BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Reden an die deutsche Nation

 

1807/08

 

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Dritte Rede.

 

Fortsetzung der Schilderung

der neuen Erziehung.

 

Das eigentliche Wesen der in Vorschlag gebrachten neuen Erziehung, inwiefern dieselbe in der vorigen Rede beschrieben worden, bestand darin, dass sie die besonnene und sichere Kunst sey, den Zögling zu reiner Sittlichkeit zu bilden. Zu reiner Sittlichkeit, sagte ich; die Sittlichkeit, zu der sie erziehet, stehet als ein erstes, unabhängiges und selbstständiges da, das aus sich selber lebet sein eigenes Leben; keinesweges aber, so wie die bisher oft beabsichtigte Gesetzmässigkeit, angeknüpft ist und eingeimpft einem andern nicht sittlichen Triebe, dessen Befriedigung es diene. Sie ist die besonnene und sichere Kunst dieser sittlichen Erziehung, sagte ich. Sie schreitet nicht planlos und auf gutes Glück, sondern nach einer festen und ihr wohlbekannten Regel einher, und ist ihres Erfolges gewiss. Ihr Zögling geht zu rechter Zeit als ein festes und unwandelbares Kunstwerk dieser ihrer Kunst hervor, das nicht etwa auch anders gehen könne, denn also, wie es durch sie gestellt worden, und das nicht etwa einer Nachhülfe bedürfe, sondern das durch sich selbst nach seinem eignen Gesetze fortgeht.

Zwar bildet diese Erziehung auch den Geist ihres Zöglings; und diese geistige Bildung ist sogar ihr erstes, mit welchem sie ihr Geschäft anhebt. Doch ist diese geistige Entwicklung nicht erster und selbstständiger Zweck, sondern nur das bedingende Mittel, um sittliche Bildung an den Zögling zu bringen. Inzwischen bleibt auch diese nur gelegentlich erworbene geistige Bildung ein aus dem Leben des Zöglings unaustilgbarer Besitz, und die ewig fortbrennende Leuchte seiner sittlichen Liebe. Wie gross auch, oder wie geringfügig die Summe der Erkenntnisse seyn möge, die er aus der Erziehung mitgebracht: einen Geist, der sein ganzes Leben hindurch jedwede Wahrheit, deren Erkenntniss ihm nothwendig wird, zu fassen vermag, und welcher ebenso der Belehrung durch andere empfänglich, als des eignen Nachdenkens fähig ohn' Unterlass bleibt, hat er von derselben sicherlich mit davon gebracht.

Soweit waren wir in der Beschreibung dieser neuen Erziehung in der vorigen Rede gekommen. Wir bemerkten am Schlusse derselben, dass durch dieses alles sie dennoch noch nicht vollendet sey, sondern noch eine andere, von den bis jetzt aufgestellten verschiedene Aufgabe zu lösen habe; und wir gehen jetzt an das Geschäft, diese Aufgabe näher zu bezeichnen.

