BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Gedichte in zeitlicher Folge

 

1811

 

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Ständchen.

[Abendständchen.]

 

Schlafe, Liebchen, weil's auf Erden

Nun so still und seltsam wird!

Oben gehn die goldnen Heerden,

Für uns alle wacht der Hirt.

 

In der Ferne ziehn Gewitter;

Einsam auf dem Schifflein schwank,

Greiff' ich draußen in die Zitter,

Weil mir gar so schwül und bang.

 

Schlingend sich an Bäum' und Zweigen,

In Dein stilles Kämmerlein,

Wie auf goldnen Leitern, steigen

Diese Töne aus und ein.

 

Und ein wunderschöner Knabe

Schifft hoch über Thal und Kluft,

Rührt mit seinem goldnen Stabe

Säuselnd in der lauen Luft.

 

Und in wunderbaren Weisen

Singt er ein uraltes Lied,

Das in linden Zauberkreisen

Hinter seinem Schifflein zieht.

 

Ach, den süßen Klang verführet

Weit der buhlerische Wind,

Und durch Schloß und Wand ihn spüret

Träumend jedes schöne Kind.

 

Entstanden 1811, Erstdruck 1815, hier Fassung von 1826

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Die deutsche Jungfrau.

 

Es stand ein Fräulein auf dem Schloß,

Erschlagen war im Streit ihr Roß,

Schnob wie ein See die finstre Nacht,

Wollt' überschrei'n die wilde Schlacht.

 

Im Thal die Brüder lagen todt,

Es brannt' die Burg so blutigroth,

In Lohen stand sie auf der Wand,

Hielt hoch die Fahne in der Hand.

 

Da kam ein röm'scher Rittersmann,

Der ritt keck an die Burg hinan,

Es blitzt' sein Helm gar mannigfach,

Der schöne Ritter also sprach:

 

„Jungfrau, komm in die Arme mein!

Sollst Deines Siegers Herrin seyn.

Will bau'n Dir einen Pallast schön,

In prächt'gen Kleidern sollst Du gehn.

 

Es thun Dein' Augen mir Gewalt,

Kann nicht mehr fort aus diesem Wald,

Aus wilder Flammen Spiel und Graus

Trag' ich mir meine Braut nach Haus!“

 

Der Ritter ließ sein weißes Roß,

Stieg durch den Brand hinauf ins Schloß,

Viel' Knecht' ihm waren da zur Hand,

Zu holen das Fräulein von der Wand.

 

Das Fräulein stieß die Knecht' hinab,

Den Liebsten auch ins heiße Grab,

Sie selber dann in die Flamme sprang,

Ueber ihnen die Burg zusammen sank.

 

Entstanden 1811, Erstdruck 1815, hier Fassung von 1826

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Leid und Lust.

 

Euch Wolken beneid' ich

In blauer Luft,

Wie schwing't Ihr Euch freudig

Ueber Berg und Kluft!

 

Mein Liebchen wohl seht Ihr

Im Garten gehn,

Am Springbrunnen steht sie

So morgenschön.

 

Und wäscht an der Quelle

Ihr goldenes Haar,

Die Aeugelein helle,

Und blickt so klar.

 

Und Busen und Wangen

Dürft' Ihr da sehn. –

Ich brenn' vor Verlangen,

Und muß hier stehn!

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Euch Wolken bedau'r ich

Bei stiller Nacht;

Die Erde bebt schaurig,

Der Mond erwacht:

 

Da führt mich ein Bübchen

Mit Flügelein fein,

Durch's Dunkel zum Liebchen,

Sie läßt mich ein.

 

Wohl schau't Ihr die Sterne

Weit, ohne Zahl,

Doch bleiben sie ferne

Euch allzumal.

 

Mir leuchten zwei Sterne

Mit süßem Strahl,

Die küß' ich so gerne

Viel tausendmal.

 

Euch grüßt mit Gefunkel

Der Wasserfall,

Und tief aus dem Dunkel

Die Nachtigall.

 

Doch süßer es grüßet

Als Wellentanz,

Wenn Liebchen hold flüstert:

„Dein bin ich ganz.“

 

Entstanden 1811/12, Erstdruck 1816 unter dem Titel «Liedchen», hier Fassung von 1826

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Das Flügelroß.

 

Ich hab' nicht viel hienieden,

Ich hab' nicht Geld noch Gut;

Was vielen nicht beschieden,

Ist mein: – der frische Muth.

