BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Reden an die deutsche Nation

 

1807/08

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Vierzehnte Rede.

 

Beschluss des Ganzen.

 

Die Reden, welche ich hierdurch beschliesse, haben freilich ihre laute Stimme zunächst an Sie gerichtet, aber sie haben im Auge gehabt die ganze deutsche Nation, und sie haben in ihrer Absicht alles, was, so weit die deutsche Zunge reicht, fähig wäre, dieselben zu verstehen, um sich herum versammlet in den Raum, in dem Sie sichtbarlich athmen. Wäre es mir gelungen, in irgend eine Brust, die hier unter meinem Auge geschlagen hat, einen Funken zu werfen, der da fortglimme und das Leben ergreife, so ist es nicht meine Absicht, dass diese allein und einsam bleiben, sondern ich möchte, über den ganzen gemeinsamen Boden hinweg, ähnliche Gesinnungen und Entschlüsse zu ihnen sammlen und an die ihrigen anknüpfen, so dass über den vaterländischen Boden hinweg, bis an dessen ferneste Grenzen, aus diesem Mittelpuncte heraus eine einzige fortfliessende und zusammenhängende Flamme vaterländischer Denkart sich verbreite und entzünde. Nicht zum Zeitvertreibe müssiger Ohren und Augen haben sie sich diesem Zeitalter bestimmt, sondern ich will endlich einmal wissen, und jeder Gleichgesinnte soll es mit mir wissen, oh auch ausser uns etwas ist, das unserer Denkart verwandt ist. Jeder Deutsche, der noch glaubt, Glied einer Nation zu seyn, der gross und edel von ihr denkt, auf sie hofft, für sie wagt, duldet und trägt, soll endlich herausgerissen werden aus der Unsicherheit seines Glaubens; er soll klar sehen, ob er recht habe oder nur ein Thor und Schwärmer sey, er soll von nun an entweder mit sicherem und freudigem Bewusstseyn seinen Weg fortsetzen, oder mit rüstiger Entschlossenheit Verzicht thun auf ein Vaterland hienieden, und sich allein mit dem himmlischen trösten. Ihnen, nicht als diesen und diesen Personen in unserm täglichen und beschränkten Leben, sondern als Stellvertretern der Nation, und hindurch durch Ihre Gehörswerkzeuge der ganzen Nation, rufen diese Reden also zu:

Es sind Jahrhunderte herabgesunken, seitdem ihr nicht also zusammenberufen worden seyd, wie heute; in solcher Anzahl; in einer so grossen, so dringenden, so gemeinschaftlichen Angelegenheit; so durchaus als Nation und Deutsche. Auch wird es euch niemals wiederum also geboten werden. Merket ihr jetzt nicht auf und gehet in euch, lasset ihr auch diese Reden wieder als einen leeren Kitzel der Ohren, oder als ein wunderliches Ungethüm an euch vorübergehen, so wird kein Mensch mehr auf euch rechnen. Endlich einmal höret, endlich einmal besinnt euch. Geht nur dieses Mal nicht von der Stelle, ohne einen festen Entschluss gefasst zu haben; und jedweder, der diese Stimme vernimmt, fasse diesen Entschluss bei sich selbst und für sich selbst, gleich als ob er allein da sey, und alles allein thun müsse. Wenn recht viele einzelne so denken, so wird bald ein grosses Ganzes dastehen, das in eine einige engverbundene Kraft zusammenfliesse. Wenn dagegen jedweder, sich selbst ausschliessend, auf die übrigen hofft, und den andern die Sache überlässt; so giebt es gar keine anderen, und alle zusammen bleiben, so wie sie vorher waren. – Fasset ihn auf der Stelle, diesen Entschluss. Saget nicht, lass uns noch ein wenig ruhen, noch ein wenig schlafen und träumen, bis etwa die Besserung von selber komme. Sie wird niemals von selbst kommen. Wer, nachdem er einmal das Gestern versäumt hat, das noch bequemer gewesen wäre zur Besinnung, selbst heute noch nicht wollen kann, der wird es morgen noch weniger können. Jeder Verzug macht uns nur noch träger, und wiegt uns nur noch liefer ein in die freundliche Gewöhnung an unsern elenden Zustand. Auch können die äussern Antriebe zur Besinnung niemals stärker und dringender werden. Wen diese Gegenwart nicht aufregt, der hat sicher alles Gefühl verloren. – Ihr seyd zusammenberufen, einen letzten und festen Entschluss und Beschluss zu fassen; keinesweges etwa zu einem Befehle, einem Auftrage, einer Anmuthung an Andere, sondern zu einer Anmuthung an euch selber. Eine Entschliessung sollt ihr fassen, die jedweder nur durch sich selbst und in seiner eignen Person ausführen kann. Es reicht hiebei nicht hin jenes müssige Vorsatznehmen, jenes Wollen, irgend einmal zu wollen, jenes träge Sichbescheiden, dass man sich darein ergeben wolle, wenn man etwa einmal von selber besser würde; sondern es wild von euch gefordert ein solcher Entschluss, der zugleich unmittelbar Leben sey und inwendige Thai, und der da ohne Wanken oder Erkältung fortdaure und fortwalte, bis er am Ziele sey.