Der Zögling dieser Erziehung ist ja nicht bloss Mitglied der menschlichen Gesellschaft hier auf dieser Erde, und für die kurze Spanne Lebens, die ihm auf derselben vergönnt ist, sondern er ist auch, und wird ohne Zweifel von der Erziehung anerkannt für ein Glied in der ewigen Kette eines geistigen Lebens überhaupt, unter einer höhern gesellschaftlichen Ordnung. Ohne Zweifel muss auch zur Einsicht in diese höhere Ordnung eine Bildung, die sein ganzes Wesen zu umfassen sich vorgenommen hat, ihn anfahren, und so wie sie ihn leitete, ein Bild jener sittlichen Weltordnung, die da niemals ist, sondern ewig werden soll, durch eigne Selbstthätigkeit sich vorzuzeichnen, eben so muss sie ihn leiten, ein Bild jener übersinnlichen Weltordnung, in der nichts wird, und die auch niemals geworden ist, sondern die da ewig nur ist, in dem Gedanken zu entwerfen, mit gleicher Selbstthätigkeit und also, dass er innigst verstehe und einsehe, dass es nicht anders seyn könne. Er wird, richtig geleitet, mit den Versuchen eines solchen Bildes zu Ende kommen, und an diesem Ende finden, dass nichts wahrhaftig dasey, ausser das Leben und zwar das geistige Leben, das da lebet in dem Gedanken; und dass alles übrige nicht wahrhaftig dasey, sondern nur dazuseyn scheine, welches Scheines aus dem Gedanken hervorgehenden Grund er gleichfalls, sey es auch nur im allgemeinen, begreifen wird. Er wird ferner einsehen, dass jenes allein wahrhaft daseyende geistige Leben, in den mannigfaltigen Gestaltungen, die es nicht durch ein Ohngefähr, sondern durch ein in Gott selber gegründetes Gesetz erhielt, wiederum Eins sey, das göttliche Leben selber, welches göttliche Leben allein in den lebendigen Gedanken da ist und sich offenbar macht. So wird er sein Leben, als ein ewiges Glied in der Kelte der Offenbarung des göttlichen Lebens, und jedwedes andere geistige Leben, als eben ein solches Glied, erkennen und heilig halten lernen; und nur in der unmittelbaren Berührung mit Gott, und dem nicht vermittelten Ausströmen seines Lebens aus jenem, Leben und Licht und Seligkeit; in jeder Entfernung aber aus der Unmittelbarkeit Tod, Finsterniss und Elend finden. Mit Einem Worte: diese Entwickelung wird ihn zur Religion bilden; und diese Religion des Einwohnens unsers Lebens in Gott soll allerdings auch in der neuen Zeit herrschen und in derselben sorgfältig gebildet werden. Dagegen soll die Religion der alten Zeit, die das geistige Leben von dem göttlichen abtrennte, und dem erstern nur vermittelst eines Abfalls von dem zweiten das absolute Daseyn zu verschaffen wusste, das sie ihm zugedacht hatte, und welche Gott als Faden brauchte, um die Selbstsucht noch über den Tod des sterblichen Leibes hinaus in andere Welten einzuführen, und durch Furcht und Hoffnung in diesen die für die gegenwärtige Welt schwach gebliebene zu verstärken, – diese Religion, die offenbar eine Dienerin der Selbstsucht war, soll allerdings mit der alten Zeit zugleich zu Grabe getragen werden; denn in der neuen Zeit bricht die Ewigkeit nicht erst jenseits des Grabes an, sondern sie kommt ihr mitten in ihre Gegenwart hinein, die Selbstsucht aber ist sowohl des Regiments, als des Dienstes entlassen, und zieht demnach auch ihre Dienerschaft mit ihr ab.

Die Erziehung zur wahren Religion ist somit das letzte Geschäft der neuen Erziehung. Ob in der Entwerfung eines hiezu erforderlichen Bildes der übersinnlichen Weltordnung der Zögling wahrhaft selbstthätig verfahren sey, und ob das entworfene Bild allenthalben richtig und durchaus klar und verständlich sey, wird die Erziehung leicht, auf dieselbe Weise wie bei den übrigen Gegenständen der Erkenntniss beurtheilen können; denn auch dies bleibt auf dem Gebiete der Erkenntniss.

Bedeutender aber ist auch hier die Frage: wie die Erziehung ermessen und sich die Gewährschaft leisten könne, dass diese Religionskenntnisse nicht todt und kalt bleiben, sondern dass sie sich ausdrücken werden im wirklichen Leben ihres Zöglings? welcher Frage die Beantwortung einer andern Frage vorauszuschicken ist, der folgenden: wie, und auf welche Weise zeigt sich die Religion überhaupt im Leben?

Unmittelbar, im gewöhnlichen Leben und in einer wohlgeordneten Gesellschaft, bedarf es der Religion durchaus nicht, um das Leben zu bilden, sondern es reicht für diese Zwecke die wahre Sittlichkeit vollkommen hin. In dieser Rücksicht ist also die Religion nicht praktisch, und kann und soll gar nicht praktisch werden, sondern sie ist lediglich Erkenntniss: sie macht bloss den Menschen sich selber vollkommen klar und verständlich, beantwortet die höchste Frage, die er aufwerfen kann, löset ihm den letzten Widerspruch auf, und bringt so vollkommne Einigkeit mit sich selbst und durchgeführte Klarheit in seinen Verstand. Sie ist seine vollständige Erlösung und Befreiung von allem fremden Bande; und so ist sie ihm denn die Erziehung, als etwas, das ihm schlechtweg und ohne weitern Zweck gebührt, schuldig. Ein Gebiet, um als Antrieb zu wirken, erhält die Religion nur entweder in einer höchst unsittlichen und verdorbenen Gesellschaft, oder wenn die Wirkungssphäre des Menschen nicht innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung, sondern über dieselbe hinausliegt und dieselbe vielmehr immerfort neu zu erschaffen und zu erhalten hat, wie beim Regenten, welcher in vielen Fällen ohne Religion sein Amt gar nicht mit gutem Gewissen führen könnte. Von dem letztern Falle ist in einer auf alle und auf die ganze Nation berechneten Erziehung nicht die Rede. Wo in der ersten Rücksicht bei klarer Einsicht des Verstandes in die Unverbesserlichkeit des Zeitalters dennoch unablässig fortgearbeitet wird an demselben; wo muthig der Schweiss des Säens erduldet wird ohne einige Aussicht auf eine Ernte; wo wohlgethan wird auch den Undankbaren, und gesegnet werden mit Thaten und Gütern diejenigen, die da fluchen, und in der klaren Vorhersicht, dass sie abermals fluchen werden; wo nach hundertfältigem Mislingen dennoch ausgeharret wird im Glauben und in der Liebe: da ist es nicht die blosse Sittlichkeit, die da treibt, denn diese will einen Zweck, sondern es ist die Religion, die Ergebung in ein höheres uns unbekanntes Gesetz, das demüthige Verstummen vor Gott, die innige Liebe zu seinem in uns ausgebrochenen Leben, welches allein und um sein selbst willen gerettet werden soll, wo das Auge nichts anderes zu retten sieht.

