BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Georg Herwegh

1817 - 1875

 

Neue Gedichte

 

posthum 1877

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Politische Gedichte

(1844 – 75)

 

Zukunftslied.

(Sommer 1844)

Übermüt'ge Triumphierer,

Weh euch, wenn ihr's noch nicht fühlt,

Wie der treffliche Minierer

Schon den Boden unterwühlt,

5

Daß ihr in der Geisterstunde

Kläffend unser Ohr zerreißt! –

Doch wir wissen, ihr seid Hunde,

Und ihr glaubt an keinen Geist.

 

Aber kommen wird ein Pfingsten

10

Donnernd über euer Haupt

Und ein Festtag der Geringsten,

Der des Hochmuts Stamm entlaubt.

Der sich lange selbst vergessen,

Ist am Ziel der Unglücksbahn,

15

Und der Mensch, der sie durchmessen,

Kommt beim Menschen endlich an.

 

Fort mit eurer Ahnenbilder

Übernächtigem Gesicht!

Geht und pflanzt in eure Schilder,

20

Ritter, ein Vergißmeinnicht!

Nur  e i n  Ritter ohne Tadel,

Nur  e i n  Priester soll noch sein:

Für die ganze Welt den Adel!

Für die Menschheit Brot und Wein!

 

25

Keine Steuern, keine Zölle,

Des Gedankens Freiverkehr!

Keinen Teufel in der Hölle,

Keinen Gott im Himmel mehr!

Nieder mit dem Blutpokale,

30

Drin der Kirche Wahnwitz kreist!

Ein Kolumb zerbricht die Schale,

Wenn er eine Welt beweist.

 

Einmal noch uns aufzuraffen

Zu des Lebens Maienlust,

35

Reißen wir das Schwert der Pfaffen

Aus der Menschheit wunder Brust!

Zwischen Jägern und Gehetzten

Sei entbrannt die wilde Schlacht,

Bis man Frieden auf dem letzten

40

Eingestürzten Tempel macht.

 

Zittert, zittert, blöde Toren,

Vor der Zukunft eh'rnem Tritt –

Ja, die Zeit ist neu geboren,

Ja, und ohne Kaiserschnitt;

45

Und erobert wird das Leben,

Und wir jubeln Gloria:

Alle Schulden sind vergeben,

Denn kein Gläubiger ist da.

 

Durch die Wolken seh ich's tagen,

50

Und die Nebel, sie verwehn;

Mit dem Pegasus am Wagen

Muß es endlich vorwärtsgehn.

Eine Phalanx laßt uns schlingen,

Die kein Henker brechen kann,

55

Und wie jener Römer singen,

Nur: die Waffen und den Mann!

 

Ungestüm in tausend Gliedern,

Tausend Adern glüht der Streit,

Und ein Arsenal von Liedern

60

Liegt in Deutschland kampfbereit.

Denn wir wissen, die Erhörung

Wird kein Flehender empfahn:

Drum die Fahne der Empörung

Trag die Poesie voran!

 

 

Veni, creator spiritus!.

(1845)

O sprich, was soll es werden

Mit dir, du deutscher Geist!

Du bist ja auf der Erden

Entfremdet und verwaist!

5

Laß sehn, ob du noch reißen

Dich magst aus deinem Bann

Und ob der Stein der Weisen

Noch Funken geben kann!

 

Wirf ab die Wolkenhülle,

10

Wirf ab dein himmlisch Kleid,

Und stürz dich in die Fülle

Der ganzen Sterblichkeit,

Steig ins gemeine Leben

Von deinem kalten Thron,

15

Ins Leben und ins Streben

Von einer Nation.

 

Du hattest dich so scheue

In Pergament verbaut;

Da schliefst du wie ein Leue

20

In einer Eselshaut –

Wir können solche Pfiffe

Bei Löwen nicht verstehn;

O Löwe, laß die Griffe

Statt der Begriffe sehn.

