BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Philipp Otto Runge

1777 - 1810

 

Gedichte

 

1802/03

 

Textgrundlage:

in: Hinterlassene Schriften. 1. Theil, S. 48

Hamburg: Friedrich Perthes, 1840

Faksimile: UB Greifswald

 

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Der trübe Nebel ist zerflossen

Spielt' ich still und sorgenlos

Tief in düstre Trauer hingesunken

Erst lag der Schnee noch weiß aus lichten Höhen

 

 

1.

Der trübe Nebel ist zerflossen,

Der Sonne Schein ist ausgegossen

Ueber das grüne Land.

Die kleinen Blumen sind entsprossen,

Die muntern Vögel, ihre Genossen,

Grüßen mich so bekannt

Und rufen mich jauchzend hin zum Wald.

O ja, ich komme bald!

Wer möchte wohl nicht in der Gesellschaft seyn

Unter Blumen, im Walde, bey den kleinen Vögelein?

 

Mich dünkt, ich bin schon hier gewesen,

Wo ich die kleinen Blumen seh';

Sie steh'n doch hier wie auserlesen

Und mir wird innerlich nach ihnen weh'.

Ich kann nicht wieder von hier geh'n,

Ist's doch so lebendig und so lustig hier!

Die Vöglein singen in dem Wald:

Könnte das doch ein Mensch versteh'n,

Und wäre der bey mir!

Wie's so gewaltig wiederhallt!

Wenn ich steh',

Und nieder seh',

Alles ist lebendig und so mannichfalt.

Im Herzen brennt es mir so sehr.

Ich gäbe mein Herzblut, daß ich nicht so alleine wär',

Und verstände das fröhliche Leben um mich her!

Alle Würmchen begrüßen sich

Und geh'n fleißig umher;

Die Schmetterling' erlustigen sich

Und freu'n sich so sehr.

Und ich alleine

Stehe, gehe, sehe, und verstehe nichts von Allen.

Wie die Stimmen schallen.

Wie die Blumen blühen,

Schmetterlinge ziehen,

Wie die Würmlein spielen

Und in Blumen wühlen,

In die Blüthen sinken,

Die so lieblich winken: –

Nichts versteh' ich um mich her,

Das betrübt mich sehr,

Und doch, wie ich hier stehe, so ganz allein,

Möcht' ich immerfort in dieser Gesellschaft seyn.

 

 

2.

Spielt' ich still und sorgenlos,

Freudevolle Stunden!

Aus der Mutter Erde Schoos:

Wie so bald verschwunden,

Süße Freuden?

Nur beym Scheiden

Hab' ich euren Werth empfunden.

 

Lag so still für mich allein

Unter Schatten, dunkeln Büschen,

Vor mir Wasser, Wies und Hain,

Hör' im Rohr die Lüste zischen.

Höre, wie der Vogel singet,

Daß der hohle Wald erklinget – –

Horch! Trompeten nun aus Weiten,

Näher holder Töne Gleiten –

Und die Abendsonne sinkt. –

O nach diesen, diesen Tönen

Möcht' ich immer satt mich sehnen!

 

Krausen sich die leichten Wolken,

Hell vergoldet ihre Ränder,

Hinter ihnen ferne Länder. –

Ha in dunkler Bäume Schatten,

Als die Sonne war gesunken,

Sah ich liebliche Gestalten

Schimmern, schwinden in dem Wald! –

Und ich seh' sie nimmer wieder?

Nie die liebe schöne Seele,

Die aus dunkeln Augen blitzte,

Die Gestalt, mit glüh'nden Schmerzen

Mir geschrieben tief im Herzen? –

Nach dem Schimmer, nach den Tönen

Muß ich mich nun ewig sehnen?

 

Liebesgeist, den ich empfinde,

Odem tief in inn'rer Seele!

Bey der Arbeit, was ich treibe,

Wo ich gehe, was ich denke,

Immer ist es nur dies Liebe,

Das im Grund der Seele webet,

Wohin alles, alles ziehet.

Und in aller Wesen Reihe

Find' ich dich nicht, liebe Seele?

Ging' ich auch in ferne Länder,

Dieses süße Bild zu schauen,

Das sich mir in eigner Seele

Fest und fester hat erzeuget,

Nicht in fremden Menschenkreisen,

Nicht in aller Volkesmenge,

Nirgends wird es mir begegnen,

Wie nicht hier am klaren Bache,

Wo ich sitz' im stillen Thale?

