BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jean Paul

1763 - 1825

 

Grönländische Prozesse,

oder Satirische Skizzen

 

Erstes Bändgen

 

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Beschlus.

 

Nicht Adieu, sondern Got grüs dich, lieber Leser! Ich hätte nämlich Vorrede stat Beschlus schreiben sollen, hätt' es nicht zu affektirt gelassen. Warum aber die Leibwache nicht vor die Thüre? darum. Die meisten Vorreden sind Küchenzettel, die der Wirth einem hungrigen Reisenden von den guten Speisen macht, die er gehabt hat, haben wird und nicht hat; die meisten sind lobende und lügende Leichenpredigten auf das in Vergessenheit begrabne Geistesknäblein, d. h. die heuchlerische Demuth des Schriftstellers wird die Prophetin seines Schiksals, wie Moliere an dem eingebildeten Kranken starb, den er troz seiner eignen Krankheit spielte; wenige sind Henkel des Buchs. Dies alles solte die meinige nicht sein; sondern blos eine freundschaftliche Unterredung mit dem Leser meiner Satiren. Wir haben uns wie ein par Eheleute den ganzen Tag miteinander gezankt; aber schlafen diese darum nicht zu Nacht in Einem Bette? Eilt doch auch der Respondens mit dem Opponens nach der lateinischen Heze zum gemeinschaftlichen Schmause und man giebt dem Barbier, der Ader gelassen, gerne eine Schale Kaffee, wenn man in der Stadt, und ein Glas Brandewein, wenn man auf dem Lande wohnet. Wer weis nun nicht (dieses ist das Darum aufs obige Warum) daß man unter der Thüre am liebsten und vertraulichsten mit dem Freunde redet, bei dessen Ankunft man unter vielen Komplimenten den verlohrnen Schlüssel zum Herzen suchte?

Man seze noch hinzu, daß gewisse Pferde in der ersten Viertelstunde am meisten schwizen und freilich dan nimmer. Der Schweis verunstaltet ein geschminktes Gesicht. Und wer ist daran Schuld? Hauptsächlich die Rezensenten, die in ihren Urtheilen die Figur pars pro toto lieben, die aus dem Anklopfen nicht nur auf den Werth des Zeigefingers, sondern auch des ganzen Menschen schliessen, und nach diesem Schlusse sanft oder wild herein sagen, die aus dem Komplimente des Fusses den Werth des Kopfes weissagen u. s. w. Wer kan da essen, trinken, und frölich sein, wenn ein Har den Dolch der Kritik trägt, der über einen, wie über das Haupt jenes Schmeichlers, hängt? nicht zu gedenken, daß aus dieser übeln Gewohnheit der Rezensenten die üble Gewohnheit der Schriftsteller entspringt, gleich dem Monde gros aufzugehen, und die Mitte der Laufbahn durch Abnahme der Grösse zu schimpfen und das Horn, gleich der Schildkröte, am Schwanze zu tragen.

Der Verfasser des Buchs über die Ehe hat also in dieser Rüksicht Unrecht, wenn er von der Vorrede, vom Hute, rühmet, daß man sich damit dekke. Darum geh' ich Chapeaubas, und mag gewissen Richtern mein Todesurtheil nicht in die Feder sagen. „Aber dies alles ist ja eine Vorrede zu einer Vorrede; und die deinige ist so unbedeutend, so ler!“ Sie sol aber auch nichts anders sein, da sie blos, wie gesagt, ein Freundschaftsgespräch oder bildlich eine Schüssel Krebse ist, die man nach der Mahlzeit giebt und die wenig Fleisch und viel, auch wohl schöne Schale haben.

„Aber zum Verhör selbst! Denn was wolltest du sonst mit unser einem reden wollen? Also die ungleiche Schreibart?“ ist freilich sichtbar; aber auch verzeihlich. Ihr Puls nämlich schlägt bald heftig bald mat, wie es die Umstände mit sich bringen. Die Welt im Kleinen mus natürlich mit der Welt im Grossen, und die Sakuhr mit der Sonnenuhr übereingehen. So fält man aus der Ironie in die Deklamazion, wenn auffallende Thorheiten für kalten Spot zu warm machen. Für Thoren Horaz oder Voltaire, für Bösewichter Persius und Pope. Freilich sind die Satiriker die besten, welche mit ihrer Peitsche mehr zuschlagen als klatschen. Und endlich ist der Mensch so ein nachahmendes Thier! Was Wunder wenn derjenige, der heute aus dem gestrigen Stükke unaufhörlich „Als ich auf meiner Bleiche“ wiederholt, morgends eine Arie aus der Alzeste wiederkäuet. Der Gelehrte ist das Echo seiner Bibliothek, und mancher der Spiegel eines Spiegels. Selbst der Körper ist der Resonanzboden der Sele, ich sage nicht ihr Echo. Denn etc.

