BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Versuch einer Critik aller Offenbarung

 

1792

 

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§ 11.

Kriterien der Göttlichkeit einer

Offenbarung in Absicht ihres

möglichen Inhalts

(materiae revelationis).

 

Das Wesentliche der Offenbarung überhaupt ist Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers, durch eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt. Eine in concreto gegebene Offenbarung, kann Erzählungen von dieser, oder diesen Wirkungen, Mitteln, Anstalten, Umständen u.s.w. enthalten. Alles, was dahin einschlägt, gehört zur äussern Form der Offenbarung, und steht unter derselben Kriterien. Wohin durch diese Ankündigung des Gesetzgebers das Gesetz selbst, seinem Inhalte nach, gesetzt werde, bleibt dadurch noch gänzlich unentschieden. Sie kann uns geradezu an unser Herz verweisen: oder sie kann auch das, was dieses uns sagen würde, noch besonders als Aussage Gottes aufstellen, und es nun uns selbst überlassen, das letztere mit dem ersteren zu vergleichen. Die Ankündigung Gottes als Gesetzgebers würde, in Worte verfasst, so heissen: Gott ist moralischer Gesetzgeber; und da wir sie in Worte verfassen müssen, so können wir auch dies einen Inhalt, nemlich den der Ankündigung an sich selbst, die Bedeutung der Form der Offenbarung nennen. Wird uns aber ausser diesem noch mehr gesagt, so ist dies der Inhalt der Offenbarung. Das erstere können wir a priori uns zwar denken, und wenn a posteriori uns das Bedürfniss gegeben wird, wünschen, und erwarten; aber nie selbst realisiren, sondern die Realisirung dieses Begriffs muss durch ein Factum in der Sinnenwelt geschehen; wir können also nie a priori wissen, wie und auf welche Art die Offenbarung wird gegeben werden. Das zweite, dass nemlich eine Offenbarung überhaupt einen Inhalt haben werde, können wir a priori nicht erwarten, denn es gehört nicht zum Wesen der Offenbarung; aber dagegen können wir völlig a priori wissen, welches dieser Inhalt seyn kann: und hiermit stehen wir denn sogleich bei der Frage: Können wir von einer Offenbarung Belehrungen und Aufklärungen erwarten, auf die unsre sich selbst überlassene, und durch keine übernatürliche Hülfe geleitete Vernunft nicht etwa bloss unter den zufälligen Bedingungen, unter denen sie sich befunden hat, und befindet, sondern überhaupt ihrer Natur nach nie würde haben kommen können? und wir können desto ruhiger zu ihrer Beantwortung schreiten, da wir, im Falle dass wir sie verneinen müssten, nach obiger Deduction, laut welcher es uns eigentlich um die Form der Offenbarung zu thun war, nicht mehr den Einwurf zu befürchten haben: die Offenbarung sey überhaupt überflüssig, wenn sie uns nichts neues habe lehren können.

Diese bloss aus übernatürlichen Quellen zu schöpfenden Belehrungen könnten entweder Erweiterung unserer theoretischen Erkenntniss des Uebersinnlichen, oder nähere Bestimmung unserer Pflichten zum Gegenstande haben. Also, Erweiterung unserer theoretischen Erkenntniss könnten wir von einer Offenbarung erwarten? Die Beantwortung dieser Frage gründet sich auf folgende zwei: ist eine solche Erweiterung moralisch möglich, d. i. streitet sie nicht gegen reine Moralität? und dann, ist sie physisch möglich, widerspricht sie nicht etwa der Natur der Dinge? und endlich, widerspricht sie nicht etwa dem Begriffe der Offenbarung, und folglich sich selbst? –

