BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1799

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1953

 

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Wohl geh' ich täglich...

 

Wohl geh' ich täglich andere Pfade, bald

Ins grüne Laub im Walde, zur Quelle bald,

Zum Felsen, wo die Rosen blühen,

Blike vom Hügel ins Land, doch nirgend

 

Du Holde, nirgend find ich im Lichte dich

Und in die Lüfte schwinden die Worte mir

Die frommen, die bei dir ich ehmals

...

 

Ja, ferne bist du, seeliges Angesicht!

Und deines Lebens Wohllaut verhallt von mir

Nicht mehr belauscht, und ach! wo seid ihr

Zaubergesänge, die einst das Herz mir

 

Besänftiget mit Ruhe der Himmlischen?

Wie lang ist's! o wie lange! der Jüngling ist

Gealtert, selbst die Erde, die mir

Damals gelächelt, ist anders worden.

 

Leb immer wohl! es scheidet und kehrt zu dir

Die Seele jeden Tag, und es weint um dich

Das Auge, daß es helle wieder

Dort wo du säumest, hinüberblike.