BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann

1776 - 1822

 

Meister Floh

 

1822, unzensiert 1908

 

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Zweites Abentheuer.

 

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Der Flohbändiger.

Trauriges Schicksal der Prinzessin Gamaheh in Famagusta.

Ungeschicklichkeit des Genius Thetel und merkwürdige

mikroskopische Versuche und Belustigungen.

Die schöne Holländerin und seltsames Abentheuer des jungen

Herrn George Pepusch, eines gewesenen Jenensers.

 

Es befand sich zu der Zeit ein Mann in Frankfurt, der die seltsamste Kunst trieb. Man nannte ihn den Flohbändiger und das darum, weil es ihm, gewiß nicht ohne die größeste Mühe und Anstrengung gelungen, Cultur in diese kleinen Thierchen zu bringen und sie zu allerlei artigen Kunststücken abzurichten.

 

 

Zum größten Erstaunen sah man auf einer Tischplatte von dem schönsten weißen, glänzendpolirten Marmor Flöhe, welche kleine Kanonen, Pulverkarren, Rüstwagen zogen, andre sprangen daneben her mit Flinten im Arm, Patrontaschen auf dem Rücken, Säbeln an der Seite. Auf das Commandowort des Künstlers, führten sie die schwierigsten Evolutionen aus, und alles schien lustiger und lebendiger, [47] wie bei wirklichen großen Soldaten, weil das Marschiren in den zierlichsten Entrechats und Luftspringen, das Linksum und Rechtsum aber in anmuthigen Pirouetten bestand. Die ganze Mannschaft hatte ein erstaunliches A Plomb und der Feldherr schien zugleich ein tüchtiger Ballettmeister. Noch beinahe hübscher und wunderbarer waren aber die kleinen goldnen Kutschen, die von vier, sechs, acht Flöhen gezogen wurden. Kutscher und Diener waren Goldkäferlein, der kleinsten kaum sichtbaren Art, was aber drin saß, war nicht recht zu erkennen.

Unwillkührlich wurde man an die Equipage der Fee Mab erinnert, die der wackre Merkutio in Shakespear's Romeo und Julie so schön beschreibt, daß man wohl merkt, wie oft sie ihm selbst über die Nase gefahren.

Erst, wenn man den ganzen Tisch mit einem guten Vergrößerungs­glase überschaute, entwickelte sich aber die Kunst des Flohbändigers in vollem Maaße. Denn nun erst zeigte sich die Pracht, die Zierlichkeit der Geschirre, die feine Arbeit der Waffen, der Glanz, die Nettigkeit der Uniformen, und erregte die tiefste Bewunderung. Gar nicht zu begreifen schien es, welcher Instrumente sich der Flohbändiger bedient haben mußte, um gewisse kleine Nebensachen, z. B. Sporn, [48] Rockknöpfe u. s. w. sauber und proportionirlich anzufertigen, und jene Arbeit, die sonst für das Meisterstück des Schneiders galt und die in nichts geringerem bestand, als einem Floh ein Paar völlig anschließende Reithosen zu liefern, wobei freilich das Anmessen das schwierigste, schien dagegen als etwas ganz Leichtes und Geringes.

Der Flohbändiger hatte unendlichen Zuspruch. Den ganzen Tag wurde der Saal nicht leer von Neugierigen, die den hohen Eintrittspreis nicht scheuten. Auch zur Abendzeit war der Besuch zahlreich, ja beinahe noch zahlreicher, da alsdann auch solche Personen kamen, denen an derlei poßierlichen Künsteleien eben nicht viel gelegen, um ein Werk zu bewundern, das dem Flohbändiger ein ganz anderes Ansehen und die wahre Achtung der Naturforscher erwarb. Dies Werk war ein Nachtmikroskop, das wie das Sonnenmikroskop am Tage, einer magischen Laterne ähnlich, den Gegenstand hell erleuchtet mit einer Schärfe und Deutlichkeit auf die weiße Wand warf, die nichts zu wünschen übrig ließ. Dabei trieb der Flohbändiger auch noch Handel mit den schönsten Mikroskopen, die man nur finden konnte und die man gern sehr theuer bezahlte. – [49]

Es begab sich, daß ein junger Mensch, George Pepusch geheißen – der geneigte Leser wird ihn bald näher kennen lernen – Verlangen trug, noch am späten Abend den Flohbändiger zu besuchen. Schon auf der Treppe vernahm er Gezänk, das immer heftiger und heftiger wurde und endlich überging in tolles Schreien und Toben. So wie nun Pepusch eintreten wollte, sprang die Thüre des Saals auf mit Ungestüm, und in wildem Gedränge stürzten die Menschen ihm entgegen, todtenbleiches Entsetzen in den Gesichtern.

«Der verfluchte Hexenmeister! der Satanskerl! beim hohen Rath will ich ihn angeben! aus der Stadt soll er, der betrügerische Taschenspieler!» – So schrieen die Leute durch einander und suchten von Furcht und Angst gehetzt, so schnell als möglich aus dem Hause zu kommen.

Ein Blick in den Saal verrieth dem jungen Pepusch sogleich die Ursache des fürchterlichen Entsetzens, das die Leute fortgetrieben. Alles lebte darin, ein ekelhaftes Gewirr der scheußlichsten Creaturen erfüllte den ganzen Raum. Das Geschlecht der Pucerons, der Käfer, der Spinnen, der Schlammthiere bis zum Uebermaaß vergrößert, streckte seine Rüssel aus, schritt daher auf hohen haarigten Beinen, und die gräulichen [50] Ameisenräuber faßten, zerquetschten mit ihren zackigten Zangen die Schnacken, die sich wehrten und um sich schlugen mit den langen Flügeln, und dazwischen wanden sich Essigschlangen, Kleisteraale, hundertarmigte Polypen durch einander und aus allen Zwischenräumen kuckten Infusions-Thiere mit verzerrten menschlichen Gesichtern. Abscheulicheres hatte Pepusch nie geschaut. Er wollte eben ein tiefes Grauen verspüren, als ihm etwas Rauhes ins Gesicht flog und er sich eingehüllt sah in eine Wolke dicken Mehlstaubs. Darüber verging ihm aber das Grauen, denn er wußte sogleich, daß das rauhe Ding nichts anders seyn konnte als die runde gepuderte Perücke des Flohbändigers, und das war es auch in der That.

