BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Kurz

1813 - 1873

 

Zur Geschichte

des Romans Simplicissimus

und seines Verfassers

 

1865

 

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[3546b]

5.

Der Titelkrieg.

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Der abenteuerliche Simplicius Simplicissimus“ – unter diesem Namen stellte sich der Ausbund aller deutschen Romane des siebenzehnten Jahrhunderts beim ersten Auftreten seinen Landsleuten vor. Der Name entspricht dem Helden des Märchens, der als Dummling in die Welt eintritt, zuletzt aber aus allen Kämpfen als Sieger hervorgeht. Insofern war der Name sehr gut gewählt. Für fremd und gelehrt klingende Büchertitel sodann haben die Deutschen damals und lange Zeit hernach große Vorliebe gehabt. Doch kann man auch des Guten zu viel thun, und die Häufung der lateinischen Namen scheint in der That wie darauf angelegt selbst einen abgehärteten Leser beim ersten Anblick im Dunkeln zu lassen mit was für einer Art von Landsmann er zu schaffen habe. Im Simplicius vollends fand sich auch der Gelehrte nicht zurecht: es blieb zweifelhaft ob er an einen Philosophen oder an einen Papst, oder, was noch schlimmer, an ein halbes Duzend verschiedenartiger pseudonymer Schriften dieses Namens, die vor nicht gar langer Zeit erschienen waren 1), zu denken habe. Genug, der Name der so bald in aller Mund sehn sollte machte anfangs kein rechtes Glück.

Zu diesem Fehlschlag wirkte ein Gönner mit den sich weder Verfasser noch Verleger wünschten. Das Buch stach einem Nachdrucker in die Augen, der dasselbe zeitgemäß fand, wenn nur Titel und Sprache ein wenig anders wären. Den ersteren verbesserte er, indem er einen „Simplicissimus Teutsch“ auf den Markt warf, der fast wie Vor- und Zuname klang, so jedoch daß der Zuname auch wieder als bloßes Beiwort dem Publicum insinuiren konnte hiemit erhalte es den rechten Simplicissimus, den deutschen, im Gegmsatz zu einem auf fremdem Boden spielenden oder gar in einer fremden Sprache geschriebenen. Dann flickte er dem Verfasser auch noch als Sprachreiniger am Zeug, indem er die Formen die ihm zu derb klangen aufweichte, und auch in dieser Beziehung seiner Ansicht nach einen deutscheren Simplicissimus erzielte. Endlich machte er den Titel durch Rothdruck anlockend (den die Originalausgabe, wie sich zeigen wird, nicht gehabt haben kann), und scheute auch nicht die Kosten eines nachgestochenen Titelkupfers, welches das (muthmaßliche) erste himmelweit übertraf. Diese Verschwendung – die sich auf den Titel beschränkte – hat ihre guten Früchte getragen; denn daß der Streich geglückt ist, das wissen wir ja bereits vom Verfasser und Verleger selbst, werden es aber auch noch aus weiteren Spuren erkennen, die uns indessen zugleich belehren werden was in der Hauptsache das Zeichen war unter welchem der Nachdruck siegte.

Die beiden betroffenen Männer suchten dem Schlag (nachdem vielleicht eine „zweite Ausgabe“ erfolglos geblieben war) durch einen Neudruck zu begegnen, der den Nachdruck mit den nun schon sattsam bekannten „Verbesserungen“ schlagen sollte. Einen noch größeren Vorsprung hofften sie durch die Zugabe des sechsten Buchs zu erreichen. 2) Auf dem Titel ließen sie vor dem „Simplicissimus“ den „ Simplicius“ weg, woraus doch nur geschlossen werden kann daß der Titel des Nachdrucks zunächst wohl auf den Verleger und durch dessen Vorstellungen auch auf den Verfasser etwas einschüchternd gewirkt hatte. Aber ach, das Kupfer dieser zweiten Auflage (ohne Zweifel aus der ersten wiederholt) reicht dem des Nachdrucks nicht das Wasser, und der Druck des Titels ist schwarz von Kopf zu Fuß! Ist es wohl anzunehmen daß Felßecker, wenn er die Einrichtung zum Rothdruck besaß, auf diesen Aushängeschild, den der Gegner so ersprießlich funkeln ließ, verzichtet haben würde? Wir werden alsbald sehen daß eine von ihm verlegte Schrift mit zinnobergeschmücktem Titel auswärts gedruckt worden ist.

