BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Das Geheimniß der Auferstehung und übernatürlichen Geburt.

 

Die Qualität der Gemüthlichkeit gilt nicht nur von den praktischen Wundern, wo von selbst diese Qualität in die Augen springt, da sie unmittelbar das Wohl, den Wunsch des menschlichen Individuums betreffen; sie gilt auch von den theoretischen oder eigentlich dogmatischen Wundern. So von dem Wunder der Auferstehung und übernatürlichen Geburt.

Der Mensch hat, wenigstens im Zustande des Wohlseins, den Wunsch, nicht zu sterben. Dieser Wunsch ist ursprünglich [176] eins mit dem Selbsterhaltungstriebe. Was lebt, will sich behaupten, will leben, folglich nicht sterben. Dieser erst negative Wunsch wird in der spätern Reflexion und im Gemüthe, unter dem Drucke des Lebens, besonders des bürgerlichen und politischen Lebens, zu einem positiven Wunsche, zum Wunsche eines Lebens und zwar bessern Lebens nach dem Tode. Aber in diesem Wunsche liegt zugleich der Wunsch nach Gewißheit dieser Hoffnung. Die Vernunft kann diese Hoffnung nicht erfüllen. Man hat daher gesagt: alle Beweise für die Unsterblichkeit sind ungenügend, oder selbst, daß sie die Vernunft gar nicht aus sich erkennen, viel weniger beweisen könne. Und mit Recht: die Vernunft gibt nur allgemeine Beweise; die Gewißheit meiner persönlichen Fortdauer kann sie mir nicht geben, und diese Gewißheit verlangt man eben. Aber zu solcher Gewißheit gehört eine unmittelbare persönliche Versicherung, eine thatsächliche Bestätigung. Diese kann mir nur dadurch gegeben werden, daß ein Todter, von dessen Tode wir vorher versichert waren, wieder aus dem Grabe aufersteht, und zwar ein Todter, der kein gleichgültiger, sondern vielmehr das Vorbild der Andern ist, so daß auch seine Auferstehung das Vorbild, die Garantie der Auferstehung der Andern ist. Die Auferstehung Christi ist daher der realisirte Wunsch des Menschen nach unmittelbarer Gewißheit von seiner persönlichen Fortdauer nach dem Tode – die persönliche Unsterblichkeit als eine sinnliche, unbezweifelbare Thatsache.

 

Die Frage nach der Unsterblichkeit war bei den heidnischen Philosophen eine Frage, bei welcher das Interesse der Persönlichkeit außer dem Spiele blieb. Es handelte sich hier nur [177] um die Natur der Seele, des Geistes, des Lebensprincipes. Im Gedanken von der Unsterblichkeit des Lebensprincipes liegt keineswegs der Gedanke, geschweige die Gewißheit der persönlichen Unsterblichkeit. Darum drücken sich die Alten so unbestimmt, so widersprechend, so zweifelhaft über diesen Gegenstand aus. Die Christen dagegen in der zweifellosen Gewißheit, daß ihre persönlichen, gemüthlichen Wünsche erfüllt werden, d. h. in der Gewißheit von dem göttlichen Wesen ihres Gemüths, ihrer Persönlichkeit, von der Wahrheit und Unantastbarkeit ihrer subjectiven Gefühle, machten, was bei den Alten die Bedeutung eines theoretischen Problems hatte, zu einer unmittelbaren Thatsache, eine theoretische, eine an sich freie Frage zu einer bindenden Gewissenssache, deren Läugnung dem Majestäts­verbrechen des Atheismus gleich kam. Wer die Auferstehung läugnet, läugnet die Auferstehung Christi, wer Christi Auferstehung läugnet, läugnet Christus, wer aber Christus läugnet, läugnet Gott. So machte das „geistige“ Christenthum eine geistige Sache zu einer geistlosen Sache! Den Christen war die Unsterblichkeit der Vernunft, des Geistes viel zu abstract und negativ; den Christen lag nur die persönliche, gemüthliche Unsterblichkeit am Herzen; aber die Bürgschaft dieser liegt nur in der fleischlichen Auferstehung. Die Auferstehung des Fleisches ist der höchste Triumph des Christenthums über die erhabene, freilich abstracte, Geistigkeit und Objectivität der Alten. Darum wollte auch die Auferstehung den Heiden durchaus nicht in den Kopf.

Aber wie die Auferstehung, das Ende der heiligen Geschichte – eine Geschichte, die aber nicht die Bedeutung einer Historie, sondern der Wahrheit selber hat – ein realisirter [178] Wunsch, so ist es auch der Anfang derselben, die übernatürliche Geburt, obgleich diese sich nicht auf ein unmittelbar persönliches Interesse, sondern mehr nur auf ein particuläres subjectives Gefühl bezieht.

