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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Theodor Fontane
Mathilde Möhring
 


 






 




E l f t e s  K a p i t e l

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     Hugo wußte nicht recht, ob er froh oder verstimmt sein sollte. So schwach war er nicht, um nicht einzusehn, daß Thilde mit ihm machte, was sie lustig war, und so uneinsichtig war er nicht, daß er das sehr Unheldische seiner Situation nicht herausgefühlt hätte. Ja, das hätte nicht sein sollen. Aber das waren nur kurze Anwandlungen, eigentlich war er froh, daß jemand da war, der ihn nach links oder rechts dirigierte, wie's grade paßte. Daß es gut gemeint war und daß er dabei vorwärtskam, empfand er jeden Augenblick, und was ihm über gelegentliche Mißstimmungen am besten forthalf, war die Beobachtung der Methode, nach der Thilde mit ihm verfuhr. In seinem ästhetischen Sinn, der sich an Finessen erfreuen konnte, sah er mit einem gewissen künstlerischen Behagen auf die Methode, nach der Thilde verfuhr, und freute sich der Erleichterungen, die das pädagogische Verfahren ihm unmittelbar gewährte. Es stand nämlich für Thilde fest, daß sie sich hüten müsse, seiner Tragekraft mehr zuzumuten, als diese doch nur schwache Kraft beim besten Willen leisten konnte, weshalb sie mit Klugheit und Geschick für Unterbrechungen Sorge trug oder, wie sie sich scherzhaft ausdrückte, für «Entrefilets», ein Wort, das sie sich aus Hugos etwas feuilletonistischem Sprachschatz angeeignet hatte. Wenn das Examinieren, das sie nach Möglichkeit in ein quickes Frage-und-Antwort-Spiel verwandelte, bedrücklich zu werden anfing und sich in Hugo[s] Zügen etwas von Ermüdung zeigte, so brachte sie ein Glas Tee oder Rotwein oder eine Ingwertüte, und während sie ihm daraus präsentierte und auch wohl selber ein Stückchen nahm und von den Molukken sprach, wo der Ingwer am besten eingemacht würde und wo sie von China her (oder vielleicht würden sie auch nachgemacht) auch die großen blaugeblümten Porzellankrüge hätten, glitt sie zu Tagesfragen über und las ihm von Christenverfolgungen in China vor oder von den Franzosen in Annam und Tonkin oder von dem Kriege, den die Holländer mit den Eingebornen führen müßten. Die Japaner seien den Chinesen doch weit voraus, und ein Volk, das solche Naturbeobachtung habe und solche Blumen und solche Vögel machen könne, das repräsentiere doch eine allerhöchste Kultur, was man jedem Teebrett absehen könne. Dabei wolle sie noch nicht einmal von dem Lack sprechen, der doch auch unerreicht dastehe. Dabei war Thilde groß in Übergängen, und wenn sie so mit Hülfe der Ingwertüte bei den Molukken und Japan und China begonnen hatte, war es ihr ein leichtes, sich bis zu Kroll und der Sembrich und sogar bis zu Rybinski zurückzufinden, und wenn sie dann noch was Pikantes, das sie eigens für Hugo sammelte, zum besten gegeben und ihn erfrischt hatte, sagte sie: «Nun aber, bricht Verkauf Miete oder nicht?»

     Und Hugo ging dann mit wiedergewonnener Kraft ins Feuer und antwortete mitunter so gut, daß Thilde ihre helle Freude hatte.

* * *

Die alte Möhring war immer dabei, schon weil sie nicht wußte, wo sie hinsollte. So kam Ende Januar heran, und als eines Abends um die zehnte Stunde Hugo das Zimmer verlassen und Thilde die Gläser und Tassen beiseite geräumt hatte, sagte die Alte, während sie sich auf eine Fußbank und mit dem Rücken an den Ofen setzte: «Sage mal, Thilde, lernt er denn gut?»

     Thilde: «O ganz gut, Mutter, eigentlich besser, als ich dachte.»

