BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Versuch einer Critik aller Offenbarung

 

1792

 

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§ 4.

Eintheilung der Religion überhaupt,

in die natürliche und geoffenbarte.

 

In der allgemeinsten Bedeutung wird Theologie Religion, wenn die um unserer Willensbestimmung durch das Gesetz der Vernunft angenommenen Sätze praktisch auf uns wirken. Diese Wirkung geschieht entweder auf unser ganzes Vermögen, zur Hervorbringung der Harmonie in desselben verschiedenen Functionen, indem die theoretische und praktische Vernunft in Uebereinstimmung gesetzt, und die postulirte Causalität der letzteren in uns möglich gemacht wird. Hierdurch erst wird Einheit in den Menschen gebracht, und alle Functionen seines Vermögens auf einen einzigen Endzweck hingeleitet. Oder sie geschieht insbesondere, nemlich negativ, auf unser Empfindungsvermögen, indem für das höchste Ideal aller Vollkommenheit tiefe Ehrfurcht, und für den einzig richtigen Beurtheiler unserer Moralität, und gerechten Bestimmer unserer Schicksale nach derselben, Vertrauen, heilige Scheu, Dankbarkeit gewirkt wird. Diese Empfindungen sollen nicht eigentlich den Willen bestimmen; aber sie sollen die Wirksamkeit der schon geschehenen Bestimmung vermehren. Man würde aber nicht wohl thun, auf eine unbegrenzte Erhöhung dieser Empfindungen, besonders insofern sie sich auf den Begriff Gottes als unseres moralischen Richters gründen (und welche zusammen das ausmachen, was man Frömmigkeit nennt), hinzuarbeiten, weil dem eigentlichen Momente aller Moralität, das was recht ist schlechthin darum zu wollen, weil es recht ist, dadurch leicht Abbruch geschehen könnte. Oder endlich sie geschieht unmittelbar auf unseren Willen, durch das dem Gewichte des Gebotes hinzugefügte Moment, dass es Gebot Gottes sey; und dadurch entsteht Religion in der eigentlichsten Bedeutung.

Dass das Sittengesetz in uns seinem Inhalte nach als Gesetz Gottes in uns anzunehmen sey, ist schon aus dem Begriffe Gottes, als unabhängigen Executors des Vernunftgesetzes überhaupt, klar. Ob wir einen Grund haben, es auch seiner Form nach dafür anzunehmen, ist die jetzt zu untersuchende Frage. Da hierbei gar nicht vom Gesetze an sich die Rede ist, als welches wir in uns haben, sondern vom Urheber des Gesetzes, so können wir im Begriffe der göttlichen Gesetzgebung von dem Inhalte (materia) derselben hier gänzlich abstrahiren, und haben nur auf ihre Form zu sehen. Die gegenwärtige Aufgabe ist also die: ein Princip zu suchen, aus welchem Gott als moralischer Gesetzgeber erkannt werde; oder es wird gefragt: hat sich Gott uns als moralischer Gesetzgeber angekündigt, und wie hat ers?

