BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Novalis

1772 - 1801

 

Jugendwerke (1788-1793)

Fabeln und andere Prosastücke

 

2. Der Tod Siphors

 

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Der Tod Siphors

 

 

Siphor ein Greis, der zwey Jahrhunderte blühen und sinken sah und eine Nachkommenschaft zahlreicher als die Aeste der moosigen Eiche erlebte, lag zu sterben, sein kraftloser Körper vermochte nicht mehr des Weisen Seele zu fesseln. Um sein Bette standen seine Enkel, nur wenige Thränen weinten sie, sanfte Wehmuth und feyerliche Stille lag auf der Versammlung, denn der Greis schlummerte ja sanft in Auen der Ruhe hinüber, er wurde ja glücklicher und Wiedersehen in solchen seligen Gefilden wie jenseits des Todes wartete auf sie, welche glückliche Außsicht! Kurz vorher eh die Seele ihr<e> <Hülle> Gewand verließ, richtete sich der Greis von seinem Lager auf und mit einem Blicke <auf die Versammlung> zum Himmel der schon von <himmlischer> seliger Ruhe glänzte, sagte er mit schwacher Stimme: Gott meiner Väter und meiner [Seele?], gütig hast du mich beschützet, mir Glück und Segen, den ich nicht verdiente gegeben; du segnetest meine Heerde, meine Fluren, was ich brauchte gaben sie mir. Und noch Überfluß für meine dürftigen Brüder, und schenktest mir Enkel zahlreicher als Hahne der Flur; erhörtest du ja gnädig meine Bitten und nahmst gern meine Opfer, so erhöre doch nun auch die Bitte des Sterbenden. Segne doch meine Enkel und erhalte sie in deiner Verehrung, ist es dein Wille so gib ihnen auch was sie bedürfen für ihre Nahrung und auch vielleicht Ueberfluß zur Erquickung der dürftigen Brüder. Erhöre mich, Vater, und segne Sie! Dann wandte er sich zu ihnen und sagte: Ich habe lange glücklich gelebt, ich verehrte aber den Allmächtigen und der segnete mich! Bleibet auch bey ihm, und verlasset ihn nie, wenn noch die Ermahnung eures alten Vaters euch rührt. Auch im Unglück verzweifelt nicht, was euch geschieht ist euer Glück, denn <es euch> der alles lenkt ist ja euer gütiger Gott, der euch mehr liebt als ich. Lebet stets zufrieden und ehret Gott. Vater – Gütiger – nimm meine<n> <Geist> Seele – auf – Ich – sterbe – Er starb und sein Sohn drückte ihm die Augen zu und eine Thräne fiel auf das ruhige Antliz des Greises. [«]Laßt uns dem Allmächtigen versprechen, dem Worte unseres Vaters getreu zu seyn.[»] Und er las stummen Beyfall in aller Augen. Er fiel auf seine Knie und alle mit ihm, ergrif die Hand des Greises und sprach: Gott unsrer Väter, bey deinem gestorbnen Diener unsern Vater, bey seiner jezigen Glückseligkeit schwören wir dir: Lebenslang wollen wir dich verehren. Und dir dienen und deinen Namen nicht verlassen, und nach deiner Gerechtigkeit bestrafe du den Sünder, der dich verläßt. Nie mögen seine Heerden ihm wachsen, seine Flur soll Disteln tragen und es mögen seine Enkel ihm nicht die Augen zudrücken, unstät sey er und Ruhe komme nicht in seine Seele. Sie begruben nun den Todten und pflanzten auf sein Grab eine Palme und lange nachher versammelten sich noch bey der Palme von Siphors Grabe die Jünglinge und Knaben und hörten die Frömmigkeit Siphors.