BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Der geschlossene Handelsstaat

 

2. Buch

 

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Zweites Capitel.

 

Die bekannte Welt als ein einiger

grosser Handelsstaat angesehen.

 

Die Völker der alten Welt waren durch eine Menge von Verhältnissen sehr streng von einander geschieden. Ihnen war der Fremde Feind oder Bat bar. Dagegen lassen die Völker des neuen christlichen Europa sich betrachten als Eine Nation. Durch dieselbe Abstammung und dieselben ursprünglichen Gebräuche und Begriffe aus Germaniens Wäldern vereinigt, wurden sie, seit ihrer Verbreitung durch die Provinzen des abendländischen römischen Reiches, noch durch dieselbe gemeinschaftliche Religion, und dieselbe Unterwürfigkeit gegen ein sichtbares Oberhaupt der letzteren verbunden. Den Völkern von anderer Abstammung, welche später hinzukamen, wurde zugleich mit der neuen Religion dasselbe germanische Grundsystem von Gebräuchen und Begriffen angebildet.

Man geräth durchaus in die Irre, wenn man auf die einzelnen Niederlassungen dieser Halb-Barbaren unsere Begriffe von Staat, von Obrigkeit und Unterthan überträgt. Sie lebten in der That im Naturstande. Nur zum Kriege wurden sie durch ihre Könige, welche nach der Sitte der germanischen Wälder eigentlich Heerführer waren, vereiniget, und waren übrigens, ohne politisches Band in den meisten Stücken, ihre eigenen Richter und Vertheidiger. Nur durch das Verhältniss der Leibeigenen zu ihren Herren, und der Vasallen zum Lehnsherrn hingen die Volkshaufen zusammen; und lediglich aus diesen Verhältnissen gingen die wenigen richterlichen, eigentlich schiedsrichterlichen Handlungen, die da statthatten, als eine Folge hervor: weit entfernt dass sie Zweck an sich, dass die Gesetze das eigentliche Bindungsmittel der Nation hätten seyn sollen. Selbst das Band der Lehnsverfassung verband so gelinde, dass derselbe Mann Vasall des Einen Königs, und Allodienbesitzer in den Ländern eines anderen seyn konnte, und, im Falle eines Krieges zwischen beiden Königen, als Vasall in Person für denjenigen streiten musste, gegen welchen er als Allodienbesitzer seinen Mann stellte.

Was Wunder, dass diese Völkerschaften, die durch alles vereinigt, und durch dasjenige, was sonst die Menschen trennt, durch die Staatsverfassung, nicht getrennt wurden, da sie in der That keine hatten – sich betrachteten und betrugen als Eine Nation, dass sie sich durch einander vermischten, reisten, Handel und Wandel trieben, Dienste nahmen, und dass jeder auf dem Gebiete des anderen angekommen, noch immer zu Hause zu seyn glaubte.

Erst später durch Einführung des römischen Rechtes, und Uebertragung römischer Begriffe von Imperatoren auf die modernen Könige und den modernen Kaiser, der ursprünglich wohl nur als Feldherr der Christenheit gedacht wurde, und für die ganze Kirche das seyn sollte, was die Kastenvögte für einzelne Bisthümer oder Klöster, – erst dadurch kamen eigentlich politische Begriffe und Einrichtungen in den Umlauf: und das Verhältniss der Leibeigenen und Vasallen zu ihren Herren verwandelte sich allmählig in ein Verhältniss von Unterthanen gegen ihre Obrigkeit, und ihren Richter. So entstand z.B. zuerst in Frankreich eine Monarchie im alten Stile. Nun erst wurden Völkerschaften durch Staatsverfassung geschieden. Diese Trennung wurde noch dadurch erleichtert, dass durch die Kirchen-Reformation die geistliche Gewalt, die die christliche Kirche bisher zu einem Ganzen zusammengehalten hatte, zu Grunde gerichtet wurde.

So haben die modernen Staaten sich gebildet, – nicht, wie man in der Rechtslehre die Entstehung eines Staates zu beschreiben pflegt, durch Sammlung und Vereinigung unverbundener Einzelner unter die Einheit des Gesetzes, sondern vielmehr durch Trennung und Zertheilung einer einigen grossen jedoch nur schwach verbundenen Menschenmasse. Die einzelnen Staaten des christlichen Europa sind solche losgerissene, ihrer Ausdehnung nach grösstentheils durch das Ohngefähr bestimmte Stücke des ehemaligen Ganzen.

Es ist kein Wunder, dass die nicht seit langem geschehene Trennung noch nicht vollendet ist, dass noch immer merkliche Spuren des ehemaligen Zusammenhanges übrig sind, und dass ein Theil unserer Begriffe und unserer Einrichtungen diesen aufgehobenen Zusammenhang noch immer als fortdauernd vorauszusetzen scheint.