Auf diese Weise kann die erlangte Religionseinsicht der Zöglinge der neuen Erziehung in ihrem kleinen Gemeinwesen, in dem sie zunächst aufwachsen, nicht praktisch werden, noch soll sie es auch. Dieses Gemeinwesen ist wohlgeordnet, und in ihm gelingt das geschickt Unternommene immer; auch soll das noch zarte Alter des Menschen erhalten werden in der Unbefangenheit und im ruhigen Glauben an sein Geschlecht. Die Erkenntniss seiner Tücken bleibe vorbehalten der eignen Erfahrung des gereiften und befestigtem Alters.

Nur in diesem gereifteren Alter sonach und in dem ernstlich gemeinten Leben, nachdem die Erziehung längst ihn sich selber überlassen hat, könnte der Zögling derselben, falls seine gesellschaftlichen Verhältnisse aus der Einfachheit zu höhern Stufen fortschreiten sollten, seiner Religionskenntniss, als eines Antriebes, bedürfen. Wie soll nun die Erziehung, welche über diesen Punct den Zögling, so lange er unter ihren Händen ist, nicht prüfen kann, dennoch sicher seyn können, dass, wenn nur dieses Bedürfniss eintreten werde, auch dieser Antrieb ohnfehlbar wirken werde? Ich antworte: dadurch, dass ihr Zögling überhaupt so gebildet ist, dass keine Erkenntniss, die er hat, in ihm todt und kalt bleibt, wenn die Möglichkeit eintritt, dass sie ein Leben bekomme, sondern jedwede nothwendig sogleich eingreift in das Leben, so wie das Leben derselben bedarf. Ich werde diese Behauptung sogleich noch tiefer begründen, und dadurch den ganzen in dieser und der vorigen Rede behandelten Begriff erheben und einfügen in ein grösseres Ganzes der Erkenntniss, welchem grösseren Ganzen selber ich aus diesem Begriffe ein neues Licht und eine höhere Klarheit geben werde, nachdem ich nur vorher das wahre Wesen der neuen Erziehung, deren allgemeine Beschreibung ich soeben geschlossen habe, bestimmt werde angegeben haben.

Diese Erziehung erscheint nun nicht mehr, so wie im Anfange unsrer heutigen Rede, bloss als die Kunst, den Zögling zu reiner Sittlichkeit zu bilden, sondern sie leuchtet vielmehr ein als die Kunst, den ganzen Menschen durchaus und vollständig zum Menschen zu bilden. Hierzu gehören zwei Hauptstücke: zuerst in Absicht der Form, dass der wirkliche lebendige Mensch, bis in die Wurzel seines Lebens hinein, keinesweges aber der blosse Schatten und Schemen eines Menschen gebildet werde; sodann in Absicht des Inhalts, dass alle nothwendigen Bestandtheile des Menschen ohne Ausnahme und gleichmässig ausgebildet werden. Diese Bestandtheile sind Verstand und Willen; und die Erziehung hat zu beabsichtigen die Klarheit des ersten und die Reinheit des zweiten. Zur Klarheit des ersten aber sind zu erheben zwei Hauptfragen: zuerst, was es sey, das der reine Wille eigentlich wolle, und durch welche Mittel dieses Gewollte zu erreichen sey, durch welches Hauptstück die übrigen dem Zöglinge beizubringenden Erkenntnisse befasst werden; sodann, was dieser reine Wille in seinem Grunde und Wesen selber sey, wodurch die Religionserkenntniss befasst wird. Die genannten Stücke nun, entwickelt bis zum Eingreifen ins Leben, fordert die Erziehung schlechtweg und gedenkt keinem das mindeste davon zu erlassen, denn jeder soll eben ein Mensch seyn; was jemand nun noch weiter werde, und welche besondre Gestalt die allgemeine Menschheit in ihm annehme oder erhalte, geht die allgemeine Erziehung nichts an, und liegt ausserhalb ihres Kreises. – Ich gehe jetzt fort zu der versprochenen tiefern Begründung des Satzes, dass im Zöglinge der neuen Erziehung gar keine Erkenntniss todt bleiben könne, und zu dem Zusammenhange, in den ich alles Gesagte erheben will, vermittelst folgender Sätze.