Für jetzt aber gibt es einen andern Punkt aufzunehmen, den merkwürdigsten in der ganzen Geschichte dieses Buchs, den wir schon früher mehrmals berührt, zur eigentlichen Besprechung aber bis hieher aufgespart haben.

Wir fanden es ziemlich wahrscheinlich daß Felßecker mit seinem Namen als Verleger des Simplicissimus zurückhaltend gewesen sey. Ob ihn jedoch die Aengstlichkeit so weit trieb sich unter einem erfundenen Namen zu verbergen? Solange diese Frage nicht durch das Auffinden des Urdrucks entschieden wird, müssen wir uns mit Vermuthungen begnügen. Nun sind wir nicht befugt dem Mann eine so übertriebene Vorsicht zuzutrauen, da ja sein Unternehmen nur in einer einzigen Nebensache vielleicht etwas kitzlich, sonst aber völlig harmlos war. Glaubte er aber dennoch durch die Angabe eines auswärtigen Druckorts und Druckers die Leute irre führen zu müssen, so war es höchst unzweckmäßig sie zugleich durch die Nennung des Verlagsorts Nürnberg auf die rechte Spur zu leiten. Der letztere Grund wird wohl einstweilen zur Verneinung der Frage hinreichend seyn. Einen weit stärkeren Antrieb hatte der Nachdrucker sich mit einem gefälschten Namen zu decken, und so war denn ohne Zweifel er es der den Namen Fillion auf die Bahn brachte.  3) Wenn sich dieß aber wirklich so verhält, dann ist eine in der Geschichte des Buchhandels vielleicht unerhörte That geschehen, dann hat ein rechtmäßiger Verleger seinem Nachdrucker die Firma nachgedruckt. Denn Felßecker hat, wie wir sahen, seinen Neudruck von 1669 auch als einm „Fillion“ hinausgehen lassen. Diese verzweifelte Maßregel zeigt aufs schlagendste wie gewaltig ihm der Nachdruck im Wege stand. Um die Mängel seiner Ausgabe zu Verwischen und ihre Vorzüge zu erhöhen, verkaufte er sie unter dem Namen der den Markt erobert hatte, der so zu sagen der Elzevir des Buchs geworden war. Dem Niemand Fillion geschah hiedurch kein Unrecht, dem Nachdrucker volles Recht, und die fingirte Firma begünstigte das Verfahren. Wie übrigens die beiden feindlichen Fillion auf den großen Messen zu Frankfurt und Leipzig mit einander fuhren, das wäre immerhin wissenswerth.

Pseudo-Fillion der Erste ließ sich nicht abschrecken, sondern beutete den vom Verleger selbst stillschweigend anerkannten Namen nach Kräften aus. Er brachte seinen Nachdruck abermals unter die Presse und druckte jetzt auch die „Verbesserungen“ (auch diese wieder etwas bessernd, d. h. „teutschend“) nach. Während er aber noch in der edlen Arbeit begriffen war, überraschten ihn Verfasser und Verleger mit einer Novität, die er in seiner Art, als Wasser auf seine Mühle begrüßte.

Grimmelshausen und Felßecker ließen sich nämlich auch nicht abschrecken. Dem Simplicissimus folgten seine ersten großen Fort­setzungen „Courage“ und „Springinsfeld“ – die ihm, wie das etwas spätere „Vogelnest,“ nur wenig nachstehen und von bewun­derungswürdiger Unerschöpflichkeit zeugen – auf dem Fuße nach. 4) Auch das sechste, etwas abfällige Buch trifft, wie schon bemerkt, in die Zeit in welcher die zweite Auflage mit dem ersten Nachdruck kämpfte, und die vier letzten Capitel desselben, die den Abschluß jener so denkwürdigen Robinsonade bilden, sind, nach ihrer zusätzlichen Natur zu schließen, eine der kleineren Continuationen, durch welche man dem übrigens beharrlich nachrückenden Widersacher immer wieder vorzukommen suchte. Was aber von allen Arbeiten des Verfassers damals dem Verleger das meiste Zutrauen eingeflößt haben muß, das ist der „Ewigwährende Calender.

