BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Marx

1818 - 1883

 

Lohnarbeit und Kapital

 

Neue Rheinische Zeitung Nr. 265

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Neue Rheinische Zeitung Nr. 265 vom 6. April 1849

 

*Köln, 5. April. (Fortsetzung.) Wodurch wird der Preis einer Waare bestimmt?

Durch die Konkurrenz zwischen Käufern und Verkäufern, durch das Verhältniß der Nachfrage zur Zufuhr, des Angebots zum Begehr. Die Konkurrenz, wodurch der Preis einer Waare bestimmt wird, ist dreiseitig.

Dieselbe Waare wird von verschiedenen Verkäufern angeboten. Wer Waaren von derselben Güte am wohlfeilsten verkauft, ist sicher, die übrigen Verkäufer aus dem Felde zu schlagen und sich den größten Absatz zu sichern. Die Verkäufer machen sich also wechselseitig den Absatz, den Markt streitig. Jeder von ihnen will verkaufen, möglichst viel verkaufen und womöglich allein verkaufen, mit Ausschluß der übrigen Verkäufer. Der Eine verkauft daher wohlfeiler wie der andere. Es findet also eine Konkurrenz unter den Verkäufern statt, die den Preis der von ihnen angebotenen Waare herabdrückt.

Es findet aber auch eine Konkurrenz unter den Käufern statt, die ihrerseits den Preis der angebotenen Waaren steigen macht.

Es findet endlich eine Konkurrenz unter den Käufern und Verkäufern statt; die einen wollen möglichst wohlfeil kaufen, die andern wollen möglichst theuer verkaufen. Das Resultat dieser Konkurrenz zwischen Käufern und Verkäufern wird davon abhängen, wie sich die beiden früher angegebenen Seiten der Konkurrenz verhalten, d. h. ob die Konkurrenz in dem Heer der Käufer oder die Konkurrenz in dem Heer der Verkäufer stärker ist. Die Industrie führt zwei Heeresmassen gegen einander in's Feld, wovon eine jede in ihren eigenen Reihen zwischen ihren eigenen Truppen wieder eine Schlacht liefert. Die Heeresmasse, unter deren Truppen die geringste Prügelei stattfindet, trägt den Sieg über die entgegenstehende davon.

Nehmen wir, es befänden sich 100 Baumwollballen auf dem Markt und gleichzeitig Käufer für 1000 Baumwollballen. In diesem Falle ist also die Nachfrage zehnmal größer als die Zufuhr. Die Konkurrenz unter den Käufern wird also sehr stark sein; jeder derselben will einen, womöglich alle 100 Ballen an sich reißen. Dies Beispiel ist keine willkürliche Unterstellung. Wir haben in der Geschichte des Handels Perioden des Mißwachses der Baumwolle erlebt, wo einige mit einander verbündete Kapitalisten nicht 100 Ballen, sondern den ganzen Baumwollvorrath der Erde an sich zu kaufen suchten. In dem angegebenen Falle wird also ein Käufer den andern aus dem Felde zu schlagen suchen, indem er einen verhältnißmäßig höhern Preis für den Baumwollballen anbietet. Die Baumwollverkäufer, welche die Truppen des feindlichen Heeres im heftigsten Kampf unter einander erblicken und des Verkaufs ihrer sämtlichen 100 Ballen völlig gesichert sind, werden sich hüten, unter einander sich in die Haare zu fallen, um die Preise der Baumwolle herabzudrücken in einem Augenblick, wo ihre Gegner unter einander wetteifern, ihn in die Höhe zu schrauben. Es ist also plötzlich Friede in das Heer der Verkäufer eingekehrt. Sie stehen wie ein Mann den Käufern gegenüber, kreuzen sich philosophisch die Arme und ihre Forderungen fänden keine Gränzen, fänden nicht die Anerbietungen selbst der zudringlichsten Kauflustigen ihre sehr bestimmten Gränzen.