„Und die unzusammenhängende Schreibart?“ ist vielleicht zusammenhängend. Es wäre unfein, dem Leser das zu sagen, was er sich selbst sagen kan, ihm wie einem Kinde das Buchstabiren zu lehren, und mit dem Stokke oder dem Griffel auf ieden Buchstaben aufmerksam zu machen. Der Rok ist abgenuzt und unbrauchbar, auf dem man alle Fäden zählen kan, und nichts ist gothischer als die modischgrossen Schuhschnallen, um ein par kleine Riemen mit einander zu verbinden. Manche Flüsse strömen unter der Erde fort; aber dan, sobald sie wieder sichtbar werden, gebühret ihnen noch der Name ihres Ursprungs. Die Bücher sind die angenehmsten, deren Verfertigung der Autor dem Leser zum Theil überläst. Wer uns gefallen wil, sagt la Bruyere, mus verursachen, daß wir uns selbst gefallen, und mancher Schriftsteller ist seine Bewunderung weniger seinen Talenten als der geschmeichelten Eigenliebe seiner Leser schuldig. Daher verwandelt man so gern nahe Vergleichungen in Allegorien – ich sage nahe Vergleichungen, weil man nur das leichtere zu errathen geben mus und Kinder nur die Ähren aufzulesen haben, die der Schnitter nicht mit in seine Garben gebracht, und weil der Autor seinem Wize da, wo er klein ist, einen Schein von Lebhaftigkeit in der Meinung des Lesers ertheilen mus, der das Vergnügen an eigner Thätigkeit auf die Rechnung fremder Talente schreibt. Daher der Geschmak am sternischen Wize.

„Die gezierte, mit Gleichnissen überladene?“ So ein Tadel wäre nun wohl leichter vermieden als verdient, wenn es nämlich einer ist. Und daran zweifle ich. Ich rede jezt ohne Beziehung auf mich. Warum sollen gewisse Schönheiten nur einzeln etwas werth sein und in Herden verliehren, und den Elephanten gleichen, die einzeln ihre Stärke gebrauchen, und in Geselschaft ihre Kräfte und ihre Wildheit vergessen? „Aber sie ermüden den Leser“ und was ermüdet ihn nicht? Mus er so lange lesen, bis er zu viel gelesen? Die Ärzte rathen, daß man zu essen aufhören sol, wenn es am besten schmekt. Freilich wird der Genus des Brodes nie zum Ekel; aber ich denke Brod schmekt auch nicht so gut als eine Torte. „Seneka“ ich weis es; aber ich weis auch, daß sein Wiz oft ein Kastrat ist und nur eine schöne Stimme hat, daß derselbe öfter Worte mit Worten als Gedanken mit Gedanken Ringe wechseln läst, und daß seine Geburten oft den Blumen gleichen, die der Zufal durch Kälte an den Fenstern bildet. Solcher Wiz ist nur Zuker, den die Kinder lieben und den eine ältere Zunge freilich nicht vergöttern kan. Auch sind Anthithesen leichter als Vergleichungen gemacht, und seinem Wize fehlet oft die Lebhaftigkeit, ob man es gleich dem guten Stoiker ansieht, daß er sich pudert, eh' er die Hare ausgekämt und gekräuselt, und den Vogelbauer von altem Kothe reinigt, eh' er den Vogel gefangen. – Überhaupt, nebenher anzumerken, trit ieder dem Wize das Gras ein, und jeder rükt den Gränzstein des Verstandes weiter. Als wenn der Kantor, der orgelt und singt, nicht eben so gut sein müste, wie der Pfarrer, der predigt! Ja, Wiz und Verstand sind Blutsverwandte. Zwar sezt der eine über den Graben und der andere macht einen Umweg; der eine ist für Mesalliance, und der andere zählt erst die Ahnen, der eine stampft wie das Pferd aus jeder gepflasterten Strasse Funken und der andre braucht ein Feuerzeug, um ein Licht aufzustekken; der eine hat ein teleskopisches und der andere ein mikroskopisches Auge. Aber eine Henne sieht den unsichtbaren Raubvogel in der Höhe und das unsichtbare Würmgen unter ihren Füssen zugleich, und der Wiz ist öfter mit Verstand als der Verstand mit Wiz verbunden. Freilich spielt der Wiz blos aus der Tasche und scheint blos dem geköpften Vogel den Kopf aufzusezen, oder einen ungeköpften zu köpfen; aber er vergnügt doch. Und was thut, was kan der Verstand mehr, wenn er verlobte Ideen kopulirt? Die angenehme Empfindung unserer Thätigkeit ist doch am Ende der einzige Lohn für jede geistige Anstrengung. – – Aber um wieder auf den obigen Leser zu kommen, so glaube ich, daß bunte Tapeten, wenn man sie sich anschaffen kan, die Nuzung der Wand keinesweges erschweren, und daß selbst die Blätter der Bäume nicht zweklos sind. Wenigstens litten, nach Sander, die Trauben der Weinstökke, von denen man alles Laub abgebrochen, in heissen Monaten vielen Schaden. Die Schlehenblüthe riecht zwar süs, aber sie schmekt bitter, und der Diamant, der glänzt, schneidet Glas. Auch mus eine Reitpeitsche schöner gearbeitet sein als die Peitsche eines Postillions. Freilich verführet oft ein Bild zu einem andern, wie aus dem Blatte der Prikkelbere ein andres wächst, und ein Gedanke hült sich in mehrere Ausdrükke, wie Weiber in mehrere Rökke; allein warum sol man auch den Kamtschadalen gleichen, die von ihren Zwillingen alzeit ein Kind umbringen, oder dem Ephor Emerepes, der, ein Freund des Alten, die zwo neuen Saiten zerschnit, womit Phrinys die Musik zu vervolkomnen gedachte? –

