BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ernst August Klingemann

1777 - 1831

 

Nachtwachen. Von Bonaventura.

 

Funfzehnte Nachtwache:

Das Marionettentheater.

 

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[255]

Funfzehnte Nachtwache

 

So sehr es auch die tägliche Erfahrung lehrt, daß man an allen Plätzen Narren duldet, so aufgebracht war man doch darüber, daß ich den Versuch angestellt hatte, sie fortzupflanzen, und mir wurde darüber sogar zur Strafe mein Narrenkämmerchen aufgesagt.

Ach es war mir recht traurig, als ich von meinen Brüdern Abschied nehmen sollte, um wieder unter die Vernünftigen zu laufen und wie nun die Thür des Tollhauses hinter mir in das Schloß rasselte, stand ich ganz einsam [256] da und suchte melancholisch den Gottesacker auf, wo sie die Ophelia hingetragen hatten. O hätte ich nur mindestens einen Laertes auffinden können, um mit ihm an dem Grabe mich herumzuschlagen, denn ich hatte aus dem Tollhause einen verstärkten Haß gegen alle Vernünftige mitgebracht, die mit ihren platten nichtssagenden Physiognomien, jezt wieder um und neben mir wandelten.

Ein Reicher und ein Bettler haben den Vorzug vor anderen gewöhnlichen Menschenkindern, daß sie ihrem Hange zum Reisen vollen Lauf lassen dürfen. Der Reiche schließt sich die Herrlichkeiten der Erde mit dem goldenen Schlüssel in seiner Hand auf; der Arme hat ein Freibillet für die ganze Natur, und er kann die höchsten und schönsten Wohnungen nach Belieben beziehen; heute den Aetna, morgen die Fingalsgrotte; in dieser Woche den Sommeraufenthalt des Weisen am Genfersee, und in der folgenden die köstliche kry-[257]stallene Halle des Rheinfalles, wo statt der Deckengemälde ihm die Sonne Regenbogen über das Haupt webt, und die Natur seinen Pallast im immerwährenden Zerstören wieder aufbaut.

Zeigt mir einen König, der glänzender wohnen kann, als ein Bettler!

Ich reisete überdies mit dem Vortheile, nirgend um meine Zeche gemahnt zu werden, oder mich für die Nachtmahlzeit bei jemand anderm, als bei der alten Mutter selbst bedanken zu müssen; denn die Erde hatte noch Wurzeln in ihrem Schooße, die sie mir nicht verweigerte, und sie reichte der durstigen Lippe in der dargebotenen Felsenschaale den frischen brausenden Trank des stürzenden Wasserfalls. – Ich war recht froh und frei und haßte die Menschen nach Belieben, weil sie so klein und nichtsnutzig durch den großen Sonnentempel hinschlichen.

[258] Einst hatte ich mich eben von meinem Lager, einem duftenden blumigten Rasen, aufgerichtet, und schaute in die Morgenglut, die wie ein Geist aus dem Meere aufstieg, wobei ich, um das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, eine aufgegrabene Wurzel anbiß. Es gehört zur menschlichen Größe in der Nähe erhabener Gegenstände, Nebengeschäfte zu betreiben, z.B. der aufgehenden Sonne, mit der Pfeife im Munde ins Antlitz zu schauen, oder während der Katastrophe einer Tragödie Makkaroni zu speisen und dergleichen; die Menschen haben es darin sehr weit gebracht.

Als ich nun so behaglich da lag, wandelte mich die Laune zu einem Monologe an, den ich folgendergestalt hielt:

«Nichts geht doch über das Lachen, und ich schlage es fast so hoch an, wie andere gebildete Leute das Weinen, obgleich sich eine Thräne leicht zu Tage fördern läßt, blos [259] durch starkes Hinschauen auf einen Fleck, oder durch mechanisches Lesen Kotzebuescher Dramen, ja zuletzt schon durch heftig anhaltendes Lachen allein. Habe ich nicht letzthin einen ziemlich abgezehrten Mann beim Anblick der aufgehenden Sonne häufig Thränen vergießen sehen, und andere standen nahe dabei und rühmten es als ein Zeichen eines gefühlvollen Gemüthes, und weinten zuletzt über den Weinenden. Nur ich trat hinzu, und fragte: Freund, rührt der Gegenstand so heftig? – Nicht doch; sagte jener, aber der Lichtstrahl wirkt nach neuern Beobachtungen, außerdem daß er niesen und weinen zuwege bringt, auch auf das Erzeugen; und ich war in Italien! – Ich verstand den Mann, der der Sonne zu etwas Reellerm ins Auge schaute, als zum bloßen Phantasieren. – Als ich mich lachend umdrehete, schalten die andern mich weinend in sehr harten Ausdrücken; ich lachte über diesen Kontrast noch stärker, und es fehlte wenig, so hätten sie mich aus Rührung gesteinigt! –