Alle Hoffnung ist verschwunden:

Nach dem Schimmer, nach dem Glanze,

Nach den vollen, süßen, lieben Tönen

Muß ich mich nun ewig, ewig sehnen?

 

 

3.

Tief in düstre Trauer hingesunken

Saß ich brütend über mir allein.

Zehrend an des Lebens leztem Funken;

Niemand ahnte meines Herzens Pein.

Was sich still und langsam nur noch in mir regte,

Ohne Hoffnung sterbend sich nur noch bewegte:

Schwarz und schwärzer sich

In den Busen schlich

Der Vernichtung Grausen, Hölle! die Gewalt,

Die du grinsend zeigst an jeder Erdgestalt. –

Da bestand ich in der todesnahen Stunde,

Und des Himmels Licht fiel in die tiefe Wunde. –

 

So allein hatt' alles mich gelassen,

Nur ihr Bild lebendig in mir blieb.

Kaltes Grausen wollte mich erfassen;

Hatt' mich niemand, hatt' ich sie doch lieb. –

Bis die tiefe Sehnsucht fiel in dumpfes Schwanken,

Endlich mir die wunde Seele mußt' erkranken. –

War ihr Bild auch hin!

Kalt und todt mein Sinn,

Bodenlos der Abgrund, keiner Lebenslust

Schwächster Funken übrig in der öden Brust.

Wohin auch mein Denken, Sehnen, Beten zielte.

Nirgends nur noch eine Seele für mich fühlte.

 

O du Lust des Lebens, glüh'nde Flamme,

Reiner Kern, der blüh'nde Zweige trieb!

Hoffnung nahm schon Frucht von deinem Stamme,

Da dein Inhalt mir verhüllt noch blieb.

Du versinkst in Asche, deine Zweige brechen. –

Wer, wenn alles hinstirbt, kann die Schmerzen sprechen?

Da in aller Welt

Mir nichts mehr gefällt.

Wozu bin ich denn gemacht? – Daß ich vergeh',

Und im Leben schaudernd nur den Abgrund seh'?

Ist mir nirgends Trost und nirgends Ruh' gegeben.

Tiefer Seelengram, so kürze nur mein Leben!

Hat denn Gott mich ganz und gar verlassen?

War zu kühn des stolzen Geistes Flug?

Kann ich nicht den hohen Glauben fassen.

Daß er mir zum Heil die Wunde schlug?

Nimmst du mir dies Bild, dies Beste mir vom Leben,

Weil ich all' was mein war stets nicht dir gegeben?

O so nimm die Zeit,

Nimm die Ewigkeit!

Nein, ich konnte nimmer tragen dieses Glück:

Nimm das Leben, nimm mein Daseyn denn zurück.

Deine Güte ließ mich zu dem Tage kommen:

Nur was du gegeben, hast du, Herr! genommen. – –

 

Ew'ges Licht, du unerforschter Wille,

Einz'ger Trost, Lieb' ohne Maas und Grund!

Fällt mir von den Augen nun die Hülle?

Werd' ich mich ergebend noch gesund?

Was ich suche, bitte, werd' ich immer sinken? –

Deine Liebe, Herr! will ich der Welt verkünden.

Ja, des Himmels Licht

In die Seele bricht:

Wie mir jüngst so traurig jeder Tag verschwand,

Und ich dein Geschöpf, die Blumen, nicht verstand.

So dein Licht in Farben prangend sich nun hüllet,

Und die Welt mit vollem reichem Leben füllet.

 

Wollt' im Dunkeln ich das Böse sehen,

Weil das Schwarze mir das Böse war?

Die Geliebte seh' ich vor mir stehen,

Seele spricht in Augen offenbar.

Träumend, da ich wachend Himmelslicht gefunden,

Werd' ich mit dem ird'schen Licht nun auch verbunden.

Wie mein Aug' dich kennt,

Meine Lippe brennt.

Wem sich noch entschlossen nie das höchste Licht,

Der genoß das ird'sche Leben auch noch nicht.

O vom dunkeln Brunnen deiner lieben Augen

Will ich Muth und Lust zu jeder Arbeit saugen.

 

Lust'ger Schein, der nun die Welt belebet!

Wo ich walle, Blumen um mich blüh'n.

Wie dein Auge leuchtend sich erhebet,

Rosenroth die Wangen dir erglüh'n.

Daß zu vollen Pulsen mir die Adern schwellen.

Von der Liebe Blicken ausgeregt zu Wellen!

