BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Allemannische Gedichte

Für Freunde ländlicher Natur und Sitten

 

1803

 

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[45]

 

Der Morgen-Stern.

(mit einer Melodie.)

 

Woher so früeih, wo ane scho,

Her Morge-Stern, enanderno

in diner glitzrige Himmels-Tracht,

in diner guldige Locke Pracht,

mit dinen Auge chlor und blau

und sufer g'wäschen im Morge-Thau?

 

Hesch gmeint, de seigsch elleinig do?

Nei weger nei, mer meihe scho!

Mer meihe scho ne halbi Stund;

früeih ufsto isch de Gliedere gsund,

es macht e frische, frohe Muth,

und d' Suppe schmeckt eim no so gut.

 

's git Lüt, sie dose frili no,

sie chönne schier nit use cho.

Der Mähder und der Morge-Stern

stöhn zitli uf, und wache gern,

und was me früeih um Vieri thut,

das chunnt eim z' Nacht um Nüni gut.

 

Und d' Vögeli sin au scho do,

sie stimmen ihri Pfifli scho,

und uffem Baum und hinterm Hag

seit eis im andere Gute Tag!

und 's Turtel-Tübli ruukt und lacht,

und 's Betzit-Glöckli isch au verwacht.

 

«Se helfis Gott, und gebis Gott

e gute Tag, und bhütis Gott!

Mer beten um e christlig Herz,

es chunnt eim wohl in Freud und Schmerz;

wer christli lebt, het frohe Muth:

der lieb Gott stoht für alles gut.»

 

Weisch Jobbeli, was der Morge-Stern

am Himmel sucht? Me seits nit gern!

Er wandlet imme Sternli no,

er cha schier gar nit vonnem lo;

doch meint si Mutter, 's müeß nit sy,

und thut en wie ne Hüenli i.

 

Drum stoht er uf vor Tag, und goht

si'm Sternli no im Morgeroth;

er sucht, und 's wird em windeweh,

er möcht em gern e Schmützli ge,

er möcht em sagen: I bi der hold!

es wär em über Geld und Gold.

 

Doch wenn er schier gar bynem wär,

verwacht si Mutter handumcher,

und wenn sie rüeft enanderno,

sen isch mi Bürstli niene do.

Druf flicht sie ihre Chranz ins Hoor,

und lueget hinter de Berge vor.

 

Und wenn der Stern si Mutter sieht,

se wird er todesbleich und flieht,

er rüeft si'm Sternli: Bhütdi Gott!

es isch, aß wenn er sterbe wott.

Jez Morge-Stern hesch hohi Zit,

di Mütterli isch nümme wit.

 

Dört chunnt sie cho, i ha's io gseit,

in ihrer stille Herlichkeit.

Sie zündet ihri Strahlen a,

der Chilch-Thurn wärmt si au scho dra,

und wo si fallen in Berg und Thal,

se rüehrt si 's Leben überal.

 

Der Storch probirt si Schnabel scho,

«de chaschs perfekt, wie gester no!»

Und d' Chemi rauchen au alsgmach;

hörsch 's Mühli-Rad am Erle-Bach,

und wie im dunkle Buche-Wald

mit schwere Streiche d' Holz-Ax fallt?

 

Was wandlet dört im Morge-Stral

mit Tuch und Chorb dur's Matte-Thal?

's sin d' Meidli iung, und flink und froh,

sie bringe weger d' Suppe scho,

und 's Anne Meili vornen a,

es lacht mi scho vo witem a.

 

Wenn ich der Sunn ihr Büebli wär,

und 's Anne Meili chäm ungfähr

im Morgeroth, ihm giengi no,

i müeßt vom Himmel abe cho,

und wenn au d' Muetter balge wott,

i chönnts nit lo, verzeihmers Gott!