1) Es giebt zufolge des Gesagten zwei durchaus verschiedene und völlig entgegengesetzte Klassen unter den Menschen in Absicht ihrer Bildung. Gleich zuvörderst ist alles, was Mensch ist, und so auch diese beiden Klassen, darin, dass den mannigfaltigen Aeusserungen ihres Lebens ein Trieb zum Grunde liegt, der in allem Wechsel unverändert beharret und sich selbst gleich bleibt. – Im Vorbeigehen: das Sichverstehen dieses Triebes und die Uebersetzung desselben in Begriffe erzeugt die Welt, und es giebt keine andere Welt, als diese, auf diese Weise in dem, jedoch keinesweges freien, sondern nothwendigen Gedanken sich erzeugende Welt. Dieser, immer in ein Bewusstseyn zu übersetzende Trieb, worin somit abermals die beiden Klassen einander gleich sind, kann nun auf eine doppelte Weise, nach den zwei verschiedenen Grundarten des Bewusstseyns, in dasselbe übersetzt werden, und in dieser Weise der Uebersetzung und des sich selbst Verstehens sind die beiden Klassen verschieden.

Die erste, zu allererst der Zeit nach sich entwickelnde Grundart des Bewusstseyns ist die des dunklen Gefühls. Mit diesem Gefühle wird am gewöhnlichsten und in der Regel der Grundtrieb erfasst als Liebe des Einzelnen zu sich selbst, und zwar giebt das dunkle Gefühl dieses Selbst zunächst nur als ein solches, das da leben will und wohl seyn. Hieraus entsteht die sinnliche Selbstsucht als wirklicher Grundtrieb und entwickelnde Kraft eines solchen, in dieser Uebersetzung seines ursprünglichen Grundtriebes befangenen Lebens. So lange der Mensch fortfährt also sieh zu verstehen, so lange muss er selbstsüchtig handeln, und kann nicht anders; und diese Selbstsucht ist das einige Beharrende, sich Gleichbleibende und sicher zu Erwartende in dem unaufhörlichen Wandel seines Lebens. Als aussergewöhnliche Ausnahme von der Regel kann dieses dunkle Gefühl auch das persönliche Selbst überspringen und den Grundtrieb erfassen, als ein Verlangen nach einer dunkel gefühlten anderen Ordnung der Dinge. Hieraus entspringt das, an anderen Orten von uns sattsam beschriebene Leben, das da, erhaben über die Selbstsucht, durch Ideen, die zwar dunkel sind, aber dennoch Ideen, getrieben wird, und in welchem die Vernunft als Instinct waltet. Dieses Erfassen des Grundtriebes überhaupt nur im dunkelen Gefühle ist der Grundzug der ersten Klasse unter den Menschen, die nicht durch die Erziehung, sondern durch sich selbst gebildet wird, und welche Klasse wiederum zwei Unterarten in sich fasst, die durch einen unbegreiflichen, der menschlichen Kunst durchaus unzugänglichen Grund geschieden werden.

Die zweite Grundart des Bewusstseyns, welche in der Regel sich nicht von selbst entwickelt, sondern in der Gesellschaft sorgfältig gepflegt werden muss, ist die klare Erkenntniss. Würde der Grundtrieb der Menschheit in diesem Elemente erfasst, so würde dies eine zweite, von der ersteren ganz verschiedene Klasse von Menschen geben. Eine solche, die Grundliebe selbst erfassende Erkenntniss lässt nun nicht, wie eine andere Erkenntniss dies wohl kann, kalt und untheilnehmend, sondern der Gegenstand derselben wird geliebt über alles, da dieser Gegenstand ja nur die Deutung und Uebersetzung unserer ursprünglichen Liebe selbst ist. Andere Erkenntniss erfasst fremdes, und dieses bleibt fremd und lässt kalt; diese erfasst den Erkennenden selbst und seine Liebe, und diese liebt er. Ohnerachtet es nun bei beiden Klassen dieselbe ursprüngliche, nur in anderer Gestalt erscheinende Liebe ist, die sie treibt, so kann man dennoch, von jenem Umstande absehend, sagen, dass dort der Mensch durch dunkle Gefühle, hier durch klare Erkenntniss getrieben werde.

