BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jean Paul

1763 - 1825

 

Grönländische Prozesse,

oder Satirische Skizzen

 

Erstes Bändgen

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

V.

Fragment aus einem zweiten Lobe der Narheit

 

Die Sterne auf den Rökken schimmern nur zu Nachts; aber wehe der Sonne, vor der sie erblassen! Wehe den Knien, die nicht dem Kloze huldigen, aus welchen man den Gegenstand der allgemeinen Verehrung geschnizt! Blize treffen zwar den Lorber nicht; aber doch den, der ihn trägt, und nichts ist gewöhnlicher als Thränen in scharfsichtigen Augen! Der grosse Man mus also entweder durch niedrige Büklinge unter dem Neide hindurch kriechen, und den langen Fischen gleichen, die sich krümmen, um durch das widerstehende Wasser schwimmen zu können, oder er mus gleich den Palmbäumen durch Stacheln seine Früchte gegen die Schweine beschüzen. Welches von beiden er nie wollen, und welches er selten können wird, weis man von selbst. Was bleibt ihm nun übrig? Genug! der Rath, er werde wie der Narren einer. Die Ärzte des Volks haben Harlekine bei sich; und sein Körper wenigstens spiele, während seine Sele Pillen austheilet, den buntschekkigen Diener. Um die Nattern zu verscheuchen, tragen die Mohren in Zypern Schellen an den Stiefeln. Scherz ist daher nicht zu verachten; denn ausserdem, was Sturz von dem Einflusse der lustigen Laune Voltairens auf die Duldung dieses Mannes, sagt, ausserdem, daß alles dumme Vieh vom Schafe bis zum Stier das Salz liebet, so ist auch gewis, daß das Lachen ein par Stufen von Grösse heruntersezt. Ernsthaftigkeit ist das Wappen des grossen Verdienstes; daher ist es in Abdera besser Demokrit als Heraklit zu sein. – Daß ich mit diesem allen dem Weisen blos angerathen haben wil, seine Thorheiten weniger zu verbergen, auf Sommerflekken nicht Schminkpflästergen zu legen und dünne Waden nicht durch allerlei Materialien zu vergrössern, versteht sich von selbst: denn Thorheiten hat jeder, und von keinem Kleide lassen sich alle Federn und alle Stäubgen abbürsten. – Allein weiter! Narheit komt auch der Dumheit zu statten. Diese beiden Benennungen sind nicht gleichbedeutend. Denn die Narheit ist der Maulesel, der aus der Vereinigung des Pferds mit dem Esel (der Weisheit mit der Dumheit) entspringt. Zwar sind beide wie Frau und Man immer ein Leib, zwar ist immer neben dem gothischen Rathhause, wo man sich berathschlägt, der Rathskeller, wo man sich betrinkt; zwar sind beide Schwestern und beide Antimusen, aber jede bewohnet doch einen besondern Gipfel auf dem Parnas, der der Antipode des griechischen, und oft der deutsche ist, und wenn dieser Erdbal das Bedlam des Universums ist, so wohnet die Dumheit, gleich den Bedienten, parterre, und die Narheit, gleich der Herschaft, in den obern Stokwerken, des Gelehrten, des Polypen zwischen beiden, nicht zu vergessen, der unter dem Dache logirt. – Die Narheit komt nun der Dumheit zu statten. Hiemit, um noch einem Misverständnis vorzubeugen, sag' ich nicht, daß die Dumheit nicht die Mutter des Glüks ist; daß auf ihrem faulen Rükken nicht mehr die Mehlsäkke liegen; daß der nicht erhoben werde, der kriechen kan und der glüklich ist, der es verdient. Ich weis, daß der Rok der Ehre blos gemacht ist, um die Blösse des Unverdienstes zu bedekken, wiewohl man oft die Schönen nachahmet, die sich ankleiden, um ihre Naktheit zu zeigen, ja daß die Ehrentitel, womit man die Menschen behängt, ein enges Gewand sind, welches die Thorheit hindert, nach Gefallen Sprünge zu machen. Aber was wil ich denn sagen? Dieses. Man nehme erstlich nur die Mode. Denn die Narheit ist der Schneider Europens. Ein kleines Gehirn hat seinen Werth; aber was für einen grossen bekomt es nicht unter einem grossen Huthe? Jeder schäzt einen Esel; aber einer, den sonst die Fabel und jezt die Mode grün anstreicht, ist zum Anbeten, und wenn ich ein Frauenzimmer wäre, würd' ich sagen, zum Küssen. Selbst die stolze Philosophie im zynischen Mantel, mus dem seidnen Mäntelgen weichen, welches um ein lebendiges Skelet flattert, das man mit einem lateinischen M gekrönet. Grosse Schuhschnallen leihen nicht blos kleinen Füssen, sondern auch kleinen Köpfen ihre Strahlen. Zu langen Ohren stehen grosse Lokken schön und noch schöner goldne Schellen. Da ich nur von mänlichen rede, wird man wohl errathen, daß an weibliche das gehängt werden mus, um was man dem Galanteriehändler das halbe Vermögen verpfändet. „Der Man hat glänzende Gaben“ heist nicht, er hat einen glänzenden Kopf, sondern einen glänzenden Bauch, wie der Feuerkäfer; er hat nämlich eine goldgestikte Weste. Der Gehalt der meisten Idolen guter Geselschaften wohnet auf ihrer Oberfläche und ihre äussere Seite ist ihre beste. Die Pflanzen nüzen dem Apotheker mit ihrer Rinde am meisten, und die Rinde ist der schmakhafteste Theil des Brods. Schälet die Rinde von jenen Lorberbäumen ab, und sie verdorren; dieses siehet man, wenn solche gute Köpfe ihre Talente für die Befriedigung des Magens verpfänden, und ihren Wiz zur Trödelbude, in die Geselschaft der durchlöcherten Dumheit, wandern lassen. – Von der Bestätigung meines Sazes war ich neulich Augenzeuge bei einer Kaufmansfrau, die für ein unmündiges Kind einen Hauslehrer unter zweien Studenten auswählte, die man ihr wegen ihrer gleichen Dumheit vorgeschlagen hatte. Natürlich wurde der eine, der so wenig besas, daß er seine rothen Hare nicht mit Puder schminkte, und das alte röthliche Bräutigamskleid seines dikken Vetters trug, und also blos dum war, dem nachgesezt, der seinen Magen seiner weissen Frisur aufopferte, der mit einem schwarzen Rokke und weissen seidenen Strümpfen prangte, und also auch ein Nar war. So war in Ägypten der Esel wegen seiner rothen Hare der Teufel der Nazion, und der gehörnte Apis wegen seiner weissen und schwarzen Flekken der Got derselben. Aber noch mehr! etc.