Oder ist vielleicht in euch die Wurzel, aus der ein solcher in das Leben eingreifender Entschluss allein hervorwachsen kann; völlig ausgerottet und verschwunden? Ist wirklich und in der That euer ganzes Wesen verdünnet und zerflossen zu einem hohlen Schatten, ohne Saft und Blut und eigene Bewegkraft; und zu einem Traume, in welchem zwar bunte Gesichter sich erzeugen und geschäftig einander durchkreuzen, der Leib aber todtähnlich und erstarrt daliegen bleibt? Es ist dem Zeitalter seit langem unter die Augen gesagt, und in jeder Einkleidung ihm wiederholt worden, dass man ohngefähr also von ihm denke. Seine Wortführer haben geglaubt, dass man dadurch nur schmähen wolle, und haben sich für aufgefordert gehalten, auch von ihrer Seite wiederum zurück zu schmähen, wodurch die Sache wieder in ihre natürliche Ordnung komme. Im übrigen hat nicht die mindeste Aenderung oder Besserung sich spüren lassen. Habt ihr es vernommen, ist es fähig gewesen, euch zu entrüsten; nun, so strafet doch diejenigen, die so von euch denken und retten geradezu durch eure That der Luge: zeiget euch anders vor aller Welt Augen, und jene sind vor aller Welt Augen der Unwahrheit überwiesen. Vielleicht, dass sie gerade in der Absicht, von euch also widerlegt zu werden, und weil sie an jedem andern Mittel, euch aufzuregen, verzweifelten, also hart von euch geredet haben. Wie viel besser hätten sie es sodann mit euch gemeint, als diejenigen, die euch schmeichelt, damit ihr erhalten werdet in der trägen Ruhe, und in der nichts achtenden Gedankenlosigkeit!

So schwach und so kraftlos ihr auch immer seyn möget, man hat in dieser Zeit euch die klare und ruhige Besinnung so leicht gemacht, als sie vorher niemals war. Das, was eigentlich in die Verworrenheit über unsre Lage, in unsre Gedankenlosigkeit, in unser blindes Gehenlassen, uns stürzte, war die süsse Selbstzufriedenheit mit uns, und unsrer Weise da zu seyn. Es war bisher gegangen, und ging eben so fort; wer uns zum Nachdenken aufforderte, dem zeigten wir, statt einer andern Widerlegung, triumphirend unser Daseyn und Fortbestehen, das sich ohne alles unser Nachdenken ergab. Es ging aber nur darum, weil wir nicht auf die Probe gestellt wurden. Wir sind seitdem durch sie hindurchgegangen. Seit dieser Zeit sollten doch wohl die Täuschungen, die Blendwerke, der falsche Trost, durch die wir alle uns gegenseitig verwirrten, zusammengestürzt seyn? – Die angebornen Vorurtheile, welche, ohne von hier oder da auszugehen, wie ein natürlicher Nebel über alle sieh verbreiteten, und alle in dieselbe Dämmerung einhüllen, sollten doch wohl nun verschwunden seyn? Jene Dämmerung hält nicht mehr unsre Augen; sie kann uns aber auch nicht ferner zur Entschuldigung dienen. Jetzt stehen wir da, rein, leer, ausgezogen von allen fremden Hüllen und Umhängen, bloss als das, was wir selbst sind. Jetzt muss es sich zeigen, was dieses Selbst ist, oder nicht ist.

Es dürfte jemand unter euch hervortreten, und mich fragen: was giebt gerade Dir, dem einzigen unter allen deutschen Männern und Schriftstellern, den besondern Auftrag, Beruf und das Vorrecht, uns zu versammeln und auf uns einzudringen? hätte nicht jeder unter den tausenden der Schriftsteller Deutschlands ebendasselbe Recht dazu, wie du; von denen keiner es thut, sondern du allein dich hervordrängst? Ich antworte, dass allerdings jeder dasselbe Recht gehabt hätte, wie ich, und dass ich gerade darum es thue, weil keiner unter ihnen es vor mir gethan hat; und dass ich schweigen würde, wenn ein anderer es früher gethan hätte. Dies war der erste Schritt zu dem Ziele einer durchgreifenden Verbesserung; irgend einer musste ihn thun. Ich war der, der es zuerst lebendig einsah; darum wurde ich der, der es zuerst that. Es wird nach diesem irgend ein anderer Schritt der zweite seyn; diesen zu thun haben jetzt alle dasselbe Recht; wirklich thun aber wird ihn abermals nur ein einzelner. Einer muss immer der erste seyn, und wer es seyn kann, der sey es eben!

Ohne Sorge über diesen Umstand verweilet ein wenig mit eurem Blicke bei der Betrachtung, auf die wir schon früher euch geführt haben, in welchem beneidenswürdigen Zustande Deutschland seyn würde, und in welchem die Welt, wenn das erstere das Glück seiner Lage zu benutzen, und seinen Vortheil zu erkennen gewusst hätte. Heftet darauf euer Auge auf das, was beide nunmehro sind, und lasset euch durchdringen von dem Schmerz und dem Unwillen, der jeden Edlen hiebei erfassen muss. Kehret dann zurück zu euch selbst, und sehet, dass ihres seyd, die die Zeit von den Irrthümern der Vorwelt lossprechen, von deren Augen sie den Nebel hinwegnehmen will, wenn ihr es zulasst; dass es euch verliehen ist, wie keinem Geschlechte vor euch, das Geschehene ungeschehen zu machen, und den nicht ehrenvollen Zwischenraum auszutilgen aus dem Geschichtsbuche der Deutschen.

