BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Marx

1818 - 1883

 

Lohnarbeit und Kapital

 

Neue Rheinische Zeitung Nr. 266

 

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Neue Rheinische Zeitung Nr. 266 vom 7. April 1849

 

*Köln, 6. April. (Lohnarbeit und Kapital. Fortsetzung.)

Das Kapital besteht aus Rohstoffen, Arbeitsinstrumenten und Le­bensmitteln aller Art, die verwandt werden, um neue Rohstoffe, neue Arbeitsinstrumente und neue Lebensmittel zu erzeugen. Alle diese seine Bestandtheile sind Geschöpfe der Arbeit, Produkte der Arbeit, aufge­häufte Arbeit. Aufgehäufte Arbeit, die als Mittel zu neuer Produktion dient, ist Kapital.

So sagen die Oekonomen.

Was ist ein Negersklave? Ein Mensch von der schwarzen Raçe. Die eine Erklärung ist die andere werth.

Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhältnissen wird er erst zum Sklaven. Eine Baumwollspinnmaschine ist eine Maschine zum Baumwollspinnen. Nur in bestimmten Verhältnissen wird sie zu Kapital. Aus diesen Verhältnissen herausgerissen, ist sie so wenig Kapital, wie Gold an und für sich Geld oder der Zucker der Zuckerpreis ist.

In der Produktion beziehen sich die Menschen nicht allein auf die Natur. Sie produziren nur, indem sie auf eine bestimmte Weise zusammenwirken und ihre Thätigkeiten gegen einander austauschen. Um zu produziren, treten sie in bestimmte Beziehungen und Verhältnisse zu einander, und nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse findet ihre Beziehung zur Natur, findet die Produktion statt.

Je nach dem Charakter der Produktionsmittel werden natürlich diese gesellschaftlichen Verhältnisse, worin die Produzenten zu einander treten, die Bedingungen, unter welchen sie ihre Thätigkeiten austauschen und an dem Gesammtakt der Produktion Theil nehmen, verschieden sein. Mit der Erfindung eines neuen Kriegsinstruments, des Feuergewehrs, änderte sich nothwendig die ganze innere Organisation der Armee, verwandelten sich die Verhältnisse, innerhalb deren Individuen eine Armee bilden und als Armee wirken können, änderte sich auch das Verhältniß verschiedener Armeen zu einander.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse, worin die Individuen produziren, die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse ändern sich also, verwandeln sich mit der Veränderung und Entwickelung der materiellen Produktionsmittel, der Produktionskräfte. Die Produktionsverhältnisse in ihrer Gesammtheit bilden das, was man die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gesellschaft nennt, und zwar eine Gesellschaft auf bestimmter, geschichtlicher Entwickelungsstufe, eine Gesellschaft mit eigenthümlichem, unterscheidendem Charakter. Die antike Gesellschaft, die feudale Gesellschaft, die bürgerliche Gesellschaft sind solche Gesammtheiten von Produktionsverhältnissen, deren jede zugleich eine besondere Entwickelungsstufe in der Geschichte der Menschheit bezeichnet.

Auch das Kapital ist ein gesellschaftliches Produktionsverhältniß. Es ist ein bürgerliches Produktionsverhältniß, ein Produktionsverhältniß der bürgerlichen Gesellschaft. Die Lebensmittel, die Arbeitsinstrumente, die Rohstoffe, woraus das Kapital besteht, sind sie nicht unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht und aufgehäuft worden? Werden sie nicht unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen zu neuer Produktion verwandt? Und macht nicht eben dieser bestimmte gesellschaftliche Charakter die zu neuer Produktion dienenden Produkte zu Kapital?

Das Kapital besteht nicht nur aus Lebensmitteln, Arbeitsinstru­menten und Rohstoffen, nicht nur aus materiellen Produkten; es besteht eben so sehr aus Tauschwerthen. Alle Produkte, woraus es besteht, sind Waaren. Das Kapital ist also nicht nur eine Summe von materiellen Produkten, es ist eine Summe von Waaren, von Tauschwerthen, von gesellschaftlichen Größen.