 

25

Zerreiß, o Geist, die Netze,

Drein dumpfer Wahn uns flicht;

Du gabst genug Gesetze,

Oh, halte dein Gericht!

Fall in die schnöden Horden,

30

Ein zündender Wetterstrahl,

Die mit dem Golde morden,

Und heile mit dem Stahl!

 

O Freiheit, Glutgedanke,

Erschaffe deine Welt,

35

Und brich die letzte Schranke,

Die dich gefangenhält;

Nicht mehr mit mildem Glanze

Umleuchte unsre Stirn,

Im Kriegsschmuck, mit der Lanze

40

Spring aus des Denkers Hirn!

 

Hervor aus deiner Stille,

Darin du brütend liegst!

Hinaus, ein Riesenwille,

Damit du endlich siegst!

45

Als freie Tat, o Wonne,

In die Welt mit kühnem Schwung,

Wie eine rote Sonne

Aus bleicher Dämmerung!

 

Wir müssen uns verwandeln,

50

Die Puppenzeit ist aus,

Wir müssen nun im Handeln,

In einem letzten Strauß

Der Schwingen Kraft ermessen;

Der Herbst der Rede naht:

55

Frisch auf, ihr deutschen Pressen,

Und keltert eine Tat!

 

 

O wag es doch nur einen Tag!

(Januar 1845)

Frisch auf, mein Volk, mit Trommelschlag

Im Zorneswetterschein!

O wag es doch, nur einen Tag,

Nur einen, frei zu sein!

5

Und ob der Sieg vor Sternenlicht

Dem Feinde schon gehört –

Nur einen Tag! es rechnet nicht

Ein Herz, das sich empört.

 

O wart in deiner tiefen Not

10

Auf keinen Ehebund;

Wer liebt, der gehet in den Tod

Für eine Schäferstund:

Und wer die Ketten knirschend trug

Dem ist das Sterben Lust

15

Für  e i n e n  freien Atemzug

Aus unterdrückter Brust.

 

Laß deine Weisen fort und fort

Nur Tod und Schrecken sehn,

Dem Volk soll vor Prophetenwort

20

Der Ruf der Ehre gehn.

Horch auf, der letzte Würfel fällt,

Dein Abend, er ist nah,

Noch  e i n m a l  stehe vor der Welt

In deiner Größe da!

 

25

O tilg nur  e i n e n  Augenblick

Aus deiner Sklaverei,

Und zeig dem grollenden Geschick,

Daß sie nicht ewig sei;

Erwach aus deinem bösen Traum:

30

Reif ist, die du gesucht,

Und schüttle nicht zu spät vom Baum,

Wenn sie gefault, die Frucht.

 

Wach auf! wach auf! die Morgenluft

Schlägt mahnend an dein Ohr –

35

Aus deiner tausendjähr'gen Gruft

Empor, mein Volk, empor!

Laß kommen, was da kommen mag:

Blitz auf, ein Wetterschein!

Und wag's, und wär's nur  e i n e n  Tag,

40

Ein freies Volk zu sein!

 

 

Für Polen

(März 1846)

Das Lied vorn Rhein – es klang so hell

Im Süden gestern noch und Norden;

Wie ist das Weiße doch so schnell

In Deutschland wieder schwarz geworden!

 

5

Wo stob er hin, der Sängerchor?

Und warum schweigt er heut so stille?

Ach! er erschien, ach! er verlor

Sich – immer nach der Herren Wille.

 

Was gestern Recht war für den Rhein,

10

Ist's heute nicht auch Recht für Polen?

Soll Polen nicht auch Polen sein,

Weil wir als Räuber mitgestohlen?

 

Ist Fürstenwort solch Zauberwort,

Daß es kann Tag in Nacht verkehren?

15

Sind Herz und Hirn bei uns verdorrt?

Und läßt Vernunft sich so entehren?

 

Vergaßet ihr das Einmaleins,

Ihr unergründlich tiefen Denker,

Ihr Zionswächter unsres Rheins

20

Und jeder fremden Freiheit Henker!