Lasset vor euch vorübergehen die verschiedenen Zustände, zwischen denen ihr eine Wahl zu treffen habt. Gehet ihr ferner so hin in eurer Dumpfheit und Achtlosigkeit, so erwarten euch zunächst alle Uebel der Knechtschaft: Entbehrungen, Demüthigungen, der Hohn und Uebermuth des Ueberwinders; ihr werdet herumgestossen worden in allen Winkeln, weil ihr allenthalben nicht recht, und im Wege seyd, so lange, bis ihr, durch Aufopferung eurer Nationalität und Sprache, euch irgend ein untergeordnetes Plätzchen erkauft, und bis auf diese Weise allmählig euer Volk auslöscht. Wenn ihr euch dagegen ermannt zum Aufmerken, so findet ihr zuvörderst eine erträgliche und ehrenvolle Fortdauer, und sehet noch unter euch und um euch herum ein Geschlecht aufblühen, das euch und den Deutschen das rühmlichste Andenken verspricht. Ihr sehet im Geiste durch dieses Geschlecht den deutschen Namen zum glorreichsten unter allen Völkern erheben, ihr sehet diese Nation als Wiedergebärerin und Wiederherstellerin der Welt.

Es hängt von euch ab, ob ihr das Ende seyn wollt und die letzten eines nicht achtungswürdigen und bei der Nachwelt gewiss sogar über die Gebühr verachteten Geschlechtes, bei dessen Geschichte die Nachkommen, falls es nemlich in der Barbarei, die da beginnen wird, zu einer Geschichte kommen kann, sich freuen werden, wenn es mit ihnen zu Ende ist, und das Schicksal preisen werden, dass es gerecht sey; oder ob ihr der Anfang seyn wollt und der Entwicklungspunct einer neuen, über alle eure Vorstellungen herrlichen Zeit, und diejenigen, von denen an die Nachkommenschaft die Jahre ihres Heils zähle. Bedenket, dass ihr die letzten seyd, in deren Gewalt diese grosse Veränderung steht. Ihr habt doch noch die Deutschen als Eins nennen hören, ihr habt ein sichtbares Zeichen ihrer Einheit, ein Reich und einen Reichsverstand gesehen, oder davon vernommen, unter euch haben noch von Zeit zu Zeit Stimmen sich hören lassen, die von dieser höhern Vaterlandsliebe begeistert waren. Was nach euch kommt, wird sich an andere Vorstellungen gewöhnen, es wird fremde Formen, und einen andern Geschäfts- und Lebensgang annehmen; und wie lange wird es noch dauern, dass keiner mehr lebe, der Deutsche gesehen, oder von ihnen gehört habe?

Was von euch gefordert wird, ist nicht viel. Ihr sollt es nur über euch erhalten, euch auf kurze Zeit zusammenzunehmen und zu denken über das, was euch unmittelbar und offenbar vor den Augen liegt. Darüber nur sollt ihr euch eine feste Meinung bilden, derselben treu bleiben und sie in eurer nächsten Umgebung auch äussern und aussprechen. Es ist die Voraussetzung, es ist unsere sichere Ueberzeugung, dass der Erfolg dieses Denkens bei euch allen auf die gleiche Weise ausfallen werde, und dass, wenn ihr nur wirklich denket, und nicht hingeht in der bisherigen Achtlosigkeit, Ihr übereinstimmend denken werdet; dass, wenn ihr nur überhaupt Geist euch anschaffet, und nicht in dem blossen Pflanzenleben verharren bleibt, die Einmüthigkeit und Eintracht des Geistes von selbst kommen werde. Ist es aber einmal dazu gekommen, so wird alles übrige, was uns nöthig ist, sich von selbst ergeben.

Dieses Denken aber wird denn auch in der That gefordert von jedem unter euch, der da noch denken kann, über etwas, offen vor seinen Augen liegendes, in seiner eignen Person. Ihr habt Zeit dazu; der Augenblick will euch nicht übertäuben und überraschen; die Acten der mit euch gepflogenen Unterhandlungen bleiben unter euren Augen liegen. Legt sie nicht aus den Händen, bis ihr einig geworden seyd mit euch selbst. Lasset, o lasset euch ja nicht lässig machen durch das Verlassen auf andere, oder auf irgend etwas, das ausserhalb eurer selbst liegt; noch durch die unverständige Weisheit der Zeit, dass die Zeitalter sich selbst machen, ohne alles menschliche Zuthun, vermittelst irgend einer unbekannten Kraft. Diese Reden sind nicht müde geworden, euch einzuschärfen, dass euch durchaus nichts helfen kann, denn ihr euch selber, und sie finden nöthig, es bis auf den letzten Augenblick zu wiederholen. Wohl mögen Regen und Thau, und unfruchtbare oder fruchtbare Jahre, gemacht werden durch eine uns unbekannte und nicht unter unsrer Gewalt stehende Macht; aber die ganz eigenthümliche Zeit der Menschen, die menschlichen Verhältnisse, machen nur die Menschen sich selber und schlechthin keine ausser ihnen befindliche Macht. Nur wenn sie alle insgesammt gleich blind und unwissend sind, fallen sie dieser verborgenen Macht anheim: aber es steht bei ihnen, nicht blind und unwissend zu seyn. Zwar in welchem höhern oder niedern Grade es uns übelgehen wird, dies mag abhängen theils von jener unbekannten Macht, ganz besonders aber von dem Verstande und dem guten Willen derer, denen wir unterworfen sind. Ob aber jemals es uns wieder wohlgehen soll, dies hängt ganz allein von uns ab; und es wird sicherlich nie wieder irgend ein Wohlseyn an uns kommen, wenn wir nicht selbst es uns verschaffen: und insbesondre, wenn nicht jeder Einzelne unter uns in seiner Weise thut und wirket, als ob er allein sey, und als ob lediglich auf ihm das Heil der künftigen Geschlechter beruhe.

Dies ists, was ihr zu thun habt; dies ohne Säumen zu thun, beschwören euch diese Reden.