Das Kapital bleibt dasselbe, ob wir an die Stelle von Wolle Baum­wolle, an die Stelle von Getreide Reis, an die Stelle von Eisenbahnen Dampfschiffe setzen, vorausgesetzt nur, daß die Baumwolle, der Reis, die Dampfschiffe – der Leib des Kapitals – denselben Tauschwerth haben, denselben Preis wie die Wolle, das Getreide, die Eisenbahnen, worin es sich vorher verkörperte. Der Körper des Kapitals kann sich beständig verwandeln, ohne daß das Kapital die geringste Veränderung erlitte.

Aber wenn jedes Kapital eine Summe von Waaren, d. h. von Tauschwerthen ist, so ist noch nicht jede Summe von Waaren, von Tauschwerthen Kapital.

Jede Summe von Tauschwerthen ist Ein Tauschwerth. Jeder einzelne Tauschwerth ist ein Summe von Tauschwerthen. Z.B. ein Haus, was 1000 Francs werth ist, ist ein Tauschwerth von 1000 Francs. Ein Stück Papier, was 1 Centime werth ist, ist eine Summe von Tauschwerthen von 100/100 Centimes. Producte, die gegen andere austauschbar sind, sind Waaren. Das bestimmte Verhältniß, worin sie austauschbar sind, bildet ihren Tauschwerth oder in Geld ausgedrückt ihren Preis. Die Masse dieser Produkte kann an ihrer Bestimmung, Waare zu sein oder einen Tauschwerth darzustellen, oder einen bestimmten Preis zu haben, nichts ändern. Ob ein Baum groß oder klein ist, er bleibt Baum. Ob wir das Eisen in Loten oder in Zentnern gegen andere Produkte austauschen, verändert dies seinen Charakter, Waare, Tauschwerth zu sein? Je nach der Masse ist es eine Waare von mehr oder minder Werth, von höherem oder niedrigerem Preise.

Wie nun wird eine Summe von Waaren, von Tauschwerthen zu Kapital?

Dadurch, daß sie als selbständige gesellschaftliche Macht, d. h. als die Macht eines Theils der Gesellschaft sich erhält und vermehrt durch den Austausch gegen die unmittelbare, lebendige Arbeit. Die Existenz einer Klasse, die nichts besitzt als die Arbeitsfähigkeit, ist eine nothwendige Voraussetzung des Kapitals.

Die Herrschaft der aufgehäuften, vergangenen, vergegenständ­lichten Arbeit über die unmittelbare, lebendige Arbeit macht die aufgehäufte Arbeit erst zum Kapital.

Das Kapital besteht nicht darin, daß aufgehäufte Arbeit der lebendigen Arbeit als Mittel zu neuer Produktion dient. Es besteht darin, daß die lebendige Arbeit der aufgehäuften Arbeit als Mittel dient, ihren Tauschwerth zu erhalten und zu vermehren.

Was geht vor in dem Austausch zwischen Kapital und Lohnarbeit?

Der Arbeiter erhält im Austausch gegen seine Arbeit Lebensmittel; aber der Kapitalist erhält im Austausch gegen seine Lebensmittel Arbeit, die produktive Thätigkeit des Arbeiters, die schöpferische Kraft, wodurch der Arbeiter nicht nur ersetzt, was er verzehrt, sondern der aufgehäuften Arbeit einen größeren Werth gibt, als sie vorher besaß. Der Arbeiter empfängt einen Theil der vorhandenen Lebensmittel vom Kapitalisten. Wozu dienen ihm diese Lebensmittel? zur unmittelbaren Consumtion. Sobald ich aber Lebensmittel consumire, gehen sie mir unwiederbringlich verloren, es sei denn, daß ich die Zeit, während welcher mich diese Mittel am Leben erhalten, benutze, um neue Lebensmittel zu produziren, um während des Verzehrens an die Stelle der in der Consumtion untergehenden Werthe neue Werthe durch meine Arbeit zu schaffen. Aber eben diese reproduktive edle Kraft tritt der Arbeiter ja ab an das Kapital im Austausch gegen empfangene Lebensmittel. Er hat sie also für sich selbst verloren.