„Weithergeholte Vergleichungen, welche zu verstehen man erst eine Reise um sein Gehirn machen mus.“ Die Richtigkeit eines Gleichnisses gründet sich auf die Richtigkeit seiner Ähnlichkeit. Wie unvermeidlich aber ist die Täuschung, das in der Hize der Arbeit für ähnlich zu halten, was erst durch Zwischenideen, die man bei dem Leser unrichtig voraussezt, ähnlich wird? Schreiben ist empfangen, empfangen geniessen; aber im Genusse gleichen wir alle dem Papagei, der während seines Fressens auf Einem Beine steht. Die Gegenwart ist eine falsche Brille und oft scheint die Fliege, die zu nahe vor dem Auge vorbei fliegt, ein Adler, und der Adler, den die Entfernung in einen schwarzen Punkt verwandelt, eine Fliege zu sein. Daher geht's mit den Büchern wie mit den Kindern; in den ersten Jahren mögte man sie, wie man sagt, vor Liebe fressen, im zehnten Jahre verwandeln sich ihre schönen Einfälle in Kindereien, und der Rektor des Gymnasiums spricht dem Jungen die Talente ab, die sein Schulmeister an ihm fand. Ferner eine ängstliche Selbstkritik kühlet nicht nur den Enthusiasmus zu sehr ab, wie eine Schnuppe (oder ein Räuber) das Licht geschwinder verbrennen macht; sondern zu viele Fasttäge entnerven auch, ein zu sehr gepuztes Licht brent trübe, und ein oft gewaschnes Hemde wird feiner und dünner zugleich. Endlich ist gewis, daß diejenigen Weiber die wenigsten Kinder gebären, die sie am längsten säugen, wie natürlich.

„Schmuzige Gleichnisse“ nicht blos um noch schmuzigere Thorheiten zu bedekken, sondern auch darum. Unsre Verfeinerung ist zur unverschämtere Annahme ziemlich schmuziger Laster gediehen; warum sol die Verfeinerung nicht gar bis zur freien Anführung ihrer Benennungen gehen? Ist es eine Ehre eine Hure zu sein; warum ist es eine Schande sie bei ihrem Namen zu nennen? Dort sag ich salvo titulo; warum sol ich hier sagen salva venia? Warum wollen wir den Schweinsstal übertünchen; und warum über einem gekrönten Wurm, der sich nun in mehrere Würmer auflöset, eine prächtige Pyramide bauen? Daß doch die Zunge so gerne den Antipoden des Herzens spielt! Noch mehr. Nakte Völker sind nicht so wollüstig als gekleidete, und die nakten Namen gewisser Dinge schmeicheln der Begierde weniger als die, welche gefährlichen Reizen zum Negligee dienen. Die Gewohnheit nur macht die Sele zum Kastraten, troz eines herkulischen Körpers. „Die Einbildungskraft geht gern im Schatten spazieren“ sagt zwar ein französischer Schriftsteller. Aber eben in den schattichten Alleen sind die meisten Huren, und die Nacht, die nach den Philosophen die Mutter aller Dinge ist, ist auch die Mutter der Bastarte. – Freilich mus man hierinnen die Ausschweifung der Autoren vermeiden, die ihren Nachttopf über den Vorbeigehenden ausschütten, die ein schönes Zimmer mit den kothigen Stiefeln beschmuzen, zu deren Reinigung ein Teppich vor der Thüre ermahnte und diente. Aber meine Leser mögen selbst käuen; so wie sie in Rüksicht der schmuzigen Gleichnisse selbst für eine Serviette sorgen mögen!

