BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf von Jhering

1818 - 1892

 

Scherz und Ernst in der Jurisprudenz

 

Zweite Abtheilung

Plaudereien eines Romanisten

 

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Ein Brief an die Redaktion als „Einleitung“. 1)

 

Sie haben mich kürzlich wieder an ein Versprechen erinnert, das ich Ihnen vor Jahren, kurz bevor ich Wien verließ, in einer jener Zusammenkünfte in der goldenen Ente gegeben habe, durch welche die Juristische Gesellschaft in so glücklicher Weise das Gleichgewicht zwischen ihrem geselligen und juristischen Bedürfnis herzustellen wußte, an das Versprechen, Ihnen einen Beitrag für die „Juristischen Blätter“ zu liefern 2). Ich weiß nicht, was ich in der heiteren Stimmung, die sich des vom Drucke der Jurisprudenz befreiten Gemüthes bei einer derartigen Nachtfeier bemächtigte, nicht Alles versprochen hätte! Leute, welche leicht versprechen, haben regelmäßig auch die glückliche Eigenschaft, rasch wieder zu vergessen, – die Natur gleicht auf diese Weise das Mißverhältnis zwischen ihrer Gutmüthigkeit und Leistungsfähigkeit wiederum aus und auch mein Ihnen damals gegebenes Versprechen war bei mir gänzlich der Vergessenheit anheimgefallen, bis es durch Ihre Mahnung mir wieder in die Erinnerung zurückgerufen worden ist. So erheben sich die [122] Geister längst geschwundener Stunden aus dem Grabe und präsentiren Einem den Wechsel, den man in heiterer Stimmung ausgestellt hat, – ich werde den Wechsel einlösen.

Aber Sie müssen mir verstatten, dies in einer Weise zu thun, die dem Orte und den Umständen entspricht, an dem und unter denen es ertheilt worden ist. Ich habe mein Versprechen in der goldenen Ente gegeben und werde es in der goldenen Ente erfüllen, das heißt: ich bilde mir ein, daß ich dort bei einem Glase Wein mit Ihnen zusammensäße und mich über juristische Dinge mit Ihnen unterhielte, mit anderen Worten: ich werde mit Ihnen plaudern, und Sie lassen dies Geplauder, soweit Sie es geeignet finden, in den „Juristischen Blättern“ abdrucken.

Der Titel, unter dem ich Ihnen meine Beiträge gebe: „Plaudereien eines Romanisten“, ist, meines Wissens, ein noch nicht dagewesener, und ich bilde mir etwas darauf ein, unter diesem Titel eine neue literarische Form der Behandlung juristischer Dinge in die Welt gesetzt zu haben. Es ist der Feuilletonartikel auf dem Gebiete des Rechtes. Jene Bezeichnungsweise soll mir in sachlicher wie formeller Beziehung die Ungezwungenheit und Leichtigkeit der völlig unvorbereiteten mündlichen Unterhaltung gewähren, ich will plaudern – Jeder muß wissen, ob er meinem Plaudern zuhören will.

Sie wissen jetzt, daß diese Plaudereien nicht den Anspruch erheben, der Literatur anzugehören; sie haben ihren Zweck erfüllt, wenn sie Ihren Lesern eine vorübergehende Unterhaltung oder eine Anregung zu eigenem Denken gewährt haben; dazu, um von deutschen Professoren citirt zu werden, sind sie nicht bestimmt, sie tauchen auf und gehen unter mit dem Augenblick; bei mir, der ich sie rasch zu Papier zu werfen gedenke, ebenso wie beim Leser, der sie vergessen mag, wenn er sie gelesen hat. [123]

Das also ist der Pakt, den ich mit Ihnen und Ihren Lesern schließe: Erlaubnis nach Herzenslust und ohne alle Vorbereitung zu plaudern. Mir ist vor all den ernsten Dingen, mit denen ich mich in den letzten Jahren beschäftigt habe, und in der Atmosphäre, die sich über unserer würdigen Georgia Augusta lagert, so ernst zu Sinne geworden, daß ich das Bedürfnis fühle, mich einmal gründlich auszuspannen, zu lachen und Scherze zu treiben. Hätte ich meine Unterhaltungen mit Ihnen nicht bereits mit dem obigen Namen belegt, so würde sich, da sie unserer Verabredung zufolge in der goldenen Ente bei einem Glase Wein spielen sollen, der Name „juristische Enteneier“ empfehlen, – wären es goldene, so würde ich sie selber behalten; da dies nicht geschieht, so wissen Sie, was Sie von ihnen zu halten haben! wenn bei dieser Gelegenheit „juristische Enten“ zum Vorschein kommen – eine Varietät, die, meines Wissens, bisher noch nicht konstatirt worden ist –, so werden Sie Sich darüber nicht wundern dürfen.