 

O deutsches Volk, das hoffend drängt

Sich an der reichen Zukunft Schwelle,

Was auch die Sterne dir verhängt,

Sei nicht des Zaren Spießgeselle!

 

25

Horch auf den Sturm, der neu erbraust,

Auch deine Frucht vom Baum zu schütteln,

Eh eisige Barbarenfaust

Dich wird aus deinen Träumen rütteln!

 

Tritt nicht, was du bei dir gesät,

30

In fremdem Land mit Rosseshufen;

Nicht deine eigne Majestät

In Völkern, die nach Freiheit rufen!

 

Du suchst dich selbst aus tiefem Grund

Der harten Knechtschaft aufzuschwingen,

35

Willst du dein Joch zur selben Stund

Den andern auf den Nacken zwingen?

 

Soll noch einmal im wilden Streit

Hinmorden unsrer Kinder Lanze

Die ewige Gerechtigkeit

40

Dem alten Gleichgewichtspopanze?

 

Weh über uns in solchem Krieg!

Wir wandeln keine Ruhmesbahnen.

Ich rufe: den Empörern Sieg!

Und jede Schmach auf deutsche Fahnen!

 

 

Polen an Europa

(März 1846)

Der heil'ge Krieg ist neu entglommen,

Die Söhne Polens werden wach,

Wir haben unser Schwert genommen

Nach fünfzehn Jahren tiefer Schmach.

5

An dich, du stumme Zeugin unsrer Klage

Und unsrer namenlosen Qual,

An dich, Europa, richten wir die Frage:

Verläßt du uns zum zweitenmal?

 

Ist's nicht ein Kampf für deine Sache?

10

Ein Kampf, von jedem Flecken rein?

Auf! Polens Adler will der Rache

Gebenedeiter Engel sein.

Die Saat ist reif, es rauschen unsre Sensen,

Wir schwingen auch für dich den Stahl:

15

Die Hoffnung sieh in unsern Augen glänzen –

Verlaß uns nicht zum zweitenmal!

 

Du liegst an alter Schuld erkranket –,

Europa, o entsühne dich!

Und schnell, solang die Waage schwanket,

20

Wirf noch dein Herz hinein für mich.

Dein Zaudern wäre dreifach ein Verbrechen,

Denn dreifach ist der Feinde Zahl;

Für dich und mich ein dreifach Joch zu brechen,

Verlaß mich nicht zum zweitenmal.

 

25

Ein wildes Meer von Aufruhrflammen,

Der Zorn der ganzen Welt vereint,

Schlag über seinem Haupt zusammen

Und trümmre nieder unsern Feind!

Deutschland! sei zwischen uns ein Bundeszeichen,

30

Der Freiheit loderndes Signal!

Auch Polens Aar trägt einen Kranz von Eichen:

Verlaß mich nicht zum zweitenmal.

 

Auf, Preußen, schüttle deine Ketten!

Erkämpf dein Recht, der Tag ist da!

35

Es gilt ja mich und euch zu retten –

Auf, Ungarn! auf, Italia!

O Galliens Hahn, sprich, bist du blind geworden

Und ahnst du nicht den Morgenstrahl?

Sie nahn, sie wüten, die Barbarenhorden –

40

Verlaßt uns nicht zum zweitenmal!

 

 

Das Reden nimmt kein End'.

(Sommer 1848)

Das Reden nimmt kein End'

Zu Frankfurt an dem Main –

Sucht man der Weisen Stein;

Sie sind gar sehr in Nöten,

5

Moses und die Propheten,

Präsident und Sekretäre,

Wie er zu finden wäre –

Im Parla- Parla- Parlament

Das Reden nimmt kein End'!

 

10

Zu Frankfurt an dem Main –

Da wird man uns befrein;

Man wird die Republiken

Im Mutterleib ersticken,

Und Bassermann und Welcker

15

Beglücken dann die Völker

Im Parla- Parla- Parlament

Das Reden nimmt kein End'!