Ist also die Zufuhr einer Waare schwächer als die Nachfrage nach dieser Waare, so findet nur eine geringe oder gar keine Konkurrenz unter den Verkäufern statt. In demselben Verhältnisse, wie diese Konkurrenz abnimmt, wächst die Konkurrenz unter den Käufern. Resultat: Mehr oder minder bedeutendes Steigen der Waarenpreise.

Es ist bekannt, daß der umgekehrte Fall mit umgekehrtem Resultat häufiger stattfindet: Bedeutender Ueberschuß der Zufuhr über die Nachfrage; verzweifelte Konkurrenz unter den Verkäufern; Mangel an Käufern; Losschlagen der Waare zu Spottpreisen.

Aber was heißt Steigen, Fallen der Preise, was heißt hoher Preis, niedriger Preis? Ein Sandkorn ist hoch, durch ein Mikroskop betrachtet, und ein Thurm ist niedrig, mit einem Berg verglichen. Und wenn der Preis durch das Verhältniß von Nachfrage und Zufuhr bestimmt wird, wodurch wird das Verhältniß von Nachfrage und Zufuhr bestimmt?

Wenden wir uns an den ersten besten Bürger. Er wird sich keinen Augenblick besinnen und wie ein anderer Alexander der Große diesen metaphysischen Knoten mit dem Einmaleins zerhauen. Wenn mich die Herstellung der Waare, die ich verkaufe, 100 Francs gekostet hat, wird er uns sagen, und ich aus dem Verkauf dieser Waare 110 Francs löse – nach Jahresfrist versteht sich – so ist das ein bürgerlicher, ein honetter, ein gesetzter Gewinn. Erhalte ich aber im Austausch 120, 130 Francs, so ist das ein hoher Gewinn; und löste ich gar 200 Francs, so wäre das ein außerordentlicher, enormer Gewinn. Was dient dem Bürger also als Maaß des Gewinns? Die Productionskosten seiner Waare. Erhält er im Austausch dieser Waare eine Summe von andern Waaren zurück, deren Herstellung weniger gekostet hat, so hat er verloren. Erhält er im Austausch gegen seine Waare eine Summe von anderen Waaren zurück, deren Herstellung mehr gekostet hat, so hat er gewonnen. Und das Fallen oder Steigen des Gewinnes berechnet er nach den Graden, worin der Tauschwerth seiner Waare unter oder über Null – den Productions­kosten – steht.

Wir haben nun gesehen, wie das wechselnde Verhältniß von Nachfrage und Zufuhr bald Steigen, bald Fallen der Preise, bald hohe, bald niedrige Preise hervorbringt.

Steigt der Preis einer Waare bedeutend durch mangelnde Zufuhr oder unverhältnißmäßig wachsende Nachfrage, so ist nothwendig der Preis irgendeiner andern Waare verhältnißmäßig gefallen; denn der Preis einer Waare drückt ja nur in Geld das Verhältniß aus, worin dritte Waaren im Austausch für sie gegeben werden. Steigt z. B. der Preis einer Elle Seidenzeug von 5 Francs auf 6 Francs, so ist der Preis des Silbers im Verhältniß zum Seidenzeug gefallen, und ebenso ist der Preis aller andern Waaren, die auf ihren alten Preisen stehen geblieben sind, im Verhältniß zum Seidenzeug gefallen. Man muß eine größere Summe davon im Austausch geben, um dieselbe Summe von Seidenwaare zu erhalten.

Was wird die Folge des steigenden Preises einer Waare sein? Eine Masse von Kapitalien wird sich auf den blühenden Industriezweig wer­fen, und diese Einwanderung der Kapitalien in das Gebiet der bevor­zugten Industrie wird so lange fortdauern, bis sie die gewöhnlichen Gewinne abwirft oder vielmehr, bis der Preis ihrer Produkte durch Ueberproduktion unter die Produktionskosten herabsinkt.

