BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich von Kleist

1777 - 1811

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12tes Blatt    Den 13ten October 1810.

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Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft.

 

Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegränzte Wasserwüste, hinauszuschauen. Dazu gehört gleichwohl, daß man dahin gegangen sei, daß man zurück muß, daß man hinüber mögte, daß man es nicht kann, daß mam Alles zum Leben vermißt, und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Fluth, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt. Dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, um mich so auszudrücken, den Einem die Natur thut. Dies aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nehmlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild that; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunct im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnißvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob es Joungs Nachtgedanken hätte, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob Einem die Augenlieder weggeschnitten wären. Gleichwohl hat der Mahler Zweifels ohne eine ganz neue Bahn im Felde seiner Kunst gebrochen; und ich bin über[48]zeugt, daß sich, mit seinem Geiste, eine Quadratmeile märkischen Sandes darstellen ließe, mit einem Berberitzenstrauch, worauf sich eine Krähe einsam plustert, und daß dies Bild eine wahrhaft Ossiansche oder Kosegartensche Wirkung thun müßte. Ja, wenn man diese Landschaft mit ihrer eignen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser mahlte; so, glaube ich, man könnte die Füchse und Wölfe damit zum Heulen bringen: das Stärkste, was man, ohne allen Zweifel, zum Lobe für diese Art von Landschaftsmahlerei beibringen kann. – Doch meine eigenen Empfindungen, über dies wunderbare Gemählde, sind zu verworren; daher habe ich mir, ehe ich sie ganz auszusprechen wage, vorgenommen, mich durch die Aeußerungen derer, die paarweise, von Morgen bis Abend, daran vorübergehen, zu belehren.

cb.

[Brentano (vgl. Erklärung)]

 

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Den 6ten October: Selbstbeherrschung.

 

Die Persönlichkeit und das eigenthümliche Talent Unzelmanns in der Rolle des Oberhofmeisters wurde sehr vermißt. Dergleichen ist den sonst glücklichen komischen Gaben des jungen Gern versagt. Der Dichter Iffland portraitirt und das Fehlen eines dieser Porträts aus dem Zusammenhang der Gallerie konnte der Schauspieler Iffland auch mit der überschwenglich spaßhaftesten Laune nicht vergessen machen. Die ernsthafte Parthie des Stücks wird selbst durch die reife Gemüthlihkeit der Madame Bethmann und die lieblichste Zartheit der Mlle. Maas nicht immer in gleichem Interesse erhalten. Erwähnen müssen wir noch der überraschend angenehmen Erscheinung des Herrn Rebenstein durch Wärme des Vortrags, Anstand und Gewandheit in den Bewegungen, nur an Geschmeidigkeit und Fluß der Rede bleibt noch viel zu wünschen übrig.

fs.

[Friedrich Schulz]

 

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[49]

Charité=Vorfall.

 

Der von einem Kutscher kürzlich übergefahrne Mann, Namens Beyer, hat bereits dreimal in seinem Leben ein ähnliches Schicksal gehabt; dergestalt, daß bei der Untersuchung, die der Geheimerath Hr. K., in der Charité mit ihm vornahm, die lächerlichsten Mißverständnisse vorfielen. Der Geheimerath, der zuvörderst seine beiden Beine, welche krumm und schief und mit Blut bedeckt waren, bemerkte, fragte ihn: ob er an diesen Gliedern verletzt wäre? worauf der Mann jedoch erwiederte: nein! die Beine wären ihm schon vor fünf Jahr, durch einen andern Doktor, abgefahren worden. Hierauf bemerkte ein Arzt, der dem Geheimenrath zur Seite stand, daß sein linkes Auge geplatzt war; als man ihn jedoch fragte: ob ihn das Rad hier getroffen hätte? antwortete er: nein! das Auge hätte ihm ein Doktor bereits vor 14 Jahren ausgefahren. Endlich, zum Erstaunen aller Anwesenden, fand sich, daß ihm die linke Rippenhälfte, in jämmerlicher Verstümmelung, ganz auf den Rücken gedreht war; als aber der Geheimerath ihn fragte: ob ihn des Doktors Wagen hier beschädigt hätte? antwortete er: nein! die Rippen wären ihm schon vor 7 Jahren durch einen Doktorwagen zusammengefahren worden. – Bis sich endlich zeigte, daß ihm durch die letztere Ueberfahrt der linke Ohrknorpel ins Gehörorgan hineingefahren war. – Der Berichterstatter hat den Mann selbst über diesen Vorfall vernommen, und selbst die Todtkranken, die in dem Saale auf den Betten herumlagen, mußten, über die spaßhafte und indolente Weise, wie er dies vorbrachte, lachen. – Uebrigens bessert er sich; und falls er sich vor den Doktoren, wenn er auf der Straße geht, in Acht nimmt, kann er noch lange leben.

 

[Kleist]

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[50]

Auflösung des Räthsels im vorigen Blatt.

 

Freund, missest du des Räthsels Spur? –

Durchblättere den Jason nur.

Fr. Sch.

[Friedrich Schulz]

 

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Miscellen.

 

Der Commendant der Französischen Truppen in Eisenach soll den dasigen Einwohnern versprochen haben, daß künftig alle Pulverwägen vorher untersucht werden, oder um die Stadt herumfahren sollen. Diese Versicherung soll den Einwohnern zur großen Beruhigung gereichen.

Eine hiesige Künstlerin, die sehr geschätzt wird, soll, wie man sagt, eben darum das Theater verlassen. Das Nähere hierüber in einem zukünftigen Blatt.

Der Gr. von St. Leu wird, heißt es, nach Vollendung seiner Cur in Töplitz, wieder nach Frankreich zurückkehren. –

 

[Kleist]

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Polizeiliche Tages=Mittheilungen.

 

Auf dem Markte ist einem fremden Müller eine abgenutzte Metze zerschlagen und eine ungestempelte nach Erlegung von 2 Rthlr. Strafe konfiszirt.

Einem hiesigen Einwohner, ist ein silbener Vorlegelöffel und Eßlöffel gestohlen.

 

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Montag, den 15ten d. M.

Wird bei J. E. Hitzig, hinter der katholischen Kirche Nr. 3, und in der Expedition der Berliner Abendblätter, Jägerstraße Nr. 25, ausgegeben:

UNIVERSITATI LITTERARIAE.

Kantate auf den 15ten Okt. 1810 von Clemens Brentano.

Mit einer schönen Titelvignette, das Universitätsgebäude vorstellend.

4to splendid gedruckt und geh. 10 Gr. Cour.