„Warum die Bücher nicht zitirt, woraus naturhistorische Bemerkungen u. s. w. genommen worden?“ weil ich derselben zu viele zu zitiren gehabt hätte, und überhaupt den Schönen nicht gleichen mag, die ihre Bibliothek mit dem Rükken an das Fenster stellen, um ihre Belesenheit bewundern zu lassen. Aber die Richtigkeit mancher naturhistorischen Bemerkung oder mancher Nachricht eines Reisebeschreibers, die zu einem Gleichnisse gedienet, bleibt dahingestellt; und wozu wäre sie auch nöthig? Daher ich oft den Volksaberglauben und abergläubige Bücher genüzt. Nur eines anzuführen „Das in der Medizin gebräuchliche Regnum animale oder Thierbuch etc. von Kräutermann. Arnstadt und Leipzig. In Verlegung Ernst Ludewig Niedtens 1728.“ Es komt hier nur auf die Verdauung an; von einem schlechten Buche läst sich ein guter Gebrauch machen, aus schmuzigen Lumpen verfertigt man ja schönes weisses Papier und wer weis nicht, daß der Flus Paktolus sein Gold dem Bade des langöhrigten Midas verdankt? Überhaupt nüzet dem Wize Gelehrsamkeit so wie sie dem Verstande schadet, der nur im finstere Brunnen die Sterne sieht. Der eine gleicht den Insekten, die viele Augen haben, der andre dem Riesen Polyphem, der nur eines hatte. Der eine ist ein Vielfras und macht vor dem Essen keinen Tanz, der andre singt wie die Vögel am schönsten ungefüttert. Der eine ist ein Wechsler, der viele und vielerlei Münzen im Vorrathe hat, und der andre ein Ökonom, dessen Vermögen in liegenden Gründen besteht. Die Amtspflicht des Wizes ist wie bekant entfernte Ideen gleichsam durch Kanäle zu verbinden; aber Entfernung findet in einem spannenlangen Gebiete nicht stat; und in Rüksicht des Verstandes ist ohnehin ausgemacht, daß er sich im Gegentheil durch ein Fernglas die Augen verdirbt. Manche Gelehrte dachten selbst nicht, weil sie sich zu sehr mit dem beschäftigten, was andre dachten.

Aber ich wil meine Leser des angefangenen Kritisirens überheben. Nihil est perniciosius quam immatura medicina, sagte Seneka, auch rügt man am Mohren keine Sommerflekken. Wenigstens gleicht jede Selbstvertheidigung dem Stokke, den man mehr zur Zierde als zur Wehre bei sich führet, solt' es auch ein knotichter Genieprügel sein. – Allein nur noch einige Anmerkungen zu etlichen Satiren in diesem Buche. Mögen sie auch ein wenig unordentlich unter einander stehen; wer wird wie der Kaiser Geta, nach dem Alphabethe essen wollen? – Dies heiss' ich die übrigen Brokken samlen.

Zu No. I. Der Spot über die Geniesucht, die nun mit dem Tode ringt, scheint nicht so ganz unnöthig zu sein. Denn ihr Abfahren sogar zugegeben, erwachen nicht manche Menschen im Grabe zum Dakapo ihres Lebens auf? Ferner auch tode Körper stekken an, und Stükke Aal entspringen oft dem höllischen Feuer, zu dem sie die Köchin schon verdamt hatte. Ein einziges Genie vermag unsern Gaumen zu verpesten, und ein neuer Got uns in die vorigen Gözendiener zu verwandeln. Ja die Zähne einer Wasserratte blos waren zur Überschwemmung etlicher holländischer Provinzen nöthig. Doch gesezt es bliebe bei diesen Thorheiten bei der ersten Auflage, gesezt wir wiederkäuten unsre Schande nicht, und wären klug genug, um nur zehn Jahre lang thöricht gewesen sein zu wollen; warum wolte man die vorigen Narheiten nicht durch nachfolgenden Spot bei der Nachwelt entschuldigen? Der verschmizte Knabe spielt bei der Ankunft des Vaters den zankenden Moralisten, um dadurch seinen Antheil an der Strafe derer, in deren Geselschaft man ihn überraschte, von sich abzulehnen. Mit Nesseln vertreibt man den Gestank eines Leichnams aus dem Hause. Den im Gefängnis gestorbenen Missethäter flicht man aufs Rad; der Japaner kaum zu gedenken, die den unbestraften Leichnam durch Einpökelung für seine Strafe aufbewahren.