Sie beschwören euch Jünglinge. Ich, der ich schon seit geraumer Zeit aufgehört habe zu euch zu gehören, halte dafür, und habe es auch in diesen Reden ausgesprochen, dass ihr noch fähiger seyd eines jeglichen über das Gemeine hinausliegenden Gedankens und erregbarer für jedes Gute und Tüchtige, weil euer Alter noch näher liegt den Jahren der kindlichen Unschuld und der Natur. Ganz anders sieht diesen Grundzug an euch an die Mehrheit der ältern Welt. Diese klaget euch an der Anmaassug, des vorschnellen, vermessenen und eure Kräfte überfliegenden Urtheils, der Rechthaberei, der Neuerungssucht. Jedoch lächelt sie nur gutmühig dieser euer Fehler. Alles dieses, meint sie, sey begründet lediglich durch euren Mangel an Kenntniss der Welt, d.h. des allgemeinen menschlichen Verderbens, denn für etwas anderes an der Welt haben sie nicht Augen. Jetzt nur, weil ihr gleichgesinnte Gehülfen zu finden hofftet, und den grimmigen und hartnäckigen Widerstand, den man euren Entwürfen des Bessern entgegensetzen werde, nicht kenntet, hättet ihr Muth. Wenn nur das jügendliche Feuer eurer Einbildungskraft einmal verflogen seyn werde, wenn ihr nur die allgemeine Selbstsucht, Trägheit und Arbeitsscheu wahrnehmen würdet, wenn ihr nur die Süssigkeit des Fortgehens in dem gewohnten Geleise selbst einmal recht würdet geschmeckt haben: so werde euch die Lust, besser und klüger seyn zu wollen, denn die andern alle, scholl vergehen. Sie greifen diese gute Hoffnung von euch nicht etwa aus der Luft; sie haben dieselbe an ihrer eigenen Person bestätigt gefunden. Sie müssen bekennen, dass sie in den Tagen ihrer unverständigen Jugend eben so von Weltverbesserung geträumet haben, wie ihr jetzt; dennoch seyen sie bei zunehmender Reife so zahm und ruhig geworden, wie ihr sie jetzt sähet. Ich glaube ihnen; ich habe selbst schon in meiner nicht sehr langwierigen Erfahrung erlebt, dass Jünglinge, die erst andere Hoffnung erregten, dennoch späterhin jenen wohlmeinenden Erwartungen dieses reifen Alters vollkommen entsprachen. Thut dies nicht länger, Jünglinge, denn wie könnte sonst jemals ein besseres Geschlecht beginnen? Der Schmelz der Jugend zwar wird von euch abfallen, und die Flamme der Einbildungskraft wird aufhören, sich aus sich selber zu ernähren; aber fasset diese Flamme und verdichtet sie durch klares Denken, macht euch zu eigen die Kunst dieses Denkens, und ihr werdet die schönste Ausstattung des Menschen, den Charakter, noch zur Zugabe bekommen. An jenem klaren Denken erhaltet ihr die Quelle der ewigen Jugendblüthe; wie auch euer Körper altere oder eure Kniee wanken, euer Geist wird in stets erneuerter Frischheit sich wiedergebären und euer Charakter feststehen und ohne Wandel. Ergreift sogleich die sich hier euch darbietende Gelegenheit; denkt klar über den euch zur Berathung vorgelegen Gegenstand; die Klarheit, die in Einem Puncte für euch angebrochen ist, wird sich allmählig auch über alle übrige verbreiten.

Diese Reden beschwören euch Alte. So wie ihr eben gehört habt, denkt man von euch, und sagt es euch unter die Augen; und der Redner setzt in seiner eigenen Person freimüthig hinzu, dass? die freilich auch nicht selten vorkommenden und um so verehrungswürdigeren Ausnahmen abgerechnet, in Ansicht der grossen Mehrheit unter euch man vollkommen recht hat. Gehe man durch die Geschichte der letzten zwei oder drei Jahrzehende; alles ausser ihr selbst stimmt überein, sogar ihr selbst, jeder in dem Fache, das ihn nicht unmittelbar trifft, stimmt mit überein, dass, immer die Ausnahmen abgerechnet und nur auf die Mehrheit gesehen, in allen Zweigen, in der Wissenschaft sowie in den Geschäften des Lebens, die grössere Untauglichkeit und Selbstsucht sich bei dem höheren Alter gefunden habe. Die ganze Mitwelt hat es mit angesehen, dass jeder, der das Bessere und Vollkommnere wollte, ausser dem Kampfe mit seiner eigenen Unklarheit und den übrigen Umgebungen, noch den schwersten Kampf mit euch zu führen hatte; dass ihr des festen Vorsatzes waret, es müsse nichts aufkommen, was ihr nicht ebenso gemacht und gewusst hättet; dass ihr jede Regung des Denkens für eine Beschimpfung eures Verstandes ansahet und dass ihr keine Kraft ungebraucht liesset, um in dieser Bekämpfung des Besseren zu siegen, wie ihr denn gewöhnlich auch wirklich siegtet. So waret ihr die aufhaltende Kraft aller Verbesserungen, welche die gütige Natur aus ihrem stets jugendlichen Schoosse uns darbot, so lange, bis ihr versammelt wurdet zu dem Staube, der ihr schon vorher waret, und das folgende Geschlecht, im Kriege mit euch, euch gleich geworden war und eure bisherige Verrichtung übernahm. Ihr dürft nur auch jetzt bandeln, wie ihr bisher bei allen Anträgen zur Verbesserung gehandelt habt, ihr dürft nur wiederum eure eitle Ehre, dass zwischen Himmel und Erde nichts seyn solle, das ihr nicht schon erforscht hättet, dem gemeinsamen Wohle vorziehen: so seyd ihr durch diesen letzten Kampf alles ferneren Kämpfens überhoben; es wird keine Verbesserung erfolgen, sondern Verschlimmerung auf Verschlimmerung, so dass ihr noch manche Freude erleben könnt.