Als Pepusch sich den Puder aus den Augen gewischt, war das tolle widrige Insektenvolk verschwunden. Der Flohbändiger saß ganz erschöpft im Lehnstuhl. «Leuwenhöck,» so rief ihm Pepusch entgegen, «Leuwenhöck, seht Ihr nun wohl, was bei Euerm Treiben herauskommt? – Da habt Ihr wieder zu Euern Vasallen Zuflucht nehmen müssen, um Euch die Leute vom Leibe zu halten! – Ist's nicht so?»

«Seyd Ihr's,» sprach der Flohbändiger mit matter Stimme, «seyd Ihr's guter Pepusch? – Ach! mit mir ist es aus, rein aus, ich bin ein verlorner [51] Mann! Pepusch, ich fange an zu glauben, daß ihr es wirklich gut mit mir gemeint habt und daß ich nicht gut gethan auf Eure Warnungen nichts zu geben.» Als nun Pepusch ruhig fragte, was sich denn begeben, drehte sich der Flohbändiger mit seinem Lehnstuhl nach der Wand, hielt beide Hände vors Gesicht und rief weinerlich dem Pepusch zu, er möge nur eine Lupe zur Hand nehmen und die Marmortafel des Tisches anschauen. Schon mit unbewaffnetem Auge gewahrte Pepusch, daß die kleinen Kutschen, die Soldaten u. s. w. todt da standen und lagen, daß sich nichts mehr regte und bewegte. Die kunstfertigen Flöhe schienen auch eine ganz andre Gestalt angenommen zu haben. Mittelst der Lupe entdeckte nun aber Pepusch sehr bald, daß kein einziger Floh mehr vorhanden, sondern daß das, was er dafür gehalten, schwarze Pfefferkörner und Obstkerne waren, die in den Geschirren, in den Uniformen steckten.

«Ich weiß,» begann nun der Flohbändiger ganz wehmüthig und zerknirscht, «ich weiß gar nicht, welcher böse Geist mich mit Blindheit schlug, daß ich die Desertion meiner Mannschaft nicht eher bemerkte, als bis alle Leute an den Tisch getreten waren und sich gerüstet hatten zum Schauen. – Ihr könnet denken Pepusch! wie die Leute, als sie sich getäuscht [52] sahen, erst murrten und dann ausbrachen in lichterlohen Zorn. Sie beschuldigten mich des schnödesten Betruges, und wollten mir, da sie sich immer mehr erhitzten und keine Entschuldigung mehr hörten, zu Leibe, um selbst Rache zu nehmen. Was konnt' ich, um einer Tracht Schläge zu entgehen, besseres thun, als sogleich das große Mikroskop in Bewegung setzen und die Leute ganz einhüllen in Creaturen, vor denen sie sich entsetzten, wie das dem Pöbel eigen.» –

«Aber,» fragte Pepusch, «aber sagt mir nur Leuwenhöck, wie es geschehen konnte, daß Euch Eure wohlexerzirte Mannschaft, die so viel Treue bewiesen, plötzlich auf und davon gehen konnte, ohne daß Ihr es sogleich gewahr wurdet?»

«O,» jammerte der Flohbändiger, «o Pepusch! er hat mich verlassen, er, durch den allein ich Herrscher war und er ist es, dessen bösem Verrath ich meine Blindheit, all mein Unglück zuschreibe!»

«Hab' ich,» erwiederte Pepusch, «hab' ich Euch nicht schon längst gewarnt, Eure Sache nicht auf Künsteleien zu stellen, die Ihr, ich weiß es, ohne den Besitz des Meisters nicht vollbringen könnet und wie dieser Besitz aller Mühe unerachtet doch auf dem Spiele steht, habt Ihr eben jetzt erfahren.» – [53]

Pepusch gab nun ferner dem Flohbändiger zu erkennen, wie er ganz und gar nicht begreife, daß, müsse er jene Künsteleien aufgeben, dieß sein Leben so verstören könne, da die Erfindung des Nachtmikroskop's so wie überhaupt seine Geschicklichkeit im Verfertigen mikroskopischer Gläser ihn längstens festgestellt. Der Flohbändiger versicherte aber dagegen, daß ganz andre Dinge in jenen Künsteleien lägen, und daß er sie nicht aufgeben könne, ohne sich selbst, seine ganze Existenz aufzugeben.

«Wo ist aber Dörtje Elverdink?» – So fragte Pepusch den Flohbändiger unterbrechend. «Wo sie ist,» kreischte der Flohbändiger, indem er die Hände rang, «wo Dörtje Elverdink ist? – Fort ist sie, fort in alle Welt – verschwunden. – Schlagt mich nur gleich todt, Pepusch, denn ich sehe schon, wie Euch immer mehr der Zorn kommt und die Wuth. – Macht es kurz mit mir!» –

«Da seht,» sprach Pepusch mit finsterm Blick, «da seht Ihr nun, was aus Eurer Thorheit, aus Euerm albernen Treiben herauskommt. – Wer gab Euch das Recht die arme Dörtje einzusperren wie eine Sklavin und dann wieder, um nur Leute anzulocken, sie im Prunk auszustellen, wie ein naturhistorisches Wunder? – Warum thatet Ihr Gewalt an ihrer Neigung [54] und ließet es nicht zu, daß sie mir die Hand gab, da Ihr doch bemerken mußtet, wie innig wir uns liebten? – Entflohen ist sie? – Nun gut, so ist sie wenigstens nicht mehr in Eurer Gewalt, und weiß ich auch in diesem Augenblick nicht, wo ich sie suchen soll, so bin ich doch überzeugt, daß ich sie finden werde. Da, Leuwenhöck, setzt die Perücke auf und ergebt Euch in Euer Geschick; das ist das beste und gerathenste, was Ihr jetzt thun könnet.