Ist sie moralisch möglich? Die Ideen vom Uebersinnlichen, die durch die praktische Vernunft realisirt werden, sind Freiheit, Gott, Unsterblichkeit. Dass wir, in Absicht unseres oberen Begerungsvermögens, frei sind, d. i. dass wir ein oberes von Naturgesetzen unabhängiges Begehrungsvermögen haben, ist unmittelbare Thatsache. Was wir in Absicht des Begriffs von Gott zur moralischen Willensbestimmung bedürfen, dass ein Gott sey, dass er der alleinheilige, der alleingerechte, der allmächtige, der allwissende, der oberste Gesetzgeber und Richter aller vernünftigen Wesen sey, ist unmittelbar durch unsere moralische Bestimmung, den Endzweck des Sittengesetzes zu wollen, uns zu glauben auferlegt. Dass wir, unsterblich seyn müssen, folgt unmittelbar aus der Anforderung das höchste Gut zu realisiren, an unsre endliche Naturen, welche als solche nicht fähig sind dieser Forderung, genugzuthun, aber dazu immer fähiger werden sollen und es also können müssen. Was wollen wir über diese Ideen noch weiter wissen? Wollen wir die Verbindung des Naturgesetzes, und des für die Freiheit im übersinnlichen Substrat der Natur erblicken? Wenn wir nicht zugleich die Kraft erhalten, die Gesetze der Natur durch unsere Freiheit zu beherrschen, so kann dies nicht den geringsten praktischen Nutzen für uns haben; wenn wir sie aber erhalten so hören wir auf endliche Wesen zu seyn, und werden Götter. Wollen wir einen bestimmten Begriff von Gott haben sein Wesen wie es an sich ist, erkennen? Das wird reine Moralität nicht nur nicht befördern, sondern sie hindern. Ein unendliches Wesen, das wir erkennen, das in seiner ganzen Majestät vor unseren Augen schwebt, wird uns mit Gewalt treiben und drängen, seine Befehle zu erfüllen; die Freiheit wird aufgehoben werden, die sinnliche Neigung wird auf ewig verstummen, wir werden alles Verdienst, und alle Uebung, Stärkung, und Freude durch Kampf, verlieren und aus freien Wesen mit eingeschränkten Kenntnissen moralische Maschinen mit erweiterten Kenntnissen geworden seyn. Wollen wir endlich alle die Bestimmungen unserer künftigen Existenz schon jetzt durchdringen? Das wird uns theils aller Empfindungen der Glückseligkeit, die die allmählige Verbesserung unseres Zustandes uns geben kann, berauben; wir werden auf einmal verschwelgen, was uns für eine ewige Existenz bestimmt ist; theils werden die uns vorschwebenden Belohnungen uns wieder zu kräftig bestimmen, und uns Freiheit, Verdienst Selbstachtung nehmen. Alle solche Kenntnisse werden unsere Moralität nicht vermehren, sondern vermindern, und das kann Gott nicht wollen; es ist also moralisch unmöglich. Und ist es physisch möglich? Widerstreitet es nicht etwa gar den Gesetzen der Natur, d. i. unserer Natur, an welche diese Belehrungen gegeben werden sollen? Mögliche Belehrungen einer Offenbarung an uns über das Uebersinnliche müssen unserem Erkenntnissvermögen angemessen seyn, sie müssen unter den Gesetzen unseres Denkens stehen. Diese Gesetze sind die Kategorien, ohne welche uns keine bestimmte Vorstellung möglich ist. Wären sie demselben nicht angemessen, so wäre der ganze Unterricht für uns verloren, er wäre uns schlechterdings unverständlich und unbegreiflich, und es wäre völlig so gut, als ob wir ihn nicht hätten. Wären sie ihm angemessen, so würden die übersinnlichen Gegenstände in die sinnliche Welt herabgezogen, das Uebernatürliche würde zu einem Theile der Natur gemacht. Ich untersuche hier nicht, ob eine solche für objectiv gültig gegebene Versinnlichung nicht der praktischen Vernunft widerspreche, das wird weiter unten klar werden; aber das ist sogleich klar, dass wir dadurch eine Erkenntniss eines Uebersinnlichen bekämen, das kein Uebersinnliches wäre, dass wir also unseren Zweck, in die Welt der Geister eingeführt zu werden, nicht erreichten, sondern selbst diejenige richtige Einsicht in dieselbe, die uns von der praktischen Vernunft aus möglich ist, verlören. Widerspricht endlich eine solche Erwartung; nicht etwa der Natur der Offenbarung? 1) Da Belehrungen dieser Art an unsere durch das Moralgesetz bestimmte Vernunft gar nicht gehalten werden könnten, um sie an ihr zu versuchen, ob sie mit derselben übereinkämen, oder nicht indem sie auf diese Principien sich gar nicht gründeten (denn wenn sie sich darauf gründeten, so müsste unsere sich selbst überlassene Vernunft ohne alle fremde Beihülfe darauf haben kommen können); so könnte der Glaube an ihre Wahrheit sich auf nichts gründen, als etwa auf die göttliche Autorität, auf welche eine Offenbarung sich beruft. Nun aber findet für diese göttliche Autorität selbst kein anderer Glaubensgrund statt, als die Vernunftmässigkeit (die Uebereinstimmung nicht mit der vernünftelnden, sondern mit der moralisch-gläubigen Vernunft) der Lehren, die auf sie gegründet werden: mithin kann diese göttliche Autorität, nicht selbst wieder Beglaubigungsgrund dessen seyn, was erst der ihrige werden soll. – Wenn ein anderer Weg gedenkbar wäre, zur vernünftigen Anerkennung der Göttlichkeit einer Offenbarung zu kommen, als dieser, wenn z.B. Wunder oder Weissagungen, d.h. wenn überhaupt die Unerklärbarkeit einer Begebenheit aus natürlichen Ursachen uns berechtigen könnte, ihren Ursprung der unmittelbaren Causalität Gottes zuzuschreiben, welcher Schluss aber, wie oben gezeigt ist, offenbar falsch seyn würde, so liesse sich denken, wie unsere dadurch begründete Ueberzeugung von der Göttlichkeit einer gegebenen Offenbarung überhaupt unseren Glauben an jede ihrer einzelnen Belehrungen begründen könnte. Da aber dieser Glaube an die Göttlichkeit einer Offenbarung überhaupt nur durch den Glauben an jede ihrer einzelnen Aussagen möglich ist, so kann keine Offenbarung, als solche, irgend einer Behauptung die Wahrheit versichern, die sich dieselbe nicht selbst versichern kann. An keine nur durch Offenbarung mögliche Belehrung ist also vernünftigerweise ein Glaube möglich; und jede Anforderung von dieser Art würde der Möglichkeit des Fürwahrhaltens, das bei einer Offenbarung statt hat, folglich dem Begriffe der Offenbarung an sich, widersprechen. Wir dürfen also das, was die Kritik uns von Seiten der sich selbst gelassenen theoretischen Vernunft vereitelte, einen Uebergang in die übersinnliche Welt, auch nicht von der Offenbarung erwarten; sondern wir müssen diese Hoffnung einer bestimmten Erkenntniss derselben für unsere gegenwärtige Natur ganz, und auf immer, und aus jeder Quelle aufgeben. 2)