Während jener Einheit des christlichen Europa hat unter andern sich auch das Handelssystem gebildet, das wenigstens nach seinen Grundzügen bis auf die gegenwärtige Zeit fortdauert. Jeder Theil des grossen Ganzen, und jedes Individuum erbaute, fabricirte, erhandelte von anderen Welttheilen, was es seiner natürlichen Lage nach am zweckmässigsten vermochte, und brachte es durch alle Theile desselben Ganzen ungehindert auf den Markt, und die Preise der Dinge machten sich von selbst. In dieser Gegend bemächtigte man sich ausschliessend dieses Nahrungszweiges, in einer anderen eines anderen; und wem kein Nahrungszweig ausschliessend zu Theil wurde, musste eben armseliger leben, ohne doch dabei ganz zu Grunde zugehen. Damals war eine Waare durch den Ort, wo sie verfertigt wurde, sattsam bezeichnet; und Kaufleute in einem gewissen Artikel benannte man kurz nach dem Lande, woher sie kamen, indem es sich verstand, dass die Waare nirgend anders verfertigt würde, und dass Personen aus dem bezeichneten Lande in keiner anderen Absicht kommen könnten, als um diese Artikel zum Kauf auszubieten. Es galt ein gemeinschaftliches Tauschmittel, Gold- und Silbergeld, das in allen Theilen des grossen Handelsstaates so ziemlich denselben werth hatte und aus einem in den anderen ungehindert circulirte. An eine Berechnung dieses Handels gegen die gesammte inländische Production war nicht zu gedenken, indem es ja keinen eigentlichen gemeinschaftlichen Oberherrn gab, und alles in der Anarchie war. Doch war bei der geringen Verbreitung der Künste nicht zu befürchten, dass der Markt überführt werden, der Fabricant und der Kaufmann leiden, oder Mangel an Nahrungsmitteln für ihn eintreten werde; noch bei der einfachen Lebensart und den eingeschränkten Bedürfnissen der Menschen, dass der Producent der gewohnten Waare werde entbehren müssen. – Der Handel war in diesem Zustande durchaus frei, ohne Berechnung, sowie ohne Beschränkung.

Dies war, lediglich den Mangel der Berechnung abgerechnet, welche nicht möglich und nicht sehr nöthig war, bei jener Lage der Dinge durchaus in der Ordnung. Die Bürger desselben Staates sollen alle durch einander Handel und Wandel treiben. War das christliche Europa ein Ganzes, so musste der Handel der Europäer unter einander frei seyn.

Die Anwendung auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge ist leicht zu machen. Ist das ganze christliche Europa, mit den hinzugekommenen Colonien und Handelsplätzen in anderen Welttheilen, noch immer ein Ganzes, so muss freilich der Handel aller Theile mit allen freibleiben, wie er ursprünglich war. Ist es im Gegentheil in mehrere, unter verschiedenen Regierungen stehende Staatsganze getrennt, so muss es ebenso in mehrere durchaus geschlossene Handelsstaaten getrennt werden.

Wir sind zur Quelle des grössten Theiles der noch bestehenden Misbräuche gekommen. Im neuen Europa hat es eine geraume Zeit hindurch gar keine Staaten gegeben. Man steht gegenwärtig noch bei den Versuchen, welche zu bilden. Man hat ferner die Aufgabe des Staates bis jetzt nur einseitig und mir halb aufgefasst, als eine Anstalt, den Bürger in demjenigen Besitzstande, in welchem man ihn findet, durch das Gesetz zu erhalten. Die tiefer liegende Pflicht des Staates, jeden in den ihm zukommenden Besitz erst einzusetzen, hat man übersehen. Dieses letztere aber ist nur dadurch möglich, dass die Anarchie des Handels ebenso aufgehoben werde, wie man die politische allmählig aufhebt, und der Staat ebenso als Handelsstaat sich schliesse, wie er in seiner Gesetzgebung und seinem Richteramte geschlossen ist.

Alle Einrichtungen, welche den unmittelbaren Verkehr eines Bürgers mit dem Bürger eines anderen Staates erlauben oder voraussetzen, betrachten im Grunde beide als Bürger Eines Staates, und sind Ueberbleibsel und Resultate einer Vorfassung, die längst aufgehoben ist, sind in unsere Welt nicht passende Theile einer vergangenen Welt. Jene Systeme, welche Freiheit des Handels fordern, jene Ansprüche, in der ganzen bekannten Welt kaufen und Markt halten zu wollen, sind aus der Denkart unserer Voreltern, für welche sie passte, auf uns überliefert worden; wir haben sie ohne Prüfung angenommen, und sie uns angewöhnt, und es ist nicht ohne Schwierigkeit, andere an ihre Stelle zu setzen.