Dass nun eine solche klare Erkenntniss unmittelbar antreibend werde im Leben, und man hierauf sicher zählen könne, hängt, wie gesagt, davon ab, dass es die wirkliche und wahre Liebe des Menschen sey, die durch dieselbe gedeutet werde, auch dass ihm unmittelbar klar werde, dass es also sey, und mit der Deutung zugleich das Gefühl jener Liebe in ihm angeregt und von ihm empfunden werde, dass daher niemals die Erkenntniss in ihm entwickelt werde, ohne dass zugleich die Liebe es werde, indem im entgegengesetzten Falle er kalt bleiben würde, und niemals die Liebe, ohne dass die Erkenntniss zugleich es werde, indem im Gegentheile sein Antrieb ein dunkles Gefühl werden würde; dass daher mit jedem Schritte seiner Bildung der ganze vereinigte Mensch gebildet werde. Ein von der Erziehung also als ein untheilbares Ganzes immerfort behandelter Mensch wird es auch fernerhin bleiben, und jede Erkenntniss wird ihm nothwendig Lebensantrieb werden.

2) Indem auf diese Weise statt des dunkelen Gefühls die klare Erkenntniss zu dem allerersten, und zu der wahren Grundlage und Ausgangspuncte des Lebens gemacht wird, wird die Selbstsucht ganz übergangen und um ihre Entwickelung betrogen Denn nur das dunkle Gefühl giebt dem Menschen sein Selbst, als ein Genussbedürftiges und Schmerzscheuendes; keinesweges aber giebt es ihm also der klare Begriff, sondern dieser zeigt es als Glied einer sittlichen Ordnung, und es giebt eine Liebe dieser Ordnung, welche bei der Entwicklung des Begriffs zugleich mit angezündet und entwickelt wird. Mit der Selbstsucht bekommt diese Erziehung gar nichts zu thun, weil sie die Wurzel derselben, das dunkle Gefühl, durch Klarheit erstickt; sie bestreitet sie nicht, ebensowenig als sie dieselbe entwickelt, sie weiss gar nicht von ihr. Wäre es möglich, dass diese Sucht später dennoch sich regen sollte, so würde sie das Herz schon angefüllt finden von einer höheren Liebe, die ihr den Platz versagt.

3) Dieser Grundtrieb des Menschen nun, wenn er in klare Erkenntniss übersetzt wird, geht nicht auf eine schon gegebene und vorhandene Welt, welche ja nur leidend genommen werden kann, wie sie eben ist, und in der eine zu ursprünglich schöpferischer Thätigkeit treibende Liebe keinen Wirkungskreis für sieh fände; sondern er geht, zur Erkenntniss gesteigert, auf eine Welt, die da werden soll, eine apriorische, eine solche, die da zukünftig ist, und ewigfort zukünftig bleibt. Das aller Erscheinung zu Grunde liegende göttliche Leben tritt darum niemals ein als ein stehendes und gegebenes Seyn, sondern als etwas, das da werden soll, und nachdem ein solches, das da werden sollte, geworden ist, wird es abermals eintreten als ein werden sollendes in alle Ewigkeit, dass daher jenes göttliche Leben niemals eintritt in den Tod des stehenden Seyns, sondern immerfort bleibt in der Form des fortfliessenden Lebens. Die unmittelbare Erscheinung und Offenbarung Gottes ist die Liebe; erst die Deutung dieser Liebe durch die Erkenntniss setzt ein Seyn, und zwar ein solches, das ewigfort nur werden soll, und dieses als die einige wahre Welt, inwiefern an einer Welt überhaupt Wahrheit ist. Dagegen ist die zweite gegebene und von uns als vorhanden vorgefundene Welt nur der Schatten und Schemen, aus welchem die Erkenntniss ihrer Deutung der Liebe eine feste Gestalt und einen sichtbaren Leib erbaut; diese zweite Welt das Mittel und die Bedingung der Anschaulichkeit der für sich selbst unsichtbaren höheren Welt. Nicht einmal in diese letztere höhere Welt tritt Gott unmittelbar ein, sondern auch hier nur vermittelt durch die Eine, reine, unwandelbare und gestaltlose Liebe, in welcher Liebe allein er unmittelbar erscheint. Zu dieser Liebe tritt hinzu die anschauende Erkenntniss, welche aus sich selber ein Bild mitbringt, in das sie den an sich unsichtbaren Gegenstand der Liebe kleidet; widersprochen jedoch jedesmal von der Liebe, und darum fortgetrieben zu neuer Gestaltung, welcher abermals eben also widersprochen wird; wodurch allein nun die Liebe, welche rein für sich Eins ist, des Fortfliessens, der Unendlichkeit und der Ewigkeit durchaus unfähig, in dieser Verschmelzung mit der Anschauung auch ein Ewiges und Unendliches wird, so wie diese. Das soeben erwähnte aus der Erkenntniss selbst hergegebene Bild, – dasselbe für sich allein und noch ohne Anwendung auf die deutlich erkannte Liebe genommen, – ist die stehende und gegebene Welt, oder die Natur. Der Wahn, dass in diese Natur Gottes Wesen auf irgend eine Weise unmittelbar und anders, als durch die angegebenen Zwischenglieder vermittelt, eintrete, stammt aus Finsterniss im Geiste und aus Unheiligkeit im Willen.

