BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann

1776 - 1822

 

Haimatochare

 

1819

 

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3.

J. Menzies an R. Johnstone in London.

 

Am Bord der Diskodery. den 2. Juli 18..

 

Du hast Recht, mein lieber Freund, als ich dir das letztesmal schrieb, war ich wirklich heimgesucht von einigen spleenischen Anfällen. Das Leben auf Port Jackson machte mir die höchste Langeweile, mit schmerzlicher Sehnsucht dachte ich an mein herrliches Paradies, an das reizende O-Wahu, das ich erst vor Kurzem verlassen. Mein Freund Brougthon, ein gelehrter und dabei gemüthlicher Mensch, war der einzige, der mich aufzuheitern und empfänglich für die Wissenschaft zu erhalten vermochte, aber auch er sehnte sich, wie ich, hinweg von Port Jackson, das unserm Forschungstrieb wenig Nahrung darbieten konnte. Irre ich nicht, so schrieb ich dir schon, daß dem Könige von O-Wahu, Namens Teimotu, ein schönes Schiff [192] versprochen worden, das zu Port Jackson gebaut und ausgerüstet werden sollte. Dies war geschehen. Capitain Bligh erhielt den Befehl, das Schiff hinzuführen nach O-Wahu, und sich dort einige Zeit aufzuhalten, um das Freundschaftsbündniß mit Teimotu fester zu knüpfen. Wie klopfte mein Herz vor Freude, da ich glaubte, daß ich unfehlbar mitgehen würde; wie ein Blitz aus heiterer Luft traf mich aber der Ausspruch des Gouverneurs, daß Brougthon sich einschiffen solle. Die Diskovery, zur Expedition nach O-Wahu bestimmt, ist ein mittelmäßiges Schiff, nicht geeignet, mehr Personen aufzunehmen, als die nöthige Bemannung; um so weniger hoffte ich mit dem Wunsch, Brougthon begleiten zu dürfen, durchzudringen. Der edle Mensch, mir mit Herz und Gemüth auf das innigste zugethan, unterstützte indessen diesen Wunsch so kräftig, daß der Gouverneur ihn bewilligte. Aus der Ueberschrift des Briefs siehst du, daß wir, Brougthon und ich, bereits die Reise angetreten.

 

 

O des herrlichen Lebens, das mir bevorsteht! – Mir schwillt die Brust von Hoffnung und sehnsüchtigem Verlangen, wenn ich daran denke, wie täglich, ja stündlich die Natur mir ihre reiche Schatzkammer aufschließen wird, damit ich dieses, jenes nie erforschte Kleinod mir zueignen, mein nennen kann, das nie gesehene Wunder!

Ich sehe dich ironisch lächeln über meinen Enthusiasmus, ich höre dich sprechen: „Nun ja, einen ganzen neuen Swammerdamm in der Tasche, wird er zurückkehren; frage ich ihn aber nach Neigungen, Sitten, Gebräuchen, nach der Lebensweise jener fremden Völker, die er gesehen, will ich recht einzelne Details wissen, wie sie in keiner Reisebeschreibung stehen, wie sie nur von Mund zu Mund nacherzählt werden können, [193] so zeigt er mir ein paar Mäntel und ein paar Korallenschnüre und vermag sonst nicht viel zu sagen. Er vergißt über seine Milben, seine Käfer, seine Schmetterlinge, die Menschen!“ –