Umgekehrt. Fällt der Preis einer Waare unter ihre Produktions­kosten, so werden sich die Kapitale von der Produktion dieser Waare zurückziehen. Den Fall ausgenommen, wo ein Industriezweig nicht mehr zeitgemäß ist, also untergehen muß, wird durch diese Flucht der Kapitale die Produktion einer solchen Waare, d. h. ihre Zufuhr, so lange abnehmen, bis sie der Nachfrage entspricht, also ihr Preis wieder auf die Höhe ihrer Produktionskosten sich erhebt, oder vielmehr bis die Zufuhr unter die Nachfrage herabgefallen ist, d. h. bis ihr Preis wieder über ihre Produktionskosten steigt, denn der courante Preis einer Waare steht immer über oder unter ihren Produktionskosten.

Wir sehen, wie die Kapitale beständig aus- und einwandern, aus dem Gebiet der einen Industrie in das der andern. Der hohe Preis bringt eine zu starke Einwanderung und der niedrige Preis eine zu starke Auswanderung hervor.

Wir könnten von einem andern Gesichtspunkt aus zeigen, wie nicht nur die Zufuhr, sondern auch die Nachfrage durch die Produk­tionskosten bestimmt wird. Es würde uns dies aber zu weit von unserem Gegenstande abführen.

Wir haben so eben gesehen, wie die Schwankungen der Zufuhr und Nachfrage den Preis einer Waare immer wieder auf die Produktions­kosten zurückführen. Zwar der wirkliche Preis einer Waare steht stets über oder unter den Produktionskosten; aber das Steigen und Fallen ergänzen sich wechselseitig, so daß innerhalb eines bestimmten Zeitraums, Ebbe und Fluth der Industrie zusammengerechnet, die Waaren, ihren Produktionskosten entsprechend gegen einander ausgetauscht werden, ihr Preis also durch ihre Produktionskosten bestimmt wird.

Diese Preisbestimmung durch die Produktionskosten ist nicht im Sinne der Oekonomen zu verstehen. Die Oekonomen sagen, daß der Durchschnittspreis der Waaren gleich den Produktionskosten ist; dies sei das Gesetz. Die anarchische Bewegung, worin das Steigen durch das Fallen und das Fallen durch das Steigen ausgeglichen wird, betrachten sie als Zufälligkeit. Man könnte mit demselben Recht, wie dies auch von andern Oekonomen geschehen ist, die Schwankungen als das Gesetz und die Bestimmung durch die Produktionskosten als Zufälligkeit betrachten. Aber nur diese Schwankungen, die, näher betrachtet, die furchtbarsten Verwüstungen mit sich führen und gleich Erdbeben die bürgerliche Gesellschaft in ihren Grundfesten erzittern machen, nur diese Schwankungen bestimmen in ihrem Verlauf den Preis durch die Produktionskosten. Die Gesammtbewegung dieser Unordnung ist ihre Ordnung. In dem Verlauf dieser industriellen Anarchie, in dieser Kreisbewegung gleicht die Concurrenz so zu sagen die eine Extra­vaganz durch die andere aus.

Wir sehen also: Der Preis einer Waare ist bestimmt durch ihre Produktionskosten in der Weise, daß die Zeiten, worin der Preis dieser Waare über die Produktionskosten steigt, durch die Zeiten ausgeglichen werden, worin er unter die Produktionskosten herabsinkt und umgekehrt. Es gilt dies natürlich nicht für ein einzelnes gegebenes Industrieprodukt, sondern nur für den ganzen Industriezweig. Es gilt also auch nicht für den einzelnen Industriellen, sondern nur für die ganze Klasse der Industriellen.