 

Zu Frankfurt an dem Main –

Bald zieht der Kaiser ein!

20

Schon träuft der Gnade Manna,

Ihr Knechte, Hosianna!

Marty, der Schuft, Minister –

Triumph, ihr Herrn Philister!

Im Parla- Parla- Parlament

25

Das Reden nimmt kein End'!

 

Zu Frankfurt an dem Main –

Die Wäsche wird nicht rein;

Sie bürsten und sie bürsten,

Die Fürsten bleiben Fürsten,

30

Die Mohren bleiben Mohren

Trotz aller Professoren –

Im Parla- Parla- Parlament

Das Reden nimmt kein End'!

 

Zu Frankfurt an dem Main –

35

Ist alles Trug und Schein.

Alt-Deutschland bleibt zersplittert,

Das Kapitol erzittert,

Umringt von Feindeslagern,

Die Gänse giga-gagern –

40

Im Parla- Parla- Parlament

Das Reden nimmt kein End'!

 

Zu Frankfurt an dem Main –

So schlag der Teufel drein!

Es steht die Welt in Flammen,

45

Sie schwatzen noch zusammen,

Wie lange soll das dauern?

Dem König Schach, ihr Bauern!

Dein Parla- Parla- Parlament,

O Volk, mach ihm ein End'!

 

 

Bundeslied für den

Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.

 

You are many, they are few.

(Eurer sind viele, ihrer sind wenige)

Bet und arbeit! ruft die Welt,

Bete kurz! denn Zeit ist Geld.

An die Türe pocht die Not –

Bete kurz! denn Zeit ist Brot.

 

5

Und du ackerst, und du säst,

Und du nietest, und du nähst,

Und du hämmerst, und du spinnst –

Sag, o Volk, was du gewinnst!

 

Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht,

10

Schürfst im Erz- und Kohlenschacht,

Füllst des Überflusses Horn,

Füllst es hoch mit Wein und Korn.

 

Doch wo ist  d e i n  Mahl bereit?

Doch wo ist  d e i n  Feierkleid?

15

Doch wo ist  d e i n  warmer Herd?

Doch wo ist  d e i n  scharfes Schwert?

 

Alles ist dein Werk! o sprich,

Alles, aber nichts für dich!

Und von allem nur allein,

20

Die du schmiedst, die Kette, dein?

 

Kette, die den Leib umstrickt,

Die dem Geist die Flügel knickt,

Die am Fuß des Kindes schon

Klirrt – o Volk, das ist dein Lohn.

 

25

Was ihr hebt ans Sonnenlicht,

Schätze sind es für den Wicht;

Was ihr webt, es ist der Fluch

Für euch selbst – ins bunte Tuch.

 

Was ihr baut, kein schützend Dach

30

Hat's für euch und kein Gemach;

Was ihr kleidet und beschuht,

Tritt auf euch voll Übermut.

 

Menschenbienen, die Natur,

Gab sie euch den Honig nur?

35

Seht die Drohnen um euch her!

Habt ihr keinen Stachel mehr?

 

Mann der Arbeit, aufgewacht!

Und erkenne deine Macht!

Alle Räder stehen still,

40

Wenn dein starker Arm es will.

 

Deiner Dränger Schar erblaßt,

Wenn du, müde deiner Last,

In die Ecke lehnst den Pflug,

Wenn du rufst: Es ist genug!

 

45

Brecht das Doppeljoch entzwei!

Brecht die Not der Sklaverei!

Brecht die Sklaverei der Not!

Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!

 

 

Immer mehr!

(April 1866)

Allüberall Geschrei nach Brot,

Vom Atlas bis Archangel!

In halb Europa Hungersnot,

Im halben bittrer Mangel!

5

Die Scheuern leer, die Steuern schwer,

Die Ernten schlecht geraten –

Doch immer mehr und immer mehr

Und immer mehr Soldaten!