Der Flohbändiger stutzte mit der linken Hand die Perücke auf das kahle Haupt, während er mit der rechten Pepusch beim Arm ergriff. «Pepusch,» sprach er, «Pepusch, Ihr seyd mein wahrer Freund; denn Ihr seyd der einzige Mensch in der ganzen Stadt Frankfurt, welcher weiß, daß ich begraben liege in der alten Kirche zu Delft, seit dem Jahre Eintausend siebenhundert und fünf und zwanzig und habt es doch noch niemanden verrathen, selbst wenn Ihr auf mich zürntet wegen der Dörtje Elverdink. – Will es mir auch zuweilen nicht recht in den Kopf, daß ich wirklich jener Anton van Leuwenhöck bin, den man in Delft begraben, so muß ich denn doch, betrachte ich meine Arbeiten und bedenke ich mein Leben, wiederum glauben und es ist mir deshalb sehr angenehm, daß man davon überhaupt gar nicht [55] spricht. – Ich sehe jetzt ein, liebster Pepusch, daß ich, was die Dörtje Elverdink betrifft, nicht recht gehandelt habe, wiewohl auf ganz andere Weise als ihr wohl meinen möget. Recht that ich nämlich daran, daß ich Eure Bewerbungen für ein thörigtes zweckloses Streben erklärte, Unrecht aber, daß ich nicht ganz offenherzig gegen Euch war, daß ich Euch nicht sagte, was es mit der Dörtje Elverdink eigentlich für eine Bewandniß hat. Eingesehen hättet Ihr dann, wie löblich es war, Euch Wünsche aus dem Sinn zu reden, deren Erfüllung nicht anders als verderblich seyn konnte. – Pepusch! setzt Euch zu mir und vernehmt eine wunderbare Historie!»

«Das kann ich wohl thun,» erwiederte Pepusch mit giftigem Blick, indem er Platz nahm auf einem gepolsterten Lehnstuhl, dem Flohbändiger gegenüber. «Da,» begann Flohbändiger, «da Ihr, mein lieber Freund Pepusch, in der Geschichte wohl bewandert seyd, so wißt Ihr ohne Zweifel, daß der König Sekakis viele Jahre hindurch mit der Blumenkönigin im vertraulichen Verhältniß lebte und daß die schöne anmuthige Prinzessin Gamaheh, die Frucht dieser Liebe war. Weniger bekannt dürft' es seyn, und auch ich kann es Euch nicht sagen, auf welche Weise Prinzessin Gamaheh nach Famagusta kam. [56]

Manche behaupten und nicht ohne Grund, daß die Prinzessin in Famagusta sich verbergen sollte, vor dem widerlichen Egelprinzen, dem geschwornen Feinde der Blumenkönigin.»

 

 

«Genug! – in Famagusta begab es sich, daß die Prinzessin einst in der erfrischenden Kühle des Abends lustwandelte und in ein dunkles anmuthiges Cypressen-Wäldchen gerieth. Verlockt von dem lieblichen Säuseln des Abendwindes, dem Murmeln des Bachs, dem melodischen Gezwitscher der Vögel, streckte die Prinzessin sich hin in das weiche duftige Moos und fiel bald in tiefen Schlaf. Gerade der Feind, dem sie hatte entgehen wollen, der häßliche Egelprinz streckte aber sein Haupt empor aus dem Schlammwasser, erblickte die Prinzessin, und verliebte sich in die schöne Schläferin dermaßen, daß er dem Verlangen sie zu küssen, nicht widerstehen konnte. Leise kroch er heran, und küßte sie hinter das linke Ohr. Nun wißt Ihr aber wohl Freund Pepusch, daß die Dame, die der Egelprinz zu küssen sich unterfängt, verloren, denn er ist der ärgste Blutsauger von der Welt. So geschah es denn auch, daß der Egelprinz die arme Prinzessin so lange küßte, bis alles Leben aus ihr geflohen war. Da fiel er ganz übersättigt und trunken ins Moos und mußte [57] von seinen Dienern, die sich schnell aus dem Schlamm hinanwälzten, nach Hause gebracht werden. – Vergebens arbeitete sich die Wurzel Mandragora aus der Erde hervor, legte sich auf die Wunde, die der heimtückische Egelprinz der Prinzessin geküßt, vergebens erhoben sich auf das Wehgeschrei der Wurzel alle Blumen und stimmten ein in die trostlose Klage! Da geschah es, daß der Genius Thetel gerade des Weges kam; auch er wurde tief gerührt von Gamaheh's Schönheit und ihrem unglücklichen Tode. Er nahm die Prinzessin in die Arme, drückte sie an seine Brust, mühte sich, ihr Leben einzuhauchen mit seinem Athem, aber sie erwachte nicht aus dem Todesschlaf. Da erblickte der Genius Thetel den abscheulichen Egelprinzen den (so schwerfällig und trunken war er) die Diener nicht hatten hinunterschaffen können in den Palast, entbrannte in Zorn und warf eine ganze Faust voll Krystallsalz dem häßlichen Feinde auf den Leib, so daß er sogleich allen purpurnen Ichor, den er der Prinzessin Gamaheh ausgesogen, ausströmte und dann seinen Geist aufgab unter vielen Zuckungen und Grimassen, auf elendigliche Weise. Alle Blumen, die ringsum standen, tauchten aber ihre Kleider in diesen Ichor und färbten sie zum ewigen Andenken der ermordeten [58] Prinzessin in ein solches herrliches Roth, wie es kein Maler auf Erden herauszubringen vermag. – Ihr wißt, Pepusch! daß die schönsten dunkelrothen Nelken, Amaryllen und Cheiranthen eben aus jenem Cypressenwäldchen, wo der Egelprinz die schöne Gamaheh todtküßte, herstammen. Der Genius Thetel wollte forteilen, da er noch vor Einbruch der Nacht in Samarkand viel zu thun hatte, noch einen Blick warf er aber auf die Prinzessin, blieb fest gezaubert stehen und betrachtete sie mit der innigsten Wehmuth. Da kam ihm plötzlich ein Gedanke. Statt weiter zu gehen, nahm er die Prinzessin in die Arme und schwang sich mit ihr hoch auf in die Lüfte. – Zu derselben Zeit beobachteten zwei weise Männer, von denen einer, nicht verschwiegen sey es, ich selbst war, auf der Gallerie eines hohen Thurmes, den Lauf der Gestirne. Diese gewahrten hoch über sich den Genius Thetel mit der Prinzessin Gamaheh und in demselben Augenblick fiel auch dem einen – doch! das gehört für jetzt nicht zur Sache! – Beide Magier hatten zwar den Genius Thetel erkannt, nicht aber die Prinzessin, und erschöpften sich in allerlei Vermuthungen, was die Erscheinung wohl zu bedeuten, ohne irgend etwas gewisses oder auch nur wahrscheinliches ergrübeln zu können. Bald darauf [59] wurde aber das unglückliche Schicksal der Prinzessin Gamaheh in Famagusta allgemein bekannt und nun wußten auch die Magier sich die Erscheinung des Genius Thetel mit dem Mädchen im Arm zu erklären.»