Aber vielleicht sind gewisse Autoren so glüklich in ihren Erbbegräbnissen den Kramläden zu verwesen, ohne als unverfaulte Knochen der Nachwelt in die Hände zu gerathen; vielleicht umkleiden diese vortreflichen Bücher, die Behältnisse origineller Exkremente, nie künftige Bücher, die Behältnisse von blossem Verstande, wie der Apotheker die Büchse vol wohlriechender und gesunder Essenzen mit der Harnblase des Rindviehes zubindet. – Ich glaube übrigens, daß die schöngeisterische Tolheit nicht unheilbar, sondern blos nachgeahmt ist. Jene Kinder im Waisenhause waren blos der Wiederhal der Konvulsionen eines einzigen, und selten wird ein Mensch tol geboren. Verbessert den Geschmak der Leser, so verbessert ihr den Geschmak der Skribenten. Die alten Mexikaner machten ihre gesunden Kinder zu Krüpeln, weil ihr Kaiser Zwerge, Buklichte und Blinde zu Hofnarren erhob; und die Autoren musizirten mit ihren Schellenkappen, weil die langen Ohren des Publikums nur solchen Konzerten Beifal zunikten. Das Elendthier heilt sich von der fallenden Sucht, indem es sich mit seinem Fusse hinter dem Ohre krazt; lasset einmal unsere schönen Geister sich hinter den Ohren krazen, so sind sie ohne Mixturen kurirt! – – Vielleicht verdienet niemand mehr eine Satire als gewisse Satiriker, die wie Broome sagt, über alles spotten, um nur ihren Wiz zu zeigen, gleich gewissen Schönen, die alles belachen, um ihre weissen Zähne zu verrathen. Und wenn sie nur weisse Zähne hätten, wenn diese Zähne nur nicht hol wären, nur nicht durch Aufbewahrung zurükgebliebener Speisen den Mund in ein lebendiges Grab verwandelten! Eine Satire über die Satire ist ein Zahnstocher, und gewis hätte manche nöthig, sich wie der Mönch selbst zu geiseln. An manchen Orten hat eine Gerichtsperson das Recht, den Scharfrichter, der übel exekutirt, vor den Kopf zu schiessen; und warlich jeder rechtschafne Man mus den härter als mit Spot bestraft wünschen, der über Thorheiten nicht spottet, sondern spaset, dem fremde Verbesserung so gleichgültig wie seine eigne ist, der mit gichterischer Hand ein Rezept gegen die Gicht zusammensezt, der der Kaze gleicht, die für die Ausrottung der Mäuse, welche an einer Rinde ein wenig nagen, sich durch Töpfe vol Milch belohnet, die sie insgeheim aussäuft, oder den Richtern, die oft mehr stehlen als die Diebe, die sie bestrafen, der ferner das Gedeihen der Thorheiten für die bessere Erndte seiner Satire wünscht, gleich dem Todengräber, der für die Fortdauer der Pest betet, um mehrere Toden begraben zu können, und der endlich wohl gar zur Geburt der Thorheiten, die er zeichnen wil, eine freiwillige Ursache wird, wie der Mahler Parrhasius einen abgelebten Man zu Tode quälte, um von seinem Schmerze die Züge für ein Gemählde des gepeinigten Prometheus zu borgen. – Freilich mahlt der Heide den Satir eben so, wie der Christ den Teufel mahlt; aber das Gebetbuch giebt auch dem Teufel den schönen Namen Lucifer, den Zizero dem Morgenstern giebt.

