BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Novalis

1772 - 1801

 

Tagebücher

Journal

 

22. Mai 1797

 

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Tennstedt. 22. [May] 65.

 

Früh packt ich ein – gieng noch einmal zum guten Grabe – und fuhr nachher mit den Rockenthienschen Kindern, die nach Langensalze giengen, nach Tennstedt. Ich fand dort viele Neuigkeiten – erhielt einen Brief von meiner Schwester. Die Leischingen war eben auch angekommen. Nach Tisch las ich Litteraturzeitungen – litterairischen Anzeiger mit vielem Interesse. Wir giengen in recht hübschem Wetter spatzieren. Ich sprach unterwegs mancherley mit dem Kreisamtmann über litterairische Gegenstände – Mein Kopf war sehr gut gestimmt – ich sprach besser, als gewöhnlich und that helle Blicke. Abends sprachen wir noch viel. bes[onders] v[on] meinem Vater. Spät fühlt ich mich
S[ophiens] wegen unruhig – Doch schlief ich bald ein. Je mehr der sinnliche Schmerz nachläßt, desto mehr wächst die geistige Trauer, desto höher steigt eine Art von ruhiger Verzweiflung. Die Welt wird immer fremder – die Dinge um mich her immer gleichgültiger. Desto heller wird es jezt um mich und in mir –

Bey meinem Entschluß darf ich nur nicht zu vernünfteln anfangen – Jeder Vernunftgrund, Jede Vorspiegelung des Herzens ist schon Zweifel, Schwanken und Untreue.