 

Geld her für Pulver und für Blei!

10

Für Reiter und für Rosse!

Chassepots, Zündnadeln, allerlei

Weittragende Geschosse!

Dem Kaiser Geld! dem Papste Geld!

Nur immer frisch von hinten

15

Geladen! Denn der Lauf der Welt

Hängt ab vom Lauf der Flinten.

 

 

Die Arbeiter an ihre Brüder.

Frei nach dem Türkischen.

(1866)

Wir schüren in den Essen

Die Feuer Tag und Nacht,

Am Webstuhl, an den Pressen

Steht unsre Friedenswacht.

 

5

Wir schürfen in dem Qualme

Der Gruben nach Metall,

Den Segen goldner Halme

Dankt uns der Erdenball.

 

Doch wenn das Korn gedroschen,

10

Dann heißt es: Stroh als Lohn,

Dann heißt's: für uns den Groschen,

Den Taler dem Patron.

 

Dann heißt's: für uns den Schragen,

Das weiche Bett dem Gauch!

15

Dann heißt's: Nichts in den Magen

Und Kugeln in den Bauch!

 

Vergebens aus der Tiefe

Steigt der Beraubten Chor,

Mit seinem Vollmachtsbriefe

20

Ans Glück, zum Licht empor.

 

Was hilft es, daß wir trotzen,

Solang noch mordbereit

Ihr gegen uns den Protzen

Die starken Arme leiht?

 

25

O weh, daß ihr im Bunde

Mit ihnen uns verließt

Und daß ihr uns wie Hunde

Auf ihr Geheiß erschießt!

 

Ach, wenn sie euch nicht hätten,

30

Wär alles wohlbestellt;

Auf euren Bajonetten

Ruht die verkehrte Welt.

 

An euren Bajonetten

Klebt aller Zeiten Fluch;

35

Wir trügen keine Ketten,

Trügt ihr kein buntes Tuch;

 

Wir brauchten nicht zu fronen

Für Sultan und Vezier,

Nicht länger für die Drohnen

40

Zu darben brauchten wir.

 

Wir hätten nicht zu beben

Vor Pascha oder Scheik

Und könnten bald erleben

Den großen Fürstenstreik.

 

45

Durch  e u c h  sind wir verraten,

Durch  e u c h  verkauft allein:

Wann stellt ihr, o Soldaten,

Die Arbeit endlich ein?

 

 

Der Nürnberger Bierkrieg.

(Mai 1866)

Zu Nürenberg – hier steht's gedruckt –

Da hat es angefangen;

Nachdem es lang vorher gespukt,

Ist's endlich losgegangen.

 

5

Zu Nürenberg, der alten Stadt

Der Türmlein und der Erker,

Wenn da der Mensch kein Bier nicht hat,

So wird er zum Berserker.

 

Es war ein Schlachten – glaubt es mir –

10

Als wie vor Trojas Mauern:

Die Helena hieß «Bayrisch Bier»,

Der Feldzug galt den Brauern.

 

Er galt dem Bier und nebenbei

Dem öffentlichen Wohle;

15

«Bier her!» so hieß das Feldgeschrei,

Und «Billig!» die Parole.

 

Hei! wie die Recken Bayernlands

Da wüteten, die Tapfern!

Nicht eine Scheibe ließ man ganz

20

Den teuren Bierverzapfern.

 

Viel Tausend stehen nicht mehr auf,

Die da zerschlagen liegen;

Zwölf Schuh hoch lagen tags darauf

Die Scherben von den Krügen.

 

25

Heil uns, daß noch ein deutscher Mann

Steht auf der Freiheit Wache!

Daß er sich noch begeistern kann

Für eine große Sache!

 

So laßt uns fest zusammenstehn,

30

Der Bildung Pioniere!

Mag Erd' und Himmel untergehn,

Hurra!  w i r  gehn zu Biere!

 

 

Epilog zum Kriege.

(Februar 1871)

Germania, der Sieg ist dein!