Man wolle nicht glauben, dass ich das Alter als Alter verachte und herabsetze. Wird nur durch Freiheit die Quelle des ursprünglichen Lebens und seiner Fortbewegung aufgenommen in das Leben, so wächst die Klarheit, und mit ihr die Kraft, so lange das Leben dauert. Ein solches Leben lebt sich besser, die Schlacken der irdischen Abkunft fallen immer mehr ab, und es veredelt sich herauf zum ewigen Leben, und blüht ihm entgegen. Die Erfahrung eines solchen Alters söhnt nicht aus mit dem Bösen, sondern sie macht nur die Mittel klarer und die Kunst gewandter, um dasselbe siegreich zu bekämpfen. Die Verschlimmerung durch zunehmendes Alter ist lediglich die Schuld unserer Zeit, und allenthalben, wo die Gesellschaft sehr verdorben ist, muss dasselbe erfolgen. Nicht die Natur ist es, die uns verdirbt, diese erzeugt uns in Unschuld, die Gesellschaft ists. Wer nun der Einwirkung derselben einmal sich übergiebt, der muss natürlich immer schlechter werden, je länger er diesem Einflusse ausgesetzt ist. Es wäre der Muhe werth, die Geschichte anderer sehr verdorbener Zeitalter in dieser Rücksicht zu untersuchen und zu sehen, ob nicht z.B. auch unter der Regierung der römischen Imperatoren das, was einmal schlecht war, mit zunehmendem Alter immer schlechter geworden.

Euch Alte sonach und Erfahrene, die ihr die Ausnahme macht, euch zuvörderst beschwören diese Reden: bestätigt, bestärkt, berathet in dieser Angelegenheit die jüngere Welt, die ehrfurchtsvoll ihre Blicke nach euch richtet. Euch andere aber, die ihr in der Regel seyd, beschwören sie: helfen sollt ihr nicht, störet nur dieses einzigemal nicht, stellt euch nicht wieder, wie bisher immer, in den Weg mit eurer Weisheit und euren tausend Bedenklichkeiten. Diese Sache, sowie jede vernünftige Sache in der Welt, ist nicht tausendfach, sondern einfach, welches auch unter die tausend Dinge gehört, die ihr nicht wisst. Wenn eure Weisheit retten könnte, so würde sie uns ja früher gerettet haben, denn ihr seyd es ja, die uns bisher berathen haben. Dies ist nun, sowie alles andere, vergeben, und soll euch nicht weiter vorgerückt werden. Lernt nur endlich einmal euch selbst erkennen, und schweiget.

Diese Reden beschworen euch Geschäftsmänner. Mit wenigen Ausnahmen waret ihr bisher dem abgezogenen Denken und aller Wissenschaft, die für sich selbst etwas zu seyn begehrte, von Herzen feind, obwohl ihr euch die Miene gabet, als ob ihr dieses alles nur vornehm verachtetet; ihr hieltet die Männer, die dergleichen trieben, und ihre Vorschläge, so weit von euch weg, als ihr irgend konntet; und der Vorwurf des Wahnsinnes, oder der Rath, sie ins Tollhaus zu schicken, war der Dank, auf den sie bei euch am gewöhnlichsten rechnen konnten. Diese hinwiederum getrauten sich zwar nicht über euch mit derselben Freimüthigkeit sich zu äussern, weil sie von euch abhingen, aber ihres inneren Herzens wahrhafte Meinung war die: dass ihr mit wenigen Ausnahmen seichte Schwätzer seyet und aufgeblasene Prahler, Halbgelehrte, die durch die Schule nur hindurchgelaufen, blinde Zutapper und Fortschleicher im alten Geleise, und die sonst nichts wollten oder könnten. Straft sie durch die That der Lüge, und ergreifet hierzu die jetzt euch dargebotene Gelegenheit; legt ab jene Verachtung für gründliches Denken und Wissenschaft, lasst euch bedeuten, und höret und lernet, was ihr nicht wisst; ausserdem behalten eure Ankläger recht.

Diese Reden beschwören euch Denker, Gelehrte, Schriftsteller, die ihr dieses Namens noch werth seyd. Jener Tadel der Geschäftsmänner an euch war in gewissem Sinne nicht ungerecht. Ihr ginget oft zu unbesorgt im Gebiete des blossen Denkens fort, ohne euch um die wirkliche Welt zu bekümmern, und nachzusehen, wie jenes an diese angeknüpft werden könne; ihr beschriebet euch eure eigene Welt, und liesset die wirkliche zu verachtet und verschmähet auf der Seite liegen. Zwar muss alle Anordnung und Gestaltung des wirklichen Lebens ausgehen vom höheren ordnenden Begriffe, und das Fortgehen im gewohnten Geleise thuts ihm nicht; dies ist eine ewige Wahrheit, und drückt in Gottes Namen mit unverhohlener Verachtung jeglichen nieder, der es wagt, sich mit den Geschäften zu befassen, ohne dieses zu wissen. Zwischen dem Begriffe jedoch und der Einführung desselben in jedwedes besondere Leben liegt eine grosse Kluft. Diese Kluft auszufüllen ist sowohl das Werk des Geschäftsmannes, der freilich schon vorher so viel gelernt haben soll, um euch zu verstehen, als auch das eurige, die ihr über der Gedankenwelt das Leben nicht vergessen sollt. Hier trefft ihr beide zusammen. Statt über die Kluft hinüber einander scheel anzusehen und herabzuwürdigen, beeifere sich vielmehr jeder Theil von seiner Seite dieselbe auszufüllen, und so den Weg zur Vereinigung zu bahnen. Begreift es doch endlich, dass ihr Beide untereinander euch also nothwendig seyd, wie Kopf und Arm sich nothwendig sind.

