BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

I. Theil

 

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27.

Jephtha.

 

Zu einer andern Zeit fielen die Ammoniter in Israel ein, in der Landschaft Gilead, jenseits des Jordans. Die Israeliten bezogen ein Lager gegen sie, aber es war niemand da, der den Muth gehabt hätte, sich an die Spitze zu stellen, um den Feind anzugreifen. Sie kamen überein, daß derjenige, der den Angriff unternehmen würde, das Oberhaupt über sie alle seyn sollte. Aber auch so trat niemand hervor, der den Muth dazu gezeigt hatte, und es mochte damals mehr als einer zu dem andern gesagt haben: «wenn wir den verstoßenen Jephtha wieder bei uns hätten, er wäre der Mann, der uns retten könnte.» Jephtha war ein Jahr vorher von seinen Brüdern aus dem Hause des Vaters verstoßen worden, aus Eigennutz und Feindschaft. Er war nicht der Sohn ihrer Mutter, deßwegen wollten sie ihn auch nicht theilen lassen an dem väterlichen Erbe. Niemand in Gilead nahm sich seiner an. Er floh aus seiner Heimath und von seinem Volk in eine fremde Landschaft, und nährte sich daselbst nach der Sitte jener Zeit durch seine Tapferkeit, so gut er vermochte. Deßwegen sagten sie: «wenn Jephtha wieder käme, er könnte uns retten.» Eigennutz und Unverstand bereitet sich gar oft seine eigene Reue und Beschämung. Als sie sich nicht mehr zu helfen wußten, schickten sie Boten an den verstoßenen und verlassenen Jephtha, daß er wieder zu ihnen kommen, und ihr Feldhauptmann und Oberhaupt werden möchte.

Wenn dein Bruder an dir gesündigt hat, und kommt wieder und spricht: «es reuet mich» so sollst du ihm vergeben.

Jephtha war, ungeachtet seines Schicksals, von Natur ein gar feiner Mann, und eben so hochherzig und friedliebend als tapfer. Zwar sprach er anfänglich mit den Boten, wie einem schwer beleidigten Gemüth wohl zu sprechen geziemt: «Seyd ihr es nicht, die mich hassen, und aus meines Vaters Hause gestoßen haben? Warum kommt ihr nun in eurer Trübsal zu mir?»

Als er aber vernahm, in welcher Noth sie seyen, und daß sie alles wieder gut machen wollten, dachte er nicht mehr an die erlittene Beleidigung, sondern an das Vaterland, und folgte ihrer Einladung. Aber ein Mann, wie der hochherzige Jephtha war, will nicht sogleich zu den Waffen greifen und Blut vergießen. Bereitwilligkeit zum Frieden, ist die schönste Zierde und das schönste Zeichen der wahren Herzhaftigkeit, die nicht früher angreift, als sie muß. Jephtha schickte zweimal Boten an den König von Ammon, daß er die Ungerechtigkeit seines Angriffs erkennen, und im Frieden seinen Rückzug nehmen sollte. Als aber der König sein Unrecht nicht erkannte und die Rede des Jephthas nicht anhörte, beschloß Jephtha eine Schlacht – es blieb ihm keine Wahl mehr übrig.

In der Schlacht siegte er mit kräftigem Schwerdt, schlug die Feinde bis über die Grenze, und befreite sein unglückliches Vaterland, und die, welche ihn zuerst aus demselben in die Fremde hinaus verstoßen hatten. O daß der fromme edle Held ein einziges unvorsichtiges Wort nie gesprochen hätte! Vor der Schlacht hatte er das Gelübde ausgesprochen, wenn er siegreich nach Hause zurückkommen würde, so wolle er das erste, was ihm zu seiner Hausthüre heraus begegnen würde, dem Herrn heiligen und ihm opfern, und dachte in der Bewegung seines Herzens nicht daran, daß er der Vater eines einzigen Kindes sey. Daheim bereiteten sie ihm eine ehrenvolle Ankunft und eine fröhliche Bewillkommung, und als er nahe bei seinem Hause war, trat ihm zu seinem Entsetzen an der Spitze der Frauen und Jungfrauen, welche ihn begrüßen wollten, zuerst seine Tochter entgegen, sein einziges Kind. Man hielt es schon damals für eine schwere Gewissenssache, ein Gelübde zu brechen, das man Gott gethan hatte, und es ist auch eine Gewissenssache, und die Folge einer unnöthigen Verwegenheit. Gott will nur mit Dank und kindlichem Vertrauen geehret seyn, mit Liebe und Gehorsam, nicht mit Gaben und Opfer. Als Jephtha seine Tochter erblickte, und an sein Gelübde dachte, zerriß er vor Schrecken sein Gewand. Er sprach zu ihr mit zarten Worten: «Ach meine Tochter, wie betrübst du mich! Ich habe meinen Mund aufgethan gegen den Herrn, und kann es nicht mehr zurücknehmen.» Die Tochter, eben so zarten Sinnes wie ihr Vater, verstand seine Worte und erwiederte mit kindlicher Ergebenheit: «Mein Vater, hast du deinen Mund aufgethan, so thue mir, wie es aus deinem Munde gegangen ist, nachdem der Herr dich gerächet hat an deinen Feinden.» – Jephtha erfüllte sein Gelübde uud, herrschte hernach sechs Jahre lang bis an seinen Tod über die Israeliten in Gilead.

Also weckte der Herr dem bedrängten Volk von Zeit zu Zeit Helden und Heilande. Aber der Verheißene aus der Nachkommenschaft Abrahams, in welchem alle Volker sollen gesegnet werden, kommt noch lange nicht. Wiewohl es fängt bereits von weitem an etwas zu werden.