4) Dass nun das dunkle Gefühl, als Auflösungsmittel der Liebe, in der Regel ganz übersprungen und an die Stelle desselben die klare Erkenntniss als das gewöhnliche Auflösungsmittel gesetzt werde, kann, wie schon erinnert, nur durch eine besonnene Kunst der Erziehung des Menschen geschehen, und ist bisher nicht also geschehen. Da nun, wie wir gleichfalls ersehen haben, auf die letzte Weise eine von den bisherigen gewöhnlichen Menschen durchaus verschiedene Menschenart eingeführt und als die Regel gesetzt wird, so würde durch eine solche Erziehung allerdings eine ganz neue Ordnung der Dinge und eine neue Schöpfung beginnen. Zu dieser neuen Gestalt würde nun die Menschheit sich selber durch sich selbst, eben indem sie als gegenwärtiges Geschlecht sich selbst als zukünftiges Geschlecht erzieht, erschaffen; auf die Weise, wie sie allein dies kann, durch die Erkenntniss, als das einzige gemeinschaftliche und frei mitzutheilende, und das wahre, die Geisterwelt zur Einheit verbindende Licht und Luft dieser Welt. Bisher wurde die Menschheit, was sie eben wurde und werden konnte; mit diesem Werden durch das Ohngefähr ist es vorbei; denn da, wo sie am allerweitesten sich entwickelt hat, ist sie zu nichts worden. Soll sie nicht bleiben in diesem Nichts, so muss sie von nun an zu allem, was sie noch weiter werden soll, sich selbst machen. Dies sey die eigentliche Bestimmung des Menschengeschlechts auf der Erde, sagte ich in den Vorlesungen, deren Fortsetzung diese sind, dass es mit Freiheit sich zu dem mache, was es eigentlich ursprünglich ist. Dieses Sichselbstmachen, im allgemeinen mit Besonnenheit und nach einer Regel, muss nun irgendwo und irgendwann im Raume und in der Zeit einmal anheben, wodurch ein zweiter Hauptabschnitt der freien und besonnenen Entwickelung des Menschengeschlechtes an die Stelle des ersten Abschnittes einer nicht freien Entwickelung treten würde. Wir sind der Meinung, dass, in Absicht der Zeit, diese Zeit eben jetzt sey, und dass dermalen das Geschlecht in der wahren Mitte seines Lebens auf der Erde, zwischen seinen beiden Hauptepochen stehe; in Absicht des Raumes aber glauben wir, dass zu allernächst den Deutschen es anzumuthen sey, die neue Zeit, vorangehend und vorbildend für die übrigen, zu beginnen.

5) Dennoch wird auch sogar diese ganz neue Schöpfung nicht durch einen Sprung erfolgen aus dem vorhergehenden, sondern sie ist die wahre natürliche Fortsetzung und Folge der bisherigen Zeit, ganz besonders unter den Deutschen. Sichtbar und, wie ich glaube, allgemein zugestanden, ging ja alles Regen und Streben der Zeit darauf, die dunklen Gefühle zu verbannen, und allein der Klarheit und der Erkenntniss die Herrschaft zu verschaffen. Dieses Streben ist auch insofern vollkommen gelungen, dass das bisherige Nichts vollkommen enthüllt ist. Keinesweges soll nun dieser Trieb nach Klarheit ausgerottet oder das dumpfe Beruhen beim dunklen Gefühle wieder herrschend werden; jener Trieb soll nur noch weiter entwickelt und in höhere Kreise eingeführt werden, also, dass nach der Enthüllung des Nichts auch das Etwas, die bejahende und wirklich etwas setzende Wahrheit, ebenfalls offenbar werde. Die aus dem dunkeln Gefühle stammende Welt des gegebenen und sich durch sich selbst machenden Seyns ist versunken, und sie soll versunken bleiben; dagegen soll die aus der ursprünglichen Klarheit stammende Welt des ewigfort aus dem Geiste zu entbindenden Seyns aufstrahlen und anbrechen in ihrem ganzen Glanze.