Ich habe einen großen Vorrath solcher Eier; ich glaube, ich könnte sie dutzendweis abgeben. Sie liegen bis jetzt wild und ungeordnet durcheinander, oder, richtiger, sie sind noch gar nicht da, sie stecken noch ungelegt in mir – ich trage ein ganzes Nest davon in meinem Kopfe herum!

Es ist wunderbar, wie einem Menschen, der sein Leben lang systematische Vorträge gehalten hat, das System und das Klassificiren zuletzt zum unwiderstehlichen Bedürfnis, zur zweiten Natur wird – ich muß selbst die noch ungelegten Eier klassificiren! Sie wissen, daß ein Romanist eigentlich aus zwei Hälften besteht: halb Dogmatiker, halb Rechtshistoriker, und wenn sich die Wesenseigenthümlichkeit dessen, was der Mensch ist, auf das erstreckt, was er erzeugt, so werden auch die Erzeugnisse des Romanisten diesen Doppelcharakter an sich tragen. Sie werden demnach für meine [124] zukünftigen Eier zwei Fächer anzulegen haben: ein dogmatisches und ein rechtshistorisches.

Ein „rechtshistorisches“? fragen Sie und schütteln den Kopf. Ich weiß, was das bedeuten soll. Das Publikum der „Juristischen Blätter“, wollen Sie sagen, besteht vorzugsweise aus Praktikern des österreichischen Rechts; was soll denen die römische Rechtsgeschichte?

Ich will's gleichwohl darauf wagen, ich habe es mir einmal in den Kopf gesetzt, die römische Rechtsgeschichte bei Ihrem Publikum zu Ehren zu bringen. Nicht durch künstliche Mittel, durch die man bekanntlich auch die geschmacklosesten Gerichte schmackhaft machen kann. Es gilt als Probestück des richtigen französischen Koches, daß er Leder so zuzubereiten verstehe, daß der Unkundige, der es ißt, nie etwas Besseres auf der Zunge gehabt zu haben glaubt. Eine der ersten Autoritäten auf dem Gebiete der Saucentheorie erfand für die kulinarische Unwiderstehlichkeit einer gewissen Sauce das treffende Motto: „Avec une telle sauce on mangerait son père“. Ich zweifle nicht daran, daß ein Mann mit dem rechten Humor und Witz jenes Probestück auch mit einer juristischen Materie – es giebt darunter welche, die es mit jedem Leder aufnehmen – fertig bringen würde, und vielleicht ist der Mann schon geboren, der uns dermaleinst mit einer „Elegie über den non usus“ oder „Scenen aus dem Leben des diligens paterfamilias“ beschenken wird.

Solchen künstlichen Reiz hat die römische Rechtsgeschichte nicht nöthig, sie kann der Saucen entbehren, es kommt nur darauf an, daß man sie richtig behandelt. Für die römische Rechtsgeschichte habe ich meine eigene Methode der Behandlung. Sie weicht von der herrschenden ab. Aber sie hat sich bewährt. Ich habe sie bisher als Geheimnis bewahrt; ich erachte jetzt die Zeit für gekommen, sie zu Nutz und Frommen Anderer zu veröffentlichen. [125]