Dic Fahnen wehn, die Glocken klingen,

Elsaß ist dein und Lotharingen;

Du sprichst: «Jetzt muß der Bau gelingen

5

Bald holen wir den letzten Stein.»

 

Gestützt auf deines Schwertes Knauf

Lobst du in frommen Telegrammen

Den Herrn, von dem die Herren stammen,

Und aus Zerstörung, Tod und Flammen

10

Steigt heiß dein Dank zum Himmel auf.

 

Nach vierundzwanzig Schlachten liegt

Der Feind am Boden, überwunden;

Bis in die Stadt voll Blut und Wunden,

Die keinen Retterarm gefunden,

15

Brichst du dir Bahn – du hast gesiegt!

 

Schwarz, weiß und rot! um  e i n  Panier

Vereinigt stehen Süd und Norden;

Du bist im ruhmgekrönten Morden

Das erste Land der Welt geworden:

20

Germania, mir graut vor dir!

 

Mir graut vor dir, ich glaube fast,

Daß du, in argen Wahn versunken,

Mit falscher Größe suchst zu prunken

Und daß du, gottesgnadentrunken,

25

Das Menschenrecht vergessen hast.

 

Schon lenkt ein Kaiser dich am Zaum,

Ein strammer, strenger Zepterhalter.

Hofbarden singen ihre Psalter

Dem auferstandnen Mittelalter,

30

Und 89 wird ein Traum.

 

Ein Traum? Du sahst, wie Frankreich fiel

Durch einen Cäsar, sahst die Sühne

Vollzogen auf der Schreckensbühne –

Deutschland, gedeihe, wachse, grüne,

35

Geläutert durch dies Trauerspiel!

 

 

Den Siegestrunknen.

(Januar 1872)

Vorüber ist der harte Strauß,

Der welsche Drache liegt bezwungen,

Und Bismarck-Siegfried kehrt nach Haus

Mit seinem Schatz der Nibelungen;

5

Stolz blickt auf ihrer Kinder Schar

Germania, die Heldenmutter;

Stolz blickt das Denkervolk sogar

Auf Döllinger, den Afterluther.

 

Ihr habt ein neues deutsches Reich,

10

Von Junkerhänden aufgerichtet.

Redwitz besingt den Schwabenstreich

Und hat ein dickes Buch gedichtet;

Ihr habt ein neues Oberhaupt,

Ihr Elsaß-Lothringen-Verspeiser;

15

Den Papst, an den ihr nicht mehr glaubt,

Ersetzt ein infallibler Kaiser.

 

Ihr wähnt euch einig, weil die Pest

Der Knechtschaft sich verallgemeinert,

Weil täglich noch der kleine Rest

20

Lebend'ger Seelen sich verkleinert;

hr wähnt euch einig, weil ein Mann

Darf über Krieg und Frieden schalten

Und euch zur Schlachtbank führen kann

Mit der Parol: das Maul gehalten!

 

25

Ach, Einheit ist ein leerer Schall,

Wenn sie nicht Einheit ist im Guten,

Wenn ihr korinthisches Metall

Uns mahnt an Mord und Städtegluten;

Ach, Einheit ist ein tönend Erz,

30

Wenn sie nur pochend auf Kanonen

Zu reden weiß an unser Herz –

Und klingt es anders von den Thronen?

 

Einheit des Rechtes ist kein Schild,

Der uns bewahrt vor Unterdrückung;

35

Nur wo als Recht das  R e c h t e  gilt,

Wird sie zum Segen, zur Beglückung.

Nur diese war's, die wir erstrebt,

Die Einheit, die man auf den Namen

Der  F r e i h e i t aus der Taufe hebt;

40

Doch eure stammt vom Teufel: Amen!

 

 

Groß.

(Mai 1872)

«Seid umschlungen, Milliarden!»

Hör ich mit Begeisterung

Singen unsre Einheits-Barden:

Welche Federn! welcher Schwung!

5

Sah man jemals solche Beute?