Zwar dürfte die Weissagung eines neuen Lebens in solchen Formen der Zeit sonderbar dünken, und es dürfte diese kaum den Muth haben, diese Verheissung sich zuzueignen, wenn sie lediglich auf den ungeheuren Abstand ihrer herrschenden Meinungen über die soeben zur Sprache gebrachten Gegenstände von dem, was als Grundsätze der neuen Zeit ausgesprochen worden, sehen sollte. Ich will von der Bildung, welche jedoch, als ein nicht gemein zu machendes Vorrecht, bisher in der Regel nur die höheren Stände erhielten, die von einer übersinnlichen Welt ganz schwieg und lediglich einige Geschicklichkeit für die Geschäfte der sinnlichen zu bewirken strebte, als von der offenbar schlechteren, nicht reden; sondern nur auf diejenige sehen, welche Volksbildung war, und in einem gewissen sehr beschränkten Sinne auch Nationalerziehung genannt werden könnte, die über eine übersinnliche Welt nicht durchaus Stillschweigen beobachtete. Welches waren die Lehren dieser Erziehung? Wenn wir als allererste Voraussetzung der neuen Erziehung aufstellen, dass in der Wurzel des Menschen ein reines Wohlgefallen am Guten sey, und dass dieses Wohlgefallen so sehr entwickelt werden könne, dass es dem Menschen unmöglich werde, das für gut erkannte zu unterlassen, und statt dessen das für bös erkannte zu thun; so hat dagegen die bisherige Erziehung nicht bloss angenommen, sondern auch ihre Zöglinge von früher Jugend an belehrt, theils, dass dem Menschen eine natürliche Abneigung gegen Gottes Gebote beiwohne, theils, dass es ihm schlechthin unmöglich sey, dieselben zu erfüllen. Was lässt von einer solchen Belehrung, wenn sie für Ernst genommen wird und Glauben findet, anderes sich erwarten, als dass jeder Einzelne sich in seine nun einmal nicht abzuändernde Natur ergebe, nicht versuche zu leisten, was ihm nun als einmal unmöglich vorgestellt ist, und nicht besser zu seyn begehre, denn er und alle übrigen zu seyn vermögen; ja, dass er sich sogar die ihm angemuthete Niederträchtigkeit gefallen lasse, sich selbst in seiner radicalen Sündhaftigkeit und Schlechtigkeit anzuerkennen, indem diese Niederträchtigkeit vor Gott ihm als das einzige Mittel vorgestellt wird, mit demselben sich abzufinden: und dass er, falls etwa eine solche Behauptung wie die unserige an sein Ohr trifft, nicht anders denken könne, als dass man bloss einen schlechten Scherz mit ihm treiben wolle, indem er allgegenwärtig fühlt in seinem Innern, und mit den Händen greift, dass dieses nicht wahr, sondern das Gegentheil davon allein wahr sey? Wenn wir eine von allem gegebenen Seyn ganz unabhängige und vielmehr diesem Seyn selbst das Gesetz gebende Erkenntniss annehmen, und in diese gleich vom Anbeginn jedes menschliche Kind eintauchen, und es von nun an in dem Gebiete derselben immerfort erhalten wollen, wogegen wir die nur historisch zu erlernende Beschaffenheit der Dinge als eine geringfügige Nebensache, die von selbst sich ergiebt, betrachten; so treten die reifsten Früchte der bisherigen Bildung uns entgegen, und erinnern uns, dass es ja bekanntermaassen gar keine apriorische Erkenntniss gebe, und dass sie wohl wissen möchten, wie man erkennen könne, ausser durch Erfahrung. Und damit diese übersinnliche und apriorische Welt auch sogar an derjenigen Stelle sich nicht verrathe, wo es gar nicht zu vermeiden schien – an der Möglichkeit einer Erkenntniss von Gott, und selbst an Gott nicht die geistige Selbstthätigkeit sich erhebe, sondern das leidende Hingeben alles in allem bleibe, hat gegen diese Gefahr die bisherige Menschenbildung das kühne Mittel gefunden, das Daseyn Gottes zu einem historischen Factum zu machen, dessen Wahrheit durch ein Zeugenverhör ausgemittelt wird.

So verhält es sich wohl freilich; dennoch aber wolle das Zeitalter darum nicht an sich selber verzagen. Denn diese und alle andere ähnliche Erscheinungen sind selber nichts Selbstständiges, sondern nur Blüthen und Früchte der wilden Wurzel der alten Zeit. Gebe nur das Zeitalter sich ruhig hin der Einimpfung einer neuen edleren und kräftigeren Wurzel, so wird die alte ersticken, und die Blüthen und Früchte derselben, denen aus jener keine weitere Nahrung zugeführt wird, werden von selbst verwelken und abfallen. Jetzt vermag es das Zeitalter noch gar nicht unseren Worten zu glauben, und es ist nothwendig, dass ihm dieselben vorkommen wie Mährchen. Wir wollen auch diesen Glauben nicht; wir wollen nur Raum zum Schaffen und Handeln. Nachmals wird es sehen, und es wird glauben seinen eigenen Augen.