Diese Reden beschwören noch in anderen Rücksichten euch Denker, Gelehrte, Schriftsteller, die ihr dieses Namens noch werth seyd. Eure Klagen über die allgemeine Seichtigkeit, Gedankenlosigkeit und Verflossenheit, über den Klugdünkel und das unversiegbare Geschwätz, über die Verachtung des Ernstes und der Gründlichkeit in allen Ständen mögen wahr seyn, wie sie es denn sind. Aber welcher Stand ist es denn, der diese Stände insgesammt erzogen hat, der ihnen alles Wissenschaftliche in ein Spiel verwandelt, und von der frühesten Jugend an zu jenem Klugdünkel und jenem Geschwätze sie angeführt hat? Wer ist es denn, der auch die der Schule entwachsenen Geschlechter noch immerfort erzieht? Der in die Augen fallendste Grund der Dumpfheit des Zeitalters ist der, dass es sich dumpf gelesen hat an den Schriften, die ihr geschrieben habt. Warum lasst ihr dennoch immerfort euch so angelegen seyn, dieses müssige Volk zu unterhalten, ohnerachtet ihr wisst, dass es nichts gelernt hat und nichts lernen will; nennt es Publicum, schmeichelt ihm als eurem Richter, hetzt es auf gegen eure Mitbewerber, und sucht diesen blinden und verworrenen Haufen durch jedes Mittel auf eure Seite zu bringen; gebt endlich selbst in euren Recensiranstalten und Journalen ihm so Stoff wie Beispiel seiner vorschnellen Urtheilerei, indem ihr da ebenso ohne Zusammenhang und so aus freier Hand in den Tag hineinurtheilt, meist ebenso abgeschmackt, wie es auch der letzte eurer Leser könnte? Denkt ihr nicht alle so, giebt es unter euch noch Bessergesinnte, warum vereinigen sich denn nicht diese Bessergesinnten, um dem Unheile ein Ende zu machen? Was insbesondere jene Geschäftsmänner anbelangt; diese sind bei euch durch die Schule gelaufen, ihr sagt es selbst. Warum habt ihr denn diesen ihren Durchgang nicht wenigstens dazu benutzt, um ihnen einige stumme Achtung für die Wissenschaften einzuflössen, und besonders dem hochgeborenen Jünglinge den Eigendünkel bei Zeiten zu brechen, und ihm zu zeigen, dass Stand und Geburt in Sachen des Denkens nichts fördert? Habt ihr ihm vielleicht schon damals geschmeichelt, und ihn ungebührlich hervorgehoben, so traget nun, was ihr selbst veranlasst habt!

Sie wollen euch entschuldigen, diese Reden, mit der Voraussetzung, dass ihr die Wichtigkeit eures Geschäftes nicht begriffen hättet; sie beschwören euch, dass ihr euch von Stund an bekannt macht mit dieser Wichtigkeit, und es nicht länger als ein blosses Gewerbe treibt. Lernt euch selbst achten, und zeigt in eurem Handeln, dass ihr es thut, und die Welt wird euch achten. Die erste Probe davon werdet ihr ablegen durch den Einfluss, den ihr auf die angetragene Entschliessung euch geben, und durch die Weise, wie ihr euch dabei benehmen werdet.

Diese Reden beschwören euch Fürsten Deutschlands. Diejenigen, die euch gegenüber so thun, als ob man euch gar nichts sagen dürfte, oder zu sagen hätte, sind verächtliche Schmeichler, sie sind arge Verleumder eurer selbst; weiset sie weit weg von euch. Die Wahrheit ist, dass ihr ebenso unwissend geboren werdet, als wir anderen alle, und dass ihr hören müsst und lernen, gleichwie auch wir, wenn ihr herauskommen sollt aus dieser natürlichen Unwissenheit. Euer Antheil an der Herbeiführung des Schicksals, das euch zugleich mit euren Völkern betroffen hat, ist hier auf die mildeste und, wie wir glauben, auf die allein gerechte und billige Weise dargelegt worden, und ihr könnt euch, falls ihr nicht etwa nur Schmeichelei, niemals aber Wahrheit hören wollt, über diese Reden nicht beklagen. Dies alles sey vergessen, sowie wir anderen alle auch wünschen, dass unser Antheil an der Schuld versessen werde. Jetzt beginnt, sowie für uns alle, also auch für euch, ein neues Leben. Möchte doch diese Stimme durch alle die Umgebungen hindurch, die euch unzugänglich zu machen pflegen, bis zu euch dringen! Mit stolzem Selbstgefühl darf sie euch sagen: ihr beherrschet Völker, treu, bildsam, des Glückes würdig, wie keiner Zeit und keiner Nation Fürsten sie beherrscht haben. Sie haben Sinn für die Freiheit und sind derselben fähig; aber sie sind euch gefolgt in den blutigen Krieg gegen das, was ihnen Freiheit schien, weil ihr es so wolltet. Einige unter euch haben späterhin anders gewollt, und sie sind euch gefolgt in das, was ihnen ein Ausrottungskrieg scheinen musste gegen einen der letzten Reste deutscher Unabhängigkeit und Selbstständigkeit; auch weil ihr es so wolltet. Sie dulden und tragen seitdem die drückende Last gemeinsamer Uebel; und sie hören nicht auf, euch treu zu seyn, mit inniger Ergebung an euch zu hangen und euch zu lieben, als ihre ihnen von Gott verliehene Vormünder. Möchtet ihr sie doch, unbemerkt von ihnen, beobachten können; möchtet ihr doch, frei von den Umgebungen, die nicht immer die schönste Seite der Menschheit euch darbieten, herabsteigen können in die Häuser des Bürgers, in die Hütten des Landmannes, und dem stillen und verborgenen Leben dieser Stände, zu denen die in den höheren Ständen seltener gewordene Treue und Biederkeit ihre Zuflucht genommen zu haben scheint, betrachtend folgen können; gewiss, o gewiss würde euch der Entschluss ergreifen, ernstlicher denn jemals nachzudenken, wie ihnen geholfen werden könne. Diese Reden haben euch ein Mittel der Hülfe vorgeschlagen, das sie für sicher, durchgreifend und entscheidend hallen Lasset eure Räthe sich berathschlagen, ob sie es auch so finden, oder ob sie ein besseres wissen, nur, dass es ebenso entscheidend sey. Die Ueberzeugung aber, dass etwas geschehen müsse, und auf der Stelle geschehen müsse, und etwas Durchgreifendes und Entscheidendes geschehen müsse, und dass die Zeit der halben Maassregeln und der Hinhaltungsmittel vorüber sey: diese Ueberzeugung möchten sie gern, wenn sie könnten, bei euch selbst hervorbringen, indem sie zu eurem Biedersinne noch das meiste Vertrauen hegen.