Je mehr sich der Mensch der Natur entfremdet, je subjectiver, d. i. über- oder widernatürlicher seine Anschauung wird, desto größere Scheu bekommt er vor der Natur oder wenigstens vor gewissen natürlichen Dingen und Processen, die seiner Phantasie mißfallen, ihn widerlich afficiren. Der freie, objective Mensch findet allerdings auch Ekelhaftes und Widerliches in der Natur, aber er begreift es als eine natürliche, unvermeidliche Folge und überwindet in dieser Einsicht seine Gefühle als nur subjective, unwahre Gefühle. Der subjective, nur im Gemüthe und in der Phantasie lebende Mensch dagegen fixirt, beanstandet diese Dinge mit einem ganz besondern Widerwillen. Er hat das Auge jenes unglücklichen Findlings, welcher auch an der schönsten Blume nur die kleinen „schwarzen Käferchen“, die auf ihr herumliefen, bemerkte und durch diese Wahrnehmung den Genuß an der Anschauung der Blume sich verbitterte. Der subjective Mensch macht aber seine Gefühle zum Maaßstab dessen, was sein soll. Was ihm nicht gefällt, was sein transcendentes, über- oder widernatürliches Gemüth beleidigt, das soll nicht sein. Kann auch das, was ihm wohlgefällt, nicht sein ohne das, was ihm mißfällt – der subjective Mensch richtet sich nicht nach den langweiligen Gesetzen der Logik und Physik, sondern nach der Willkühr der Phantasie – er läßt daher das Mißfällige an einer Sache weg, das Wohlgefällige aber hält er fest. So gefällt ihm wohl die reine, unbefleckte Jungfrau; aber wohl gefällt ihm auch die Mutter, jedoch nur die Mutter, [179] die keine Beschwerden leidet, die Mutter, die schon das Kindlein auf den Armen trägt.

 

An und für sich ist die Jungfrauschaft im innersten Wesen seines Geistes, seines Glaubens sein höchster Begriff, das Cornu copiae seiner supranaturalistischen Gefühle und Vorstellungen, sein personificirtes Ehr- und Schamgefühl vor der gemeinen Natur 1). Aber zugleich regt sich doch auch ein natürliches Gefühl in seiner Brust, das barm­herzige Gefühl der Mutterliebe. Was ist nun in dieser Herzensnoth, in diesem Zwiespalt zwischen einem natürlichen und überoder widernatürlichen Gefühl zu thun? Der Supranaturalist muß Beides verbinden, in einem und demselben Subjecte zwei sich gegenseitig ausschließende Prädicate zusammenfassen 2). O welche Fülle gemüthlicher, holdseliger, übersinnlich sinnlicher Gefühle liegt in dieser Verknüpfung!

Hier haben wir den Schlüssel zu dem Widerspruch im [180] Katholicismus, daß zugleich die Ehe, zugleich die Ehelosigkeit heilig ist. Der dogmatische Widerspruch der jungfräulichen Mutter oder mütterlichen Jungfrau ist hier nur als ein praktischer Widerspruch verwirklicht. Aber gleichwohl ist diese wunderbare, der Natur und Vernunft widersprechende, dem Gemüthe und der Phantasie aber im höchsten Grade entsprechende Verknüpfung der Jungferschaft und Mutterschaft kein Product des Katholicismus; sie liegt selbst schon in der zweideutigen Rolle, welche die Ehe in der Bibel, namentlich im Sinne des Apostels Paulus spielt. Die Lehre von der übernatürlichen Zeugung und Empfängniß Christi ist eine wesentliche Lehre des Christenthums, eine Lehre, die sein inneres dogmatisches Wesen ausspricht, die auf demselben Fundament, wie alle übrigen Wunder und Glaubensartikel beruht. So gut die Christen an dem Tode, den der Philosoph, der Naturforscher, der freie, objective Mensch überhaupt für eine natürliche Nothwendigkeit erkennt, überhaupt an den Gränzen der Natur, welche dem Gemüthe Schranken, der Vernunft aber vernünftige Gesetze sind, Anstoß nahmen und sie daher durch die Macht der Wunderthätigkeit beseitigten, so gut mußten sie auch an dem Naturproceß der Zeugung Anstoß nehmen und ihn durch die Wundermacht negiren. Und wie die Auferstehung, so kommt auch die übernatürliche Geburt Allen, nämlich Gläubigen, zu Gute; denn die Empfängniß der Maria, als unbefleckt durch das männliche Sperma, welches das eigentliche Contagium der Erbsünde ist, war ja der erste Neinigungsact der sünden-, d. i. naturbeschmutzten Menschheit. Nur weil der Theanthropos nicht angesteckt war von der Erbsünde, konnte Er, der Reine, die Menschheit reinigen in den Augen Gottes, welchen der natürliche Zeugungsproceß ein [181]Gräuel, weil er selbst nichts andres als das übernatürliche Gemüth ist.