Ich weiß, du findest es sonderbar, daß mein Forschungstrieb gerade zu dem Reiche der Insekten sich hingeneigt, und ich kann dir in der That nichts anders darauf antworten, als daß die ewige Macht nun gerade diese Neigung so in mein Innerstes hineingewebt hat, daß mein ganzes Ich sich nur in dieser Neigung zu gestalten vermag. Nicht vorwerfen darfst du mir aber, daß ich über diesen Trieb, der dir seltsam erscheint, die Menschen, oder gar Verwandte, Freunde vernachläßige, vergesse. – Niemals werde ich es dahin bringen, es jenem alten holländischen Obristlieutenant gleich zu thun, der – doch um dich durch den Vergleich, den du dann zwischen diesem Alten und mir anstellen mußt, zu entwaffnen, erzähle ich dir die merkwürdige Historie, die mir eben in den Sinn kam, ausführlich. Der alte Obristlieutenant (ich machte in Königsberg seine Bekanntschaft) war, was Insekten betrifft, der eifrigste, unermüdetste Naturforscher, den es jemals gegeben haben mag. Die ganze übrige Welt war für ihn todt, und wodurch er sich der menschlichen Gesellschaft allein nur kund that, das war der unausstehlichste, lächerlichste Geiz und die fixe Idee, daß er einmal mittelst eines Weißbrods vergiftet werden würde. Irre ich nicht, so heißt dies Weißbrod im Deutschen Semmel. Ein solches Brod backte er sich jeden Morgen selbst, nahm es, war er zu Tische gebeten, mit, und war nicht dahin zu bringen, ein anderes Brod zu genießen. Als Beweis seines tollen Geizes mag dir der Umstand genügen, daß er, seines Alters unerachtet ein rüstiger Mann, Schritt für Schritt mit weit von dem Leibe weggestreckten Armen auf den Straßen [194] einherging, damit – die alte Uniform sich nicht abscheure, sondern fein konservire! – Doch zur Sache! – Der Alte hatte keinen Verwandten auf der ganzen Erde, als einen jüngern Bruder, der in Amsterdam lebte. Dreißig Jahre hatten die Brüder sich nicht gesehen; da machte der Amsterdamer, von dem Verlangen getrieben, den Bruder noch einmal wiederzusehen, sich auf den Weg nach Königsberg. Er tritt ein in das Zimmer des Alten. Der Alte sitzt an dem Tische, und betrachtet, das Haupt hinübergebeugt, durch eine Lupe einen kleinen, schwarzen Punkt auf einem weißen Blatt Papier. Der Bruder erhebt ein lautes Freudengeschrei, er will dem Alten in die Arme stürzen, der aber, ohne das Auge von dem Punkt zu verwenden, winkt ihm mit der Hand zurück, gebietet ihm mit einem wiederholten: St – St – St – Siillschweigen. „Bruder,“ ruft der Amsterdamer, „Bruder, was hast du vor! Georg ist da, dein Bruder ist da, aus Amsterdam hergereist, um dich, den er seit dreißig Jahren nicht sah, noch wiederzusehen in diesem Leben!“ Aber unbeweglich bleibt der Alte und lispelt: St – St – St – Thierchen stirbt! – Nun bemerkt der Amsterdamer erst, daß der schwarze Punkt ein kleines Würmchen ist, das sich in den Convulsionen des Todes krümmt und windet. Der Amsterdamer ehrt die Leidenschaft des Bruders, setzt sich still neben ihn hin. Als nun aber eine Stunde vergeht, während der Alte auch nicht mit einem Blicke sich um den Bruder kümmert, springt dieser ungeduldig auf, verläßt mit einem derben holländischen Fluch das Zimmer, setzt sich auf zur Stelle und kehrt zurück nach Amsterdam, ohne daß der Alte auch von allem nur die mindeste Notiz nimmt! – Frage dich selbst, Eduard, ob ich, trätest du plötzlich hinein in meine Kajüte und fändest mich vertieft in die Betrachtung irgend eines [195] merkwürdigen Insekts, ob ich dann das Insekt unbeweglich anschauen, oder dir in die Arme stürzen würde?

Du magst, mein lieber Freund, denn auch daran denken, daß das Reich der Insekten gerade das wunderbarste, geheimnißvollste in der Natur ist. Hat es mein Freund Brougthon mit der Pflanzen- und mit der vollkommen ausgebildeten Thierwelt zu thun, so bin ich angesiedelt in der Heimath der seltsamen, oft unerforschlichen Wesen, die den Uebergang, die Verknüpfung zwischen beiden bilden. – Doch! – ich höre auf, um dich nicht zu ermüden, und setze nur noch, um dich, um dein poetisches Gemüth ganz zu beschwichtigen, ganz mit mir auszusöhnen, hinzu, daß ein deutscher geistreicher Dichter die in den schönsten Farbenschmelz geputzten Insekten freigewordene Blumen nennt. Erlabe dich an diesem schönen Bilde!

Und eigentlich, warum sag' ich so viel, um meine Neigung zu rechtfertigen? Geschah es nicht, um mich selbst zu überreden, daß mich blos der allgemeine Drang des Forschens unwiderstehlich nach O-Wahu treibt, daß es nicht vielmehr eine sonderbare Ahnung irgend eines unerhörten Ereignisses ist, dem ich entgegengehe? Ja, Eduard, eben in diesem Augenblick erfaßt mich diese Ahnung mit solcher Gewalt, daß ich nicht vermögend bin, weiter zu schreiben! Du wirst mich für einen närrischen Träumer halten, aber es ist nicht anders; deutlich steht es in meiner Seele, daß mich in O-Wahu das größte Glück oder unver­meidliches Verderben erwartet!

Dein treuester etc. etc.