Dies lässt sich auf zweierlei Art als möglich denken, nemlich dass es entweder in uns, als moralischen Wesen, in unserer vernünftigen Natur; oder ausser derselben geschehen sey. Nun liegt in unserer Vernunft, insofern sie rein a priori gesetzgebend ist, nichts, das uns berechtigte, dies anzunehmen: wir müssen uns also nach etwas ausser ihr umsehen, welches uns wieder an sie zurückweise, um nun aus ihren Gesetzen mehr schliessen zu können, als wozu diese allein uns berechtigen: oder wir müssen es ganz aufgeben, aus diesem Principe Gott als Gesetzgeber zu erkennen. Ausser unserer vernünftigen Natur ist das, was uns zur Betrachtung und Erkenntniss vorliegt, die Sinnenwelt. In dieser finden wir allenthalben Ordnung und Zweckmässigkeit; alles leitet uns auf eine Entstehung derselben nach Begriffen eines vernünftigen Wesens. Aber zu allen den Zwecken, auf welche wir durch ihre Betrachtung geführt werden, muss unsere Vernunft einen letzten, einen Endzweck, als das Unbedingte zu dem Bedingten, suchen. Alles aber in unserer Erkenntniss ist bedingt, ausser dem durch die praktische Vernunft uns aufgestellten Zwecke des höchsten Gutes, welcher schlechthin und unbedingt geboten wird. Dieser allein also ist fähig, der gesuchte Endzweck zu seyn; und wir sind durch die subjective Beschaffenheit unserer Natur gedrungen, ihn dafür anzuerkennen. Kein Wesen konnte diesen Endzweck haben, als dasjenige, dessen praktisches Vermögen bloss durch das Moralgesetz bestimmt wird; und keins die Natur demselben anpassen, als dasjenige, das die Naturgesetze durch sich selbst bestimmt. Dieses Wesen ist Gott. Gott ist also Weltschöpfer. Kein Wesen ist fähig Object dieses Endzweckes zu seyn, als nur moralische Wesen, weil diese allein des höchsten Gutes fähig sind. Wir selbst also sind als moralische Wesen (objectiv) Endzweck der Schöpfung. Wir sind aber, als sinnliche, d. i. als solche Wesen, die unter den Naturgesetzen stehen, auch Theile der Schöpfung, und die ganze Einrichtung unserer Natur, insofern sie von diesen Gesetzen abhängt, ist Werk des Schöpfers, d. i. des Bestimmers der Naturgesetze durch seine moralische Natur. Nun hängt es zwar theils offenbar nicht von der Natur ab, dass die Vernunft in uns ebenso, und nicht anders spricht; theils würde die Frage, ob es von ihr abhänge, dass wir eben moralische Wesen sind, durchaus dialektisch seyn. Denn erstens dächten wir uns da den Begriff der Moralität aus uns weg, und nähmen dennoch an, dass wir dann noch wir seyn würden, d. i. unsere Identität beibehalten haben würden, welches sich nicht annehmen lässt; zweitens geht sie auf objective Behauptungen im Felde des Uebersinnlichen aus, in welchem wir nichts objectiv behaupten dürfen 1). Da es aber für uns ganz einerlei ist, ob wir uns des Gebotes des Moralgesetzes in uns nicht bewusst sind, oder ob wir überhaupt keine moralischen Wesen sind; da ferner unser Selbstbewusstseyn ganz unter Naturgesetzen steht: so folgt daraus sehr richtig, dass es von der Einrichtung der sinnlichen Natur endlicher Wesen herkomme, dass sie sich des Moralgesetzes in ihnen bewusst sind; und wir dürfen, wenn wir uns vorher nur richtig bestimmt haben, hinzusetzen: dass sie moralische Wesen sind. Da nun Gott der Urheber dieser Einrichtung ist, so ist die Ankündigung des Moralgesetzes in uns durch das Selbstbewusstseyn, zu betrachten als Seine Ankündigung, und der Endzweck, den uns dasselbe aufstellt, als Sein Endzweck, den er bei unserer Hervorbringung hatte. So wie wir ihn also für den Schöpfer unserer Natur erkennen, müssen wir ihn auch für unseren moralischen Gesetzgeber anerkennen; weil nur durch eben eine solche Einrichtung uns Bewusstseyn des Moralgesetzes in uns möglich war. Diese Ankündigung Gottes selbst geschieht nun durch das Uebernatürliche in uns; und es darf uns nicht irren, dass wir, um das zu erkennen, einen Begriff ausser demselben, nemlich den der Natur, zu Hülfe nehmen mussten. Denn theils war es die Vernunft, die uns das, ohne welches jener Begriff uns zu unserer Absicht gar nicht hätte dienen können, den Begriff des möglichen Endzweckes, hergab, und dadurch erst die Erkenntniss Gottes als Schöpfers möglich machte; theils hätte auch diese Erkenntniss uns Gott noch gar nicht als Gesetzgeber darstellen können, ohne das Moralgesetz in uns, dessen Daseyn erst die gesuchte Ankündigung Gottes ist.