Wir verstehen unser Fach,

Ja, ihr Professorenleute,

Wir sind groß, brüllt Auerbach.

 

Gottesfurcht und fromme Sitte,

10

Blut und Eisen wirkten gut,

Und vor unserm Reich der Mitte

Zieht Europa stolz den Hut.

Geibel wird ein Epos schreiben;

Einen blinderen Homer

15

Wüßt ich nirgends aufzutreiben:

Wir sind groß – es freut mich sehr.

 

Elsaß unser – Dank, ihr Streiter!

Lothringen in deutscher Hand!

Immer länger, immer breiter

20

Machen wir das Vaterland.

Eine Million Soldaten

Stehen da, wenn Cäsar spricht,

Stramm gedrillt zu Heldentaten:

Wir sind groß – ich leugn es nicht.

 

25

Töricht zwar ins Herz geschlossen

Hatt ich einst ein Ideal,

Das zerfetzt nun und zerschossen

Liegt im preußischen Spital.

Doch was kümmern uns die Wunden,

30

Die der Ruhm der  F r e i h e i t  schlug!

Mag sie, wie sie kann, gesunden:

Wir sind groß – das ist genug.

 

 

Golgatha.

(Januar 1873)

An dem einen Kreuz die Liebe,

Ihr zur Seiten in Gestalt

Zweier Mörder oder Diebe –

K l e i n e r  Diebe – die Gewalt!

 

5

Wenn ich so in unsern Tagen

Mir betrachte dieses Bild,

Muß ich mich im stillen fragen

Wem der Menschen Inbrunst gilt,

 

Ob nicht manchmal sich beim Beten

10

Unsrer Frommen Blick verirrt

Und ein Strolch statt des Propheten

Gegenstand der Andacht wird.

 

Auf der Höhe thront im Leben

Und erringt sich Ruhm und Preis,

15

Wer das Kreuz des Schächers neben

Christi Kreuz zu ehren weiß;

 

Wer vor einem gnadenreichen

Heiland niederkniet im Staub,

Aber Leichen türmt auf Leichen,

20

Um zu sichern seinen Raub.

 

Schade, daß ich nie begriffen,

Schwarz und weiß zugleich zu sein!

Hat mich drum auch ausgepfiffen

Mancher Preuße, groß und klein.

 

 

An Richard Wagner.

(Februar 1873)

Die nüchterne Spree hat sich berauscht

Und ihren Verstand verloren;

Andächtig hat dir Berlin gelauscht

Mit großen und kleinen Ohren.

 

5

Viel Gnade gefunden hat dein Spiel

Beim gnädigen Landesvater,

Nur läßt ihm der Bau des Reichs nicht viel

Mehr übrig für dein Theater.

 

Wärst du der lumpigste General,

10

So würd man belohnen dich zeusisch;

Genügen laß dir für dieses Mal

Dreihundert Tälerchen preußisch.

 

Ertrage heroisch dies Mißgeschick

Und mache dir klar, mein Bester,

15

Die einzig wahre Zukunftsmusik

Ist schließlich doch Krupps Orchester.

 

 

Achtzehnter März.

(März 1873)

Achtzehnhundert vierzig und acht,

Als im Lenze das Eis gekracht,

Tage des Februar, Tage des Märzen,

Waren es nicht Proletarierherzen,

5

Die voll Hoffnung zuerst erwacht

Achtzehnhundert vierzig und acht?

 

Achtzehnhundert vierzig und acht,

Als du dich lange genug bedacht,

Mutter Germania, glücklich verpreußte,

10

Waren es nicht Proletarierfäuste,

Die sich ans Werk der Befreiung gemacht

Achtzehnhundert vierzig und acht?

 

Achtzehnhundert vierzig und acht,

Als du geruht von der nächtlichen Schlacht,

15

Waren es nicht Proletarierleichen,

Die du, Berlin, vor den zitternden, bleichen

Barhaupt grüßenden Cäsar gebracht

Achtzehnhundert vierzig und acht?