Selbst die trocknen, so willkührlich kritischen protestantischen Orthodoxen betrachteten noch die Empfängniß der gottgebärenden Jungfrau als ein großes, verehrungs- und anstaunungswürdiges, heiliges, übervernünftiges Glaubensmysterium 3). Aber bei den Protestanten, welche den Christen nur auf den Glauben reducirten und beschränkten, im Leben aber Mensch sein ließen, hatte auch dieses Mysterium nur dogmatische, nicht mehr praktische Bedeu­tung. Sie ließen sich durch dieses Mysterium in ihrer Heirathslust nicht irre machen. Bei den Katholiken, überhaupt den alten unbedingten unkritischen Christen war, was ein Mysterium des Glaubens auch ein Mysterium des Lebens, der Moral 4). Die katholische Moral ist christlich, mystisch, die protestantische Moral war schon von Anfang an rationalistisch. Die protestantische Moral ist und war eine fleischliche Vermischung des Christen mit dem Menschen – dem natürlichen, politischen, bürgerlichen, socialen Menschen oder wie ihr ihn sonst im Unterschiede vom christlichen nennen wollt – die katholische Moral bewahrte auf ihrem Herzen das Geheimniß der unbefleckten Jungfräulichkeit. Die katholische Moral war die Mater dolorosa, die protestantische eine wohlbeleibte, kindergesegnete Hausfrau. Der Protestantismus ist von Grund aus der Widerspruch zwischen Glauben und Leben. [182] Nicht so der Katholicismus. Die übernatürlichen Glaubensprincipien waren ihm zugleich übernatür­liche Moralprincipien. Eben deßwegen weil das Mysterium der Virgo Deipara bei den Protestanten nur noch in der Theorie oder vielmehr in der Dogmatik, aber nicht mehr in praxi galt, sagten sie, daß man sich nicht vorsichtig, nicht zurückhaltend genug darüber ausdrücken könne, daß man es durchaus nicht zu einem Object der Speculation machen dürfe. Was man praktisch negirt, hat keinen wahren Grund und Bestand mehr im Menschen, ist nur noch ein Gespenst der Vorstellung. Deßhalb verbirgt, entzieht man es dem Verstande. Gespenster vertragen nicht das Tageslicht.

Selbst auch die spätere, übrigens schon in einem Briefe an den heiligen Bernhard, der sie aber verwirft, ausgesprochene, Glau­bensvorstellung, daß auch die Maria unbefleckt ohne Erbsünde empfangen worden sei, ist keineswegs eine „sonderbare Schul­meinung,“ wie sie Ranke in seiner Geschichte der Reformation nennt. Sie ergab sich vielmehr aus einer natürlichen Folgerung und einer frommen dankbaren Gesinnung gegen die Mutter Gottes. Was ein Wunder, was Gott gebiert, muß selbst wunderbaren, göttlichen Ursprungs und Wesens sein. Wie hätte Maria die Ehre haben können vom heiligen Geiste beschattet zu werden, wenn sie nicht vorher schon von Hause aus wäre purificirt worden? Konnte der heil. Geist in einem von der Erbsünde besudelten Leibe Wohnung nehmen? Wenn ihr das Princip des Christenthums, die heil- und wundervolle Geburt des Heilands nicht sonderbar findet – o! so findet doch auch die naiven, einfältigen, gutmüthigen Folgerungen des Katholicismus nicht sonderbar.

 

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1) Tantum denique abest incesti cupido, ut nonnullis rubori sit etiam pudica conjunctio. M. Felicis Oct. c. 31. Der Pater Gil war so außerordentlich keusch, daß er kein Weib von Gesicht kannte, ja er fürchtete sich sogar, nur sich selbst anzufassen, se quoque ipsum attingere quodammodo horrebat. Der Pater Coton hatte einen so feinen Geruch in diesem Punkte, daß er bei Annäherung von unkeuschen Personen einen unerträglichen Gestank wahrnahm. (Bayle Dict. Art. Mariana Rem. C.) Aber das oberste, das göttliche Princip dieser hyperphysischen Delicatesse ist die Jungfrau Maria; daher sie bei den Katholiken heißt: Virginum gloria, Virginitatis corona, Virginitatis typus et forma puritatis, Virginum vexillifera, Virginitatis magistra, Virginum prima, Virginitatis primiceria. 

2) Salve sancta parens, enixa puerpera Regem, Gaudia matris habens cum Virginitatis honore. (Theol. schol. Mezger T. IV. p. 132.) 

3) S. z. B. J. D. Winckler Philolog. Lactant. s. Brunsvigae. 1754. p. 247–254. 

4) S. hierüber auch „Philos. und Christenthum“ von L. Feuerbach.