Euch Deutsche insgesammt, welchen Platz in der Gesellschaft ihr einnehmen möget, beschwören diese Reden, dass jeder unter euch, der da denken kann, zuvörderst denke über den angeregten Gegenstand, und dass jeder dafür thue, was gerade ihm an seinem Platze am nächsten liegt.

Es vereinigen sich mit diesen Reden und beschwören euch eure Vorfahren. Denket, dass in meine Stimme sich mischen die Stimmen eurer Ahnen aus der grauen Vorwelt, die mit ihren Leibern sich entgegengestemmt haben der heranströmenden römischen Weltherrschaft, die mit ihrem Blute erkämpft haben die Unahhängigkeit der Berge, Ebenen und Ströme, welche unter euch den Fremden zur Beute geworden sind. Sie rufen euch zu: vertretet uns, überliefert unser Andenken ebenso ehrenvoll und unbescholten der Nachwelt, wie es auf euch gekommen ist, und wie ihr euch dessen und der Abstammung von uns gerühmt habt. Bis jetzt galt unser Widerstand für edel und gross und weise, wir schienen die Eingeweihten zu seyn und die Begeisterten des göttlichen Weltplans. Gehet mit euch unser Geschlecht aus, so verwandelt sich unsere Ehre in Schimpf, und unsere Weisheit in Thorheit. Denn sollte der deutsche Stamm einmal untergehen in das Römerthum, so war es besser, dass es in das alte geschähe, denn in ein neues. Wir standen jenem und besiegten es; ihr seyd verstäubt worden vor diesem. Auch sollt ihr nun, nachdem einmal die Sachen also stehen, sie nicht besiegen mit leiblichen Waffen; nur euer Geist soll sich ihnen gegenüber erheben und aufrecht stehen. Euch ist das grössere Geschick zu Theil geworden, überhaupt das Reich des Geistes und der Vernunft zu begründen, und die rohe körperliche Gewalt insgesammt, als Beherrschendes der Welt, zu vernichten. Werdet ihr dies thun, dann seyd ihr würdig der Abkunft von uns.

Auch mischen in diese Stimmen sich die Geister euerer späteren Vorfahren, die da fielen im heiligen Kampfe für Religions- und Glaubensfreiheit. Rettet auch unsere Ehre, rufen sie euch zu. Uns war nicht ganz klar, wofür wir stritten; ausser dem rechtmässigen Entschlusse, in Sachen des Gewissens durch äussere Gewalt uns nicht gebieten zu lassen, trieb uns noch ein höherer Geist, der uns niemals sich ganz enthüllte. Euch ist er enthüllt, dieser Geist, falls ihr eine Sehkraft habt für die Geisterwelt, und blickt euch an mit hoben klaren Augen. Das bunte und verworrene Gemisch der sinnlichen und geistigen Antriebe durcheinander soll überhaupt der Weltherrschaft entsetzt werden, und der Geist allein, rein und ausgezogen von allen sinnlichen Antrieben, soll an das Ruder der menschlichen Angelegenheiten treten. Damit diesem Geiste die Freiheit werde, sich zu entwickeln und zu einem selbstständigen Daseyn emporzuwachsen, dafür floss unser Blut. An euch ists, diesem Opfer seine Bedeutung und seine Rechtfertigung zu geben, indem ihr diesen Geist einsetzt in die ihm bestimmte Weltherrschaft. Erfolgt nicht dieses, als das letzte, worauf alle bisherige Entwickelung unserer Nation zielte, so werden auch unsere Kämpfe zum vorüberrauschenden leeren Possenspiele, und die von uns erfochtene Geistes- und Gewissensfreiheit ist ein leeres Wort, wenn es von nun an überhaupt nicht länger Geist oder Gewissen geben soll.