Dieser echte Rheinländische Hausfreund von 1670 bietet aber auch mit Ernst und Scherz, Wetter- und Wirthschaftsregeln, astronomisch-astrologischem und Geschichtskalender, Verstand und Aberglauben, eine der Zeit durchaus entsprechende Kost, wie sie kaum jemals, von einem Mann der sich so vielseitige Bildung erworben, dem Volke dargeboten worden ist. Die Geistesverwandtschaft mit dem Hebel'schen Kalender ist so groß, daß der ganze Unterschied der Jahrhunderte sie nicht verdunkeln kann; ja selbst in einzelnen Figuren hat sich die Ähnlichkeit ausgeprägt, denn wie Hausfreund, Adjunct und Schwieger­mutter, so ungefähr, nur unendlich derber, stehen sich Simplicissimus, Knan und Meuder gegenüber; sogar einem Urbild des Zundelfrieders ober Zirkelschmieds begegnet man. Jene drei stehenden Figuren aber sind dem Roman entnommen, zu dessen Fortsetzungen der Kalender gewissermaßen ebenfalls gehört. Er gibt sich als von Simplicissimus selbst verfaßt, der dessenungeachtet vermittelst geschickter Einkleidungen fast beständig auf dem Kalenderschauplatz gegenwärtig erhalten wird. Der Name war durch die verschiedenen Ausgaben jetzt nachgerade eingebürgert und mundgerecht, und von dieser Seite mag der Nachdruck erheblichen Nutzen gebracht haben. Hinwieder thut aber auch der Kalender sein mögliches für den Roman zu arbeiten. Er weist auf die „vorm Jahr“ erschienene Lebensbeschreibung seines angeblichen Verfassers hin. er hat „vernommen“ daß dieselbe wieder von neuem gedruckt werden solle, und das Titelkupfer womit er sich enrpfiehlt dient eben so sehr den Roman zu empfehlen. Dasselbe stellt außer den drei vorgenannten Figuren, die dem Roman und Kalender zugleich angehören, den jungm Simplicius, von welchem der Kalender bloß ein tolles Stückchen erzählt, und das „fromme Ursele“ dar, das arme Ding, das im Kalender gar nicht, allerdings auch im Roman nur flüchtig leidend vorkommt. So ist die Familie die den Kalender mit dem Roman verknüpft, dem Volksgedächtniß in Wort und Bild dauernd eingeprägt.

Wie sehr der Verleger den Werth des so beredt für sich selbst und für dm Roman sprechenden Kalenders zu schätzen wußte, erhellt aus den Kosten die er auf ihn verwendete, und zwar nicht bloß für das Kupfer, auch für den Druck. Er hat zur Herstellung dieses Werks seine eigene Officin nicht genügend befunden, sondern einen auswärtigen Drucker bezahlt. 5) Dafür glänzt aber auch derTitel vom allerschönsten Rothdruck, und die neben einander herlaufenden Spalten, deren jede ihren Inhalt unabhängig von der andern fast durch den ganzm Kalender fortführt (harte Nüsse für den modernm Leser), lassen eine Schwierigkeit des Apparats ahnen welcher die Felßecker'sche Druckerei damals wohl noch nicht gewachsen war.

Dieses neue Werk kam für den neuen Raubdruck eben recht, um wenigstens als Lockvogel auf seinem Titel zu figuriren. Neben vielen andern Vorzügen die der neuaufgelegte „Simplicissimus Teutsch“ vor den bisherigen Ausgaben voraus haben will, rühmt er sich auch laut und schamlosroth „mit seinem ewigwährenden wunderbarlichen Calender vermehrt und verbessert“ zu seyn. Bare Lüge! Die Ausgabe enthält vom Kalender selbst keine Spur. Wohl aber bringt sie neben dem schon bekannten besseren Titelkupfer auch noch das Kalenderkupfer mit den so eben genannten fünf Figuren: das ist der ganze „wunderbarliche Calender“ den sie hat. Zugleich ist es auch der beste Beweis, wie glücklich dieses Kupfer gewählt war, um den Roman sammt dem Kalender zu empfehlen. Nicht zufrieden mit dem neuen Streich, hatte der Räuber auch noch die Frechheit dem Buch eine aus „Rheinneck“ datierte Vorrede voranzustellen, worin „Simplicius Simplicissimus“ nicht sowohl klagt, als sich vielmehr merklich darüber lustig macht, daß man während seiner Abwesenheit am äußersten Ende der Welt (Anspielung auf das sechste Buch) mit seiner Lebensbeschreibung „wie mit einem mutterlosen Waisen, oder wie die Katz mit der Mauß“ umgegangen sei. Man wird hiernach gewiß dem Verfasser beistimmen, wenn er ihn (in seiner Vorrede) einen kühnen und recht verwegenen Nachdrucker nennt. 6)