Oder können wir von einer Offenbarung vielleicht praktische Maximen, Moralvorschriften erwarten, die wir von dem Princip aller Moral, aus und durch unsere Vernunft nicht auch selbst ableiten konnten? Das Moralgesetz in uns ist die Stimme der reinen Vernunft, der Vernunft in abstracto. Vernunft kann sich nicht nur nicht widersprechen, sondern sie kann auch in verschiedenen Subjecten nichts verschiedenes aussagen, weil ihr Gebot die reinste Einheit ist, und also Verschiedenheit zugleich Widerspruch seyn würde. Wie die Vernunft zu uns redet, redet sie zu allen vernünftigen Wesen, redet sie zu Gott selbst. Er kann uns also weder ein anderes Princip, noch Vorschriften für besondere Fälle geben, die sich auf ein anderes Princip gründeten, denn Er selbst ist durch kein anderes bestimmt. Die besondere Regel, die durch Anwendung des Princips auf einen besonderen Fall entsteht, ist freilich nach den Fällen, in die das Subject seiner Natur nach kommen kann, verschieden, 3) aber alle müssen sich durch eine und ebendieselbe Vernunft von einer und ebenderselben Vernunft ableiten lassen. Ein anderes ists, ob in concreto gegebene empirisch bestimmte Subjecte mit gleicher Richtigkeit und Leichtigkeit sie in besonderen Fällen ableiten werden, und ob sie dabei nicht einer fremden Hülfe bedürfen können, die es – nicht für sie thue, und ihnen nun das Resultat auf ihre Autorität als richtig hingebe; dies würde, wenn die Regel auch richtig abgeleitet wäre, doch nur Legalität und nicht Moralität begründen; – sondern die sie bei ihrer eigenen Ableitung leite: aber dazu bedarf es keiner Offenbarung, sondern das kann und soll jeder weisere Mensch dem unweiseren leisten.

Es ist also weder moralisch noch theoretisch möglich, dass eine Offenbarung uns Belehrungen gebe, auf die unsere Vernunft nicht ohne sie hätte kommen können und sollen; und keine Offenbarung kann für dergleichen Belehrungen Glauben fordern; denn einer Offenbarung um dieser einzigen Ursache willen den göttlichen Ursprung gänzlich abläugnen, würde nicht statthaben, da dergleichen vermeintliche Belehrungen, ob sie gleich vom Gesetze der praktischen Vernunft sich nicht ableiten lassen, ihm dennoch auch nicht nothwendig widersprechen müssen.