Deine Huldgestalt

Faßt mich mit Gewalt,

Und die Kraft, die mir dein Händedruck verleih't,

Knüpfet nun die Zeit mir an die Ewigkeit.

Weil ich ohne Hoffnung treu der Hoffnung blieben,

Will mich ohne Maas und Ziel nun Liebe lieben.

 

 

Zur Begleitung der Tageszeiten.

Fragment.

Ev. Ioh. Cap. l.

Erst lag der Schnee noch weiß aus lichten Höhen,

Das Wasser und der Thau noch starr in Eis.

Nun fließt der Bach; in Fluß und klaren Seeen

Erflimmert's hell bey warmem sanftem Wehen,

Auch sind die fernen Berge nicht mehr weiß.

Es ist des Winters Zeit, die Nacht, vergangen,

Der Erde finstrer Schoos hat nun den Tag empfangen.

 

In blauer Luft will schon der Vogel singen,

Und grün bedeckt sich rings das weite Feld.

Aus Zweigen wollen Blatt und Blüthe dringen:

Des Menschen Herz, es möcht' im Busen springen.

Er fühlet die Geburt der neuen Welt.

Sie kommt, die Zeit, da Blum' und Blüthen sprießen,

Die Farben überall, ihm unverständlich, grüßen.

 

Und blühen erst die Bäum' an allen Zweigen,

Manch Blümlein sreundlich aus der Erde sieht.

Die Glöcklein duftend ihre Köpfchen beugen.

Sich Blumen bunt in Wald und Wiese zeigen,

Bis uns die Rose durch die Seele glüht:

Gestillt ist da des Herzens stumm Verlangen,

Wenn Farben duftend als auf ein: Es werde! prangen.

 

Die rothe Rose kommt hervor geflogen.

Sie kündet nur der Blumen Königin,

Und schmückt als Botin ihr den Ehrenbogen;

Die Herrlichste kommt bald ihr nachgezogen

Mit stillem sanftem unschuldsvollem Sinn –.

Der Lilie Stengel strebt hoch in die Lüfte,

Aus reinem weißem Kelch ergießend süße Düfte.

 

Und erst entquillt der Erde nun das Leben.

Die Bäume schütteln ihr Geschmeid' herab,

Des Lichtes Rang der Lilie nur zu geben,

Sie soll in einzig süßem Glanze schweben.

Die Blüthen sinken willig in ihr Grab;

Und Blumen sprechen dustend, wie mit Zungen:

Das Licht, das Licht ist in die Blumemwelt gedrungen!

 

Und Segen thauet auf die Erde nieder.

Die Lilie senket schon ihr schönes Haupt.

Helljauchzend preisen sie der Vöglein Lieder,

Und auch die Rose blüht noch röther wieder –

Und ist die Erde jetzt des Lichts beraubt? –

Sie hat ein schönes Feuer sich gezündet:

Die Farben haben duftend rings ein Lob verkündet!

 

Die rothe Blume, schön vorangegangen,

Sie spiegelte sich in dem klaren Thau,

Und wie die Vöglein in den Zweigen sangen,

Der Lilie gedrängte Knospen sprangen.

Sank perlend er hinab zur grünen Au'.

Da haben wir der Lilie Schein gesehen;

Doch was die Hohe sprach, wer konnt' es ganz verstehen?

 

Die Farben sind's, die erst das Wort gesprochen,

Was wohl der Lilie süßes Wesen war.

Und hat ein Dorn der Lilie Glanz erstochen,

So hat die Rose doch von ihr gesprochen.

Nun lebt das Licht in Farben offenbar. –

O hätten näher wir das Wort gehöret.

Das durch den Hochmuth doch nicht ganz uns ward zerstöret!

 

Der böse Dorn war anfangs anzuschauen

Ohn' alle Farbe, licht und weiß wie Schnee.

Da wollt' er stolz aus eigne Kräfte bauen.

Und fiel und fiel in nächtlich tiefes Grauen,

Verlor die weißen Blüthen – Weh' dir, weh'!

Und wann die Blumen all' zurückgekommen,

Bleibt er der Frucht, der herben schwarzen, unbenommen.

 

✻    ✻    ✻

 

Wenn jetzt die Sonne heiß am Himmel stehet;

Es dampft die Flur im reichen Blumenduft;

Vom warmen Wind, der durch die Lüste wehet,

Ein wogend Wallen über Felder gehet.

Zum Wiederklange blauer Himmelsluft:

Es wehen Glöckchen blau von allen Hügeln;

Der Himmel will sich in des Kornes Blume spiegeln

u. s. w.