neuem wieder?

Daß all die alten Wünsche auferstehen,

Geht über's Land ein wunderbares Wehen;

Das schauert mir so lieblich durch die Glieder.

 

Die schöne Mutter grüßen tausend Lieder,

Die, wieder jung, im Brautkranz süß zu sehen;

Der Wald will sprechen, rauschend Ströme gehen,

Najaden tauchen singend auf und nieder.

 

Die Rose seh' ich gehn aus grüner Klause,

Und, wie so buhlerisch die Lüfte fächeln,

Erröthend in die laue Fluth sich dehnen.

 

So mich auch ruft ihr aus dem stillen Hause –

Und schmerzlich nun muß ich im Frühling lächeln,

Versinkend zwischen Duft und Klang vor Sehnen.

 

Entstanden 1816/17, Erstdruck 1819, hier Fassung von 1826

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Erwartung.

 

O schöne, bunte Vögel

Wie singt ihr gar so hell!

O Wolken, luft'ge Seegel,

Wohin so schnell, so schnell?

 

Ihr alle, ach, gemeinsam

Flieg't zu der Liebsten hin,

Sag't Ihr, wie ich hier einsam

Und voller Sorgen bin.

 

Im Walde steh' und laur' ich,

Verhallt ist jeder Laut,

Die Wipfel nur weh'n schaurig,

O komm, Du süße Braut!

 

Schon sinkt die dunkelfeuchte

Nacht rings auf Wald und Feld,

Des Mondes hohe Leuchte

Tritt in die stille Welt.

 

Wie schauert nun im Grunde

Der tiefsten Seele mich!

Wie öde ist die Runde

Und einsam ohne Dich!

 

Was rauscht? – Sie naht von ferne! –

Nun, Wald, rausch' von den Höh'n,

Nun laß' Mond, Nacht und Sterne

Nur auf und untergehn!

 

Erstdruck 1826, hier Fassung von 1826

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Leid und Lust.

 

Euch Wolken beneid' ich

In blauer Luft,

Wie schwing't Ihr Euch freudig

Ueber Berg und Kluft!

 

Mein Liebchen wohl seht Ihr

Im Garten gehn,

Am Springbrunnen steht sie

So morgenschön.

 

Und wäscht an der Quelle

Ihr goldenes Haar,

Die Aeugelein helle,

Und blickt so klar.

 

Und Busen und Wangen

Dürft' Ihr da sehn. –

Ich brenn' vor Verlangen,

Und muß hier stehn!

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Euch Wolken bedau'r ich

Bei stiller Nacht;

Die Erde bebt schaurig,

Der Mond erwacht:

 

Da führt mich ein Bübchen

Mit Flügelein fein,

Durch's Dunkel zum Liebchen,

Sie läßt mich ein.

 

Wohl schau't Ihr die Sterne

Weit, ohne Zahl,

Doch bleiben sie ferne

Euch allzumal.

 

Mir leuchten zwei Sterne

Mit süßem Strahl,

Die küß' ich so gerne

Viel tausendmal.

 

Euch grüßt mit Gefunkel

Der Wasserfall,

Und tief aus dem Dunkel

Die Nachtigall.

 

Doch süßer es grüßet

Als Wellentanz,

Wenn Liebchen hold flüstert:

„Dein bin ich ganz.“

 

Entstanden 1811/12, Erstdruck 1816 unter dem Titel «Liedchen», hier Fassung von 1826

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Glück.

 

Wie jauchzt meine Seele

Und singet in sich!

Kaum, daß ich's verhehle

So glücklich bin ich.

 

Rings Menschen sich drehen

Und sprechen gescheut,

Ich kann nichts verstehen,

So fröhlich zerstreut. –

 

Zu eng wird das Zimmer,

Wie glänzet das Feld,

Die Thäler voll Schimmer,

Weit herrlich die Welt!

 

Gepreßt bricht die Freude

Durch Riegel und Schloß,

Fort über die Haide!

Ach, hätt' ich ein Roß! –

 

Und frag' ich und sinn' ich,

Wie so mir geschehn?: –

Mein Liebchen herzinnig,

Das soll ich heut sehn!

 

Entstanden um 1811/12, Erstdruck 1817, 1826 unter dem Titel «Liedchen», hier Fassung von 1826

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Abschied und Wiedersehn.

 

i.

 

In süßen Spielen unter nun gegangen

Sind Liebchens Augen, und sie athmet linde,

Stillauschend sitz' ich bei dem holden Kinde,

Die Locken streichelnd ihr von Stirn und Wangen.

 

Ach! Lust und Mond und Sterne sind vergangen,

Am Fenster mahnen schon die Morgenwinde:

Daß ich vom Nacken leis die Arme winde,

Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen.

 

O öffne nicht der Augen süße Strahle!

Nur Einen Kuß noch – und zum Letztenmale

Geh' ich von Dir durchs stille Schloß hernieder.