Die zweite uns gedenkbare Art, wie sich Gott als moralischen Gesetzgeber ankündigen konnte, war ausser dem Uebernatürlichen in uns, also, in der Sinnenwelt, da wir ausser diesen beiden kein drittes Object haben. Da wir aber, weder aus dem Begriffe der Welt überhaupt, noch aus irgend einem Gegenstande oder Vorfalle in derselben insbesondere, mittelst der Naturbegriffe, welche die einzigen auf die Sinnenwelt anwendbaren sind, auf etwas übernatürliches schliessen können; dem Begriffe einer Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers aber etwas übernatürliches zum Grunde liegt: so müsste dies durch ein Factum in der Sinnenwelt geschehen, dessen Causalität wir alsbald, folglich ohne erst zu schliessen, in ein übernatürliches Wesen setzten, und dessen Zweck, es sey eine Ankündigung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, wir sogleich, d. i. unmittelbar durch Wahrnehmung erkennten; wenn dieser Fall überhaupt möglich seyn soll.

Diese Untersuchung stellt nun vorläufig zwei Principien der Religion, insofern diese sich auf Anerkennung einer formalen Gesetzgebung Gottes gründet, dar; deren eines das Princip des Uebernatürlichen in uns, das andere das Princip eines Uebernatürlichen ausser uns ist. Die Möglichkeit des ersteren ist schon gezeigt; die Möglichkeit des zweiten, um welche es hier eigentlich zu thun ist, müssen wir weiter darthun. Eine Religion, die sich auf das erste Princip gründet, können wir, da sie den Begriff einer Natur überhaupt zu Hilfe nimmt, Naturreligion nennen: und eine solche, der das zweite zum Grunde liegt, nennen wir, da sie durch ein geheimnissvolles, übernatürliches Mittel zu uns gelangen soll, das ganz eigentlich zu dieser Absicht bestimmt ist, geoffenbarte Religion. Subjectiv, als Habitus eines vernünftigen Geistes (als Religiosität) betrachtet, können beide Religionen, da sie zwar entgegengesetzte, aber nicht sich widersprechende Principien haben, sich in einem Individuo gar wohl vereinigen, und eine einzige ausmachen.

Ehe wir weitergehen, müssen wir noch anmerken, dass, da hier bloss von einem Principe der Gesetzgebung ihrer Form nach die Rede gewesen, vom Inhalte derselben aber gänzlich abstrahirt worden, die Untersuchung, wohin nach diesen beiden verschiedenen Principien die Gesetzgebung ihrem Inhalte nach (legislativ materialiter spectata) zu setzen sey, nicht berührt werden konnte. Dass nach dem ersten Principe, welches die Ankündigung des Gesetzgebers in uns setzt, auch die Gesetzgebung selbst in uns, nemlich in unserer vernünftigen Natur zu suchen sey, ist sogleich von selbst klar. Nach dem zweiten Principe aber sind wieder zwei Fälle möglich: entweder die Ankündigung des Gesetzgebers ausser uns verweist uns an unsere vernünftige Natur zurück, und die ganze Offenbarung sagt, in Worten ausgedrückt, nur soviel: Gott ist Gesetzgeber; das euch ins Herz geschriebene Gesetz ist das Seinige; oder sie schreibt uns auf eben dem Wege, auf dem sie Gott als Gesetzgeber bekannt macht, noch sein Gesetz besonders vor. Nichts verhindert, dass in einer in concreto gegebenen Offenbarung nicht beides geschehen könne.

 

 

Anmerkung.

