BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Erste Einleitung

in die Wissenschaftslehre

 

1797

 

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Vorerinnerung.

 

Baco de Verulamio.

De re, quae agitur, petimus, ut homines eam non opinionem,

sed opus esse, cogitent ac pro certo habeant, non sectae nos

alicujus, aut placiti, sed utilitatis et amplitudinis humanae

fundamenta moliri. Deinde, ut, suis commodis aequi, in

commune consulant, et ipsi in partem veniant.

 

Der Verfasser der Wissenschaftslehre wurde durch eine geringe Bekanntschaft mit der philosophischen Literatur seit der Erscheinung der Kantischen Kritiken sehr bald überzeugt, dass diesem grossen Manne sein Vorhaben, die Denkart des Zeitalters über Philosophie, und mit ihr über alle Wissenschaft, aus dem Grunde umzustimmen, gänzlich mislungen sey; indem kein einziger unter seinen zahlreichen Nachfolgern bemerkt, wovon eigentlich geredet werde. Der Verfasser glaubte das letztere zu wissen; er beschloss, sein Leben einer von Kant ganz unabhängigen Darstellung jener grossen Entdeckung zu widmen, und wird diesen Entschluss nicht aufgeben. Ob es ihm besser gelingen werde, sich in seinem Zeitalter verständlich zu machen, wird die Zeit lehren. Auf jeden Fall weiss er, dass nichts wahres und nützliches, was einmal in die Menschheit gekommen, verloren geht; gesetzt auch, erst die späte Nachkommenschaft wisse es zu gebrauchen.

Durch meinen akademischen Beruf bestimmt, schrieb ich zunächst für meine Zuhörer, wo ich es in meiner Gewalt hatte, mündlich so lange zu erklären, bis ich verstanden war.

Es gehört nicht hieher, zu bezeugen, wie viele Ursache ich habe, mit diesen zufrieden zu seyn, und von sehr vielen unter ihnen die besten Hoffnungen für die Wissenschaft zu hegen. Jene Schrift ist auch auswärts bekannt worden, und es sind mancherlei Vorstellungen über sie unter den Gelehrten. Ein Urtheil, wo Gründe auch nur vorgewendet würden, habe ich nicht, gelesen oder gehört, ausser von meinen Zuhörern; wohl aber Spöttereien, Schmähungen und die allgemeine Bezeugung, dass man dieser Lehre von Herzen abgeneigt sey, wie auch, dass man sie nicht verstehe. Was das letztere betrifft, so will daran ich alle Schuld allein haben, bis man etwa anderwärtsher mit dem Inhalte meines Systems bekannt ist, und finden möchte, dass es dort denn doch so ganz unvernehmlich nicht vorgetragen ist; oder ich will sie auch ganz unbedingt und auf immer auf mich nehmen, wenn dem Leser dadurch Lust gemacht werden kann, auf die gegenwärtige Darstellung, in welcher ich nicht der höchsten Klarheit befleissigen werde, einzugehen. Ich werde diese Darstellung fortsetzen, so lange ich nicht überzeugt bin, dass ich ganz vergebens schreibe. Vergebens aber schreibe ich, wenn niemand auf meine Gründe eingeht.

Noch bin ich folgende Erinnerungen den Lesern schuldig. Ich habe von jeher gesagt, und sage es hier wieder, dass mein System kein anderes sey als das Kantische. Das heisst: es enthält dieselbe Ansicht der Sache, ist aber in seinem Verfahren ganz unabhängig von der Kantischen Darstellung. Ich habe dies gesagt, nicht um durch eine grosse Autorität mich zu decken, oder meiner Lehre eine Stütze ausser ihr selbst zu suchen; sondern um die Wahrheit zu sagen, um gerecht zu seyn.