Zu No. II. Die Aufklärung des geistlichen Standes ist weniger ausgebreitet als sie scheint; sie ist mehr in den Büchern als in den Köpfen. Der gemeine Mann glaubt, die ganze Welt geniesse mit ihm um 12 Uhr der Mittagssonne und gewisse menschenfreundliche Schriftsteller urtheilen wie der Pastor des Montaigne. 1) Aber Intoleranz spint noch ihre Gewebe in den Winkeln der Konsistorien, und das grosse Ägypten beherbergt noch dikke Finsternis neben dem lichten Gosen. Alte Kirchen sind dunkel und die meisten Rathshäuser in unerträglichem Geschmak gebauet. Ich kenne viele Theologen, die die Orthodoxie für ihren Magen und die Heterodoxie für ihren Kopf lernen; „um gut in dem Examen zu bestehen“ sagen sie. So heurathet man oft ein runzlichtes Gesicht des Geldes wegen, und entschädigt dafür das angeborne Gefühl des Schönen durch eine Konkubine, die Extrapost der Ehe. So kleidet sich ein armenischer Kaufmann zu Konstantinopel öffentlich desto schlechter, je reicher er zu Hause ist. So täuscht die Raupe durch die Ähnlichkeit ihrer Farbe mit ihrem Nahrungsblatte, die Raubbegier des Vogels. So spielte David den Närrischen vor jenem Könige. Daß die Freiheit im Denken weniger in den höhern als in den niedern Ständen wohnet, daß es nach Verhältnis mehr heterodoxe Landgeistliche als heterodoxe Superindenten giebt, hab ich oft bemerkt. Der vornehme Man isset was dem gemeinen Man ekelt, z. B. Frösche. Die obersten Fächer des Repositoriums sind die engsten und nur kurze Saiten klingen am klarsten. Meine Satire scheint also weder unbillig noch unnöthig zu sein, und auf verwüstete Örter streuet man ja Salz, der Einpökelung des Rindviehes kaum zu gedenken; die Wahrheit der zweifelhaften Sage nemlich noch vorausgesezt, daß das Kupfer auf den Kirchthürmen sich mit der Zeit in Gold verwandle.

Zu No. III. Ein verdienstloser Edelman verdienet mehr Verachtung als jeder andre Verdienstlose, den keine angeborne Ehre zu Verdiensten aufforderte; ein verdienstvoller aber mehr Achtung als der, der sich sein Verdienst nicht auf Kosten eines trägen Stolzes erwerben durfte. Ein Wappen schändet und ehret mehr als keines. Also ein Spot über den Adelstolz, der noch jezt dem Adel mehr als Verdienste angeboren zu sein scheint, schmälert die Verdienste dessen nicht, der sich durch eigne der fremden würdig macht, schmeichelt aber auch der Einbildung dessen nicht, der wie der Mond mit geborgtem Lichte glänzet, und eben so oft wie er Sonnenfinsternisse verursacht; der auf den Besiz einer Präposizion prahlet und den man wie die Römer den Dieb, homo trium litterarum nennen könte. Man klagt jezt über die Geringschäzung des Adels; aber man solte nicht klagen, sondern bedenken, daß alle Menschen den Wilden gleichen, die ihren Göttern Beute und Anbetung so lange opfern, als die Götter als Götter helfen. Ein jeziger Edelman verhält sich zu einem vorigen wie die Kaze zum Löwen; indessen findet der Heraldiker jene und Linnäus diese als Skelete betrachtet, völlig ähnlich, den Unterschied der Grösse und der Eigenschaften ausgenommen. Die Verfeinerung macht überhaupt alles gleich, was sich nicht durch den Kopf unterscheidet. In diesem leztern unterscheidet sich nun der Adel nicht immer von dem Pöbel, und Minerva schreibt lieber mit simpeln Gänsefedern, als mit silbernen, gläsernen oder mit Federn von welschen Hühnern. Aus dem obigen läst sich auch die Ehre erklären, mit der man jezt dem andern Geschlechte begegnet; daher ist jezt eine Edelfrau stolzer als ein Edelman. Selbst das Verfahren der Griechen macht hier keinen Einwand: denn sie waren erstlich so tapfer als fein, stat daß wir jezt mehr das lezte sind, und wer kent zweitens die Schönen nicht, die nicht nur durch Schönheit, sondern auch durch die Kunst, die körperliche Schwäche des Geschlechts durch geistige Stärke zu heben, über griechische Weisheit und griechische Tapferkeit siegten? –