     Die Alte: «Ja, ja, es kommt mir auch so vor, und er is auch ein bißchen viviger, als er eigentlich is. Aber du kommst immer mit soviel dazwischen.»

     «Wie denn?»

     «Mit soviel von Theater und Bella. Mir is, was so zwischenkommt, immer das liebste, und wenn gar nichts zwischenkäme, so ging' ich zu Bett. Aber es is doch woll nich richtig, daß immer soviel zwischenkommt.»

     Thilde lachte. «Nein, Mutter, es ist ganz richtig so. Sieh mal, es ist so. Wenn ich heute noch nach Spandau gehen soll, na, dann zieh ich mir meinen Gummimantel über und nehme den Regenschirm und staple los; und in Charlottenburg lehne ich mich mal an und sehe nach 's Schloß rüber und was die Uhr ist, und um zwölf bin ich in Spandau, und um vier bin ich wieder hier und bringe dir deinen Kaffee.»

     «Ja, Thilde, das glaub ich schon. Aber was meinst du nu eigentlich?»

     «Und nu nimm mal [an], daß du gehen sollst, auch nach Spandau. Na, bis vors Brandenburger Tor kommst du mit einem Zug, und dann setzt du dich auf die erste Bank, gleich da, wo die kleinen Springbrunnen sind. Und wenn du dich ausgeruht hast, dann geht es weiter, [dann] kommst du bis an den Kleinen Stern und dann bis an den Großen Stern und dann bis an die Chausseehäuser. Und überall ist 'ne Bank und kannst dich ausruhn, und so kommst du nach Spandau. Sagen wir gegen Abend. Aber du kommst doch an. Und ohne Ruhebank wärst du liegengeblieben und gar nicht angekommen.»

     «Ja so, nu versteh ich. Ohne die Banke kommt er nich an. Na, wenn er bloß ankommt.»

     Thilde: «Er wird schon.»

* * *

Und richtig, es kam. Hugo bestand. Er hatte zwar nur das Notdürftige gewußt, es trotzdem aber erzwungen. Dasitzend wie Hus auf dem Konzil zu Kostnitz, ernst, schwärmerisch und bescheiden, halb tapfer und halb angstvoll, war es diese Haltung gewesen, die schließlich alles zum Guten geführt hatte. Seine Persönlichkeit hatte gesiegt. Einer der Herren Examinatoren nahm ihn beiseite und sagte: «Lieber Großmann, es war alles gut, ich gratuliere Ihnen.»

     In einem merkwürdigen Seelenzustande, gehoben und doch auch gedrückt (gedrückt, weil er an die Zukunft dachte), kam er nach Haus und sah sich dieser Stimmung erst entrissen, als er hier Mutter und Tochter begegnete. Thilde, deren Auge leuchtete, blieb verhältnismäßig ruhig, der Gefahr aber, von der Alten geküßt zu werden, entging er nur mit genauer Not im letzten Augenblicke durch Rückzug in sein Zimmer. Mutter Möhring war das nicht recht, und weil sie wie die meisten alten Berlinerinnen das Bedürfnis der Aussprache hatte, mußte nun Thilde alles mit anhören, was der Alten auf der Seele brannte. «Gott sei Dank, Thilde, nu kann man doch wieder ruhig schlafen und weiß auch, was aus einem wird. Denn gut is er doch eigentlich und wird eine alte Frau nich umkommen lassen.»

* * *

Hugo schrieb Briefe nach Haus und auch ein paar Zeilen an Rybinski, um ihn wissen zu lassen, daß alles gut abgelaufen.