Eine Hauptsache dabei ist eine gute, feine Cigarre, nicht zu schwer, nicht zu leicht, außerdem ein Sofa oder Kanapee. Nachdem man sich mit dem positiven rechtshistorischen Materiale hinlänglich gesättigt hat, schließt man die Thür ab, um sich durch Niemanden stören zu lassen, zündet sich die Cigarre an und wirft sich aufs Sofa; ob man dabei die Beine in die Höhe strecken will, wie ich es bei mir probat gefunden, hängt von der Individualität ab. Dann richtet man sein ganzes Denken mit aller Willenskraft auf die alte Zeit, indem man Alles um sich herum und sich selber vergißt. Man denkt sich in den Gedanken hinein, man habe selber in jener Zeit gelebt und sei nur durch eine seltsame Laune der Natur auf dem Wege der Seelenwanderung im neunzehnten Jahrhundert als Privatdocent oder Professor des römischen Rechtes an dieser oder jener Universität wieder zum Vorschein gekommen, ursprünglich sei man ein alter Römer gewesen, und das wenige, was man über die alte Zeit aus Büchern wisse, sei nur der letzte Rest der eigenen Erinnerung, die es nur gelte durch energische Anstrengung wieder recht lebendig zu machen, was schon die griechische Philosophie bei der Lehre von der Seelenwanderung für möglich hielt. Hat man eine Zeit lang in dieser Weise mit offenen Augen träumend dagelegen, so wird die Erinnerung an die alte Zeit in der That wieder wach, das Bild derselben steigt aus dem Grunde der Seele (der Region des „Unbewußten“) wieder auf und spiegelt sich ab in den Wolken des Cigarrendampfes, den man von sich bläst; man sieht sich selber wandeln auf den Straßen des alten Rom und macht alle schönen Dinge der römischen Rechtsgeschichte mit: eine mancipatio, in jure cessio, Manusehe, in jus vocatio u. s. w. Es ist unglaublich, was man da alles bei einer einzigen Cigarre erfahren kann! Aber freilich muß man zu rauchen verstehen, und das verstehen Manche nicht. Darum sehen sie auch nichts, selbst wenn sie [126] sich eine Cigarre anzünden und sich dabei aufs Sofa werfen, sie erzeugen zwar gewaltige Rauchwolken, stärkere als manche Andere, die zu rauchen verstehen, aber sie erblicken keine Bilder darin. Darum behaupten sie, daß ein Anderer es auch nicht vermöge oder, wenn er es behaupte, daß die Bilder nichts seien als Eingebungen seiner durch Tabaksnarkose erregten Phantasie, welche die Wissenschaft mit Protest zurückzuweisen habe, – wo die Quellen aufhörten, da höre auch die Wissenschaft auf. Ich meinerseits behaupte: da fängt sie erst recht an, – – – ich bleibe dem Rauchen treu.

Ich habe in meiner Kiste noch einen anständigen Vorrath von Cigarren; ich werde mir hie und da eine davon anzünden und Ihnen berichten, was ich gesehen habe. Ich werde diese Berichte als „Bilder aus der römischen Rechtsgeschichte“ bezeichnen. Es ist ein hübscher Titel, und ein solcher allein ist schon etwas werth, vorzüglich bei einem Gegenstande von so zweifelhafter Anziehungskraft, wie die römische Rechtsgeschichte, und ich sehe nicht ein, warum wir Leute der Wissenschaft die schönen Titel lediglich den Literaten überlassen sollen, bei denen der Titel mitunter das einzige Neue und Pikante am ganzen Werke bildet. Mein glücklicher Instinkt hat mich den Werth eines guten Titels schon früh erkennen lassen, der Titel meiner Werke hat ihrer Verbreitung und Bekanntschaft nicht wenig Vorschub geleistet. Denken Sie sich meinen „Geist des römischen Rechts“ unter dem Namen: „Über den Charakter und die Bedeutung u. s. w.“ oder „Versuch einer Ermittlung der charakteristischen Züge u. s. w.“ oder meinen „Kampf ums Recht“ unter dem Titel: „Über die sittliche Verpflichtung der Privatperson, ihr Recht unter Umständen geltend zu machen u. s. w.“ Wer hätte einen solchen Titel behalten? Der Titel muß die Eigenschaft eines militärischen Kommandowortes haben: kurz, präcise, [127] bestimmt, kategorisch; er muß ein literarisches Kommandowort sein, das man in die Welt hinausschreit.

Der Name, den das zukünftige Kind haben soll, ist jetzt gefunden, es fehlt nur noch die Kleinigkeit: das Kind selbst. Ich bin gespannt darauf, wie es aussehen wird, es geht mir wie der Mutter vor der Entbindung: wird es ein Junge werden – ein Mädchen –, schön, gesund, stark – schwächlich, häßlich – ein Wechselbalg? Kurz es werde, was es will, es liegt nicht viel daran – es ist ja bei ihm nur auf ein Eintagsleben abgesehen.

 

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1) Juristische Blätter, herausgegeben von Max Burian und Lothar Johanny, Jahrgang IX, Wien 1880, Nr. 10. 

2) Es war auf eine Fortsetzung meiner Briefe eines Unbekannten abgesehen, von denen man inzwischen erfahren hatte, daß sie von mir herrührten.