Was kann sie aber denn enthalten, wenn sie nichts uns unbekanntes enthalten soll? Ohne Zweifel eben das, worauf uns die praktische Vernunft a priori leitet: ein Moralgesetz, und die Postulate desselben.

In Absicht der durch eine Offenbarung möglichen Moral ist schon oben die Unterscheidung gemacht worden, dass dieselbe Offenbarung uns entweder geradezu auf das Gesetz der Vernunft in uns, als Gesetz Gottes, verweisen; oder, dass sie sowohl das Princip derselben an sich, als in Anwendung auf mögliche Fälle, unter göttlicher Autorität aufstellen könne.

Geschieht das erstere, so enthält eine solche Offenbarung keine Moral, sondern unsere eigene Vernunft enthält die Moral derselben. Es ist also nur der zweite Fall, der hier in Untersuchung kömmt. Die Offenbarung stellt theils das Princip aller Moral in Worte gebracht, theils besondere durch Anwendung desselben auf empirisch bedingte Fälle entstandene Maximen als Gesetze Gottes auf. Dass das Princip der Moral richtig angegeben, d. i. dem des Moralgesetzes in uns völlig gemäss seyn müsse, und dass eine Religion, deren Moralprincip diesem widerspricht, nicht von Gott seyn könne, ist unmittelbar klar; so wie die Befugniss, dieses Princip als Gesetz Gottes anzukündigen, schon zur Form einer Offenbarung gehört, und zugleich mit ihr deducirt ist. In Absicht der besonderen moralischen Vorschriften aber entsteht die Frage: soll eine Offenbarung jede dieser besonderen Regeln von dem als göttliches Gesetz angekündigten Moralprincip ableiten, oder darf sie dieselben schlechthin, ohne weitern Beweis, auf die göttliche Autorität gründen? – Wenn die göttliche Autorität uns zu befehlen, nur bloss auf seine Heiligkeit gegründet ist, welches schon die Form jeder Religion, die göttlich seyn soll, erfordert, so ist Achtung für seinen Befehl, weil es sein Befehl ist, auch in besonderen Fällen, nichts anderes, als Achtung für das Moralgesetz selbst. Eine Offenbarung darf dergleichen Gebote folglich schlechthin als Befehle Gottes, ohne weitere Deduction vom Princip aufstellen. Eine andere Frage aber ists, ob nicht jede dieser besonderen Vorschriften einer geoffenbarten Moral sich wenigstens hinterher vom Princip richtig deduciren lassen, und ob nicht jede Offenbarung am Ende uns doch an dieses Princip verweisen müsse.

Da wir uns von der Möglichkeit des göttlichen Ursprungs einer Offenbarung sowohl überhaupt, als jedes besonderen Theils ihres Inhalts, nur durch die völlige Uebereinstimmung desselben mit der praktischen Vernunft überzeugen können; diese Ueberzeugung aber bei einer besonderen moralischen Maxime nur durch ihre Ableitung vom Princip aller Moral möglich ist, so folgt daraus unmittelbar, dass jede in einer göttlichen Offenbarung als moralisch aufgestellte Maxime sich von diesem Princip müsse ableiten lasse. Nun wird zwar eine Maxime dadurch, dass sie sich davon ableiten lässt, noch nicht falsch, sondern es folgt daraus nur soviel, dass sie nicht in das Feld der Moral gehöre; sie kann aber etwa in das Gebiet der Theorie gehören, politisch, technisch, praktisch, oder dergl. seyn. So ist z.B. jener Ausspruch: Sollen wir böses thun, dass gutes daraus komme? das sey ferne – allgemeines moralisches Gebot, weil es sich vom Princip aller Moral deduciren lässt, und das Gegentheil ihm widersprechen würde: hingegen jene Maximen: So jemand mit dir rechten will um deinen Rock, dem lass auch den Mantel, u.s.w., sind keine Moralvorschriften, sondern nur in besonderen Fällen gültige Regeln der Politik, die als solche nicht länger gelten, als so lange sie mit keiner Moralvorschrift in Collision kommen, weil diesen alles untergeordnet werden muss. Wenn eine Offenbarung nun Regeln der letzteren Art enthält, so folgt daraus noch gar nicht, dass darum die ganze Offenbarung nicht göttlich sey, und ebensowenig, dass jene Regeln falsch seyen – das hängt von anderweitigen Beweisen aus den Principien, unter denen sie stehen, ab – sondern nur, dass diese Regeln nicht zum Inhalte einer geoffenbarten Religion, als solcher, gehören, sondern ihren Werth anderwärtsher ableiten müssen. Eine Offenbarung aber, die Maximen enthält, welche dem Princip aller Moral widersprechen, die z.B. frommen, oder nicht frommen Betrug, Unduldsamkeit gegen Andersdenkende, Verfolgungsgeist, die überhaupt andere Mittel zur Ausbreitung, der Wahrheit, als Belehrung, autorisirt, ist sicher nicht von Gott, denn der Wille Gottes ist dem Moralgesetze gemäss, und was diesem widerspricht, kann er weder wollen, noch kann er zulassen, dass jemand es als seinen Willen ankündige, der ausserdem auf seinen Befehl handelt.