«Beide vermutheten, daß der Genius Thetel gewiß noch ein Mittel gefunden haben müsse, die Prinzessin ins Leben zurückzurufen, und beschlossen in Samarkand Nachfrage zu halten, wohin er ihrer Beobachtung nach, offenbar seinen Flug gerichtet hatte. In Samarkand war aber von der Prinzessin alles stille, niemand wußte ein Wort.»

«Viele Jahre waren vergangen, die beiden Magier hatten sich entzweit, wie es wohl unter gelehrten Männern desto öfter zu geschehen pflegt, je gelehrter sie sind, und nur noch die wichtigsten Entdeckungen theilten sie sich aus alter eiserner Gewohnheit einander mit. – Ihr habt nicht vergessen, Pepusch, daß ich selbst einer dieser Magier bin. – Also, nicht wenig erstaunte ich über eine Mittheilung meines Collegen, die über die Prinzessin Gamaheh das Wunderbarste und zugleich Glückseligste enthielt, was man nur hätte ahnen können. Die Sache verhielt sich folgender Gestalt: Mein College hatte durch einen wissenschaftlichen Freund aus Samarkand die schönsten und seltensten Tulpen und so [60] vollkommen frisch erhalten, als seyen sie eben vom Stengel geschnitten. Es war ihm vorzüglich um die mikroskopische Untersuchung der innern Theile und zwar des Blumenstaubes zu thun. Er zergliederte deshalb eine schöne lila und gelbgefärbte Tulpe, und entdeckte mitten in dem Kelch ein kleines fremdartiges Körnlein, welches ihm auffiel in ganz besonderer Weise. Wie groß war aber seine Verwunderung, als er mittelst Anwendung des Suchglases, deutlich gewahrte, daß das kleine Körnlein nichts anders als die Prinzessin Gamaheh, die in den Blumenstaub des Tulpenkelchs gebettet, ruhig und süß zu schlummern schien.»

«Solch' eine weite Strecke mich auch von meinem Collegen trennen mochte, dennoch setzte ich mich augenblicklich auf und eilte zu ihm hin. Er hatte indessen alle Operationen bei Seite gestellt, um mir das Vergnügen des ersten Anblicks zu gönnen, wohl auch aus Furcht ganz nach eignem Kopf handelnd, etwas zu verderben. Ich überzeugte mich bald von der vollkommnen Richtigkeit der Beobachtung meines Collegen und war auch eben so wie er des festen Glaubens, daß es möglich seyn müsse, die Prinzessin dem Schlummer zu entreißen und ihr die vorige Gestalt wieder zu geben. Der uns innwohnende [61] sublime Geist ließ uns bald die richtigen Mittel finden. – Da Ihr, Freund Pepusch, sehr wenig, eigentlich gar nichts von unserer Kunst verstehet, so würde es höchst überflüssig seyn, Euch die verschiedenen Operationen zu beschreiben, die wir nun vornahmen, um zu unserm Zweck zu gelangen. Es genügt, wenn ich Euch sage, daß es uns mittelst des geschickten Gebrauchs verschiedener Gläser, die ich meistentheils selbst präparirte, glückte, nicht allein die Prinzessin unversehrt aus dem Blumenstaub hervorzuziehen, sondern auch ihr Wachsthum in der Art zu befördern, daß sie bald zu ihrer natürlichen Größe gelangt war. – Nun fehlte freilich noch das Leben und ob ihr dieses zu verschaffen möglich, das hing von der letzten und schwürigsten Operation ab. – Wir reflektirten ihr Bild mittelst eines herrlichen Kuffischen Sonnenmikroskops, und lösten dieses Bild geschickt los von der weißen Wand, welches ohne allen Schaden von Statten ging. So wie das Bild frei schwebte, fuhr es wie ein Blitz in das Glas hinein, welches in tausend Stücken zersplitterte. Die Prinzessin stand frisch und lebendig vor uns. Wir jauchzten auf vor Freude, aber auch um so größer war unser Entsetzen, als wir bemerkten, daß der Umlauf des Bluts gerade da stockte, [62] wo der Egelprinz sich angeküßt hatte. Schon wollte sie ohnmächtig hinsinken, als wir eben an der Stelle hinter dem linken Ohr einen kleinen schwarzen Punkt erscheinen und eben so schnell wieder verschwinden sahen. Die Stockung des Bluts hörte sogleich auf, die Prinzessin erholte sich wieder, und unser Werk war gelungen.»

«Jeder von uns, ich und mein Herr College, wußte recht gut, welch' unschätzbaren Werth der Besitz der Prinzessin für ihn haben mußte, und jeder strebte darnach, indem er größeres Recht zu haben glaubte, als der andere. Mein College führte an, daß die Tulpe, in deren Kelch er die Prinzessin gefunden, sein Eigenthum gewesen, und daß er die erste Entdeckung gemacht, die er mir mitgetheilt, so, daß ich nur als Hülfeleistender zu betrachten, der das Werk selbst bei dem er geholfen, nicht als Lohn der Arbeit verlangen könne. Ich dagegen berief mich darauf, daß ich die letzte schwürigste Operation, wodurch die Prinzessin zum Leben gelangt, erfunden und bei der Ausführung mein College nur geholfen, weshalb, habe er auch Eigenthums-Ansprüche auf den Embryo im Blumenstaub gehabt, mir doch die lebendige Person gehöre. Wir zankten uns mehrere Stunden bis endlich, als wir uns die Kehlen heiser [63] geschrieen hatten, ein Vergleich zu Stande kam. Der College überließ mir die Prinzessin, wogegen ich ihm ein sehr wichtiges geheimnißvolles Glas einhändigte. Eben dieses Glas ist aber die Ursache unserer jetzigen gänzlichen Verfeindung. Mein College behauptet nämlich, ich habe das Glas betrügerischer Weise unterschlagen; dieß ist aber eine grobe unverschämte Lüge, und wenn ich auch wirklich weiß, daß ihm das Glas bei der Aushändigung abhanden gekommen ist, so kann ich doch auf Ehre und Gewissen betheuern, daß ich nicht Schuld daran bin, auch durchaus nicht begreife, wie das hat geschehen können. Das Glas ist nämlich gar nicht so klein, da ein Pulverkorn nur höchstens acht Mal größer seyn mag. – Seht, Freund Pepusch, nun habe ich Euch mein ganzes Vertrauen geschenkt, nun wißt Ihr, daß Dörtje Elverdink keine andere ist, als eben die ins Leben zurückgerufene Prinzessin Gamaheh, nun seht Ihr ein, daß ein schlichter junger Mann wie Ihr wohl auf solch eine hohe mystische Verbindung keinen» –