Es beschwören euch eure noch ungeborene Nachkommen. Ihr rühmt euch eurer Vorfahren, rufen sie euch zu, und schliesst mit Stolz euch an an eine edle Beide. Sorget, dass bei euch die Kelte nicht abreisse: machet, dass auch wir uns eurer rühmen können, und durch euch, als untadeliges Mittelglied, hindurch uns anschliessen an dieselbe glorreiche Reihe. Veranlasset nicht, dass wir uns der Abkunft von euch schämen müssen, als einer niederen, barbarischen, sklavischen, dass wir unsere Abstammung verbergen, oder einen fremden Namen und eine fremde Abkunft erlügen müssen, um nicht sogleich, ohne weitere Prüfung, weggeworfen oder zertreten zu werden Wie das nächste Geschlecht, das von euch ausgehen wird, seyn wird, also wird euer Andenken ausfallen in der Geschichte: ehrenvoll, wenn dieses ehrenvoll für euch zeugt; sogar über die Gebühr schmählich, wenn ihr keine laute Nachkommenschaft habt, und der Sieger eure Geschichte macht. Noch niemals hat ein Sieger Neigung oder Kunde genug gehabt, um die Ueberwundenen gerecht zu beurtheilen. Je mehr er sie herabgewürdigt, desto gerechter steht er selbst da. Wer kann wissen, welche Grossthaten, welche treffliche Einrichtungen, welche edle Sitten manches Volkes der Vorwelt in Vergessenheit gerathen sind, weil die Nachkommen unterjocht wurden, und der Ueberwinder, seinen Zwecken gemäss, unwidersprochen Bericht über sie erstattete.

Es beschwöret euch selbst das Ausland, inwiefern dasselbe nur noch im mindesten sich selbst verstellt und noch ein Auge hat für seinen wahren Vortheil. Ja, es giebt noch unter allen Völkern Gemüther, die noch immer nicht glauben können, dass die grossen Verheissungen eines Reiches des Rechtes, der Vernunft und der Wahrheit an das Menschengeschlecht eitel und ein leeres Trugbild seyen, und die daher annehmen, dass die gegenwärtige eiserne Zeit nur ein Durchgang sey zu einem besseren Zustande. Diese, und in ihnen die gesammte neuere Menschheit, rechnet auf euch. Ein grosser Theil derselben stammt ab von uns, die übrigen haben von uns Religion und jedwede Bildung erhalten. Jene beschwören uns bei dem gemeinsamen vaterländischen Boden, auch ihrer Wiege, den sie uns frei hinterlassen haben; diese bei der Bildung, die sie von uns als Unterpfand eines höheren Glückes bekommen haben, – uns selbst auch für sie, und um ihrer willen zu erhalten, so wie wir immer gewesen sind, aus dem Zusammenhange des neu entsprossenen Geschlechtes nicht dieses ihm so wichtige Glied herausreissen zu lassen, damit, wenn sie einst unseres Rathes, unseres Beispiels, unserer Mitwirkung gegen das wahre Ziel des Erdenlebens hin bedürfen sie uns nicht schmerzlich vermissen.

Alle Zeitalter, alle Weise und Gute! die jemals auf dieser Erde geathmet haben, alle ihre Gedanken und Ahnungen eines Höheren, mischen sich hl diese Stimmen und umringen euch, und heben flehende Hände zu euch auf; selbst, wenn man so sagen darf, die Vorsehung und der göttliche Weltplan bei Erschaffung eines Menschengeschlechtes, der ja nur da ist, um von Menschen gedacht und durch Menschen in die Wirklichkeit eingeführt zu werden, beschwöret euch, seine Ehre und sein Daseyn zu retten. Ob jene, die da glaubten, es müsse immer besser werden mit der Menschheit, und die Gedanken einer Ordnung und einer Würde derselben seyen keine leeren Träume, sondern die Weissagung und das Unterpfand der einstigen Wirklichkeit, recht behalten sollen, oder diejenigen, die in ihrem Thier- und Pflanzenleben hinschlummern, und jedes Auffluges in höhere Welten spotten: – darüber ein letztes Endurtheil zu begründen, ist euch anheimgefallen. Die alte Welt mit ihrer Herrlichkeit und Grösse, sowie mit ihren Mängeln, ist versunken durch die eigene Unwürde und durch die Gewalt eurer Väter. Ist in dem, was in diesen Reden dargelegt worden, Wahrheit, so seyd unter allen neueren Völkern ihr es, in dellen der Keim der menschlichen Vervollkommnung am entschiedensten liegt, und denen der Vorschritt in der Entwickelung derselben aufgetragen ist. Gehet ihr in dieser eurer Wesenheit zu Grunde, so gebet mit euch zugleich alle Hoffnung, des gesammten Menschengeschlechtes auf Rettung aus der Tiefe seiner Uebel zu Grunde. Hoffet nicht und tröstet euch nicht mit der aus der Luft gegriffenen, auf blosse Wiederholung der schon eingetretenen Fälle rechnenden Meinung, dass ein zweitesmal, nach Untergang der alten Bildung, eine neue, auf den Trümmern der ersten, aus einer halb barbarischen Nation hervorgehen werde. In der alten Zeit war ein solches Volk, mit allen Erfordernissen zu dieser Bestimmung ausgestattet, vorhanden, und war dem Volke der Bildung recht wohl bekannt und ist von ihnen beschrieben; und diese selbst, wenn sie den Fall ihres Unterganges zu setzen vermocht hätten, würden an diesem Volke das Mittel der Wiederherstellung haben entdecken können. Auch uns ist die gesammte Oberfläche der Erde recht wohl bekannt, und alle die Volker, die auf derselben leben. Kennen wir denn nun ein solches, dem Stammvolke der neuen Welt ähnliches Volk, von welchem die gleichen Erwartungen sich fassen liessen? Ich denke, jeder, der nur nicht bloss schwärmerisch meint und hofft, sondern gründlich untersuchend denkt, werde diese Frage mit Nein beantworten müssen. Es ist daher kein Ausweg: wenn ihr versinkt, so versinkt die ganze Menschheit mit, ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung.

Dies war es, E. V., was ich Ihnen, als meinen Stellvertretern der Nation, und durch Sie der gesammten Nation, am Schlusse dieser Reden noch einschärfen wollte und sollte.