Da zweitens alle besondere Fälle, in denen Moralgesetze eintreten, durch einen endlichen Verstand unmöglich a priori vorherzusehen, noch durch einen unendlichen, der sie vorhersieht, endlichen Wesen mitzutheilen sind, folglich keine Offenbarung alle mögliche besondere Regeln der Moral enthalten kann: so muss sie uns doch noch zuletzt entweder an das Moralgesetz in uns, oder an ein von ihr als göttlich aufgestelltes allgemeines Princip desselben, welches mit jenem gleichlautend sey, verweisen. Dies gehört schon zur Form, und eine Offenbarung, die dies nicht thut, kommt mit ihrem eignen Begriffe nicht überein, und ist keine Offenbarung. Ob sie das erstere, oder das letztere, oder beides thun wolle, darüber ist a priori kein Gesetz der Vernunft vorhanden.

Das allgemeine Kriterium der Göttlichkeit einer Religion in Absicht ihres moralischen Inhalts, ist also folgendes: Nur diejenige Offenbarung, welche ein Princip der Moral, welches mit dem Princip der praktischen Vernunft übereinkommt, und lauter solche moralische Maximen aufstellt, welche sich davon ableiten lassen, kann von Gott seyn.

Der zweite Theil des möglichen Inhalts einer Religion sind jene Sätze, welche als Postulate der Vernunft gewiss sind, und welche die Möglichkeit des Endzwecks des Moralgesetzes in sinnlich bedingbaren Wesen voraussetzt, welche also durch unsere Willensbestimmung zugleich mit gegeben, und durch welche hinwiederum gegenseitig unsere Willensbestimmung, erleichtert wird. Diesen Theil des Inhalts einer Religion nennt man Dogmatik, und kann ihn ferner so nennen, wenn man dabei nur auf die Materie desselben, und nicht auf die Beweisart sieht, und sich nicht durch diese Benennung, berechtigt glaubt zu dogmatisiren, d. i. diese Sätze als objectiv gültig darzustellen. Dass eine Offenbarung uns über dieselben nichts weiter lehren könne, als was aus den Principien der reinen Vernunft folgt, ist schon oben erwiesen. Hier ist also bloss noch die Frage zu erörtern: worauf kann eine Offenbarung unsern Glauben an diese Wahrheiten gründen? Es sind nach obigen Erörterungen noch folgende zwei Fälle möglich: Entweder die Offenbarung leitet sie von dem Moralgesetze in uns, das sie als Gesetz Gottes aufstellt, ab, und giebt sie uns dadurch nur unmittelbar als Zusicherungen Gottes; oder sie stellt sie unmittelbar als Entschliessungen der Gottheit, entweder schlechthin als solche, oder als Entschliessungen seines durch das Moralgesetz bestimmten Wesens auf, ohne sie noch besonders von diesem Gesetze abzuleiten. Die erste Art der Begründung unseres Glaubens ist dem Verfahren der Vernunft und Naturreligion ganz gemäss, und die Rechtmässigkeit desselben ist mithin ausser Zweifel. Bei der zweiten entstehen folgende zwei Fragen: Thut es unserer Freiheit, und also unserer Moralität nicht Abbruch, wenn wir die bloss postulirten Verheissungen des Moralgesetzes als Verheissungen eines unendlichen Wesens ansehen; und – müssen alle diese Zusicherungen sich nicht wenigstens hinterher vom Endzwecke des Moralgesetzes ableiten lassen? Was die erste anbelangt, so ist sogleich klar, dass, wenn eine Offenbarung uns Gott nur als den Alleinheiligen, als den genauesten Abdruck des Moralgesetzes dargestellt hat, wie jede Offenbarung das soll, aller Glaube an Gott Glaube an das in concreto dargestellte Moralgesetz ist. In Absicht des zweiten aber sind, wenn eine gewisse Lehre nicht vom Endzwecke des Moralgesetzes abzuleiten ist, wieder zwei Fälle möglich: entweder, sie lässt sich bloss nicht ableiten, oder sie widerspricht demselben.