     Als er gegen sieben wieder hinüberging, fand er ein kleines Souper vor, das Thilde samt einer Flasche Rüdesheimer, mit einer aufgeklebten Rheingaulandschaft als Beweis ihrer Echtheit, aus einem benachbarten großen Restaurant herbeigeschafft hatte. Das Aufmerksame, das darin lag, und beinah mehr noch der gute Geschmack, mit dem alles arrangiert worden war, blieben nicht ohne Wirkung auf Hugo, der sich plötzlich von dem Gefühl ergriffen sah, doch vielleicht in seinem dunklen Drange das Rechte getroffen zu haben; gewiß, es waren einfache Menschen, etwas unter Stand, doch gut und ordentlich und zuverlässig, und alles andre war ja nur Schein, Plattiertheit, und er reichte über den Tisch hin Thilden die Hand, wie wenn er sagen wollte: «Wir verstehen uns.» Dann ließ er sich's schmecken, und als er den sich wiederholenden Widerstand der alten Möhring, die jedesmal die Hand über das Glas hielt, endlich siegreich aus dem Felde geschlagen und auch ihr von dem goldgelben Wein eingeschenkt hatte, verstieg er sich bis zu einem launigen Toast, darin er die gute Möhring mit dem guten Examinator geschickt verglich und verband und beide leben ließ. Nach Tisch brachte Thilde den Kaffee, der zu Ehren des Tages von einer Extrastärke war. «Höre, Thilde, der geht aber ins Blut; ich kriege dann immer solch Jucken.»

     «Ach, laß nur, Mutter, wenn er nur schmeckt.»

     «Ja, schmecken tut er, und stark is er, oder wie Möhring immer sagte: ‹Mutter, da is keine Bohne vorbeigesprungen.› Jott, wenn ich so an Vatern denke; was würde der woll gesagt haben.»

     Und nun mußte sich Hugo in einen Großvaterstuhl setzen und genau berichten, wie's eigentlich gewesen wäre, ja, Thilde fragte sogar, ob er auch nicht zu sicher geantwortet hätte, sie habe mal gehört, das könnten die Herren nicht leiden. Hugo beruhigte sie hierüber, und als alles erzählt und im Vorbeigehn auch erwähnt war, daß er gleich an seine Mutter und Schwester nach Owinsk hin geschrieben habe, kam er überhaupt auf Owinsk und seine Jugend und sein elterliches Haus zu sprechen und welch forsches Leben sie da geführt hätten. Burgemeister und Apotheker und Rechtsanwälte, die lebten immer am forschesten, weil sie das meiste Geld hätten, und eigentlich sei solch kleinstädtisches Leben viel vergnüglicher als ein Leben in der großen Stadt, denn immer sei was los, und wenn sie nicht Skat spielten, so spielten sie Theater, und wenn nicht Ball wäre, so wäre Schlittenbahn, und dann bimmelte das Schellengeläut den ganzen Nachmittag, und die Schneedecken flögen, und die hübschen Frauen, denn in den kleinen Städten gäbe es immer hübsche Frauen, hätten die Hand im Muff und, wenn es sehr kalt wäre, auch die Hand von ihrem Partner dazu.

     «Jott», sagte die alte Möhring, «was heißt Partner? wo sind denn die richtigen Männer, die dazu gehören?»

     «Die sind in einem andern Schlitten.»

     Hugo plauderte noch so weiter, und es gelang ihm, auch Thilden ein kleines Lächeln abzugewinnen. Die Moralia von Owinsk waren ihr um so weniger ängstlich, als sie sich überzeugt hielt, daß ihres Bräutigams Hand nie in solchem Muff gesteckt hatte. Hugo malte nur gern so was aus, weil er es hübsch fand, aber es lag nicht in ihm, solche Bilder in Taten umzusetzen. All das wußte Thilde recht gut, die denn auch, statt sich mit Eifersucht zu quälen, aus Hugos Schilderungen des Owinsker Lebens nur das heraushörte, was sie für ihre eignen Pläne brauchen konnte. Was immer in ihr festgestanden hatte, daß Hugo in eine kleine Stadt und nicht in eine große gehöre, das stand ihr jetzt fester denn je.