 

Was Andre mag ergötzen,

Das kümmert wenig mich,

Sie leben in den Schätzen,

In Freuden lebe ich.

 

Ich hab' ein Roß mit Flügeln,

Getreu in Lust und Noth,

Das wiehernd spannt die Flügel

Bei jedem Morgenroth.

 

Mein Liebchen! wie so öde

Wird's oft in Stadt und Schloß,

Frisch auf und sey nicht blöde,

Besteig mit mir mein Roß!

 

Wir seegeln durch die Räume

Ich zeig' Dir Meer und Land,

Wie wunderbare Träume

Tief unten ausgespannt.

 

Hellblinkend zu den Füßen

Unzähl'ger Ströme Lauf –

Es steigt ein Frühlingsgrüßen

Verhallend zu uns auf.

 

Und bunt und immer wilder

In Liebe, Haß und Lust

Verwirren sich die Bilder –

Was schwindelt Dir die Brust?

 

So fröhlich tief im Herzen,

Zieh' ich all' himmelwärts,

Es kommen selbst die Schmerzen

Melodisch an das Herz.

 

Der Sänger zwingt mit Klängen

Was störrig, dumpf und wild,

Es spiegelt in Gesängen

Die Welt sich göttlich mild.

 

Und unten nun verbrauset

Des breiten Lebens Strom,

Der Adler einsam hauset

Im stillen Himmelsdom. –

 

Und seh'n wir dann den Abend

Verhallen und verblühn,

Im Meere, kühlelabend,

Die heil'gen Sterne glühn:

 

So lenken wir hernieder

Zu Waldes grünem Haus,

Und ruh'n vom Schwung der Lieder

Auf blüh'ndem Moose aus.

 

O Sterndurchwebtes Düstern,

O heimlichstiller Grund!

O süßes Liebesflüstern

So innig Mund an Mund!

 

Die Nachtigallen locken,

Mein Liebchen athmet lind,

Mit Schleier zart und Locken

Spielt buhlerisch der Wind.

 

Und schlaf' denn bis zum Morgen

So sanft gelehnt an mich!

Süß sind der Liebe Sorgen,

Dein Liebster wacht für Dich.

 

Ich halt' die blüh'nden Glieder,

Vor süßen Schauern bang,

Ich laß' Dich ja nicht wieder

Mein ganzes Leben lang! –

 

Aurora will sich heben,

Du schlägst die Augen auf,

O wonniges Erbeben,

O schöner Lebenslauf! –

 

Entstanden 1811/12, Erstdruck 1816, hier Fassung von 1826

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Liedchen.

[Glück.]

 

Wie jauchzt meine Seele

Und singet in sich!

Kaum, daß ich's verhehle

So glücklich bin ich.

 

Rings Menschen sich drehen

Und sprechen gescheut,

Ich kann nichts verstehen,

So fröhlich zerstreut. –

 

Zu eng wird das Zimmer,

Wie glänzet das Feld,

Die Thäler voll Schimmer,

Weit herrlich die Welt!

 

Gepreßt bricht die Freude

Durch Riegel und Schloß,

Fort über die Haide!

Ach, hätt' ich ein Roß! –

 

Und frag' ich und sinn' ich,

Wie so mir geschehn?: –

Mein Liebchen herzinnig,

Das soll ich heut sehn!

 

Entstanden um 1811/12, Erstdruck 1817, hier Fassung von 1826

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Götterdämmerung

 

I.

 

Was klingt mir so heiter

Durch Busen und Sinn?

Zu Wolken und weiter

Wo trägt es mich hin?

 

Wie auf Bergen hoch bin ich

So einsam gestellt

Und grüße herzinnig,

Was schön auf der Welt.

 

Ja, Bachus, Dich seh' ich,

Wie göttlich bist Du!

Dein Glühen versteh' ich,

Die träumende Ruh.

 

O rosenbekränztes

Jünglingsbild,

Dein Auge, wie glänzt es,

Die Flammen so mild!

 

Ist's Liebe, ist's Andacht,

Was so Dich beglückt?

Rings Frühling Dich anlacht,

Du sinnest entzückt. –

 

Frau Venus, Du Frohe,

So klingend und weich,

In Morgenroths Lohe

Erblick' ich Dein Reich

 

Auf sonnigen Hügeln

Wie ein Zauberring. –

Zart' Bübchen mit Flügeln

Bedienen Dich flink,

 

Durchsäuseln die Räume

Und laden, was fein,

Als goldene Träume

Zur Königin ein.