«Halt,» unterbrach George Pepusch den Flohbändiger, indem er ihn etwas satanisch anlächelte, «halt, ein Vertrauen ist des andern werth, und so will ich Euch meiner Seits denn vertrauen, daß ich das Alles, [64] was Ihr mir da erzählt habt, schon viel früher und besser wußte als Ihr. Nicht genug kann ich mich über Eure Beschränktheit, über Eure alberne Anmaßung verwundern. – Vernehmt, was Ihr längst erkennen müßtet, wäre es, außerdem was die Glasschleiferei betrifft, mit Eurer Wissenschaft nicht so schlecht bestellt, vernehmt, daß ich selbst die Distel Zeherit bin, welche dort stand wo die Prinzessin Gamaheh ihr Haupt niedergelegt hatte, und von der Ihr gänzlich zu schweigen für gut gefunden habt.»

«Pepusch, rief der Flohbändiger, seyd ihr bei Sinnen? Die Distel Zeherit blüht im fernen Indien und zwar in dem schönen von hohen Bergen umschlossenen Thale, wo sich zuweilen die weisesten Magier der Erde zu versammeln pflegen. Der Archivarius Lindhorst kann Euch darüber am besten belehren. Und Ihr, den ich hier im Polröckchen zum Schulmeister laufen gesehen, den ich als vor lauter Studiren und Hungern vermagerten, vergelbten Jenenser gekannt, ihr wollt die Distel Zeherit seyn? – Das macht einem Andern weiß, aber mich laßt damit in Ruhe.»

«Was Ihr, sprach Pepusch lachend, was Ihr doch für ein weiser Mann seyd, Leurenhöck. Nun! haltet von meiner Person was Ihr wollt, aber seyd [65] nicht albern genug zu läugnen, daß die Distel Zeherit in dem Augenblick, da sie Gamaheh's süßer Athem traf, in glühender Liebe und Sehnsucht erblühte und daß, als sie die Schläfe der holden Prinzessin berührte, diese auch süß träumend in Liebe kam. Zu spät gewahrte die Distel den Egelprinzen, den sie sonst mit ihren Stacheln augenblicklich getödtet hätte. Doch wär' es ihr mit Hülfe der Wurzel Mandragora gelungen, die Prinzessin wieder in das Leben zurückzubringen, kam nicht der tölpische Genius Thetel dazwischen mit seinen ungeschickten Rettungsversuchen. – Wahr ist es, daß Thetel im Zorn in die Salzmeste griff, die er auf Reisen gewöhnlich am Gürtel zu tragenpflegt, wie Pantagruel seine Gewürzbarke, und eine tüchtige Hand voll Salz nach dem Egelprinzen warf, ganz falsch aber, daß er ihn dadurch getödtet haben sollte. Alles Salz fiel in den Schlamm, nicht ein einziges Körnlein traf den Egelprinzen, den die Distel Zeherit mit ihren Stacheln tödtete, so den Tod der Prinzessin rächte und sich dann selbst dem Tode weihte. Bloß der Genius Thetel, der sich in Dinge mischte, die ihn nichts angingen, ist daran Schuld, daß die Prinzessin so lange im Blumenschlaf liegen mußte; die Distel Zeherit erwachte viel früher. Denn beider [66] Tod war nur die Betäubung des Blumenschlafs, aus der sie ins Leben zurückkehren durften, wiewohl in anderer Gestalt. Das Maaß Eures gröblichen Irrthums würdet Ihr nämlich voll machen, wenn Ihr glauben solltet, daß die Prinzessin Gamaheh völlig so gestaltet war, als es jetzt Dörtje Elverdink ist, und daß Ihr es waret, der ihr das Leben wiedergab. Es ging Euch so, mein guter Leuwenhöck wie dem ungeschickten Diener in der wahrhaft merkwürdigen Geschichte von den drei Pomeranzen, der zwei Jungfrauen aus den Pomeranzen befreite, ohne sich vorher des Mittels versichert zu haben, sie am Leben zu erhalten und die dann vor seinen Augen elendiglich umkamen. – Nicht Ihr, nein jener, der Euch entlaufen, dessen Verlust Ihr so hart fühlt und bejammert, der war es, der das Werk vollendete, welches ihr ungeschickt genug begonnen.»

«Ha,» schrie der Flohbändiger ganz außer sich, ha meine Ahnung! – Aber Ihr, Pepusch, Ihr, dem ich so viel Gutes erzeigt, Ihr seyd mein ärgster, schlimmster Feind, das sehe ich nun wohl ein. Statt mir zu rathen, statt mir beizustehen in meinem Unglück, tischt Ihr mir allerlei unziemliche Narrenspossen auf.» – Die Narrenspossen auf Euern Kopf, schrie Pepusch ganz erbost, zu spät werdet Ihr Eure [67] Thorheit bereuen, einbildischer Charlatan! – Ich gehe Dörtje Elverdink aufzusuchen. – Doch damit Ihr nicht mehr ehrliche Leute vexirt» –

Pepusch faßte nach der Schraube, die das ganze mikroskopische Maschinenwerk in Bewegung setzte. «Bringt mich nur gleich ums Leben!» kreischte der Flohbändiger; doch in dem Augenblick krachte auch alles zusammen und ohnmächtig stürzte der Flohbändiger zu Boden. –