Wolf Eberhard hat den Ausgang des Kampfes, vielleicht schon das Erscheinen seines „mit großer Müh und Unkosten zu Ende gebrachten“ Kalenders, nicht mehr erlebt. Gleich nach seinem Tod, 1671, veranstaltete Johann Jonathan die dritte Auflage des Simplicissimus, zu welcher der Verfasser selbst die mehrerwähnte Vorrede schrieb. Da er den Nachdrucker nicht hindern konnte sich den autobiographischen Namen des Helden gleichfalls anzumaßen, so war es ein großer Fortschritt für den Sieg des Rechts erklären zu können, daß nur die mit dem Namen des Verlegers versehenen Exemplare echt seyen. Wir brauchen kaum darauf aufmerksam zu machen wie wahrscheinlich es durch diese Erklärung wird daß die erste Auflage mit dem Namen des Verlegers nicht versehen war, und daß Wolf Eberhards Behutsamkeit die Bresche geöffnet hat durch welche Fillion einstieg.

Aber so sehr beherrschte dieser Name noch immer den Markt, daß ihn der junge Verleger nicht nur nicht ganz vom Titel zu entfernen wagte, sondern seinen eigenen ehrlichen Namen in stattlicherer Schrift voranzusetzen nöthig fand. Ein Mömpelgarter Druck, ein Fillion, mußte es in erster Linie seyn, wenn man einen festen Halt haben wollte an welchen das schwankende Schifflein des Verlegers mit seinem guten Recht angeknüpft werden konnte.

 

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1) Vincentii Placcii Theatrum anonymorum et pseudonymorum, Hamb. 1708, L. v. Simplicius. 

2) Das aber nicht zeitig genug fertig,wurde um der ganzen Auflage einverleibt werden zu können. Der Verleger scheint den Druck so eingerichtet zu haben, daß er es sowohl abgesondert ausgeben als den noch unverkauften Exemplaren anhängen und mit ihnen ein fortlaufends Ganzes bilden lassen konnte. Der Nachdrucker aber that sofort das gleiche, und daher kommt es daß von beiden Ausgaben Exemplare gefunden werden denen das sechste Buch fehlt (die beiden zu Anfang genannten), und andere die es haben (A von Hch. Kurz, B von Holland beschrieben). 

3) Keller (IV, 911) vermuthet einleuchtend daß der Mömpelgarter Name Foillet, der ja auf so vielen Büchern umlief, den Stoff zu dieser Fiktion gegeben habe. 

4) Mit Druckorten die noch weit über Mömpelgart hinaus liegen: die Courage ist „in Utopia“ o. J., der Springinsfeld „in Paphlagonia Anno 1670“ ge" druckt, beide „bey Felix Stratist.“ Auch nachdem Felßecker sich schon als Verleger des Simplicissimus genannt hatte, erschien die dritte dieser größeren Fortsetzungen, das Vogelnest, bei einem angeblichen Amsterdamer Johann Fillion u. dgl. m., und diese Mystifikationen werden selbst noch in den Felßecker'schen Gesammtausgaben bei einem Theil der einzelnen Schriften fortgesetzt. Wiefern sie einen Zweck hatten, oder bloße Spiele waren, ist nicht zu entscheiden. 

5) Auf dem Titelblatt steht: „In Nürnberg, verlegt und zu finden bey Wolf Eberhard Felßecker“, und am Schluß der letzten Seite: „Gedruckt in der fürstlichen Residenz-Stadt Fulda bei Marcum (!) Blaß. 1670.“ Auch sieben Jahre später noch sah sich Johann Jonathan veranlaßt die zweite Auflage auswärts in Druck zu geben; sie ist „gedruckt zu Altenburg bei Georg Conrad Rügern“. Beide Drucker aber sind nicht, wie Fillion, auf dem Titel, sondern am Schluß genannt. 

6) Es ist die Ausgabe C die wir oben geschildert haben. Hch. Kurz hat die Wahrnehmung gemacht, daß ihr Titel nur angeklebt ist, und daraus den Schluß gezogen, daß ursprünglich ein anderer Titel vorhanden gewesen und mit einem neuen vertauscht worden sey. Warum dieß, geschah, wird aus obigem klar werden: es mußte ein neuer Titel her, weil der inzwischen erschienene Kalender zum Titel herhalten mußte.