[260] Wo giebt es überhaupt ein wirksameres Mittel jedem Hohne der Welt und selbst dem Schicksale Troz zu bieten, als das Lachen? Vor dieser satirischen Maske erschrickt der gerüstetste Feind, und selbst das Unglück weicht erschrocken von mir, wenn ich es zu verlachen wage! – Was beim Teufel, ist auch diese ganze Erde, nebst ihrem empfindsamen Begleiter dem Monde, anders werth als sie auszulachen – ja sie hat allein darum noch einigen Werth weil das Lachen auf ihr zu Hause ist. Es war alles auf ihr so empfindsam und gut eingerichtet, daß es dem Teufel, der sie einst zum Zeitvertreibe sich beschaute, zum Aerger gereichte; um sich an dem Werkmeister zu rächen, schickte er das Gelächter ab, und es wußte sich geschickt und unbemerkt in der Maske der Freude einzuschleichen, die Menschen nahmen's willig auf, bis es zuletzt die Larve abzog und als Satire sie boshaft anschaute. – Laßt mir nur das Lachen mein lebelang, und ich halte es hier unten aus!» –

[261] Hoho! rief es jetzt dicht an meinem Ohre und als ich mich umdrehete, schaute mir ein hölzerner Hanswurst keck und trotzig ins Antlitz. «Er ist mein Patron! sagte ein großer Kerl, der ihn mir entgegenhielt, und neben sich einen großen Kasten stehen hatte. Er hat Talente zum Hanswurst, und ich brauche eben einen, denn der meinige ist mir heute verstorben. Hat er Lust, so schlage er ein; der Posten ist einträglich, und wirft mehr ab, als Wurzeln fressen!» –

Der hölzerne Spaßmacher schaute mich dabei vertraulich an, und ich fühlte mich zu ihm hingezogen, wie zu einem Freunde. «Der Kerl ist in Venedig geschnitzt, – sagte der Puppenspieler wie zur Aufmunterung – und ich wette, er macht seine Sache besser, als irgend ein anderer; schaue er nur, er geht und steht, wie auf lebendigen Beinen, legt die Hand aufs Herz, trinkt und ißt, wenn ich am Faden ziehe, und kann lachen und wei-[262]nen, wie ein gewöhnlicher Mensch, bloß durch einen leichten mechanischen Druck!» –

Topp! rief ich, und nahm den Kasten auf die Schultern, und die hölzerne Gesellschaft klapperte drinnen unter dem Tragen, wie wenn sie eine französische Revoluzion zum Zeitvertreib aufführte.

Im Wirthshause fanden wir das Theater, und schon Leute, die sichs ansehen wollten; der Direktor gab mir einen flüchtigen theoretischen Unterricht in der tragischen sowohl, wie in der komischen Kunst, auch eröffnete er mir zur Zerstreuung eine kleine Seitenthür, wo mein Vorgänger im Hanswurst auf der Streu im Leichentuche lag, und seine Rolle ausgespielt hatte; das Gesicht war recht boshaft verzogen, und jener sagte: Er ist im Lachen verstorben, wodurch er sich hinter der Bühne einen Stickfluß zuzog! –

Ein schöner Tod! erwiderte ich, und wir machten uns nun bereit die hölzerne Treppe zu dirigiren. Mein Gefährte hatte große Force [263] in den Liebhabern und Liebhaberinnen, wovon er diese durch die Fistel sprach. Mein Hauptfach dagegen war der Hanswurst, doch hatte ich auch nebenzu die Könige zu besorgen. Als der Vorhang fiel, umarmte mich der Mann feurig, und sagte daß ich meinem Posten Ehre mache.