Die Bestimmung des Preises durch die Produktionskosten ist gleich der Bestimmung des Preises durch die Arbeitszeit, die zur Herstellung einer Waare erforderlich ist; denn die Produktionskosten bestehen aus 1) Rohstoffen und Instrumenten, d. h. aus Industrieprodukten, deren Herstellung eine gewisse Summe von Arbeitstagen gekostet hat, die also eine bestimmte Summe von Arbeitszeit darstellen; und 2) aus unmittelbarer Arbeit, deren Maaß eben die Zeit ist.

Dieselben allgemeinen Gesetze nun, welche den Preis der Waaren im Allgemeinen regeln, regeln natürlich auch den Arbeitslohn, den Preis der Arbeit.

Der Lohn der Arbeit wird bald steigen, bald fallen, je nach dem Verhältniß von Nachfrage und Zufuhr, je nachdem sich die Concurrenz zwischen den Käufern der Arbeit, den Kapitalisten, und den Verkäufern der Arbeit, den Arbeitern, gestaltet. Den Schwankungen der Waarenpreise im allgemeinen entsprechen die Schwankungen des Arbeitslohns. Innerhalb dieser Schwankungen aber wird der Preis der Arbeit bestimmt sein durch die Produktionskosten, durch die Arbeitszeit, die erforderlich ist, um diese Waare, die Arbeit, hervorzubringen.

Welches sind nun die Produktionskosten der Arbeit selbst?

Es sind die Kosten, die erheischt werden, um den Arbeiter als Arbeiter zu erhalten und um ihn zum Arbeiter auszubilden.

Je weniger Bildungszeit eine Arbeit daher erfordert, desto geringer sind die Produktionskosten des Arbeiters, um so niedriger ist der Preis seiner Arbeit, sein Arbeitslohn. In den Industriezweigen, wo fast gar keine Lernzeit erforderlich ist und die bloße leibliche Existenz des Arbeiters genügt, beschränken sich die zu seiner Herstellung erforderlichen Produktionskosten fast nur auf die Waaren, die erforderlich sind, um ihn am Leben zu erhalten. Der Preis seiner Arbeit wird daher durch den Preis der nothwendigen Lebensmittel bestimmt sein.

Es kömmt indeß noch eine andere Rücksicht hinzu.

Der Fabrikant, der seine Produktionskosten und darnach den Preis der Produkte berechnet, bringt die Abnutzung der Arbeitsinstrumente in Anschlag. Kostet ihm eine Maschine z. B. 1000 Francs, und nutzt sich diese Maschine in zehn Jahren ab, so schlägt er 100 Francs jährlich in den Preis der Waare, um nach zehn Jahren die abgenutzte Maschine durch eine neue ersetzen zu können. In derselben Weise müssen in den Produktionskosten der einfachen Arbeit die Fortpflanzungskosten eingerechnet werden, wodurch die Arbeiterrace in Stand gesetzt wird, sich zu vermehren und abgenutzte Arbeiter durch neue zu ersetzen. Der Verschleiß des Arbeiters wird also in derselben Weise in Rechnung gebracht, wie der Verschleiß der Maschine.

Die Produktionskosten der einfachen Arbeit belaufen sich also auf die Existenz- und Fortpflanzungskosten des Arbeiters. Der Preis dieser Existenz- und Fortpflanzungskosten bildet den Arbeitslohn. Der so bestimmte Arbeitslohn heißt das Minimum des Arbeitslohns. Dieses Minimum des Arbeitslohns gilt, wie die Preisbestimmung der Waaren durch die Produktionskosten überhaupt, nicht für das einzelne Individuum, sondern für die Gattung. Einzelne Arbeiter, Millionen von Arbeitern erhalten nicht genug, um existiren und sich fortpflanzen zu können; aber der Arbeitslohn der ganzen Arbeiterklasse gleicht sich innerhalb seiner Schwankungen zu diesem Minimum aus.

Jetzt nachdem wir uns über die allgemeinsten Gesetze, die den Arbeitslohn wie den Preis jeder andern Waare regeln, verständigt haben, können wir spezieller auf unsern Gegenstand eingehen.

 

(Fortsetzung folgt.)