Zu No. IV. Wer in dieser Satire blos alltägliche Sachen mit neuen Ausdrükken aufgestuzt findet, hat Recht; wer sie darum tadelt, hat Unrecht. Ich glaube, was schon oft gesagt worden, müsse immer schön gesagt werden, und nur neue Gedanken können marktschreierischen Puz entbehren. Das lezte zuerst! Ein neuer Gedanke wird von selbst der Günstling des Verstandes, ohne das Vorgespan des Kammermädgen oder der Frau, ich meine der Einbildungskraft, nöthig zu haben, und eine schöne Schöne gewint durch das Negligee, was eine minderschöne erst durch den Puz gewint, und ein gutes Buch braucht keinen Rezensenten zum Herold, zum Läufer. Das Grosse ist wie unsere ersten Eltern gerne nakt; der König von Preussen kleidet sich simpel, und Herkules hatte keinen Tempel, sondern wurde in der freien Luft verehret. Worte folgen den Ideen wie der Schatten dem Lichte; aber in der Mittagssonne ist der Schatten am kleinsten. Aber warum sol man im Gegentheil das Gemeine gemein sagen? warum sol Schale und Kern wie bei dem Koriander gleich hart sein? Ich dächte, die süsse Hülle des Pfersichs entschädigte für den ungeniesbaren Kern. Schmekken doch auch die Nester gewisser Vögel angenehmer als sie selbst; der unnüze Höfling kan allerdings mit dem Werthe seiner kostbaren Kleider prahlen, und die Federn des Pfauen kommen der Schlechtheit seines Fleisches zu Hülfe, und machen ihn zum Stuzer der Dächer. Die meisten Toden werden in einer neuen und schönen Kleidung begraben. Nicht zu gedenken, daß ferner die Worte die Gedanken, der Leib die Sele, unterstüzen und sie entweder der Prüfung unter das Glas bringen oder der Überzeugung besser anempfehlen. Nicht zu gedenken, daß dieses alles die Fuhrwege pflastern heist, die am kothigsten sind, weil am meisten darauf gefahren wird; so ist auch gewis, daß die loci communes sich nicht so leicht verschönern lassen als man denkt, und daß auf den Fussteigen kein Gras wächst. Die Philosophie erfindet, die Poesie verschönert die Erfindung; die eine ist Kolumb, der Amerika entdekt, die andere Vespuzius Amerikus, der es benent; die eine Tuchmacher, die andre Schneider; die eine Bergman, die andre Münzer; die eine schüttelt die Äpfel, die andere samlet sie in Körbe, und bereitet sie für den Gaumen; die eine ist das Uhrwerk, die andre die Glokke, welche den Kindern desselben, den Stunden, den Namen giebt; die eine ist Fechtmeister, die andre Tanzmeister, die eine Mutter, die andre die Frau Gevatterin. Dieses alles mag die Antwort für den sein, der nach der Durchlesung von No. IV. mit dem Malebranche fragt, was ist denn damit bewiesen? – – Wer glaubt, man habe in No. IV. dem schönen Geschlechte nicht die gehörige captatio benevolentiae gemacht, nicht die Hand desselben in effigie, nämlich den Handschuh, in den sie sich oft verschleiert, geküst, wie Könige sonst dem Knechte der Knechte den Fus, dem sie kund und zu wissen gethan, daß nicht jede Zunge die gehörigen Gaben für die Schmeichelei besize und manche selbst zu rauh sei, um nicht durch gutgemeintes Lekken zu verlezen. Die Schmeichelei gleicht dem Feigenbaum, dessen Saft giftig und dessen Früchte süsse sind, oder den Vampyren, die das Blut aus dem Schlafenden herauslekken, und dem Opfer ihrer Zunge noch kühle Lüftgen zuwehen, um es in seinem Schlummer zu erhalten. Männer wie schändlich opfert ihr der Schmeichelei die Ehre eures Geschlechts auf. Doch nicht nur dieses Namens unwürdig, verdienet ihr nicht einmal den Namen des Geschlechts, das über eure Rechte triumphirt und bald von euch zu schlecht denken wird, um euch unter seine Sklaven zu zählen. Denn bald werden sich eure Schmeicheleien in Wahrheit verwandeln, ihr werdet so lange lügen, bis ihr wahr redet, und so lange fallen, bis ihr unter das zweite Geschlecht fallet! Aber um Vergebung, ich träumte jezt und vergas, daß ich in Deutschland träumte. Was nicht ein Nachtwandler für gefährliche Reisen unternimt! Allein eine blinde Henne findet doch wohl auch ein Korn, und der obige Traum mag wohl nur dies bedeuten, daß das erste Geschlecht seine Weiblichkeit dem zweiten zu verdanken habe. Übrigens weis jeder, daß eine Frau (nämlich Semiramis) dem Manne am ersten das raubte, was ihn von ihr unterscheidet. Allein ich solte nicht blos für obigen Traum, sondern auch für No. IV. und für andre Nummern auch darum um Vergebung bitten, weil jeder und das schöne Geschlecht am meisten dem Spot Unempfindlichkeit andichtet, und bei dem Satiriker mit der Gewisheit ein hartes Herz vermuthet, mit welcher es sich bei gewissen Leuten vermuthen läst, die durch Volstrekkung anbefohlner Strafen ihr Gefühl gegen den Eindruk fremder Leiden abhärten. Gerade als wenn Lachen und Weinen zweierlei Jahrszeiten wären! als wenn das Lachen oft nicht mit Thränen geboren würde! als wenn Heraklit der Antipode des Demokrits wäre! Und wer weis übrigens nicht, daß der gemeine Man oft den Scharfrichter stat eines Arztes braucht! Zur Vermeidung jenes Verdachts daher wil ich folgenden Einfal meines Vetters, der gestern die dritte Frau betrauerte und beklagte, nicht gebilligt haben. „Beim Vogelschiessen, sagt' er heute, wird nur der Schüze König, der den Rumpf herunterschiest, aber nicht der, der etwa den Kopf oder den Flügel, oder den Fus u. s. w. gewint. Mit dieser Bemerkung getraue ich mir heute in der Halbtrauer das vierte weibliche Element meiner Ehe zu erhalten.“ Mein Vetter, der sonst hübsch aussieht, hat nun manchmal solche dumme Einfälle, wie jeder kluge Man! Um diesen Einfal zu verstehen, mus man wissen, daß jezt Schönheit, wie sonst Geld, das Band der Ehe ist. Die alte Mode verbindet die zwei Riemen des Schuhes mit silbernen Schnallen, die neueste verbindet sie mit schönen seidnen Bändern.