«Wie mag es,» sprach George Pepusch zu sich selbst, als er auf der Straße war, «wie mag es geschehen, daß einer, der über ein hübsches warmes Zimmer, über ein wohlaufgeklopftes Bette gebietet, sich zur Nachtzeit in dem ärgsten Sturm und Regen auf den Straßen herumtreibt? – Wenn er den Hausschlüssel vergessen, und wenn überdem Liebe, thörigtes Verlangen ihn jagt. So mußte er sich selbst antworten. – Thörigt kam ihm nämlich jetzt sein ganzes Beginnen vor. – Er erinnerte sich des Augenblicks, als er Dörtje Elverdink zum erstenmal gesehen. – Vor mehreren Jahren zeigte nämlich der Flohbändiger seine Kunststückchen in Berlin und hatte nicht geringen Zuspruch, so lange die Sache neu blieb. Bald hatte man sich aber an den kultivirten und exerzirten Flöhen satt gesehen, man hielt nun nicht einmal die [68] Schneider-, Riemer-, Sattler-, Waffenarbeit zum Gebrauch der kleinen Personen für so gar bewundrungswürdig, unerachtet man erst von Unbegreiflichkeit, zauberischem Wesen gesprochen, und der Flohbändiger schien ganz in Vergessenheit zu gerathen. Bald hieß es aber, daß eine Nichte des Flohbändigers, die sonst noch gar nicht zum Vorschein gekommen, jetzt den Vorstellungen beiwohne. Diese Nichte sey aber solch ein schönes, anmuthiges Mädchen und dabei so allerliebst geputzt, daß es gar nicht zu sagen. Die bewegliche Welt der jungen modernen Herren, welche als tüchtige Conzertmeister in der Sozietät Ton und Tackt anzugeben pflegen, strömte hin, und weil in dieser Welt nur die Extreme gelten, so weckte des Flohbändigers Nichte ein niegesehenes Wunder. – Bald war es Ton, den Flohbändiger zu besuchen, wer seine Nichte nicht gesehen, durfte nicht mitsprechen, und so war dem Manne geholfen. Kein Mensch konnte sich übrigens in den Vornamen «Dörtje» finden und da gerade zu der Zeit die herrliche Bethmann in der Rolle der Königin von Golkonda, alle hohe Liebenswürdigkeit, alle hinreißende Anmuth, alle weibliche Zartheit entwickelte, die dem Geschlecht nur eigen und ein Ideal des unnennbaren Zaubers schien, mit dem ein [69] weibliches Wesen alles zu entzücken vermag, so nannte man die Holländerin «Aline.»

Zu der Zeit kam George Pepusch nach Berlin, Leuwenhöcks schöne Nichte war das Gespräch des Tages, und so wurde auch an der Wirthstafel des Hotels, in dem Pepusch sich einlogiert, beinahe von nichts anderm gesprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das alle Männer, jung und alt, ja selbst die Weiber entzücke. Man drang in Pepusch, sich nur gleich auf die höchste Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu stellen und die schöne Holländerin zu sehen. – Pepusch hatte ein reizbares melancholisches Temperament; in jedem Genuß spürte er zu sehr den bittern Beigeschmack, der freilich aus dem schwarzen stygischen Bächlein kommt, das durch unser ganzes Leben rinnt und das machte ihn finster, in sich gekehrt, ja oft ungerecht gegen Alles, was ihn umgab. Man kann denken, daß auf diese Weise Pepusch wenig aufgelegt war, hübschen Mädchen nachzulaufen, er ging aber dennoch zu dem Flohbändiger, mehr um seine vorgefaßte Meinung, daß auch hier, wie so oft im Leben, nur ein seltsamer Wahn spuke, bewährt zu sehen, als des gefährlichen Wunders halber. Er fand die Holländerin gar hübsch, anmuthig, angenehm, indem er sie aber betrachtete, mußte er selbstgefällig seine Sagazität [70] belächeln, vermöge der er schon errathen, daß die Köpfe, welche die Kleine vollends verdreht hatte, schon von Haus aus ziemlich wackeligt gewesen seyn mußten.

Die Schöne hatte den leichten ungezwungenen Ton, der von der feinsten sozialen Bildung zeugt, ganz in ihrer Gewalt; mit jener liebenswürdigen Coquetterie, die dem, dem sie vertraulich die Fingerspitze hinreicht, zugleich den Muth benimmt, sie zu erfassen, wußte das kleine holde Ding, die sie von allen Seiten Bestürmenden ebenso anzuziehen, als in den Gränzen des zartesten Anstandes zu erhalten.

Niemand kümmerte sich um den fremden Pepusch, der Muße genug fand, die Schöne in ihrem ganzen Thun und Wesen zu beobachten. Indem er aber länger und länger ihr in das holde Gesichtchen kuckte, regte sich in dem tiefsten Hintergrunde des innern Sinnes eine dumpfe Erinnerung, als habe er die Holländerin irgendwo einmal gesehen, wiewohl in ganz andern Umgebungen und anders gekleidet, so wie es ihm war, als sey er auch damals ganz anders gestaltet gewesen. Vergebens quälte er sich ab, diese Erinnerungen zu irgend einer Deutlichkeit zu bringen; wiewohl der Gedanke, daß er die Kleine wirklich schon gesehen, immer mehr an Festigkeit gewann. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, als ihn endlich jemand leise anstieß [71] und ihm ins Ohr lispelte: «Nicht wahr, Herr Philosoph, auch sie hat der Blitzstrahl getroffen?» Es war sein Nachbar von der Wirthstafel her dem er geäußert hatte, daß er die Extase, in die alles versetzt sey, für einen seltsamen Wahnsinn halte, der eben so schnell dahin schwinde als er entstehe. – Pepusch bemerkte, daß, während er die Kleine unverwandten Auges angestarrt, der Saal leer geworden, so daß eben die letzten Personen davon schritten. Erst jetzt schien die Holländerin ihn zu gewahren; sie grüßte ihn mit anmuthiger Freundlichkeit. –

Pepusch wurde die Holländerin nicht los; er marterte sich ab in der schlaflosen Nacht, um nur auf die Spur jener Erinnerung zu kommen, indessen vergebens. Der Anblick der Schönen konnte allein ihn auf jene Spur bringen, so dachte er ganz richtig und unterließ nicht, gleich andern Tages und dann alle folgende Tage zum Flohbändiger zu wandern, und zwey – drei Stunden die hübsche Dörtje Elverdink anzustarren. –

Kann der Mann den Gedanken an ein liebenswürdiges Frauenzim­mer, das seine Aufmerksamkeit erregte auf diese, jene Weise, nicht los werden, so ist das für ihn der erste Schritt zur Liebe, und so kam es denn auch, daß Pepusch in dem Augenblick, als er [72] bloß jener dunklen Erinnerung nachzugrübeln glaubte, in die schöne Holländerin schon ganz verliebt war.

Wer wollte sich jetzt noch um die Flöhe kümmern, über die die Holländerin alles an sich ziehend den glänzendsten Sieg davon getragen hatte. Der Flohbändiger fühlte selbst, daß er mit seinen Flöhen eine etwas alberne Rolle spiele, er sperrte daher seine Mannschaft bis auf andere Zeiten ein, und gab mit vielem Geschick seinem Schauspiel eine andere Gestalt, der schönen Nichte aber die Hauptrolle.