Nehmen wir ein Beispiel! Ein Pächter gibt seinem Taglöhner 5 Silbergroschen per Tag. Für die 5 Sgr. arbeitet dieser auf dem Feld des Pächters den Tag hindurch und sichert ihm so eine Einnahme von 10 Silbergroschen. Der Pächter erhält nicht nur die Werthe ersetzt, die er an den Taglöhner abzutreten hat; er verdoppelt sie. E[r] hat also die 5 Sgr., die er dem Taglöhner gab, auf eine fruchtbare, produktive Weise angewandt, consumirt. Er hat für die 5 Sgr. eben die Arbeit und Kraft des Taglöhners gekauft, welche Bodenprodukte von doppeltem Werthe erzeugt und aus 5 Sgr. 10 Sgr. macht. Der Taglöhner dagegen erhält an der Stelle seiner Produktivkraft, deren Wirkungen er eben dem Pächter abgetreten hat, 5 Sgr., die er gegen Lebensmittel austauscht, welche Lebensmittel er rascher oder langsamer consumirt. Die 5 Sgr. sind also auf eine doppelte Weise consumirt worden, reproduktiv für das Kapital, denn sie sind gegen eine Arbeitskraft ausgetauscht worden, die 10 Sgr. hervorbrachte, unproduktiv für den Arbeiter, denn sie sind gegen Lebensmittel ausgetauscht worden, die für immer verschwunden sind und deren Werth er nur wieder erhalten kann, indem er denselben Tausch mit dem Pächter wiederholt. Das Kapital setzt also die Lohnarbeit, die Lohnarbeit setzt das Kapital voraus. Sie bedingen sich wechselseitig; sie bringen sich wechselseitig hervor.

Ein Arbeiter in einer Baumwollfabrik, produzirt er nur Baumwoll­stoffe? Nein, er producirt Kapital. Er produzirt Werthe, die von Neuem dazu dienen, seine Arbeit zu kommandiren, um vermittelst derselben neue Werthe zu schaffen.

Das Kapital kann sich nur vermehren, indem es sich gegen Arbeit austauscht, indem es Lohnarbeit in's Leben ruft. Die Lohnarbeit kann sich nur gegen Kapital austauschen, indem sie das Kapital vermehrt, indem sie die Macht verstärkt, deren Sklavin sie ist. Vermehrung des Kapitals ist daher Vermehrung des Proletariats, d. h. der Arbeiterklassen.

Das Interesse des Kapitalisten und des Arbeiters ist also dasselbe, behaupten die Bourgeois und ihre Oekonomen. Und in der That! der Arbeiter geht zu Grunde, wenn ihn das Kapital nicht beschäftigt. Das Kapital geht zu Grunde, wenn es die Arbeit nicht ausbeutet, und um sie auszubeuten, muß es sie kaufen. Je rascher sich das zur Produktion bestimmte Kapital, das produktive Kapital, vermehrt, je blühender daher die Industrie ist, je mehr sich die Bourgeoisie bereichert, je besser das Geschäft geht, um so mehr Arbeiter braucht der Kapitalist, um so theurer verkauft sich der Arbeiter.

Die unerläßliche Bedingung für eine passable Lage des Arbeiters ist also möglichst rasches Wachsen des produktiven Kapitals.

Aber was ist Wachsthum des produktiven Kapitals? Wachsthum der Macht der aufgehäuften Arbeit über die lebendige Arbeit. Wachsthum der Herrschaft der Bourgeoisie über die arbeitende Klasse. Wenn die Lohnarbeit den sie beherrschenden fremden Reichthum, die ihr feindselige Macht, das Kapital, producirt, strömen ihr Beschäftigungs-, d. h. Lebensmittel von derselben zurück, unter der Bedingung, daß sie sich von Neuem zu einem Theil des Kapitals macht, zum Hebel, der von Neuem dasselbe in eine beschleunigte Bewegung des Anwachsens schleudert.

Die Interessen des Kapitals und die Interessen der Arbeit sind dieselben, heißt nur: Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten eines und desselben Verhält­nisses. Die eine bedingt die andere, wie der Wucherer und Verschwender sich wechselseitig bedingen.

Solange der Lohnarbeiter Lohnarbeiter ist, hängt sein Los vom Kapital ab. Das ist die vielgerühmte Gemeinsamkeit des Interesses von Arbeiter und Kapitalist.

 

(Fortsetzung folgt.)