 

Man hat seit Erscheinung der Kritik schon mehrmals die Frage aufgeworfen: Wie ist geoffenbarte Religion möglich? – eine Frage, die sich zwar immer aufdrang, die aber erst, seitdem dieses Licht den Pfad unserer Untersuchungen beleuchtet, gehörig gestellt werden konnte. Aber wie mirs scheint, hat man in allen Versuchen, die ich wenigstens kenne, den Knoten mehr zerschnitten, als aufgelöst. Der eine deducirt die Möglichkeit der Religion überhaupt richtig, entwickelt ihren Inhalt, stellt ihre Kriterien fest; und gelangt nun durch drei ungeheuere Sprünge [1) indem er Religion in der weitesten, und die in der engsten Bedeutung verwechselt, 2) indem er natürliche und geoffenbarte Religion verwechselt, 3) indem er geoffenbarte überhaupt und christliche verwechselt] zu dem Satze: völlig so eine Vernunftreligion ist die christliche. Ein anderer, dem es sich freilich nicht verbergen konnte, dass diese noch etwas mehr sey, setzt dieses Mehrere bloss in grössere Versinnlichung der abstracten Ideen jener. Aber die Vernunft giebt a priori gar kein Gesetz, und kann keins geben, über die Art, wie wir uns die durch ihre Postulate realisirten Ideen vorstellen sollen. Jeder, auch der schärfste Denker, meine ich, denkt sie sich, wenn er sie in praktischer Absicht auf sich anwendet, mit einiger Beimischung von Sinnlichkeit, und so geht es bis zu dem rohsinnlichsten Menschen in unmerkbaren Abstufungen fort. Ganz rein von Sinnlichkeit ist in concreto keine Religion; denn die Religion überhaupt gründet sich auf das Bedürfniss der Sinnlichkeit. Das Mehr oder Weniger aber berechtigt zu keiner Eintheilung. Wo hören denn nach dieser Vorstellungsart die Grenzen der Vernunftreligion auf, und wo gehen die der geoffenbarten an? Es gäbe nach ihr so viele Religionen, als es schriftliche oder mündliche Belehrungen über Religionswahrheiten, als es überhaupt Subjecte gäbe, die an eine Religion glaubten; und es liesse sich durch nichts, als durch das Herkommen begreiflich machen, warum eben diese oder jene Darstellung der Religionswahrheiten die autorisirteste seyn sollte; und durch gar nichts, woher die Berufung auf eine übernatürliche Autorität käme, die wir als das charakteristische Merkmal aller vorgeblichen Offenbarungen vorfinden. Diese Verirrung vom einzig möglichen Wege einer Deduction des Offenbarungsbegriffes kam bloss daher, dass man jene allbekannte Regel der Logik vernachlässigte: Begriffe, die zu einer Eintheilung berechtigen sollen, müssen unter einem höheren Geschlechtsbegriffe enthalten, unter sich aber specifisch verschieden seyn. Der Begriff der Religion überhaupt ist Geschlechtsbegriff. Sollen Natur- und geoffenbarte Religion, als unter ihm enthalten, specifisch verschieden seyn; so müssen sie es entweder in Absicht ihres Inhaltes, oder wenn dies, wie schon a priori zu vermuthen, nicht möglich ist, wenigstens in Absicht ihrer Erkenntnissprincipien seyn; oder die ganze Eintheilung ist leer, und wir müssen auf die Befugniss, eine geoffenbarte Religion anzunehmen, gänzlich Verzicht thun. Der oben angezeigte Begriff ist es denn auch, den der Sprachgebrauch von jeher mit dem Worte Offenbarung verknüpft hat. Alle Religionsstifter haben sich zum Beweise der Wahrheit ihrer Lehren nicht auf die Beistimmung unserer Vernunft, noch auf theoretische Beweise, sondern auf eine übernatürliche Autorität berufen, und den Glauben an diese, als den einzigen rechtmässigen Weg der Ueberzeugung, gefordert. 2)

 

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1)

Die Frage: warum überhaupt moralische Wesen seyn sollten? ist leicht zu beantworten: wegen der Anforderung des Moralgesetzes an Gott, das höchste Gut ausser Sich zu befördern, welches nur durch Existenz vernünftiger Wesen möglich ist. 

2)

Sie haben sich nicht das Ansehen gegeben, etwas, das schon in uns lag, zu entwickeln, sondern uns ganz etwas neues, unbekanntes zu sagen; nicht für menschenfreundliche, weise Leiter, sondern für inspirirte Gesandten der Gottheit gelten wollen; mit welchem Rechte, das werden wir erst weiter unten beantworten können, oder vielmehr es wird sich selbst beantworten.