Der Flohbändiger hatte nämlich den glücklichen Gedanken gefaßt, Abendunterhaltungen anzuordnen, auf die man sich mit einer ziemlich hohen Summe abonnirte und in denen, nachdem er einige artige optische Kunststücke gezeigt, die fernere Unterhaltung der Gesellschaft seiner Nichte oblag. – In vollem Maaß ließ die Schöne ihr soziales Talent glänzen, dann nützte sie aber die kleinste Stockung um durch Gesang, den sie selbst auf der Guitarre begleitete, der Gesellschaft einen neuen Schwung zu geben. Ihre Stimme war nicht stark, ihre Methode nicht grandios, oft wider die Regel, aber der süße Ton, die Klarheit, Nettigkeit ihres Gesanges entsprach ganz ihrem holden Wesen und vollends, wenn sie unter den schwarzen seidnen Wimpern den schmachtenden Blick wie feuchten [73] Mondesstral hineinleuchten ließ unter die Zuhörer, da wurde jedem die Brust enge, und selbst der Tadel des eigensinnigsten Pedanten mußte verstummen. –

Pepusch setzte in diesen Abendunterhaltungen sein Studium eifrig fort, das heißt, er starrte zwei Stunden lang die Holländerin an, und verließ dann mit den übrigen den Saal.

Einmal stand er der Holländerin näher als gewöhnlich und hörte deutlich, wie sie zu einem jungen Manne sprach: «Sagen Sie mir, wer ist dieses leblose Gespenst, das mich jeden Abend Stunden lang anstarrt und dann lautlos verschwindet?»

Pepusch fühlte sich tief verletzt, tobte und lärmte auf seinem Zimmer, stellte sich so ungebehrdig, daß kein Freund ihn in diesem tollen Wesen wieder erkannt haben würde. Er schwur hoch und theuer, die boshafte Holländerin niemals wieder zu sehen, unterließ aber nicht, gleich am andern Abend sich zur gewöhnlichen Stunde bei Leuwenhöck einzufinden und wo möglich die schöne Dörtje mit noch erstarrterem Blick anzugaffen. Schon auf der Treppe war er freilich darüber sehr erschrocken, daß er eben die Treppe hinaufstieg und hatte in aller Schnelligkeit den weisen Vorsatz gefaßt, sich wenigstens von dem verführerischen Wesen ganz entfernt zu [74] halten. Diesen Vorsatz führte er auch wirklich aus, indem er sich in einen Winkel des Saals verkroch; der Versuch die Augen niederzuschlagen, mißglückte aber durchaus, und wie gesagt, noch starrer als sonst schaute er der Holländerin in die Augen.

Selbst wußte er nicht wie es geschah, daß Dörtje Elverdink plötzlich in seinem Winkel dicht neben ihm stand.

Mit einem Stimmlein, das süßlispelnde Melodie war, sprach die Holde: «Ich erinnere mich nicht mein Herr, Sie schon anderwärts gesehen zu haben als hier in Berlin, und doch finde ich in den Zügen Ihres Antlitzes, in Ihrem ganzen Wesen so viel Bekanntes. Ja es ist mir als wären wir vor gar langer Zeit einander ganz befreundet gewesen, jedoch in einem sehr fernen Lande und unter ganz andern seltsamen Umständen. Ich bitte Sie, mein Herr, reissen Sie mich aus der Ungewißheit, und täuscht mich nicht vielleicht eine Aehnlichkeit, so lassen Sie uns das freundschaftliche Verhältniß erneuern, das in dunkler Erinnerung ruht, wie ein schöner Traum.

Dem Herrn George Pepusch wurde bei diesen anmuthigen Worten der schönen Holländerin gar sonderbar zu Muthe. Die Brust war enge, und indem ihm [75] die Stirn brannte, fröstelte es ihm durch alle Glieder, als läg' er im stärksten Fieber. Wollte das nun auch nichts anders bedeuten, als daß Herr Pepusch in die Holländerin bis über den Kopf verliebt war, so gab es doch noch eine andere Ursache des durchaus verwirrten Zustandes, der ihm alle Sprache, ja beinahe alle Besinnung raubte. So wie nämlich Dörtje Elverdink davon sprach, daß sie glaube, vor langer Zeit ihn schon gekannt zu haben, war es ihm, als würde in seinem Innern wie in einer Laterna magica plötzlich ein anderes Bild vorgeschoben und er erblickte ein weit entferntes Sonst, das lange zurückliege hinter der Zeit als er zum ersten Mal Muttermilch gekostet, und in dem er selbst doch eben so gut als Dörtje Elverdink sich rege und bewege. Genug! – der Gedanke, der sich eben durch vieles Denken erst recht klar und fest gestaltete, blitzte in diesem Augenblick auf und dieser Gedanke war nichts geringeres als daß Dörtje Elverdink die Prinzessin Gamaheh, Tochter des Königs Sekakis sey, die er schon in der grünen Zeit geliebt, da er noch die Distel Zeherit gewesen. Gut war es, daß er diesen Gedanken andern Leuten nicht sonderlich mittheilte; man hätte ihn sonst vielleicht für wahnsinnig gehalten und eingesperrt, wiewohl die fixe Idee eines Partiell-Wahnsinnigen oft [76] nichts anders seyn mag, als die Ironie eines Seyns, welches dem jetzigen vorausging.