Zu No. V. und VI. Vacat.

Ein zweiter Band dürfte auf diesen folgen, den ich darum nicht den ersten nante, weil erst das Urtheil des Publikums entscheiden mus, ob er einen Bruder haben sol. – Die Vortreflichkeit des Titels von meinem Buche wird mich für meine lange Wahl belohnen; ich halte ihn wenigstens alzeit für nichtpassend genug, um ihn für gut zu halten. Der Wiz unserer Schriftsteller nämlich glänzt auf der ersten Seite der Bücher in vollem Lichte, so wie er auf den lezten Seiten im lezten Viertel ist. So prangt in England vor den Wirthshäusern auf dem Lande, ein Galgen mit einem Schilde, in dessen Ausschmükkung sich der Beutel des Besizers auf Kosten des Gasthofs erschöpft. 2) Kein Autor schändet sein Buch mit einem christlichen Taufnamen; fast jeder Bauer schreibt sich ja Hans, Christian etc. Man wählt daher lieber, gleich den Independenten zu Karls I. Zeiten, Namen aus dem A. T. Oder man bittet Griechen und Römer zu Gevattern. Einige Erdsöhne schreiben auch den Göttern des heidnischen Himmels einen Gevatterbrief, gleich den Unterthanen, die den adelichen Hern ihres Dorfs in den Pathen desselben verwandeln. – Ich nun habe mir den Titel meines Kindes der Rarität wegen aus Grönland verschrieben. Man wird nämlich aus Kranz und andern wissen, daß die Partheien daselbst ihre Streitigkeiten in getanzten und gesungenen Satiren abthun und sich mit einander, ohne das Sprachrohr der Advokaten, schimpfen. Ergo betitle ich mein Buch: grönländische Prozesse, q. d. e. Bis hieher hab ich etwas zu sagen verschoben, was vielleicht jeder Leser schon auf der ersten Seite errathen, nämlich dies: daß der Verfasser dieser Skizen noch jünger ist, als die, die ihn rezensiren werden. Das ist viel gesagt! Allein nicht zwar darum, um auf meine Jugend unbillige Nachsicht zu betteln, sondern um wegen derselben keine unbillige Strenge zu erfahren. Doch wäre der erstere Endzwek nicht eben ganz verwerflich, und gewisse geile Auswüchse des Wizes liessen sich wohl mit jenem Geständnisse entschuldigen. Junge Federn haben Blut. Die Einbildungskraft für die warme Jugend, den Scharfsin für das kalte Alter! In kalten Ländern ergözen die Vögel mit einer schönen Stimme, in warmen nur mit schönem Gefieder; in kalten giebts mehr Eisen, in warmen mehr Edelgesteine. Wer kan wissen, wie oft er fehlet! Eben seh' ich, daß meine Vertheidigung selbst einer Vertheidigung nöthig hat. Wenigstens darf ich hoffen, daß man von dem, der weniger ist, als er werden kan, nicht die Vorzüge dessen fordern werde, der das ist, was er werden konte. Dieses aber darf ich nicht hoffen, wenn die Kritiker noch den Insekten zu gleichen fortfahren, die mehr die Blüthe als die Früchte eines Baumes umschwärmen und mit ihrem Stachel aussaugen. Doch die Ungeduld meiner Leser dürstet vielleicht zu sehr nach einem wohlthätigen Dixi, und ich schliesse, um diese Vorrede oder diesen Beschlus nicht durch unmäßige Vergrösserung, dem hohen Kopfpuze oder den hohen Schuhabsäzen der Weiber gleich zu machen.

R.

 

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1) Quand les vignes gélent en mon village, mon prestre en argumente l'ire de Dieu sur la race humaine, et iuge que la pepie en tienne defia les Cannibales. Montaigne L. I. ch. XXV. 

2) Museum 1776 Jul. S. 632.