 

Achtzehnhundert siebzig und drei,

20

Reich der Reichen, da stehst du, juchhei!

Aber wir Armen, verkauft und verraten,

Denken der Proletariertaten –

Noch sind nicht alle Märze vorbei,

Achtzehnhundert siebzig und drei.

 

 

Den Reichstäglern.

(Juni 1873)

Elsaß und Lothringen habt ihr,

Habt alles, was Moltkes Begehr,

Und habt die deutsche Einheit –

Ihr Lieben, was wollt ihr noch mehr?

 

5

Auf euere deutsche Einheit

Hat Redwitz ein ganzes Heer

Langweil'ger Sonette gedichtet –

Ihr Lieben, was wollt ihr noch mehr?

 

Mit euerer deutschen Einheit

10

Habt ihr euch blamiert so sehr

Und die Freiheit zugrunde gerichtet –

Was will der Bismarck noch mehr?

 

―――――

 

Vermischte Gedichte

 

An Emma.

Einladung in die Berge.

(Juli 1845)

Komm, mein Mädchen, in die Berge,

Wo der Himmel tiefer blaut

Und das stille Volk der Zwerge

Uns kristallne Schlösser baut.

5

Wo der Liebe morgenhellen

Traum kein Schleicherohr belauscht

Und: Triumph! von tausend Quellen

Der vereinte Donner rauscht.

 

Wie entfremdet ist die Erde,

10

Wie entweiht ihr Element,

Seit der Mensch mit Angstgebärde

Nur nach Schattenbildern rennt.

Wieviel Staub auf allen Wegen

Wühlt er auf zu seiner Ruh –

15

Komm, auf unbetretnen Stegen

Führ ich dich den Sternen zu!

 

Komm, wo kaum der Gemse Spuren

Reinstem Schnee sind eingedrückt

Und das Reich der Kreaturen

20

Lebt in erster Lust beglückt;

Dort, das Silberhaupt in Ehren,

Sieh den Gletscher! Welch ein Mann,

Den ein Sonnenblick verklären,

Aber nicht mehr schmelzen kann!

 

25

Komm, wo dir der Sturm die Locken

Aus der heißen Wange streicht,

Kaum der dumpfe Klang der Glocken

Und kein Glauben dich erreicht.

Während er im Tale zittert,

30

Losgebundner Knechte Schwarm,

Ruhen wir, wenn's hochgewittert,

Freudetrunken Arm in Arm.

 

Komm, mein Mädchen, laß dich fassen,

Tragen zu des Adlers Nest;

35

Menschen lieben, Menschen hassen,

Und wer bliebe felsenfest?

Was sie beten, was sie fluchen,

Ach, ich konnt es nie verstehn –

Blumen laß uns, Blumen suchen!

40

Mädchen, willst du mit mir gehn?

 

 

Antwort.

(1845)

Zu dem Meere, zu dem Meere

Folge mir, Geliebter, nach;

Über ihm steht noch der hehre,

Unentweihte Schöpfungstag.

5

Uns zum Haupt ein Meer von Sternen,

Unter uns die heil'ge Flut,

Um uns eine Welt von Fernen,

In uns eine Welt von Glut.

 

Tausend Wellenaugen blinken

10

Glückberauscht ob unserm Bund,

Und die luft'gen Algen winken

Uns zum stillen Pflanzengrund.

Hör den Riesensturm der Töne,

Oh, wie lieb ich ihn so sehr!

15

Bild der Jugend, Bild der Schöne,

Ew'ger Anmut Bild, das Meer.

 

Daß ich dich im Arme hielte

Eine einz'ge kleine Stund,

Deinen warmen Herzschlag fühlte,

20

Einen Hauch von deinem Mund –

Fürchten wollt ich nicht die Wellen,

Die im Sturm manch Schiff zerschellt:

Sprich, sind wir nicht auch Rebellen

Gegen eine Sklavenwelt?