BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1799

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1953

 

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Der Zeitgeist

 

Zu lang schon waltest über dem Haupte mir

Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!

Zu wild, zu bang ist's ringsum, und es

Trümmert und wankt ja, wohin ich blike.

 

Ach! wie ein Knabe, seh' ich zu Boden oft,

Such' in der Höhle Rettung von dir, und möcht'

Ich Blöder, eine Stelle finden,

Alleserschütt'rer! wo du nicht wärest.

 

Lass' endlich, Vater! offenen Aug's mich dir

Begegnen! hast denn du nicht zuerst den Geist

Mit deinem Stral aus mir gewekt? mich

Herrlich an's Leben gebracht, o Vater! –

 

Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft;

In milder Luft begegnet den Sterblichen,

Und wenn sie still im Haine wandeln,

Heiternd ein Gott; doch allmächt'ger wekst du

 

Die reine Seele Jünglingen auf, und lehrst

Die Alten weise Künste; der Schlimme nur

Wird schlimmer, daß er bälder ende,

Wenn du, Erschütterer! ihn ergreiffest.