BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Novalis

1772 - 1801

 

Gedichte

 

Tennstedt-Grüningen (1795-97)

 

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4. An Adolph Selmniz

5. Anfang

6. Am Sonnabend Abend

7. An Carolinen [Just]

8. M. und S.

9. Zu Sophiens Geburtstag

10. Lied beym Punsch

11. Antwort an Carolinen [Just]

12 [Im Grüninger Kirchenbuch]

13. Gedicht zum 29. April [1797], dem Tage des Gartenkaufs

 

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5.

Anfang

 

Es kann kein Rausch seyn – oder ich wäre nicht

Für diesen Stern geboren – nur so von Ohngefähr

In dieser tollen Welt zu nah an

Seinen magnetischen Kreys gekommen.

 

5

Ein Rausch wär wircklich sittlicher Grazie

Vollendetes Bewußtseyn? – Glauben an Menschheit wär

Nur Spielwerck einer frohen Stunde –?

Wäre dis Rausch, was ist dann das Leben?

 

Soll ich getrennt seyn ewig? – ist Vorgefühl

10

Der künftigen Vereinigung, dessen, was

Wir hier für Unser schon erkannten,

Aber nicht ganz noch besitzen konnten –

 

Ist dis auch Rausch? so bliebe der Nüchternheit,

Der Wahrheit nur die Masse, der Thon, und das

15

Gefühl der Leere, des Verlustes

Und der vernichtigenden Entsagung.

 

Womit wird denn belohnt für die Anstrengung

Zu leben wieder willen, feind von sich selbst zu seyn

Und tief sich in den Staub getreten

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Lächelnd zu sehn – und Bestimmung meynen.

 

Was führt den Weisen denn durch d[es] Lebens Thal,

Als Fackel zu dem höheren Seyn hinauf –

Soll er nur hier geduldig bauen,

Nieder sich legen und ewig todt seyn.

 

25

Du bist nicht Rausch – du Stimme des Genius,

Du Anschaun dessen, was uns unsterblich macht,

Und du Bewußtseyn jenes Werthes,

Der nur erst einzeln allhier erkannt wird.

 

Einst wird die Menschheit seyn, was Sophie mir

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Jezt ist – vollendet – sittliche Grazie –

Dann wird ihr höheres Bewußtseyn

Nicht mehr verwechselt mit Dunst des Weines.

 

 

 

12.

[Im Grüninger Kirchenbuch]

[19. März 1797]

 

Verblühe denn, du süße Frühlings Blume

Gott pflanzte dich ins beßre Leben ein.

In seiner ewgen Liebe Heiligthume

Da wirst du ungetrübt uns Himmelswonne seyn!

 

 

 

13.

Gedicht

Zum 29. April

dem Tage des Gartenkaufs

 

In diesem Saeculo im Jahre Siebenneunzig

Starb hier ein Advocat, in seiner Raçe einzig,

In Praxi wohlgeübt ein Phönix seltner Art,

In welchem Redlichkeit mit Klugheit sich gepaart.

5

Der Witwe hinterließ er nicht das Geld bey Haufen,

Drum suchte sie sogleich den Garten zu verkaufen,

Mit Bäumen gut besetzt und einen Acker groß,

Verwahrt mit rother Thür und einem großen Schloß.

Die Frau Kreisamtmannin ersuchte den Kreisamtmann

10

Den Garten zu erstehn – Sie sprach so sanft: «Verdammt, Mann!

Ein jedes hat allhier so einen Gartenfleck,

Und wir – was haben wir? – wir haben einen –

Es ist nicht auszustehn, wo soll ich Caffee trinken?

Und muß die Stube nicht mir an im Sommer stinken?»

15

Der Ehherr rief den Schmidt aus Confraternitaet,

Gab ihm den Auftrag, und des Preises Quantitaet.

Der Auctions Termin ließ immer auf sich warten,

Indeß wir, voll Reform, auf die Entscheidung harrten.

Der Garten ward besehn, bewundert und gelobt,

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Und dann voll Ungeduld nach Weiberart getobt.

Den neunundzwanzigsten April vergeß ich nimmer.

Apollo reiche mir zuvor den Saytenstimmer!

Früh seifte der Barbier des Herrn Kreisamtmanns Bart,

Als von dem Gartenkauf auch so gesprochen ward.

25

«Wo trift die Witwe wohl auf bessere Bezahler.

Mein Ultimatum ist: Zweyhundertsechzig Thaler.»

Der Herr der Bärte schrieb sich dieses hinters Ohr,

Und trugs beym nächsten Bart des Curatoris vor.

«Gefunden» schrie entzückt Herr Topf, der Topf der Töpfe,

30

Springt auf mit halbem Bart, sucht seine Hemdenknöpfe,

Läuft zur Curandin straks, in Sprung, Galopp und Trab,

Kommt, sieht den Käufer an, und schließt den Handel ab. –

In frohern Hoffnungen war Cäsar nicht zerronnen,

Als er die große Schlacht bey Pharsalus gewonnen,

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Als unsre Rahel jetzt, da nun der Schlüssel kam,

Und sie, nach zartem Streit, ihn in Empfang nun nahm.

Beglückwünscht ward sie hoch – bey Tisch ward manch Projekt

Präliminariter von jeden ausgeheckt –

Nur für Reformen und für Hüttchen hat sie Ohren.

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Er aber sitzt so kalt, als hätt er taube Ohren.

Wir tranken Caffe erst – ich redte, ohne Ruhm

Zu melden, viel und schön, vom neuen Eigenthum.

Dann gingen wir hinaus – es weht ein leises Windchen –

Voraus die Fantasie – wie einst Tobias Hündchen.

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Wir langen an – Er reicht den Hut und Schlüssel ihr.

Ein jeder zieht den Hut – auf donnerte die Thür.

Vor Adams offnem Maul lag so das Paradies,

Als hier der Garten sich den trunknen Blicken wieß.

Zu kühne Muse schweig von diesen Augenblicken,

50

Viel besser ist es hier die Augen zuzutrücken.

Der zählt den Sand am Meer und Berenicens Haar

Der die Projekte kennt, die hier der Rausch gebar.

Kurz, endlich gingen wir nach vielem Thun und Reden

Wie unsrer Eltern Paar aus diesen Garten Eden.

55

Nun gingen wir herum, sahn über jeden Zaun,

Und mußten in der Luft noch manches Schlößchen baun. –

Heil aber Tennstädt dir – welch Glück ist dir geworden

Mit dieser Bürgerinn vom Seraphinen-Orden!

Heil dir auch, Rahels Ruh – es wird in kurzer Zeit

60

In Hirschfelds Almanach dir auch ein Blatt geweiht.

 

Dir aber liebes Paar! wünscht, ohne Kapp und Schellen

Ein Freund, den Lieb und Treu euch ewig zugesellen,

Auf diesem trauten Fleck den lieblichen Genuß,

Der tief im Herzen quillt und nie versiegen muß.

65

O feyert manches Jahr hier schöne Ruhestunden

Bleibt bis zum späten Herbst in stiller Lust verbunden!

Und bin ich einst ins Land der Sehnsucht heimgekehrt,

So denkt: auch er wär hier wohl eines Plätzchens werth.

 

Fridrich von Hardenberg