BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich von Kleist

1777 - 1811

[259]

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66tes Blatt    Den 15ten December 1810.

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Ueber das Marionettentheater.

 

(Beschluß.)

 

Bei dieser Gelegenheit, sagte Herr C... freundlich, muß ich Ihnen eine andere Geschichte erzählen, von der Sie leicht begreifen werden, wie sie hierher gehört.

Ich befand mich, auf meiner Reise nach Rußland, auf einem Landgut des Hrn. v. G..., eines Liefländischen Edelmanns, dessen Söhne sich eben damals stark im Fechten übten. Besonders der Aeltere, der eben von der Universität zurückgekommen war, machte den Virtuosen, und bot mir, da ich eines Morgens auf seinem Zimmer war, ein Rappier an. Wir fochten; doch es traf sich, daß ich ihm überlegen war; Leidenschaft kam dazu, ihn zu verwirren; fast jeder Stoß, den ich führte, traf, und sein Rappier flog zuletzt in den Winkel. Halb scherzend, halb empfindlich, sagte er, indem er das Rappier aufhob, daß er seinen Meister gefunden habe: doch alles auf der Welt finde den seinen, und fortan wolle er mich zu dem meinigen führen. Die Brüder lachten laut auf, und riefen: Fort! fort! In den Holzstall herab! und damit nahmen sie mich bei der Hand und führten mich zu einem Bären, den Hr. v. G., ihr Vater, auf dem Hofe auferziehen ließ.

Der Bär stand, als ich erstaunt vor ihn trat, auf den Hinterfüßen, mit dem Rücken an einem Pfahl gelehnt, an welchem er angeschlossen war, [260] die rechte Tatze schlagfertig erhoben, und sah mir ins Auge: das war seine Fechterpositur. Ich wußte nicht, ob ich träumte, da ich mich einem solchen Gegner gegenüber sah; doch: stoßen Sie! stoßen Sie! sagte Hr. v. G... und versuchen Sie, ob Sie ihm Eins beibringen können! Ich fiel, da ich mich ein wenig von meinem Erstaunen erholt hatte, mit dem Rappier auf ihn aus; der Bär machte eine ganz kurze Bewegung mit der Tatze und parirte den Stoß. Ich versuchte ihn durch Finten zu verführen; der Bär rührte sich nicht. Ich fiel wieder, mit einer augenblicklichen Gewandtheit, auf ihn aus, eines Menschen Brust würde ich ohnfehlbar getroffen haben: der Bär machte eine ganz kurze Bewegung mit der Tatze und parirte den Stoß. Jetzt war ich fast in dem Fall des jungen Hr. von G. ... Der Ernst des Bären kam hinzu, mir die Fassung zu rauben, Stöße und Finten wechselten sich, mir triefte der Schweiß: umsonst! Nicht bloß, daß der Bär, wie der erste Fechter der Welt, alle meine Stöße parirte; auf Finten (was ihm kein Fechter der Welt nachmacht) gieng er gar nicht einmal ein: Aug' in Auge, als ob er meine Seele darin lesen könnte, stand er, die Tatze schlagfertig erhoben, und wenn meine Stöße nicht ernsthaft gemeint waren, so rührte er sich nicht.

Glauben Sie diese Geschichte?

Vollkommen! rief ich, mit freudigem Beifall; jedwedem Fremden, so wahrscheinlich ist sie: um wie viel mehr Ihnen!

Nun, mein vortrefflicher Freund, sagte Herr C..., so sind Sie im Besitz von Allem, was nöthig ist, um mich zu begreifen. Wir sehen, daß in dem Maaße, als, in der organischen Welt, die Re[261]flexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt. – Doch so, wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Puncts, nach dem Durchgang durch das Unendliche, plötzlich wieder auf der andern Seite einfindet, oder das Bild des Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntniß gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, daß sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am Reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewußtsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.

Mithin, sagte ich ein wenig zerstreut, müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntniß essen, um in den Stand der Unschuld zurück-zufallen?

Allerdings, antwortete er; das ist das letzte Capitel von der Geschichte der Welt.

H. v. K.

[Kleist]

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Aus einem Schreiben aus Potsdam

vom 12. d. M.

 

Es befremdet uns zwar nicht, denn wir sind es zu gewohnt, wenn wir den edlen König in unsrer Mitte persönlich Segen verbreiten sehen; aber es ist doch auch für Andre, welche dies schöne väterliche Wirken nicht vor eigenen Augen haben, erhebend und erfreulich, aus dem Vielen, was man mittheilen könnte, auch nur einen besonderen Zug hiervon zu erfahren. So besuchte Sr. Majestät in der vorigen Woche das hiesige große Waisenhaus, besah und prüfte alles, und um den Kindern eine Freude zu machen (und welche hätte zweckmäßiger für diesen Augenblick sein können?) wurde befohlen, von einem nahgelegenen Schiffe eine ganze Fuhre Aepfel herbei zu schaffen, und sie sogleich unter die Kinder zu vertheilen. Ihr guten kinder, während ihr vergnügt eure Aepfel in Händen hieltet, gab euch euer erhabener Erhalter mehr. Eine sehr beträchtliche Summe in Golde ließ Er dem Institut senden, um es zu etwanigen bessern Einrichtungen zu verwenden, denn für das Nothwendige ist ja schon gesorgt. Auch hatte, während der Essenszeit im Waisenhause, Sr. Majestät befohlen, man solle ihnen von der Suppe schicken, welche die Kinder eben verzehrten; solche wurde durch denselben Knaben überbracht, welcher früher schon eine Anrede an Ihro Majestäten gehalten hatte. Der edle Monarch befragte nach manchem den Knaben, worüber derselbe ordentlich Auskunft gab; zum fernern Fleiß und zur Tugend ermahnt und beschenkt, wurde der Glückliche entlassen. – Und wohl uns, daß wir solche Züge von unserem geliebten Könige, den Gott lange dem Volk erhalten möge, im Herzen bewahren können.

W.

[Verfasser unbekannt]

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Polizeiliche Tages=Mittheilungen.

 

In dem Hause eines Bäckermeisters entzündete sich heute Morgen um drei Uhr der Schornstein, und es entstand hierauf Feuerlärm. Durch die getroffnen zweckmäßigen Anstalten wurde das Feuer, nachdem eine Spritze herbeigeeilt war, sogleich gelöscht.