BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1803

 

Textgrundlage:

Musenalmanach für das Jahr 1807.

Hrsg. von Seckendorf, Regensburg:

Montag- und Weissische Buchhandlung

Faksimile: Institut für Textkritik

 

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Die Wanderung

 

Glückselig Suevien, meine Mutter!

Auch du, der glänzenderen, der Schwester

Lombarda drüben gleich,

Von hundert Bächen durchfloßen!

Und Bäume genug, weisblühend und rötlich,

Und dunklere, wild, tiefgrünenden Laubs voll,

Und Alpengebirg der Schweiz auch überschattet

Benachbartes, dich; denn nah dem Heerde des Hauses

Wohnst du, und hörst, wie drinnen

Aus silbernen Opferschalen

Der Quell rauscht, ausgeschüttet

Von reinen Händen, wenn berührt

 

Von warmen Stralen

Kristallenes Eis, und umgestürzt

Vom leichtanregenden Lichte

Der schneeige Gipfel übergießt die Erde

Mit reinestem Wasser. Darum ist

Dir angeboren die Treue. Schwer verläßt

Was nahe dem Ursprung wohnet, den Ort.

Und deine Kinder, die Städte,

Am weithin dämmernden See,

An Neckars Weiden, am Rheine,

Sie alle meinen, es wäre

Sonst nirgend besser zu wohnen.

 

Ich aber will dem Kaukasos zu!

Denn sagen hört' ich

Noch heut in den Lüften:

Frei sei'n, wie Schwalben, die Dichter.

Auch hat mir ohnedies

In jüngeren Tagen einer vertraut,

Es seien, vor alter Zeit,

Die Eltern einst, das scharfe Geschlecht,

Still fortgezogen, von Wellen der Donau,

Am strengstem Tage, staunendes Geistes, da diese

Sich Schatten suchten, zusammen

Am schwarzen Meere gekommen;

Und nicht umsonst sei dies

Das gastfreundliche genennet.

 

Denn, als sie erst sich angesehen,

Da nahten die Andern zuerst. Dann sazten auch

Die Unseren sich neugierig unter

Den Ölbaum. Doch als nun sich ihre Gewande

Berührt, und keiner vernehmen konnte

Die eigene Rede des andern, wäre fast

Entstanden ein Zwist, wenn nicht aus Zweigen herunter

Gekommen wäre die Kühlung,

Die Lächeln über das Angesicht

Der Streitenden öfters breitet. Und eine Weile

Sahn still sie auf. Dann reichten sie sich

Die Hände liebend einander. Und bald

 

Vertauschten sie Waffen und all

Die lieben Güter des Hauses;

Vertauschten das Wort auch. Und es wünschten

Die freundlichen Väter umsonst nichts

Beim Hochzeitjubel den Kindern.

Denn aus den Heiligvermählten

Wuchs schöner denn Alles,

Was vor und nach

Von Menschen sich nannt', ein Geschlecht auf. Wo,

Wo aber wohnt ihr, liebe Verwandten,

Daß wir das Bündnis wiederbegehn,

Und der theuren Ahnen gedenken?

 

Dort an den Ufern, unter den Bäumen

Ionias, in Ebenen des Kaüstros,

Wo Kraniche, des Äthers froh,

Umschlossen sind von fernhindämmernden Bergen,

Dort wart auch ihr, ihr Schönsten! oder pflegtet

Der Inseln, die mit Wein bekränzt,

Voll tönten von Gesang; noch andere wohnten

Am Taüget, am vielgepriesnen Hümettos,

Die blühten zulezt. Doch von

Parnassos Quell bis zu des Tmolos

Goldglänzenden Bächen erklang

Ein ewig Lied. So rauschten damals

Die heiligen Wälder und all

Die Saitenspiele zusamt,

Von himmlischer Milde gerühret.

 

O Land des Homer!

Am purpurnen Kirschbaum oder wenn,

Von dir gesandt, im Weinberg mir

Die jungen Pfirsiche grünen,

Und die Schwalbe fernher kommt und vieles erzählend

An meinen Wänden ihr Haus baut, in

Den Tagen des Mais, auch unter den Sternen

Gedenk ich, o Ionia! dein. Doch Menschen

Ist Gegenwärtiges lieb. Drum bin ich

Gekommen, euch, ihr Inseln, zu sehn und euch,

Ihr Mündungen der Ströme, o ihr Hallen der Thetis,

Ihr Wälder, euch, und euch, ihr Wolken des Ida!

 

Doch nicht zu bleiben gedenk ich,

Unbiegsam ist und schwer zu gewinnen

Die Verschlossene, der ich entkommen, die Mutter.

Von ihren Söhnen einer, der Rhein,

Mit Gewalt wollt' er ans Herz ihr stürzen und schwand,

Der Zurückgestoßene, niemand weiß, wohin in die Ferne.

Doch so nicht wünscht' ich gegangen zu sein,

Von ihr, und nur, euch einzuladen

Bin ich zu euch, ihr Grazien Griechenlands,

Ihr Himmelstöchter, gegangen,

Daß, wenn die Reise zu weit nicht ist,

Zu uns ihr kommet, ihr Holden!.

 

Hölderlin.