Wie theuer einem indeß das Dirigiren zu stehen kommen kann, das hatten wir Gelegenheit auch unter Marionetten zu erfahren; die Sache trug sich folgendergestalt zu:

Wir hatten unsere Bühne in einem kleinen deutschen Dorfe, nahe an der französischen Grenze, aufgeschlagen. Sie gaben drüben grade die große Tragikomödie, in der ein König unglücklich debütirte, und der Hanswurst, als Freiheit und Gleichheit, lustig Menschenköpfe, statt der Schellen, schüttelte. – Wir hatten den unglücklichen Einfall den Holofernes auf das Theater zu bringen, und [264] erhizten dadurch die zuschauenden Bauern so heftig, daß sie die Bühne erstürmten, unter den Schauspielerinnen uns die Judith entführten, und mit ihr und dem abgeschlagenen hölzernen Haupte des Holofernes geradeweges vor das Haus des Schulzen zogen, und nicht weniger als seinen Kopf von ihm forderten. Das in Anspruch genommene Haupt erblaßte, als die Rebellen ihm das blutige hölzerne entgegenhielten, und weil die Sache mir immer bedenklicher schien, so suchte ich ihr rasch eine andere Wendung zu geben. Ich bemächtigte mich des Holoferneskopfes, sprang auf einen Stein, und suchte in der Angst folgende Rede zu Stande zu bringen:

 

«Lieben Landleute!»

 

«Schaut dieses hölzerne blutige Königshaupt an, das ich hier hoch emporhalte. Es wurde, als es noch auf dem Rumpfe saß, durch diesen Drath regiert, den Drath regierte [265] wieder meine Hand, und so fort bis ins Geheimnißvolle, wo das Regiment nicht mehr zu bestimmen ist. Dieses Haupt ist ein königliches, ich aber, der an dem Drathe zog, daß es so oder so nickte, oder schüttelte, bin ein ganz gewöhnlicher Kerl, und komme im Staate in gar keine Betrachtung. Wie könntet ihr euch also wohl gegen diesen Holofernes erzürnen, wenn er nickte, oder schüttelte wie ich es wollte? – Ich denke ihr findet meine Rede vernünftig, Landleute! – Doch aber scheint der Zorn über dieses hölzerne Haupt, sich bestimmt auf das Haupt eures Schulzen übertragen zu haben – und das finde ich unbillig. – Ich will mich bildlich auszudrücken suchen: Mein Holofernes spielt nicht nach eurem Willen; wohlan, so schlagt mich, den gemeinen Kerl, auf die Hände, daß mein Minister, der Drath den ich anziehe, eine andere Richtung bekommt, und durch diese wieder der Königskopf anmuthiger und verständiger nicke oder schüttele. Was hat euch [266] dieser arme Kopf gethan, daß ihr so mit ihm umspringt; er ist das mechanischste Ding auf der Welt und es wohnt nicht einmal ein Gedanke in ihm. Fordert doch von diesem Kopfe keine Freiheit, da er selbst nichts Analoges davon in sich enthält. – Auch ist es ein mißliches Ding um das, war ihr Freiheit scheltet, ist es doch nicht das Marionettenspiel allein, was ihr heute gesehen habt, wo dem hölzernen Könige der Kopf ohne weiteren Erfolg vom Rumpfe geschlagen wird, sondern ich habe dergleichen von noch fehlerhafterer Natur in meinem Kasten, wo der Dichter dem Stoffe nicht gewachsen war, und er nach Art politischer Poeten, die Republick an der er dichtete, zu einer Despotie verpfuschte. Ich kann dergleichen vor euch aufführen! – Unrecht bleibt es auch immer solche widernatürliche Strafen zu exerziren, als z.B. da auf das Köpfen zu bestehen, wo sich kein Kopf vorfindet, denn dieser hölzerne ist nur blos für das Auge da, und zum Glück verstehe ich es, ihn wieder [267] auf den Rumpf zu sezen, was nicht in jedem ähnlichen Falle glücken dürfte. Und wehe meinen armen Marionetten, wenn es einmal einem wirklichen Kopfe einfiele, den hölzernen hier in meiner Hand ersetzen zu wollen, und jener nun auf seine Weise nickte und schüttelte, und den Drath ganz abrisse – da könnte eine Posse sich leicht zu einer ernsten Tragödie revolutioniren! – Ich denke, ich habe genug gesagt, Landleute!» –