«Aber mein Himmel, Sie scheinen ja stumm, mein Herr!» So sprach die Kleine indem sie mit den niedlichsten Fingerchen Georgs Brust berührte. Doch aus den Spitzen dieser Finger fuhr ein elektrischer Stral dem Georg bis ins Herz hinein, und er erwachte aus seiner Betäubung. In voller Exstase ergriff er die Hand der Kleinen, bedeckte sie mit glühenden Küßen und rief: «Himmlisches, göttliches Wesen» – u. s. w. Der geneigte Leser wird wohl sich denken können, was Herr Georg Pepusch in diesem Augenblick noch alles gerufen. –

Es genügt zu sagen, daß die Kleine Georgs Liebesbetheurungen so aufnahm, wie er es nur wünschen konnte, und daß die verhängnißvolle Minute im Winkel des Leuwenhöck'schen Saals ein Liebesverhältniß gebahr, das den guten Herrn Georg Pepusch erst in den Himmel, dann aber der Abwechselung wegen in die Hölle versetzte. War nämlich Pepusch melancholischen Temperaments und dabei mürrisch und argwöhnisch, so konnt' es nicht fehlen, daß Dörtje's Betragen ihm Anlaß gab zu mancher Eifersüchtelei. Gerade diese Eifersüchtelei reizte aber Dörtje's etwas schalkischen Humor und es war ihre Lust, den armen Herrn [77] Georg Pepusch auf die sinnreichste Weise zu quälen. Da nun aber jedes Ding nur bis zu einer gewissen Spitze getrieben werden kann, so kam es denn auch zuletzt bei Pepusch zum Ausbruch des lang verhaltenen Ingrimms. Er sprach nämlich einmal gerade von jener wunderbaren Zeit, da er als Distel Zeherit die schöne Holländerin, die damals die Tochter des Königs Sekakis gewesen, so innig geliebt und gedachte mit aller Begeisterung der innigsten Liebe, daß eben jenes Verhältniß, der Kampf mit dem Egelkönig ihm schon das unbestrittendste Recht auf Dörtjes Hand gegeben. Dörtje Elverdink versicherte, wie sie sich jener Zeit, jenes Verhältnisses gar wohl erinnere, und die Ahnung davon zuerst wieder in ihre Seele gekommen, als Pepusch sie mit dem Distelblick angeschaut. Die Kleine wußte so anmuthig von diesen wunderbaren Dingen zu reden, sie that so begeistert von der Liebe zu der Distel Zeherit, die dazu bestimmt gewesen in Jena zu studiren und dann in Berlin die Prinzessin Gamaheh wieder zu finden, daß Herr Georg Pepusch im Eldorado alles Entzückens zu seyn glaubte. – Das Liebespaar stand am Fenster und die Kleine litt es, daß der verliebte George den Arm um sie schlug. In dieser vertraulichen Stellung kosten sie mit einander, denn zum Gekose wurde das träumerische Reden von den Wundern [78] in Famagusta. Da begab es sich, daß ein sehr hübscher Offizier von den Garde-Husaren, in funkelnagelneuer Uniform vorüberging und die Kleine, die er aus den Abendgesellschaften kannte, sehr freundlich grüßte. Dörtje hatte die Augen halb geschlossen und das Köpfchen abgewendet von der Straße; man hätte denken sollen, daß es ihr unmöglich seyn müßte, den Offizier zu gewahren, aber mächtig ist der Zauber einer neuen glänzenden Uniform! Die Kleine, vielleicht schon erregt durch das bedeutungsvolle Klappern des Säbels auf dem Steinpflaster, öffnete die Aeugelein hell und klar, wand sich aus Georgs Arm, riß das Fenster auf, warf dem Offizier ein Kußhändchen zu, und schaute ihm nach bis er um die Ecke verschwunden.

«Gamaheh,» schrie die Distel Zeherit ganz außer sich, «Gamaheh, was ist das? – spottest du meiner? Ist das die Treue die du deiner Distel angelobt?» – Die Kleine drehte sich auf dem Absatz herum, schlug ein helles Gelächter auf und rief: «Geht, geht, George! Bin ich die Tochter des würdigen alten Königs Sekakis, seyd Ihr die Distel Zeherit, so ist jener allerliebste Offizier der Genius Thetel der mir eigentlich viel besser gefällt, wie die traurige stachligte Distel. – Damit sprang die Holländerin [79] fort durch die Thüre, Georg Pepusch gerieth aber wie man denken kann, sofort in Wuth und Verzweiflung und rannte wild die Treppe hinab, zum Hause hinaus, als hetzten ihn tausend Teufel. Das Geschick wollt' es, daß Georg einem Freunde begegnete der in einer Postkalesche saß und fort wollte. «Halt, ich reise mit Euch!» So rief die Distel Zeherit, flog schnell nach Hause, zog einen Ueberrock an, steckte Geld ein, gab den Stubenschlüssel der Wirthin, setzte sich in die Kalesche hinein und fuhr mit dem Freunde von dannen.

Unerachtet dieser feindseligen Trennung war aber die Liebe zur schönen Holländerin in Georgs Brust ganz und gar nicht erloschen, und eben so wenig konnte er sich entschließen, die gerechten Ansprüche aufzugeben, die er als Distel Zeherit auf Gamahehs Hand und Herz zu haben glaubte. Er erneuerte daher diese Ansprüche als er nach etlichen Jahren wiederum im Haag mit Leuwenhöck zusammentraf und wie eifrig er sie auch in Frankfurt verfolgte, hat der geneigte Leser bereits erfahren. – –

Ganz trostlos rannte Herr George Pepusch in der Nacht durch die Gassen, als der flackernde ungewöhnlich helle Schein eines Lichts, der durch die [80] Spalte eines Fensterladen im untern Stock eines ansehnlichen Hauses auf die Straße fiel, seine Aufmerksamkeit erregte. Er glaubte, es müsse in der Stube brennen und schwang sich daher am Gitterwerk hinauf, um in die Stube zu schauen. Gränzenlos war aber sein Erstaunen, über das, was er erblickte.

Ein helles lustiges Feuer loderte in dem Kamin, der dem Fenster gerade über gelegen; vor diesem Kamin saß oder lag vielmehr in einem breiten altväterischen Lehnstuhl die kleine Holländerin, geputzt wie ein Engel. Sie schien zu schlummern, während ein sehr alter ausgetrockneter Mann vor dem Feuer kniete und Brill auf der Nase in einen Topf kuckte, in dem wahrscheinlich irgend ein Getränk kochte. Pepusch wollte sich noch höher hinaufschwingen, um besser die Gruppe ins Auge zu fassen, fühlte sich indessen bei den Beinen gepackt und mit Gewalt heruntergezogen. Eine barsche Stimme rief: «Seht' mal den Spitzbuben, das wäre mir recht. – Fort Patron ins Hundeloch!» – Es war der Nachtwächter, der Georgen bemerkt hatte, wie er an das Fenster hinanklimmte und nichts anders vermuthen konnte, als daß er einbrechen wolle ins Haus. Aller Protestationen unerachtet wurde Herr George Pepusch von dem [81] Wächter, dem die herbeieilende Patrouille zu Hülfe geeilt war, fortgeschleppt, und auf diese Weise endete seine nächtliche Wanderung fröhlich in der Wachtstube. –