Widersprechen gewisse dogmatische Behauptungen dem Endzwecke des Moralgesetzes, so widersprechen sie dem Begriffe von Gott, und dem Begriffe aller Religion; und eine Offenbarung, die dergleichen enthält, kann nicht von Gott seyn. Gott kann zu dergleichen Behauptungen nicht nur nicht berechtigen, sondern er kann sie, bei einem Zwecke, der der seinige ist, auch nicht einmal zulassen, weil sie seinem Zwecke widersprechen. Lassen sich aber einige nur nicht davon ableiten, ohne ihnen gerade zu widersprechen, so ist daraus noch nicht zu schliessen, dass die ganze Offenbarung nicht von Gott seyn könne; denn Gott bedient sich des Dienstes von Menschen, welche irren, welche sich selbst ein Hirngespinnst erdichten können, um es, vielleicht in wohlmeinender Absicht, neben göttliche Belehrungen zu stellen, und nach ihrer Meinung noch mehr Gutes zu stiften; und es ist ihm nicht anständig ihre Freiheit einzuschränken, wenn sie nur nicht einen seinem Zwecke geradezu entgegenstehenden Gebrauch davon machen wollen; aber das folgt sicher, dass alles von dieser Art nicht Bestandtheil einer göttlichen Offenbarung, sondern menschlicher Zusatz ist, von welchem wir keine weitere Notiz zu nehmen haben, als insofern sein Werth aus anderen Gründen erhellet. Dergleichen Sätze können, da sie einer moralischen Absicht ganz unfähig sind, meist nur theoretische Aufschlüsse versprechen: und wenn sie von übernatürlichen Dingen reden, werden sie meistens sich gar nicht denken lassen, weil sie nicht unter den Bedingungen der Kategorien stehen können. Stünden sie, als objective Behauptungen, darunter, so würden sie sich nicht bloss nicht ableiten lassen, sondern sie würden dem Moralgesetze sogar widersprechen, wie im folgenden § dargethan werden wird.

Eine Offenbarung kann endlich gewisse, mit grösserer oder geringerer Feierlichkeit verbundene, in Gesellschaft oder für sich allein zu gebrauchende Aufmunterungs- und Beförderungsmittel zur Tugend vorschlagen. Da alle Religion Gott nur als moralischen Gesetzgeber darstellt, so ist alles, was nicht Gebot des Moralgesetzes in uns ist, auch nicht das seinige, und es ist kein Mittel ihm zu gefallen, als durch Beobachtung desselben: diese Beförderungsmittel der Tugend müssen sich also nicht in die Tugend selbst, diese Anempfehlungen derselben müssen sich nicht in Gebote, die uns eine Pflicht auflegen, verwandeln, es muss nicht zweideutig gelassen werden, ob man etwa auch durch den Gebrauch dieser Mittel, oder vielleicht nur durch ihn, sich den Beifall der Gottheit erwerben könne, sondern ihr Verhältniss zu dem wirklichen Moralgesetze muss genau bestimmt werden. – Wenn ein weises Wesen den Zweck will, will es auch die Mittel, könnte man sagen; aber es will sie nur, inwiefern sie wirklich Mittel sind und werden, und, – da dieses in der Sinnenwelt anzuwendende Mittel sind, und wir mithin hier in den Bezirk des Naturbegriffs kommen, – es kann sie nur wollen, inwiefern sie in unserer Macht stehen. Es ist z.B. sehr wahr, und jeder Beter erfährts, dass das Gebet, es sey nun anbetende Betrachtung Gottes, oder Bitte oder Dank, unsere Sinnlichkeit kräftig verstummen macht, und unser Herz mächtig zum Gefühl, und zur Liebe unserer Pflichten emporhebt. Aber, wie können wir den kalten, keines Enthusiasmus fähigen Mann – und es ist sehr möglich, dass es deren gebe – verbinden, seine Betrachtung bis zur Anbetung emporzuschwingen, und zu begeistern; wie können wir ihn nöthigen, Ideen der Vernunft durch ihre Darstellung vermittelst der Einbildungskraft zu beleben, wenn subjective Ursachen ihn dieser Fähigkeit beraubten, da dieselbe eine empirische Bestimmung ist; wie können wir ihn nöthigen, irgend ein Bedürfniss so stark zu fühlen, so innig zu begehren, dass er sich vergesse, dasselbe einem übernatürlichen Wesen mitzutheilen, von dem er kalt denkend erkennt, dass ers ohne ihn weiss, und dass ers ohne ihn geben wird, wenn ers verdient und haben muss, und sein Bedürfniss keine Einbildung ist? – Dergleichen Beförderungsmittel sind also nur darzustellen als das, was sie sind, und nicht den durch das Moralgesetz unbedingt gebotenen Handlungen gleichzusetzen; sie sind nicht schlechthin zu gebieten, sondern dem, den sein Bedürfniss zu ihnen treibt, bloss anzuempfehlen; sie sind weniger Befehl, als Erlaubniss. Jede Offenbarung, die sie den Moralgesetzen gleichsetzt, ist sicher nicht von Gott; denn es widerspricht dem Moralgesetze, irgend etwas in gleichen Rang mit seinen Anforderungen zu setzen.