 

Und Ritter und Frauen

Im grünen Revier

Durchschwärmen die Auen

Wie Blumen zur Zier.

 

Und jeglicher hegt sich

Sein Liebchen im Arm,

So wirrt und bewegt sich

Der seelige Schwarm. –

 

Die Klänge verrinnen,

Es bleichet das Grün,

Die Frauen stehn sinnend,

Die Ritter schaun kühn.

 

Und himmlisches Sehnen

Geht singend durch's Blau,

Da schimmert von Thränen

Rings Garten und Au. –

 

Und mitten im Feste

Erblick' ich, wie mild!

Den stillsten der Gäste. –

Woher, einsam Bild?

 

Mit blühendem Mohne,

Der träumerisch glänzt,

Und Lilienkrone

Erscheint er bekränzt.

 

Sein Mund schwillt zum Küssen

So lieblich und bleich,

Als brächt' er ein Grüßen

Aus himmlischem Reich.

 

Eine Fackel wohl trägt er,

Die wunderbar prangt.

„Wo ist Einer“, frägt er.

„Den heimwärts verlangt?“

 

Und manchmal da drehet

Die Fackel er um –

Tiefschauend vergehet

Die Welt und wird stumm.

 

Und was hier versunken

Als Blumen zum Spiel,

Siehst oben Du funkeln

Als Sterne nun kühl. –

 

O Jüngling vom Himmel,

Wie bist Du so schön!

Ich laß das Gewimmel,

Mit dir will ich gehn!

 

Was will ich noch hoffen?

Hinauf, ach hinauf!

Der Himmel ist offen,

Nimm, Vater, mich auf!“

 

 

II.

 

Von kühnen Wunderbildern

Ein großer Trümmerhauf,

In reizendem Verwildern

Ein blüh'nder Garten drauf.

 

Versunknes Reich zu Füßen,

Vom Himmel fern und nah,

Aus andrem Reich ein Grüßen-–

Das ist Italia!

 

Wenn Frühlingslüfte wehen

Hold über'm grünen Plan,

Ein leises Auferstehen

Hebt in den Thälern an.

 

Da will sich's unten rühren

Im stillen Göttergrab,

Der Mensch kanns schauernd spüren

Tief in die Brust hinab.

 

Verwirrend in den Bäumen

Gehn Stimmen hin und her,

Ein sehnsuchtsvolles Träumen

Weht über's blaue Meer.

 

Und unter'm duft'gen Schleier,

Sooft der Lenz erwacht,

Webt in geheimer Feier

Die alte Zaubermacht.

 

Frau Venus hört das Locken,

Der Vögel heitern Chor,

Und richtet froh erschrocken

Aus Blumen sich empor.

 

Sie sucht die alten Stellen,

Das luft'ge Säulenhaus,

Schaut lächelnd in die Wellen

Der Frühlingsluft hinaus.

 

Doch öd' sind nun die Stellen,

Stumm liegt ihr Säulenhaus,

Gras wächst da auf den Schwellen,

Der Wind zieht ein und aus.

 

Wo sind nun die Gespielen?

Diana schläft im Wald,

Neptunus ruht im kühlen

Meerschloß, das einsam hallt.

 

Zuweilen nur Sirenen

Noch tauchen aus dem Grund,

Und thun in irren Tönen

Die tiefe Wehmuth kund. –

 

Sie selbst muß sinnend stehen

So bleich im Frühlingsschein,

Die Augen untergehen,

Der schöne Leib wird Stein. –

 

Denn über Land und Wogen

Erscheint, so still und mild,

Hoch auf dem Regenbogen

Ein andres Frauenbild.

 

Ein Kindlein in den Armen

Die Wunderbare hält,

Und himmlisches Erbarmen

Durchdringt die ganze Welt.

 

Da in den lichten Räumen

Erwacht das Menschenkind,

Und schüttelt böses Träumen

Von seinem Haupt geschwind.

 

Und, wie die Lerche singend,

Aus schwülen Zaubers Kluft

Erhebt die Seele ringend

Sich in die Morgenluft.

 

Entstanden um 1811/17. Erstdruck als Zyklus 1818, hier Fassung von 1826

Götterdämmerung I: Entstanden um 1811/17. Erstdruck 1816 unter dem Titel «Trinklied»

Götterdämmerung II: Entstanden um 1811/17. Erstdruck 1818