 

Streng greift der eis'ge Morgen an die Glieder,

Wie ist die Welt so klar und kalt und helle –

Tiefschauernd tret' ich von der lieben Schwelle.

 

 

ii.

 

Ein zart Geheimniß webt in stillen Räumen,

Die Erde löst die diamantnen Schleifen,

Und nach des Himmels süßen Strahlen greifen

Die Blumen, die der Mutter Kleid besäumen.

 

Da rauscht's lebendig draußen in den Bäumen,

Aus Osten langen purpurrothe Streifen,

Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht schweifen –

Du hebst das blüh'nde Köpfchen hold aus Träumen.

 

Was sind's für Klänge, die an's Fenster flogen?

So altbekannt verlocken diese Lieder,

Ein Sänger steht im schwanken Dämmerschein.

 

Wach auf! Dein Liebster ist fernher gezogen,

Und Frühling ist's auf Thal und Bergen wieder,

Wach auf, wach auf, nun bist Du ewig mein!

 

Entstanden wohl 1814, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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An die Entfernte.

 

Denk ich, du Stille, an Dein ruhig Walten,

An jenes letzten Abends rothe Kühle,

Wo ich die theu're Hand noch durfte halten:

Steh' ich oft sinnend stille im Gewühle,

Und, wie den Schweitzer heim'sche Alphornslieder

Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen,

Oft unverhofft befallen,

Kommt tiefe Sehnsucht plötzlich auf mich nieder.

 

Ich hab' es oft in Deiner Brust gelesen:

Nie hast Du recht mich in mir selbst gefunden,

Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Wesen,

Und so bin ich im Strome Dir verschwunden.

O nenn' drum nicht die schöne Jugendwilde,

Die mit dem Leben und mit seinen Schmerzen

Mag unbekümmert scherzen,

Weil sie die Brust reich fühlt und ernst und milde!

 

Getrennt ist längst schon uns'res Lebens Reise,

Es trieb' mein Herz durch licht' und dunkle Stunden.

Dem festern Blick erweitern sich die Kreise,

In Duft ist jenes erste Reich verschwunden –

Doch, wie die Pfade einsam sich verwildern,

Was ich seitdem, von Lust und Leid bezwungen,

Geliebt, geirrt, gesungen:

Ich knie' vor Dir in all' den tausend Bildern.

 

Entstanden 1810/12, hier Erstdruck von 1826

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Das Flügelroß.

 

Ich hab' nicht viel hienieden,

Ich hab' nicht Geld noch Gut;

Was vielen nicht beschieden,

Ist mein: – der frische Muth.

 

Was Andre mag ergötzen,

Das kümmert wenig mich,

Sie leben in den Schätzen,

In Freuden lebe ich.

 

Ich hab' ein Roß mit Flügeln,

Getreu in Lust und Noth,

Das wiehernd spannt die Flügel

Bei jedem Morgenroth.

 

Mein Liebchen! wie so öde

Wird's oft in Stadt und Schloß,

Frisch auf und sey nicht blöde,

Besteig mit mir mein Roß!

 

Wir seegeln durch die Räume

Ich zeig' Dir Meer und Land,

Wie wunderbare Träume

Tief unten ausgespannt.

 

Hellblinkend zu den Füßen

Unzähl'ger Ströme Lauf –

Es steigt ein Frühlingsgrüßen

Verhallend zu uns auf.

 

Und bunt und immer wilder

In Liebe, Haß und Lust

Verwirren sich die Bilder –

Was schwindelt Dir die Brust?

 

So fröhlich tief im Herzen,

Zieh' ich all' himmelwärts,

Es kommen selbst die Schmerzen

Melodisch an das Herz.

 

Der Sänger zwingt mit Klängen

Was störrig, dumpf und wild,

Es spiegelt in Gesängen

Die Welt sich göttlich mild.

 

Und unten nun verbrauset

Des breiten Lebens Strom,

Der Adler einsam hauset

Im stillen Himmelsdom. –

 

Und seh'n wir dann den Abend

Verhallen und verblühn,

Im Meere, kühlelabend,

Die heil'gen Sterne glühn:

 

So lenken wir hernieder

Zu Waldes grünem Haus,

Und ruh'n vom Schwung der Lieder

Auf blüh'ndem Moose aus.

 

O Sterndurchwebtes Düstern,

O heimlichstiller Grund!

O süßes Liebesflüstern

So innig Mund an Mund!

 

Die Nachtigallen locken,

Mein Liebchen athmet lind,

Mit Schleier zart und Locken

Spielt buhlerisch der Wind.

 

Und schlaf' denn bis zum Morgen

So sanft gelehnt an mich!

Süß sind der Liebe Sorgen,

Dein Liebster wacht für Dich.

 

Ich halt' die blüh'nden Glieder,

Vor süßen Schauern bang,

Ich laß' Dich ja nicht wieder

Mein ganzes Leben lang! –

 

Aurora will sich heben,

Du schlägst die Augen auf,

O wonniges Erbeben,

O schöner Lebenslauf! –

 

Entstanden 1811/12, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826