Die Menschheit ist im Ganzen, wenn sie nicht grade an fixen Ideen leidet, eine ehrliche einfältige Haut, und sie findet sich leicht in das Entgegengesezteste; ja ich glaube sie kann sich, wenn sie heute ein leichtes Band, das sie fesselte, zerrissen hat, morgen mit eben dem Enthusiasmus in Ketten werfen lassen. Einer der droben zuschaut, muß mit dem Volke Mitleid haben. So gaben auch heute meine Bauern das Revoluzioniren gutmüthig wieder auf, und ließen dagegen ihren Schulzen [268] hochleben; leider nur verwandelte sich diese Freude der lebenden Akteurs in bitteres Leid für meine hölzernen.

Wir Direktoren erwachten nämlich in der folgenden Nacht von einem anhaltenden Geräusche, das vom Theater her erschallte; anfangs schoben wir es auf Rollenneid, oder eine unter der Truppe ausgebrochene Kabale, als wir uns aber näher zu unterrichten suchten, fanden wir unten den Schulzen, dem ich eben das Haupt wieder auf dem Rumpfe befestigt hatte, mit dem Holofernes in der Hand, und von Gerichtsdienern begleitet, die die ganze Truppe im Namen des Staates zu Gefangenen machten, weil man sie für politisch gefährlich erklärte. Alle meine Einreden waren vergeblich, und sie zogen vor meinen Augen mehrere Könige und Herren, als den Salomo, Herodes, David, Alexander u.s.w. aus dem Kasten um sie fortzuschleppen. So inkonsequent verfährt der Staat gegen seine eige-[269]nen Repräsentanten! – Der lezte Mann war mein Hanswurst; ich erniedrigte mich für ihn fast zu Bitten – allein man that mir kund, daß durch ein strenges Zensuredikt alle Satire im Staate ohne Ausnahme verboten sei, und man sie schon zum voraus in den Köpfen konfiscire. Mit Mühe erhielt ich es nur auf einen Augenblick noch mit ihm abseits zu treten; ich nahm ihn mit mir hinter eine Koulisse, und hier in der Einsamkeit drückte ich unbelauscht seinen hölzernen Mund an den meinigen und vergoß die zweite Thräne, denn er war außer Ophelia das einzige Wesen, das ich in der Welt wahrhaftig geliebt hatte. –

Mein Mitdirektor ging den ganzen darauf folgenden Tag wie ein Träumender umher, und am Abende fand man ihn, weil er die angesagte Tragikomödie nicht schuldig bleiben wollte, auf der Bühne an einer Wolke erhängt.

So traurig endete auch dieses Unternehmen, und ich suchte nun endlich mit Ernst, [270] von den Mühseligkeiten des Lebens ermüdet, mich unter den Menschen um einen soliden Posten zu bewerben. Es geht doch nichts auf Erden über das Bewußtsein nützlich zu sein und einen festen Gehalt zu genießen; – der Mensch ist nicht Kosmopolit allein, er ist auch Staatsbürger! – Das Nachtwächteramt war eben vakant geworden, und ich glaubte mich allenfalls tüchtig ihm mit Ehre vorzustehen. Die Welt ist jezt sehr gebildet und man fordert mit Recht große Talente von jedem einzelnen Bürger. –

Wohl dem der Konnexionen hat – es gelang mir bei dem Diener des Ministers Zutritt zu erhalten, er hatte grade seine gute Stunde, und empfahl mich seinem Herrn; so wurde ich die Staatsleiter immer höher gehoben und ging aus einer Hand in die andere, bis zur obersten Sprosse, wo ich einen Fußfall wagte, und man mir gnädig Hoffnung zum Nachtwächter machte. – Eine nähere Prüfung [271] in der ich darthun mußte, ob ich theils einen gemäßigten Vortrag besäße, um den Monarchen wenn er schliefe nicht aus dem Schlafe zu wecken, theils aber auch einen angenehmen und gebildeten, um in schlaflosen Nächten seinen musikalischen Sinn nicht zu beleidigen, fiel nicht ganz unglücklich aus, und ich hatte die Freude mich, nachdem mir vorher noch weiteres Studium angelegentlich empfohlen war, als Nachtwächter angestellt zu sehen.