Bewiesen möchte es etwa nach zwanzig Jahren werden können. Kant ist bis jetzt, einen neuerlich gegebenen Wink abgerechnet, den ich tiefer unten bezeichnen werde, ein verschlossenes Buch, und was man aus ihm herausgelesen hat, ist gerade dasjenige, was in ihn nicht passt, und was er widerlegen wollte.

Meine Schriften wollen Kant nicht erklären, oder aus ihm erklärt seyn; sie selbst müssen für sich stehen, und Kant bleibt ganz aus dem Spiele. Es ist mir &ndas; dass ich es gerade heraus sage &ndas; nicht um Berichtigung und Ergänzung der philosophischen Begriffe, die etwa im Umlaufe sind, mögen sie Anti-Kantisch oder Kantisch heissen, es ist mir um ihre gänzliche Ausrottung und die völlige Umkehrung der Denkart über diese Puncte des Nachdenkens zu thun, so dass in allem Ernste, und nicht bloss so zu sagen, das Object durch das Erkenntnissvermögen, und nicht das Erkenntnissvermögen durch das Object gesetzt und bestimmt werde. Mein System kann sonach nur aus sich selbst, nicht aus den Sätzen irgend einer Philosophie geprüft werden; es soll nur mit sich selbst übereinstimmen; es kann nur aus sich selbst erklärt, nur aus sich selbst bewiesen oder widerlegt werden; man muss es ganz annehmen, oder ganz verwerfen.

«Wenn dieses System wahr seyn sollte, so können gewisse Sätze nicht bestehen,» ist hier nichts gesagt: denn es ist meine Meinung gar nicht, dass bestehen sollte, was durch dasselbe widerlegt ist.

«Ich verstehe diese Schrift nicht,» bedeutet mir weiter nichts, als wie die Worte lauten: und ich halte ein solches Geständniss für höchst uninteressant und höchst unbelehrend. Man kann meine Schriften nicht verstehen, und soll sie nicht verstehen, ohne sie studirt zu haben; denn sie enthalten nicht die Wiederholung einer schon ehemals gelernten Lection, sondern, nachdem Kant nicht verstanden worden, etwas dem Zeitalter ganz neues.

Tadel ohne Gründe sagt mir weiter nichts, als dass diese Lehre nicht gefalle, und dieses Geständniss ist abermals äusserst unwichtig; es ist gar nicht die Frage davon, ob es euch gefalle oder nicht, sondern ob es bewiesen sey? Ich werde in dieser Darstellung, um die Prüfung nach Gründen zu erleichtern, allenthalben hinzufügen, wo das System angegriffen werden müsste. Ich schreibe nur für solche, in denen noch immer 1) Sinn wohnt für die Gewissheit oder Zweifelhaftigkeit, für die Klarheit oder Verworrenheit ihrer Erkenntniss, denen Wissenschaft und Ueberzeugung etwas gilt, und die von einem lebendigen Eifer getrieben werden, sie zu suchen. Mit denjenigen, die durch langwierige Geistesknechtschaft sich selbst, und mit sich selbst ihr Gefühl für eigene Ueberzeugung, und ihren Glauben an die Ueberzeugung Anderer verloren haben, denen es Thorheit ist, dass jemand selbstständig Wahrheit suchen solle, die in den Wissenschaften nichts erblicken, als einen bequemeren Broterwerb, und vor jeder Erweiterung derselben, als vor einer neuen Arbeit erschrecken, denen kein Mittel schändlich ist, den Verderber des Gewerbes zu unterdrücken &ndas; mit ihnen habe ich nichts zu thun.

Es würde mir leid seyn, wenn sie mich verstünden. Bisher ist es mir mit ihnen nach Wunsche gelungen, und ich hoffe auch jetzt, diese Anrede werde sie so verwirren, dass sie von nun an nichts weiter erblicken als Buchstaben, indess das, was bei ihnen die Stelle des Geistes vertritt, durch die innerlich verschlossene Wuth hierhin und dorthin gerissen wird.

 

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1)

innerer. [2ter Abdruck.]