Welche Wirkungen aber auf unsere moralische Natur darf eine Offenbarung von dergleichen Mitteln versprechen, bloss natürliche, oder übernatürliche, d.i. solche, die nach den Gesetzen der Natur mit ihnen, als Wirkungen mit ihren Ursachen, nicht nothwendig verbunden sind, sondern bei Gelegenheit des Gebrauchs dieser Mittel, durch eine übernatürliche Ursache ausser uns, gewirkt werden? Lasst uns einen Augenblick das letztere annehmen, dass nemlich unser Wille durch eine übernatürliche Ursache ausser uns dem Moralgesetze gemäss bestimmt werde. Nun aber ist keine Bestimmung, die nicht durch und mit Freiheit geschieht, dem Moralgesetze gemäss, folglich widerspricht diese Annahme sich selbst, und jede durch eine solche Bestimmung erfolgte Handlung wäre nicht moralisch; könnte folglich weder das geringste Verdienst haben, noch auf irgend eine Art eine Quelle von Achtung und Glückseligkeit für uns werden; wir wären in diesem Falle Maschinen, und nicht moralische Wesen, und eine dadurch hervorgebrachte Handlung wäre in der Reihe unserer moralischen schlechterdings Null. – Wenn man aber dies auch zugeben müsste, wie man es denn muss, so könnte man noch weiter sagen: eine solche Bestimmung sollte, bei Gelegenheit des Gebrauchs jener Mittel in uns hervorgebracht werden, nicht, um unsere Moralität zu erhöhen, welches freilich nicht möglich wäre, sondern um durch die in uns übernatürlich hervorgebrachte Wirkung eine Reihe in der Sinnenwelt hervorzubringen, die für die Bestimmung anderer moralischen Wesen, nach Gesetzen der Natur, Mittel würde, und wobei wir freilich blosse Maschinen wären: dass aber Gott sich vielmehr unserer, als anderer, dazu bediene, hänge von der Bedingung des Gebrauchs jenes Mittels ab. – Jetzt ununtersucht, was denn das für einen Werth für uns haben könne, ob eben wir als Maschinen, oder ob andere Maschinen zur Beförderung des Guten gebraucht würden; kann auch in dieser Absicht keine Offenbarung allgemeingültige Verheissungen von dieser Art geben, denn wenn jeder die Bedingung derselben erfüllte, jeder dadurch eine fremde, übernatürliche Causalität in sich veranlasste, so würden dadurch nicht nur alle Gesetze der Natur ausser uns, sondern auch alle Moralität in uns aufgehoben. – Wir dürfen aber nicht schlechthin läugnen, dass nicht in besonderen Fällen dergleichen Wirkungen in dem Plane der Gottheit gewesen seyn könnten, ohne das Princip der Offenbarung überhaupt zu läugnen; wir dürfen ebensowenig läugnen, dass nicht einige dieser Wirkungen an Bedingungen von Seiten der Werkzeuge könnten gebunden gewesen seyn, weil wir das nicht wissen können; aber wenn in einer Offenbarung Erzählungen davon, Vorschriften und Verheissungen hierüber vorkommen, so gehören diese zur äusseren Form der Offenbarung, und nicht zum allgemeinen Inhalte derselben. Bestimmung durch übernatürliche Ursachen ausser uns hebt die Moralität auf; jede Religion also, die unter irgend einer Bedingung dergleichen Bestimmungen verspricht, widerspricht dem Moralgesetze, und ist folglich sicher nicht von Gott.