     Hugo selbst zog sich früh zurück, es konnte kaum neun sein, denn wenn auch siegreich, es war doch ein heißer Tag gewesen. Aber er mochte noch nicht schlafen und ging auf und ab in seinem Zimmer. Alles in allem war ihm nicht sehr siegerhaft zumut. Er war nun Referendar, alles ganz gut, aber nun blieb noch der Assessor, und wenn er daran dachte, daß diese zweite Weghälfte notorisch viel, viel steiniger sei, so überkam ihn dasselbe Angstgefühl wieder, das er schon auf dem Heimwege von der Examinationsstätte bis zur Georgenstraße gehabt hatte. Mit Thilde war nicht zu spaßen; und er rechnete mit halber Gewißheit darauf, daß Thilde vielleicht morgen schon das am Neujahrstage mit ihm geführte Gespräch wiederholen und ihm zum zweiten Mal die Epistel lesen würde, vielleicht unter Wiederbewilligung einer Ferienwoche. Dann nahm das Repetieren bei Tag und das Frag-und-Antwort-Spiel bei Abend wieder seinen Anfang, und er erschrak davor und zweifelte, daß er's überwinden werde. Vielleicht wär es besser gewesen, er wäre durchgefallen, dann war die ganze Quälerei vorbei. Verlobt war er freilich, aber doch erst ein Vierteljahr, das wollte nicht viel sagen, und am Ende - mußt es denn grade die Juristerei sein, die so gar nicht zu ihm paßte, weil alles so steif und hölzern war. Rybinski lebte doch auch. Und wenn er auf der Posener Bahn fuhr (dessen entsann er sich jetzt mit Vorliebe) und an den kleinen Stationen vorüberkam, wo das Bahnhofsgebäude halb in wildem Wein lag und der Bahnhofsinspektor in seiner roten Mütze den Zug abschritt, während eine junge Frau mit einem Blondkopf neben sich halb neugierig und halb gelangweilt aus dem Fenster der kleinen Beletage sah, Gott, da war ihm schon manch liebes Mal der Gedanke gekommen: ja, warum nicht Bahnhofsinspektor? Und dieser Gedanke kam ihm wieder. Und wenn nicht Bahnhofsinspektor, warum nicht Schuppeninspizient oder Telegraphist; das bißchen Tippen muß sich doch am Ende lernen lassen, und mitunter kommt auch mal ein interessantes Telegramm, und man gewinnt Einsicht in allerlei.

     Diesen Betrachtungen hingegeben, wurd er ruhiger und schlief ein. Aber am andern Morgen war die alte Sorge wieder da, und er war verlegen, als ihm Thilde seinen Kaffee, den er noch immer allein nahm, in sein Zimmer brachte.

     «Guten Morgen, Hugo. Sieh, wie prächtig die Sonne scheint, das ist dir zu Ehren. Und es ist auch warm draußen, du solltest spazierengehn und dich nach all den Strapazen erholen. Denn wenn einer auch noch so tapfer ist» (und sie lächelte dabei), «vor einem Examen hat doch jeder Furcht. Gehen macht wieder frisch, und bring uns ein paar Neuigkeiten mit. Ich glaube, deine ‹Tochter der Luft› ist nicht mehr da, sonst ließe sich darüber reden, und wir könnten heut abend vielleicht hingehn, Heute vormittag muß ich in die Stadt. Soll ich dir etwas mitbringen? Oder hast du auf was Appetit? Mein lieber alter Mensch, du bist doch recht blaß geworden.» Und dabei gab sie ihm einen Kuß mit ihren schmalen Lippen und ging dann und nickte ihm von der Tür her noch mal freundlich zu.

     «Merkwürdiges Mädchen», sagte Hugo, «so gut und so tüchtig; aber Küssen is nicht ihre Force. Nu, man kann nicht alles verlangen, und jedenfalls bin ich froh, daß sie nich gleich wieder davon angefangen hat. Es wird wohl nur eine Galgenfrist sein. Aber wieviel Tage hat denn das Leben? Und ein Tag ist schon immer was.»

