BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich von Kleist

1777 - 1811

[251]

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64tes Blatt    Den 13ten December 1810.

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Ueber das Marionettentheater.

 

(Fortsetzung.)

 

Ich äußerte meine Verwunderung zu sehen, welcher Aufmerksamkeit er diese, für den Haufen erfundene, Spielart einer schönen Kunst würdige. Nicht bloß, daß er sie einer höheren Entwickelung für fähig halte: er scheine sich sogar selbst damit zu beschäfftigen.

Er lächelte, und sagte, er getraue sich zu behaupten, daß wenn ihm ein Mechanikus, nach den Forderungen, die er an ihn zu machen dächte, eine Marionette bauen wollte, er vermittelst derselben einen Tanz darstellen würde, den weder er, noch irgend ein anderer geschickter Tänzer seiner Zeit, Vestris selbst nicht ausgenommen, zu erreichen im Stande wäre.

Haben Sie, fragte er, da ich den Blick schweigend zur Erde schlug: haben Sie von jenen mechanischen Beinen gehört, welche englische Künstler für Unglückliche verfertigen, die ihre Schenkel verloren haben?

Ich sagte, nein: dergleichen wäre mir nie vor Augen gekommen.

Es thut mir leid, erwiederte er; denn wenn ich Ihnen sage, daß diese Unglücklichen damit tanzen, so fürchte ich fast, Sie werden es mir nicht glauben. – Was sag ich, tanzen? Der Kreis ihrer Bewegungen ist zwar beschränkt; doch diejenigen, die ihnen zu Gebote stehen, vollziehen sich mit ei[252]ner Ruhe, Leichtigkeit und Anmuth, die jedes denkende Gemüth in Erstaunen setzen.

Ich äußerte, scherzend, daß er ja, auf diese Weise, seinen Mann ge-funden habe. Denn derjenige Künstler, der einen so merkwürdigen Schenkel zu bauen im Stande sei, würde ihm unzweifelhaft auch eine ganze Marionette, seinen Forderungen gemäß, zusammensetzen können.

Wie, fragte ich, da er seiner seits ein wenig betreten zur Erde sah: wie sind denn diese Forderungen, die Sie an die Kunstfertigkeit desselben zu machen gedenken, bestellt?

Nichts, antwortete er, was sich nicht auch schon hier fände; Eben-maaß, Beweglichkeit, Leichtigkeit – nur Alles in einem höheren Grade; und besonders eine naturgemäßere Anordnung der Schwerpuncte.

Und der Vortheil, den diese Puppe vor lebendigen Tänzern voraus haben würde?

Der Vortheil? Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nämlich dieser, daß sie sich niemals zierte. – Denn Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele (vis motrix) in irgend einem andern Puncte befindet, als in dem Schwerpunct der Bewegung. Da der Maschinist nun schlechthin, vermittelst des Drathes oder Fadens, keinen andern, Punct in seiner Gewalt hat, als diesen: so sind alle übrigen Glieder, was sie sein sollen, todt, reine Pendel, und folgen dem bloßen Gesetz der Schwere; eine vortreffliche Eigenschaft, die man vergebens bei dem größesten Theil unsrer Tänzer sucht.

Sehen Sie nur die P... an, fuhr er fort, wenn sie die Daphne spielt, und sich, verfolgt vom Apoll, nach ihm umsieht; die Seele sitzt ihr in den [253] Wirbeln des Kreuzes; sie beugt sich, als ob sie brechen wollte, wie eine Najade aus der Schule Bernins. Sehen Sie den jungen F... an, wenn er, als Paris, unter den drei Göttinnen steht, und der Venus den Apfel überreicht: die Seele sitzt ihm gar (es ist ein Schrecken, es zu sehen) im Ellenbogen.

Solche Mißgriffe, setzte er abbrechend hinzu, sind unvermeidlich, seitdem wir von dem Baum der Erkenntniß gegessen haben. Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.

Ich lachte. – Allerdings, dachte ich, kann der Geist nicht irren, da, wo keiner vorhanden ist. Doch ich bemerkte, daß er noch mehr auf dem Herzen hatte, und bat ihn, fortzufahren.

Zudem, sprach er, haben diese Puppen den Vortheil, daß sie antigrav sind. Von der Trägheit der Materie, dieser dem Tanze entgegenstrebendsten aller Eigenschaften, wissen sie nichts: weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist, als jene, die sie an der Erde fesselt. Was würde unsre gute G... darum geben, wenn sie sechzig Pfund leichter wäre, oder ein Gewicht von dieser Größe ihr bei ihren entrechats und pirouetten, zu Hülfe käme? Die Puppen brauchen den Boden nur, wie die Elfen, um ihn zu streifen, und den Schwung der Glieder, durch die augenblickliche Hemmung neu zu beleben; wir brauchen ihn, um darauf zu ruhen, und uns von der Anstrengung des Tanzes zu erholen: ein Moment, der offenbar selber kein Tanz ist, und mit dem sich weiter nichts anfangen läßt, als ihn möglichst verschwinden zu machen.

 

(Die Fortsetzung folgt.)

 

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Austern und Butterbrodte, die an den

Bäumen wachsen.

 

Wer gern frische Austern mit Zitronensaft, und zwar umsonst, einschlürfen möchte, der wird von dem muthigen Begründer brandenburgischer Kolonieen an der afrikanischen Küste, dem Herrn v. Groben (Orientalische Reisebeschreibung, Marienwerder 1694. S. 30) gereizt, bei jetziger theurer Austernzeit, dort hin zu schiffen, wo die unzähligen Austern im Fluße Serra Liona sich oft an die Aeste der Zitronenbäume anlegen, die von den Wipfeln herunter ins Wasser niederhängen, weswegen es leicht seyn muß, ein Dutzend Austern mit der zugehörigen Zitrone von einem Zweige zu schneiden. Eine feurige Rebe möchte sich dazu recht schicklich um den Baum schlingen, auf daß mit der Zeit auch ein Gläschen Wein nicht fehlen könnte; verständige Leute können dann im Schatten behaglich ihre Ruhe finden, während die Affen immer frische Austernzweige aus dem Wasser holen und die Gläser mit Wein füllen. – Das nenne ich ein schönes Bild der Resignation. Wer geringere Anforderungen an das Leben und an die Geselligkeit macht, und gewohnt ist, Abends auf ein Butterbrodt eingeladen zu werden, dem wird es wohl anstehn, nach Amerika zu gehn, um sich dort zwischen einem Brodtbaume und einem Butterbaume anzubauen. – Das nenne ich ein gutes häusliches Leben, – wobei kein Mensch vor seinem Tode nöthig hat, zu denen Erdfressern (wer kennt sie nicht aus Humboldt's Nachricht) überzugehen.

L. A. v. A.

[Arnim]

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Bülletin der öffentlichen Blätter.

 

Aus Frankreich den 25. Nov.

Da das System Frankreichs und die mit sämmtlichen Continental-staaten bestehenden Verhältnisse, die lange Dauer des Friedens im Osten und Norden von Europa verbürgen: so marschiren neuerlich beträchtliche Kolonnen der bisher im innern Frankreichs und in Ober-italien zurückgebliebenen Truppen nach Spanien und Portugal, um den dortigen Krieg einmal zu beendigen.                          (Magdeb. Zeit.)