So wird z.B. jederman, der mit den Erzeugungen der letzten Zeit bekannt ist, schon längst bemerkt haben, dass hier abermals die Sätze und Ansichten ausgesprochen werden, welche die neuere deutsche Philosophie seit ihrer Entstehung geprediget hat, und wiederum geprediget, weil sie eben nichts weiter vermochte, denn zu predigen. Dass diese Predigten fruchtlos verhallet sind in der leeren Luft, ist nun hinlänglich klar, auch ist der Grund klar, warum sie also verhallen mussten. Nur auf Lebendiges wirkt Lebendiges; in dem wirklichen Leben der Zeit aber ist gar keine Verwandtschaft zu dieser Philosophie, indem diese Philosophie ihr Wesen treibet in einem Kreise, der für jene noch gar nicht aufgegangen, und für Sinnenwerkzeuge, die jener noch nicht erwachsen sind. Sie ist gar nicht zu Hause in diesem Zeitalter, sondern sie ist ein Vorgriff der Zeit, und ein schon im voraus fertiges Lebenselement eines Geschlechtes, das in demselben erst zum Lichte erwachen soll. Auf das gegenwärtige Geschlecht muss sie Verzicht thun, damit sie aber bis dahin nicht müssig sey, so übernehme sie dermalen die Aufgabe, das Geschlecht, zu welchem sie gehört, sich zu bilden. Erst wie dies ihr nächstes Geschäft ihr klar geworden, wird sie friedlich und freundlich zusammenleben können mit einem Geschlechte, das übrigens ihr nicht gefällt. Die Erziehung, die wir bisher beschrieben haben, ist zugleich die Erziehung für sie; wiederum kann in einem gewissen Sinne nur sie die Erzieherin seyn in dieser Erziehung; und so musste sie ihrer Verständlichkeit und Annehmbarkeit zuvoreilen. Aber es wird die Zeit kommen, in der sie verstanden und mit Freuden angenommen werden wird; und darum wolle das Zeitalter nicht an sich selbst verzagen.

Höre dieses Zeitalter ein Gesicht eines alten Sehers, das auf eine wohl nicht weniger beklagenswerthe Lage berechnet war. So sagt der Seher am Wasser Chebar, der Tröster der Gefangenen nicht im eigenen, sondern im fremden Lande: «Des Herrn Hand kam über mich, und führte mich hinaus im Geiste des Herrn, und stellte mich auf ein weit Feld, das voller Gebeine lag, und er führte mich allenthalben herum, und siehe, des Gebeines lag sehr viel auf dem Felde, und siehe, sie waren sehr verdorret. Und der Herr sprach zu mir: du Menschenkind, meinest du wohl, dass diese Gebeine werden wieder lebendig werden? Und ich sprach: Herr, das weissest nur du wohl. Und er sprach zu mir: Weissage von diesen Gebeinen, und sprich zu ihnen: ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort. So spricht der Herr von euch verdorrten Gebeinen: ich will euch durch Flechsen und Sehnen wieder verbinden, und Fleisch lassen über euch wachsen; und euch mit Haut überziehen, und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet, und ihr sollet erfahren, dass ich der Herr sey. Und ich weissagte, wie mir befohlen war, und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und regte sich, und die Gebeine fügten sich wieder aneinander, ein jegliches an seinen Ort, und es wuchsen darauf Adern und Fleisch, und er überzog sie mit Haut; noch aber war kein Odem in ihnen. Und der Herr sprach zu mir: Weissage zum Winde, du Menschenkind, und sprich zum Winde: so spricht der Herr: Wind komm herzu aus den vier Winden, und blase an diese Getödteten, dass sie wieder lebendig werden. Und ich weissagete, wie er mir befohlen hatte. Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig, und richteten sich auf ihre Füsse, und ihrer war ein sehr grosses Heer.» Lasset immer die Bestandtheile unseres höheren geistigen Lebens ebenso ausgedorret, und ebendarum auch die Bande unserer Nationaleinheit ebenso zerrissen, und in wilder Unordnung durcheinander zerstreut herumliegen, wie die Todtengebeine des Sehers; lasset unter Stürmen, Regengüssen und sengendem Sonnenscheine mehrerer Jahrhunderte dieselben gebleicht und ausgedorrt haben: – der belebende Odem der Geisterwelt hat noch nicht aufgehört zu wehen. Er wird auch unseres Nationalkörpers erstorbene Gebeine ergreifen und sie aneinanderfügen, dass sie herrlich dastehen in neuem und verklärtem Leben.