* * *

Hugos Befürchtungen schienen sich nicht erfüllen zu sollen. Das Examen war Ende März gewesen, und schon war Mitte April, ohne daß Thilde von Assessor-Examen und Vorbereitung dazu gesprochen hätte. Sie ließ es gehn, war voll kleiner Aufmerksamkeiten, unter denen Stückevorlesen aus klein gedruckten Reclamschen Zwei-Groschen-Ausgaben obenan stand, und hatte sich nur darin geändert, daß sie minder häuslich schien als früher und jeden Vormittag ein paar Stunden in der Stadt war. Hugo selbst kümmerte sich nicht darum und auch kaum die Alte, bis diese eines Tages fragte «Thilde, du bist jetzt immer gerade weg, wenn die Runtschen kommt und reine macht. Ich will nichts sagen, aber sie rennt immer gegen, weil sie nich sehen kann, und schlägt alles entzwei, heute wieder die grüne Lampenglocke.»

     «Ja, das is schlimm, Mutter.»

     «Wo gehst du denn eigentlich immer hin, Thilde?»

     «Lesehalle für Frauen.»

     «Und da?»

     «Da les ich Zeitungen.»

     «Aber Hugo kriegt ja doch jeden Tag eine.»

     «Freilich. Aber eine is nicht genug; ich brauche viele.»

     «Na, wenn du meinst; für mich wär es nichts.»

     Und dabei blieb es. Die Alte kam nicht wieder darauf zurück, bis eine Woche später diese halb geheimnisvolle Zeitungsleserei, auch ohne weitre Frage, ihre Erklärung fand.

     Es war ein Sonntag, an welchem Tage die Lesehalle nur von elf bis eins auf war, und um eineinhalb war Thilde wieder zu Haus.

     «Guten Tag, Mutter. Es riecht ein bißchen nach verbrannt. Du hast wohl nich recht nachgesehn. Na, Hugo merkt es nicht. Und wenn auch, er ißt ja die verbrannten Stellen am liebsten und sagt dann bloß immer: ‹Da is nu alles Animalische raus.›»

     «Ja, ja, so was sagt er, und ich hab ihn schon immer danach fragen wollen. Aber dann dacht ich auch wieder, ‹lieber nich›.»

     «Und das war auch am besten so. Nicht fragen ist immer besser. Aber bist du denn gar nich in die Küche gekommen?»

     «Ja, Thilde, jetzt eben. Und da hab ich es auch gleich gemerkt und hab ein paar Kohlen rausgenommen und hab auch aufgegossen. Und geärgert hab ich mich auch, denn es kost' ja soviel, aber ich konnte nicht eher rausgehn, weil die Schmädicke hier war.»

     «Na, die hätt auch wegbleiben können. Die Schmädicke bedeutet nie was Gutes und kommt immer bloß aus Neugier oder aus Boshaftigkeit und um einem armen Menschen einen Floh ins Ohr zu setzen.»

     «Ach, Thilde, da tust du ihr aber unrecht, wenigstens heute. Sie kam bloß, um uns zu gratulieren von wegen Hugos Examen, und wann denn nu Hochzeit sei . . .»

     «Und da hast du gesagt, noch lange nich. Nich wahr? Kann ich mir denken. Denn du bist ewig in einer Todesangst und glaubst immer noch, es wird nichts werden und alles ist umsonst gewesen und alles ausgegeben. Das is immer deine Hauptangst. Und wenn du diese Angst kriegst, dann machst du dich klein und jämmerlich und auch vor solcher Person wie diese Schmädicke, diese spitznasige Posamentierswitwe.»

     «Nein, Thilde, das hab ich nich gesagt, ich habe nicht gesagt ‹noch lange nich›, ich habe bloß gesagt, ich wüßte es nich, aber du tätest mitunter so, als ob es woll bald losgehen würde.»

     «Und da? Was sagte sie da?»

     «Nu, da sagte sie: ‹Ja, liebe Frau Möhring, manche haben Courage. Referendar is nich viel und eigentlich bloß ein Anfang, aber aller Anfang is schwer, und so kann man sagen, es is immer was, und Minister wird er ja woll nich werden wollen. Oder vielleicht doch. Und Jott, wenn ich mir denn Thilden denke . . .›»

     «Das sagte sie?»

     «Ja, Thilde, so was war es.»

     «Unverschämte Person. Und dumm dazu. Diese verflossene Gimpen-Madam. Aber sie wird sich wundern, wenn wir ihr die Hochzeitsanzeige schicken.»