Es bleibt also der Offenbarung von dergleichen Mitteln nichts übrig zu versprechen, als natürliche Wirkungen. – So wie wir von Beförderungsmitteln der Tugend reden, sind wir im Gebiete des Naturbegriffes. Das Mittel ist in der sinnlichen Natur; das was dadurch bestimmt werden soll, ist die sinnliche Natur in uns; unsere unedlen Neigungen sollen geschwächt und unterdrückt, unsere edleren sollen gestärkt und erhöht werden; die moralische Bestimmung des Willens soll dadurch nicht geschehen, sondern nur erleichtert werden. Alles also muss nothwendig wie Ursache und Wirkung zusammenhängen, und dieser Zusammenhang muss sich klar einsehen lassen. – Es wird aber hierdurch nicht behauptet, dass die Offenbarung in Anspruch genommen werden könne, diesen Zusammenhang zu zeigen. Der Zweck der Offenbarung ist praktisch, eine solche Deduction aber theoretisch, und kann demnach dem eigenen Nachdenken eines jeden überlassen werden. Jene kann sich begnügen, diese Mittel, bloss als von Gott anempfohlen, aufzustellen. Nur muss sich dieser Zusammenhang hinterher zeigen lassen; denn Gott, der unsere sinnliche Natur kennt, kann ihr keine Mittel der Besserung anpreisen, die den Gesetzen derselben nicht gemäss sind. Jede Offenbarung also, welche Mittel zur Beförderung der Tugend vorschlägt, von denen man nicht zeigen kann, wie sie natürlich dazu beitragen können, ist, wenigstens inwiefern sie dies thut, nicht von Gott. – Wir dürfen hier die Einschränkung hinzusetzen: denn wenn solche Mittel nur nicht zu Pflichten gemacht werden; wenn nur nicht übernatürliche Wirkungen von ihnen versprochen werden: so ist ihre Anempfehlung nicht der Moral widersprechend, sie ist bloss leer und unnütz. 4)

 

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1)

Ich bitte jeden, dem die hier zu beweisende Behauptung noch anstössig vorkommt, auf das von hier an folgende besonders aufzumerken. Entweder die ganze Offenbarungskritik muss umgestossen, und die Möglichkeit einer theoretischen Ueberzeugung a posteriori von der Göttlichkeit einer gegebenen Offenbarung erhärtet werden (worüber man sich an § 5 zu halten hat); oder man muss den Satz: dass eine Offenbarung unsre übersinnliche Erkenntniss nicht erweitern könne, unbedingt zugeben. 

2)

Zu Ablehnung übereilter Consequenzen und unstatthafter Anwendun-gen merken wir nochmals ausdrücklich an, dass hier nur von als objectiv gültig angekündigten Sätzen die Rede sey, und dass vieles, was als Erweiterung unserer Erkenntniss des Uebersinnlichen aussehe, versinnlichte Darstellung unmittelbarer, oder durch Anwendung dieser auf gewisse Erfahrungen entstandener Vernunftpostulate seyn könne; dass es mithin, wenn es erweislich das ist, durch dieses Kriterium nicht ausgeschlossen werde. Der Erweis davon gehört aber nicht hierher, sondern in die angewandte Kritik einer besonderen Offenbarung. 

3)

So ist es freilich eine richtige Regel: Fasse nie einen Entschluss in der Hitze des Affects; aber diese Regel, als empirisch bedingt, kann sogar nicht auf Menschen allgemeine Anwendung haben, denn es ist wohl möglich, und soll möglich seyn, sich von allen aufbrausenden Affecten gänzlich frei zu machen. 

4)

Es folgt aber gar nicht, dass, weil ein gewisses Mittel für ein Subject, oder auch für die meisten von keinem Nutzen sey, es darum für niemanden einigen Nutzen haben könne; und man ist in den neueren Zeiten in Verwerfung vieler ascetischen Uebungen aus Hass gegen den in den älteren damit getriebenen Misbrauch, zu weit gegangen, wie mirs scheint. Dass es überhaupt gut und nützlich sey, seine Sinnlichkeit auch zuweilen da, wo kein ausdrückliches Gesetz redet, zu unterdrücken, bloss um sie zu schwächen und immer freier zu werden, weiss jeder, der an sich gearbeitet hat.