     «Ach Thilde, rede doch nich so was. Wenn man so was redt, dann beredt man's, und es wird nie was. Und es hat doch schon soviel gekostet, und ich weiß mitunter gar nich, wo's immer noch herkommt.»

     «Ja, Mutter, ich kann hexen.»

     «Jott, Kind, nu redst du auch noch so. Wenn man den Deibel ruft, is er da. Und zum Spaß darfst du doch so was nich sagen in einer so ernsthaftigen Sache. Vater sagte auch immer: ‹Ja, die Leute glauben, es is ein Vergnügen; aber es is kein Vergnügen, und der Hochzeitstag ist der ernsthafteste Tag, und manche, die sich nich recht trauen, sehen auch schon so aus.› Und nu sprichst du von Hexen und tust, als ob alles schon da wäre und als ob es zu Johanni losginge.»

     «Geht es auch, Mutter.»

     «Jott, Thilde, das fährt mir ja in alle Glieder. Denn du stehst ja so da, wie wenn du's alles schon in der Tasche hättest . . .»

     «Hab ich auch.»

     Und dabei holte Thilde einen halben, zweimal zusammengefalteten Konzeptbogen aus der Kleidertasche, schlug ihn auseinander und sagte: «Nu lies mal, Mutter.»

     «Ach, wie kann ich denn lesen, und alles mit Bleistift geschrieben, und ohne Brille.»

     «Nun, dann höre zu, dann will ich lesen.»

     Und Thilde las: «Qualifizierte Personen . . . verstehst du, Mutter?»

     «O ganz gut, lies nur weiter.»

     «Qualifizierte Personen, das heißt Personen, die mindestens das erste Staatsexamen bestanden haben und darüber vollgültige Zeugnisse vorlegen können, werden, bei Geneigtheit, hierdurch aufgefordert, sich um die Burgemeisterstelle unsrer Stadt zu bewerben. Gehalt 3000 Mark bei freier Wohnung und einigen andern Emolumenten. Aspiranten werden ersucht, ihre Zeugnisse einzusenden, wenn sie nicht vorziehen, sich den Unterzeichneten gleich persönlich vorzustellen.
          Magistrat und Stadtverordnete zu
          Woldenstein in Westpreußen.»

* * *

Die Alte war an die Chaiselongue gegangen und ließ sich darauf nieder, was sie sonst immer vermied, namentlich seit das Wertstück durch Hugos fünfwöchentliche Krankheit etwas gelitten hatte. «Jott, Thilde, is es denn möglich? Du bist doch ein und aus. Von Hexen red ich nich, denn fliegt es wieder weg. Aber hat er denn die Stelle schon? Es gibt ja doch woll so viele. Und wenn er auch ein sehr schöner Mann is und den Augenaufschlag hat, daß man gleich denkt, ‹nu liest er die Sonntags-Epistel› - ja, ich denke mir, es gibt so viele so. Und manche sind flinker wie er und schnappen's ihm weg . . .»

     «Das laß nur gut sein, Mutter. In Flinkigkeit soll ihm diesmal keiner über sein. Er muß noch heute weg mit 'm Nachtzug. Woldenstein liegt eine Stunde von der Bahn, und ein Omnibus wird doch wohl dasein. Um fünf ist er auf der Station und um sechs in Woldenstein in Westpreußen. Ein Gasthof ‹Zum braunen Roß› oder irgend so was wird doch wohl dasein, ich denke mir, dem Rathaus grade gegenüber, und da kann er bis zehn noch schlafen. Denn ausschlafen muß er erst, sonst is er nich zu brauchen. Und dann frühstückt er und macht sich fein, und um Schlag zwölf tritt er an und macht seine Verbeugung. Und ich will nicht Thilde heißen, wenn sie nich gleich alle sagen: ‹Natürlich, der muß es werden.› Und der Neid von der alten Schmädicke hilft auch noch, und den Tag nach Johanni hat sie die Karte.»
 
 
 
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